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Allesfresser: Holzvergaser schluckt Bauholz

Lesezeit: 6 Minuten

Bauabrissholz versetzt mit Metallresten: Daraus gewinnt eine Schweizer Genossenkorporation bereits seit 2008 teerarmes Holzgas für die Strom- und Wärmeproduktion.


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Viele haben das Vertrauen in die Holzgastechnik in den letzten zehn Jahren verloren, weil die Anlagen einfach noch nicht ausgereift waren. Mittlerweile funktioniert die Technik aber und die Strom- und Wärmeerzeugung aus Holzgas ist wieder interessant. Das haben wir Ihnen im Energiemagazin 3 (top agrar 9/2013) bereits gezeigt.


Auch die Genossenkorporation Stans im Kanton Nidwalden in der Schweiz hat sich nicht entmutigen lassen. Die rund 400 Mitglieder haben 2007 im großen Stil ein thermisches Kraftwerk mit 1,9 MW Nennleistung Wärme bzw. 1,2 MW Strom gebaut. Über die letzten Jahre wurde dieses so weiterentwickelt, dass die Anlage heute mit einigen Besonderheiten überrascht, die sich auch auf kleinere Maßstäbe übertragen lassen.


In der Nähe von Luzern sind wir zu einem Rundgang über die Energieanlage mit Betriebsleiter Hans Bieri sowie dem Geschäftsführer von BR Engineering, Bernhard Böcker-Riese, verabredet. Böcker-Riese, gebürtig aus dem Münsterland, hat die Anlage seit 2007 zusammen mit der Genossenkorporation als Verfahrenstechniker optimiert.


Holzmüll wird Energie:

Die erste Besonderheit, die das Konzept so interessant macht, ist der eingesetzte Energieträger: Zur Vergasung kommen nämlich Bauabrissholz, Altholz und alte Balken. Für die Anlage ist es dabei grundsätzlich egal, ob dort Restmetalle wie z. B. Nägel etc. enthalten sind, diese sollen den Umwandlungsprozess im Reaktor nicht behindern. Jedoch achtet der Betriebsleiter darauf, dass die Lieferanten alle größeren Fremdanteile entfernt haben. Angeliefert wird das Material fertig geschreddert von zwei Firmen, mit denen es Festverträge gibt. Täglich sorgen sie für Hackschnitzelnachschub im 5 600 m3 großen Lager, von dem die Anlage vier bis fünf Wochen zehren könnte. 8 000 t sind es im Jahr bei Volllast. Wichtig ist laut den Fachleuten nur, dass die Hackschnitzel zwischen 20 und 150 mm groß sind. Zu feines Material würde die Luftzufuhr im Reaktor verstopfen, zu grobes (> 250 mm) würde die Fördertechnik stören.


Bei der Feuchte des angelieferten Holzes achtet Bieri auf die Einhaltung der vertraglichen Vorgaben. Zusätzlich gibt es unter dem Lager einen Schubboden mit Lochblechen, durch den kontinuierlich warme Luft in die Häcksel strömt. „Die warme Luft kommt von den Rohgaskühlern und aus dem Gebäude, in dem die Reaktoren stehen. Diese 60 °C warme Luft trocknet das Holz auf 10 % runter“, erklärt Böcker­-Riese. Wärmer dürfe die Luft aber nicht werden, um die leichtflüchtigen Bestandteile wie etwa Harze nicht zu verdampfen. „Das würde einen Heizwertverlust von bis zu 10 % ausmachen“, weiß der Agraringenieur, der in Hohenheim Agrartechnik studiert hat.


Raus mit dem Teer:

Aus diesem Lager versorgt ein Kettenförderer zwei unabhängige Blöcke mit je vier Festbettreaktoren mit Nach­schub. Jeder Reaktor hat 1 m Durchmesser innen und 2,50 m außen. Zentrale Aufgabe ist laut Böcker-Riese, teerarmes Gas zu erzeugen. Daher setzen die Stanser auf das Doppelfeuerprinzip, eine Kombination aus Gegenstrom- und Gleichstromvergaser, bei dem Luft an zwei Stellen in unterschiedlicher Höhe in den Brennraum eingebracht wird. „Dadurch entstehen zwei Oxidationszonen, wobei in der oberen die langkettigen Kohlenwasserstoffe bei Temperaturen über 1 050 °C aufgebrochen (gecrackt) werden. Sie sind für das Teer verantwortlich“, so der 34-Jährige. Weitere Besonderheit: Die zweite Oxidationszone befindet sich im Bereich des Ascheaustrags. Die Kohle, die hier noch vorhanden ist, wird durch die Luft wie beim Grill kräftig angeheizt und befeuert den Umwandlungsprozess und die Reduktion zum endgültigen Produktgas von unten zusätzlich. Sinkt die Temperatur am Bodenrost unter einen bestimmten Grenzwert, z. B. 235 °C, dreht sich dieser um einige Zentimeter und entfernt die ausgebrannte Asche. Die Verbrennung kommt so durch nachrutschende Kohle wieder in Gang. „Die Kohle verbrennt vollständig, die Asche ist dann sehr fein und enthält so gut wie keinen Kohlenstoff mehr“, so Böcker-Riese weiter. Die Vorschriften verlangen allerdings eine Entsorgung der Asche auf der Deponie.


Die Gasreinigung:

Um das jetzt noch vorhandene Teer aus dem Gas zu bekommen, haben die Schweizer zusammen mit dem Deutschen weitere Maßnahmen umgesetzt. Da ist neben der speziellen Geometrie des Reaktors, die eine optimale Luftverteilung garantieren soll, vor allem die Gasreinigung zu nennen. Das Produktgas wird dazu im Rohgaskühler auf 170 °C heruntergekühlt. In einem mit Kalkhydrat (Sorbacal SP) beschichteten Filter werden alle Partikel, insbesondere auch das für den Motor schädliche Kalium, entfernt. „Das Reagenz auf Calciumbasis hat zudem eine neutralisierende Wirkung, nimmt saure Bestandteile auf und schützt die Schläuche“, verrät der Berater. Allerdings müsse man den Kalk regelmäßig nachfüllen. Die Anlage benötigt etwa 5 kg Kalk pro Stunde für 1 000 kW. Die Abreinigung der Filterschläuche erfolgt mit Stickstoff. Die letzte Reinigungsstufe, das Waschen des Gases mit biologischem Rapsmethylester (RME), entfernt nun den letzten Teer aus dem Gas und kühlt es auf die für den Motor geeignete Temperatur von 35 bis 40 °C herunter. Vergaser und Gasreinigungsstufen arbeiten dabei im Unterdruck, welcher durch einen Drehkolbenverdichter am Ende der Gasreinigung erzeugt wird.


Ernte mit 20 Zylindern:

Schließlich gelangt das auf 80 mbar verdichtete Gas in das Blockheizkraftwerk. Der GE Jenbacher 20-Zylinder-Gasmotor leistet mit 10 bar Mitteldruck 588 kW. „Holzgas ist nicht so klopffest wie Erdgas, deshalb müssen wir den Motor mit Druckminderung fahren. Mit Erdgas würde er 1 000 kW leisten“, erklärt Böcker-Riese. Alle 30 000 Stunden steht die Überprüfung an, alle 90 000 Stunden gibt es einen generalüberholten Austauschmotor.


Allerdings ist die Wartung der Gesamtanlage nicht zu unterschätzen: Jeweils nach 1 500 Stunden müssen Bieris Leute das Öl wechseln. Regelmäßig reinigen sie den Gaskühler und tauschen Teile. Und einmal jährlich werden die Reaktoren komplett geleert und auf Risse in der Ausmauerung untersucht. Eigentlich wurde hier eine Standzeit von nur drei Jahren erwartet. Die Steine in den Stanser Vergasern halten jedoch schon sechs Jahre. Alles zusammengenommen gebe es damit in dieser Leistungsgröße keine andere Festbettanlage mit Doppelfeuervergaser, die schon so lange läuft, stellen die beiden nicht ohne Stolz fest.


Das lohnt sich:

Mit den Wirkungsgraden sind die Betreiber denn auch sehr zufrieden. Bezogen auf den Brennstoff-Input holen sie 25 bis 30 % Strom aus dem günstig eingekauften Abbruchholz, thermisch schafft die Anlage 40 bis 50 %, was zusammen einen Wirkungsgrad von 70 bis 80 % ergibt. Die Restenergie wird größtenteils zur Holztrocknung eingesetzt, wodurch der Gesamtwirkungsgrad auf 80 bis 90 % steigt.


Auf den bisherigen Erfolgen wollen sich die Schweizer jedoch nicht ausruhen: Eine neue Reaktorbeschickung und neuentwickelte Bauteile sollen die Leistung weiter steigern.


Laut Böcker-Riese kann solch ein Holzgaskraftwerk auch für Landwirte oder Energiegenossenschaften eine interessante Alternative sein, da es sich in der Größenordnung einer Biogasanlage bewegt. Auf jeden Fall sollen die Erfahrungen aus der Schweizer Anlage künftig auch in kleineren Kraftwerken Anwendung finden, woran der Münsterländer schon fleißig entwickelt.


Alfons Deter

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