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Die Bauern und die Strom-Autobahnen

Lesezeit: 9 Minuten

Für die Energiewende soll das Stromnetz auf tausenden Kilometern ausgebaut werden: Auf die Landwirte kommen damit noch mehr Flächensperren, drohende Enteignungen und Boden­schäden zu – bei viel zu geringen Entschädigungen. Was bevorsteht und was sich ändern muss.


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Die Botschaft tönt aus allen Ecken: Um die Energiewende zu schultern, brauchen wir mehr Stromleitungen, und das möglichst schnell. Doch die Dimensionen sind gigantisch, die Folgen für die Landwirtschaft noch längst nicht an der Basis angekommen.


Anfang Juni haben die Netzbetreiber ihre konkreten Pläne offengelegt. Danach fehlen in Deutschland allein im Höchstspannungsbereich 3 800 km neue Leitungen. Oder anders ausgedrückt: 26 000 ha Flächen, die bei 70 m Trassenbreite mit Leitungen überspannt, als Schonstreifen genutzt oder mit Erdkabeln versehen werden. Tausende von zusätzlichen Masten und über 15 000 ha Ausgleichsfläche für den Naturschutz, wenn man von der bislang üblichen Faustzahl von rund 4 ha Ausgleichsfläche für jeden km Freileitung ausgeht.


Und das ist nur der Neubau: Dazu kommen die Auf- und Umrüstung von 4400 km bestehenden Leitungen, z.B. 380 kV statt 220 kV-Leitung, und der Ausbau im Verteilungsnetz.


Hauptgrund für den gewaltigen Ausbau-Bedarf ist die Energiewende: Bis 2022 soll der Ökostromanteil in Deutschland 35 % betragen, bis 2050 sogar 80 %. Den größten Anteil davon soll Windenergie liefern, überwiegend erzeugt im Norden und Osten der Republik. Die Erzeugung an sich ist zu schaffen, bloß: Der Strom muss zum Kunden. Schon jetzt reicht die Netzkapazität zu den großen Verbrauchern im Westen und Süden vorne und hinten nicht. So sind die Netze in Schleswig-Holstein bei Starkwind so überlastet, dass regelmäßig Windenergie- und Biogasanlagen abgeschaltet werden, während im Süden bereits der Strom fehlt. Die Gefahr von Netzzusammenbrüchen und Stromausfällen wächst.


Allerdings gibt es das Netzproblem nicht erst seit der Energiewende. Seit Jahren versucht die Bundesregierung, beim Netzausbau per Gesetz aufs Tempo zu drücken – mit höchst magerem Ergebnis: Von den im Jahr 2009 gesetzlich festgelegten gut 1800 km Höchstspannungstrassen sind z.B. bis heute nur gut 200 km gebaut.


Für Eigentümer unerträglich:

 Aber das Problem spitzt sich zu, und eilig legte die Bundesregierung Mitte 2011 mit dem Netzausausbaubeschleunigungsgesetz (Nabeg) nach. Von der Politik stolz vorgezeigt, drohen mit diesem Gesetz die Interessen der Landwirte und Flächeneigentümer endgültig unter die Räder zu kommen. Besonders heikel sind:


  • Veränderungssperren: Schon 5 bis 10 Jahre bevor der genaue Trassenverlauf endgültig feststeht, können die Planer sich jetzt einen Trassenkorridor von 500 bis 1000 m freihalten und dort eine „Veränderungssperre“ verhängen. Heißt je nach Lage des Betriebes im Klartext: Kein Stallbau, keine Biogasanlage, keine Ausweisung von Baugebieten, keine Umnutzung von Hofgebäuden in Ferienwohnungen usw., also eine Blockade der betrieblichen Entwicklungsmöglichkeiten auf Jahre. Dazu kommt: Steht ein Trassenkorridor einmal, ist es leichter, auch später dort weitere Leitungen zu verlegen.
  • Beschleunigte Enteignungen: Schon während des Planfeststellungsverfahrens, und nicht wie bisher erst nach dessen Abschluss, kann die Enteignung eingeleitet werden. Zwar greift diese nur für den Fall, dass der Planfeststellungsbeschluss wie geplant kommt. Aber trotzdem: „Bevor das Verfahren durch ist schon zu enteignen – das lässt sich für mein Rechtsempfingen nicht mit den rechtsstaat-lichen Grundsätzen vereinbaren“, so Hubertus Schmitte, Justiziar des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) in Münster.
  • Ausgleichsflächen: Für Freileitungen und Erdkabel ist offenbar weiterhin ein naturschutzfachlicher Ausgleich vorgesehen. Bislang mussten häufig pro Kilometer Freileitung 4 ha Ausgleichsfläche eingeplant werden. „Das darf nicht so weitergehen,“ so Steffen Pingen vom Deutschen Bauernverband (DBV), „denn der Ausgleich geht hauptsächlich auf einen Eingriff der Freileitung in das Landschaftsbild zurück, der aber gar nicht ausgeglichen werden kann.“
  • Prämien für Kommunen: Pro Kilometer Höchstspannungsleitung auf ihrem Gebiet erhält die Kommune 40 000 €, auch wenn nicht ein Quadratzentimeter Gemeindeland bebaut wird. Bei den Landwirten bleibt es dagegen bei den „bewährten“ Mini-Entschädigungen.
  • Naturschutz-Vorrang: Die Umwelt-Auswirkungen der neuen Leitung sind bereits beim Festlegen der Trassenkorridore detailliert darzustellen und zu beachten. Was der Leitungsbau für die Land- und Forstwirtschaft bedeutet, wird nicht annähernd gleichrangig betrachtet.


Bis 10. Juli einmischen!

Um schneller Höchstspannungsleitungen planen zu können, schränkt das Beschleunigungsgesetz aber nicht nur die Eigentumsrechte ein. Planung und Genehmigung werden zentralisiert bei der Bundesnetzagentur (BNetzA), womit die Planungszeit pro Trasse von 10 auf 4 Jahre sinken soll.


Weniger zeitraubende Gegenwehr der Bürger erhofft man sich zudem durch eine neue Art der Bürgerbeteiligung: Während der sogenannten „Konsultation“ kann jede Privatperson oder Institution Einwände einsenden – per Brief, E-Mail oder Internet. Auf ihrer Internetseite versprechen die Netzbetreiber, sich jeder einzelnen dieser Stellungnahmen anzunehmen. Direkt vor Ort gibt es zur Information dann zusätzlich öffentliche „Antragskonferenzen“. Derzeit wird gerade konkret festgelegt, wo im nächsten Jahr Leitungen geplant werden:


  • Ende Mai haben die Netzbetreiber ihren Netzentwicklungsplan (Übersicht  1) veröffentlicht. Die konkreten Verläufe der Neubautrassen stehen damit zwar noch längst nicht fest. Landwirte, die jetzt schon Einwände haben, können diese aber bis zum 10. Juli 2012 einreichen – z.B. per E-Mail an die Adresse konsultation@netzentwicklungsplan.de


Als Ergebnis aller Prüfungen wird der Bundesbedarfsplan vermutlich Ende 2012 zum Gesetz. Übrigens: Dieses Gesetz wäre die Gelegenheit, eine verbesserte Entschädigung der Grundeigentümer festzuschreiben.


  • Dann folgt der Vorschlag der Netzbetreiber für die 500 bis 1000 m breiten Trassenkorridore für den ungefähren Verlauf der Leitung. Weiter geht es mit öffentlichen Antragskonferenzen und der Prüfung der Stellungnahmen. Abschließend legt die BNetzA den endgültigen Trassenkorridor fest.
  • Letzter Schritt ist die Planfeststellung: Der Netzbetreiber beantragt die konkrete Trasse im Trassenkorridor – mit genauen Maststandorten, Kabelverläufen usw. Landwirte, die ihre Flächen nicht „freiwillig“ zur Verfügung stellen wollen, können dann schon enteignet werden. Wichtig für die Landeigentümer: Bringen Sie spätestens bei der dann folgenden öffentlichen Antragskonferenz im Planfeststellungsverfahren ihre Einwände vor. Nur auf diese Gründe können Sie sich in eventuell folgenden Gerichtsverfahren beziehen.


Garantierendite für Betreiber...

 Aber die Netzagentur genehmigt nicht nur, sie kontrolliert auch die Kosten für den Netzausbau. Diese bezahlt per Umlage der Verbraucher, derzeit sind es bereits rund 20 % des Strompreises. Bei Entschädigungsverhandlungen führen Netzbetreiber dies gerne an, nach dem Motto: Wir dürfen nicht mehr zahlen, sonst gibt es Ärger mit der Netzagentur.


Doch misst die Behörde hier offensichtlich mit zweierlei Maß: Während die Bauern wegen der Strompreise mit Mini-Entschädigungen zufrieden sein sollen, sagt die Agentur den Netzbetreibern eine festgelegte Rendite für ihre Netzinvesti-tionen zu – derzeit satte 9,05 %. Begründung: Nur mit einem solchen Anreiz könne man die Netzbetreiber dazu bewegen, überhaupt zu investieren.


Auch gegenüber den Kommunen spielt das Strompreisargument scheinbar eine untergeordnete Rolle: Mit dem neuen Beschleunigungsgesetz erhalten sie pro km Höchstspannungsleitung auf ihrem Gebiet nur für die Zustimmung 40 000 € „Akzeptanzgeld“, auch wenn nicht ein Quadratzentimeter Gemeindeland bebaut wird. Kommentar dazu im Gesetzentwurf: Die Auswirkungen auf den Strompreis seien für Haushalte und Industrie „sehr gering“. Dabei sind die Gemeinden ohnehin schon beteiligt: Für jede durchgeleitete kWh erhalten sie seit Jahrzehnten die Konzessionsabgabe. Rund 1,30 bis zu 2,30 Ct. pro kWh zahlen die Verbraucher als Entschä-digung für die Nutzung öffentlicher Wege.


...Taschengeld für die Bauern.

Während Netzbetreiber und Kommunen also versorgt sind, bleibt es für die Bauern für die Duldung der Leitungen auf ihren Flächen bei den seit Jahren kritisierten Mini-Entschädigungen. Diese dümpeln um die 0,45 €/m2 bis 0,90 €/m2. Für die Netzbetreiber herrscht kein Änderungsbedarf, weil die Flächen enteignungsfähig sind und die Verhandlungsposition der Landwirte entsprechend schwach. Die Enteignung ist mit dem Grundgesetz vereinbar, weil Energieversorgung als öffentliche Aufgabe gilt. Doch mittlerweile passt die bisherige Entschädigungspraxis längst nicht mehr zu den grundlegend veränderten Rahmenbedingungen:


  • Netzbetreiber sind knallhart gewinn-orientierte Konzerne, die mit dem internationalen Stromtransport riesige Umsätze machen.
  • Die Gerichtsurteile, auf die sich die Netzbetreiber beziehen, sind über 30 Jahre alt. Seit damals liegt die Entschädigung bei 15 bis 20 % des Verkehrswertes der Fläche (s. top agrar 3/2012, S. 34), was heute viel zu gering ist: Wird frei über privat verlegte Stromleitungen für Windparks usw. verhandelt, liegen die Preise oftmals mehr als 10 mal so hoch (Übersicht 2) – ganz zu schweigen von der jährlichen Windpacht im Vergleich zu Strommasten auf dem Acker.
  • Die Leitungen verbauen den Landwirten auch Chancen: Die künftige Nutzung als Bauland, für Betriebserweiterung, Wind- oder Biogasanlagen entfällt.
  • Erneuerbare Energien werden zu Recht gefördert, das müsste aber auch für entsprechende Netze gelten.


Dass sich bei den Entschädigungssätzen dringend etwas tun muss, fordern nicht nur die Landwirte – juristische Gutachten geben ihnen Rückendeckung, und auch immer mehr Politiker weisen auf die Missstände hin.


Schäden oft unterschätzt:

Allerdings ist die Entschädigung für die Duldung der Leitungen mit der Eintragung entsprechender Grunddienstbarkeiten nur das eine Problem: Das zweite sind die Flurschäden in der Bauphase. „Die Landwirte werden derzeit 20 bis 100 % zu niedrig entschädigt“, so der erfahrene Sachverständige Dr. Volker Wolfram aus Guxhagen (Hessen). Denn:


  • Die Folgen der Bodenstrukturveränderung sind teilweise erst lange nach der Planung erkennbar und für den Eigentümer schwer zu beweisen. Ursachen sind z.B. das Bauen unter Zeitdruck bei zu nassem Boden, Vermischung von Unter- und Oberboden, Bodenverdichtungen oder ein erhöhter Steinanteil.
  • Die Feststellung von Langzeitschäden unterbleibt oft, auch weil Landwirte sie nicht einfordern. Der Sachverständige Dr. Volker Wolfram dazu: „Noch zehn Jahre nach den Bauarbeiten gibt es oft Ertragsdepressionen. Mit bloßen Auge sind die am Ertrag fehlenden 5 bis 10 % aber nicht festzustellen.“
  • Landwirte erhalten für die Zeit, die sie für Büroarbeiten, Behördengänge usw. im Zusammenhang mit den Trassen aufwenden, zu wenig Geld.
  • Teilweise sind Schäden noch gar nicht abzusehen, wie z.B. beim Bau von Höchstspannungs-Erdkabeln.


Verstärkt in die Diskussion einbringen würde Dr. Wolfram gern das Bodenschutzgesetz: „Es verbietet jedem Bodenschadverdichtungen und verpflichtet zur Sicherung der Bodenfunktionen, der Abwehr schädlicher Bodenveränderungen und zur Vorsorge gegen nachteilige Einwirkungen auf den Boden“, erklärt er, „aber manchmal habe ich den Eindruck, das gilt nur für die Landwirtschaft.“

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