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Die Wipfelstürmer

Lesezeit: 11 Minuten

Mit dem Seil sicher im Baum arbeiten: Wir waren mit einem Ausbilderteam für Seilklettertechniken (SKT) auf Wipfeltour.


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Baumpfleger Sebastian Meyering hängt in seinem Seil ca. 15 Meter in einer Astgabel einer Eiche – „bewusstlos“! Ab jetzt hat Anton Wilhelm bei dieser Übung maximal 15 Minuten Zeit, um seinen Kollegen zu retten. Er klettert an Meyerings Aufstiegsseil gen Wipfel, seilt sich dann mit dem eigenen Arbeitsseil schnell aber vorsichtig zu dem Bewusstlosen heran. Ohne Hektik bringt er ihn mit einer Bandschlinge in eine aufrechte Position, stellt mit einer kurzen Bandschlinge, der Expressschlinge, eine Verbindung zu seinem eigenen Seilsystem her und seilt sich gemeinsam mit Meyering ab. Der Grund für die Eile: Wenn ein Kletterer bewegungslos in seinem Gurt hängt, kann es schnell zum gefährlichen Hängetrauma kommen. Die Blutzirkulation ist gehemmt und schließlich werden auch Gehirn und Organe nicht mit genug Sauerstoff versorgt.


Anton Wilhelm, Sebastian Meyering und seine Kollegen Josef Reintjes, Michael Schulte und Ingo Hamm sind Forstwirte bzw. Forstwirtschaftsmeister. Sie bilden Baumkletterer beim Forstlichen Bildungszentrum in Arnsberg-Neheim aus. Sie trainieren regelmäßig gemeinsam und das Retten von verunfallten Kollegen ist ein ganz zentraler Punkt dabei.


Im Frühjahr habe ich Gelegenheit, bei einem ihrer Termine dabei zu sein und unter ihrer fachkundigen Anleitung selbst in die besagte Trainings-eiche zu klettern. Im Herbst treffen wir das Team noch einmal beim Zapfenpflücken in Douglasien.


Die fünf Profis schulen nicht nur Forstleute, sondern auch andere Kletterer und sogar Spezialeinsatzkräfte der Polizei (SEK) in der Seilklettertechnik (SKT). Dabei geht es um eine spezielle Klettervariante mit einem Anschlagpunkt möglichst hoch, aber sicher, über dem Kletterer. Über ein spezielles Seilsystem kann sich der Kletterer dann durch die komplette Krone bewegen, auch bis zu den äußeren Ästen. Bei den Ausbildern sieht das ziemlich mühelos und geschickt aus. Sie nutzen das Seil gleichzeitig als Hilfe, um sich zum nächsten Ast zu schwingen und als Sicherung. Das Seil muss dabei immer gestrafft sein (kein Schlaffseil), Stürze in das Seil sind damit ausgeschlossen – wenn man es richtig macht.


Trotz aller Eleganz:

Ungefährlich ist das Ganze natürlich nicht. Wer gewerblich, z. B. als Baumpfleger, in den Wipfeln arbeiten möchte, benötigt eine Ausbildung – das ist Vorschrift der Berufsgenossenschaft. Der fünftägige Lehrgang SKT A vermittelt die Grundkletter-Technik. Nach Abschluss darf der Baumpfleger mit der Handsäge im Wipfel arbeiten. Der SKT B schult das Arbeiten mit der Motorsäge im Baum und das Abseilen von Lasten. Beide Lehrgänge dauern je eine Woche und schließen mit einer theoretischen und praktischen Prüfung ab. Zwischen A- und B-Lehrgang sollten mindestens 300 Kletterstunden liegen. Die Lehrgänge werden in ganz Deutschland von verschiedenen Bildungseinrichtungen angeboten, die Kosten liegen je nach Umfang zwischen 600 und 800 €.


Eine gute Ausrüstung startet bei rund 1 000 €, dann kann es losgehen. Das macht die Sache für Forstwirte, die nach einer zusätzlichen Einkommensquelle suchen, interessant. Anton Wilhelm berichtet, dass die Kurse in Neheim, die optional im Rahmen der Forstwirt-Ausbildung angeboten werden, schnell ausgebucht sind. Schwerpunkt der Kletterer ist vor allem die Verkehrssicherung, also das Entfernen gefährlicher Totäste an Wegen und Straßen. Mit reichlich Erfahrung und dem Lehrgang B kann man auch Fällungen durchführen und den Baum Stück für Stück abtragen.


Die Ausrüstung muss geprüft und für die SKT zugelassen sein. Die Haltbarkeit ist begrenzt, das Seil ist spätestens nach sechs Jahren fällig. Vor jedem Einsatz kontrolliert der Kletterer seine Ausrüstung auf Schäden. Zudem muss die komplette Ausrüstung einmal pro Jahr von einem Sachkundigen überprüft werden.


Zur Grundausrüstung gehören:


  • Kletter- bzw. Sitzgurt, ab ca. 180 €, meistens aber teurer
  • Helm, ab 40 €
  • Kletterseil: Statikseil, möglichst zwei Stück (45 bis 60 m und 35 m), ab ca. 2 € pro Meter
  • Klemmknotenseil, temperaturbeständig mit Karabiner, ab ca. 25 €
  • Kurzsicherung bzw. Positionierungsseil mit Karabiner und Seilverkürzer (Positionierer), rund 200 €
  • Kambiumschoner als oberer Anschlagpunkt, ab ca. 30 €


Der Sichere Weg nach oben.

Bevor es zum Wipfel geht, müssen verschiedene Vorarbeiten erledigt werden: Dazu gehören vor allem die Baumsicherheitsüberprüfung und das Überprüfen der Ausrüstung. Das wird schriftlich dokumentiert. Auch müssen sich die Kletterer Gedanken über mögliche Rettungswege machen und z. B. einen Rettungsplan gut sichtbar im Fahrzeug hinterlegen. Erst danach wird das Kletterseil über einen möglichst hohen, stabilen Ast geführt. Bei unserem Einsatz arbeiten die Profis mit getrennten Seilen: Eines zum Aufstieg in den Baum (als sogenanntes stehendes Einfachseil) und ein weiteres in der Krone für die eigentliche Arbeit.


Dieses Seil wird bei der SKT meistens als umlaufendes Seilsystem eingesetzt. Das Doppelseil kann natürlich auch zum Aufstieg genutzt werden.


Mit einer großen Gummischleuder – dem Bigshot – wird ein Nylonbeutel mit einer dünnen Schnur (Pilotschnur) über den Ast geschossen. Damit lässt sich dann das Kletterseil – mit etwas Übung – bequem nach oben ziehen. Wir befestigen das eine Ende am Stamm, am anderen geht es später nach oben.


Bei unserem Einsatz verwenden wir ein Abseilgerät zum Befestigen am Stamm. Falls es beim Aufstieg zu einem Notfall kommt, ließe sich der Kletterer bei entsprechender Seilreserve damit gefahrlos wieder herunterlassen. Das geht besonders einfach mit dem Abseilgerät ID von Petzl (ca. 150 €) mit Anti-Panik-Sicherung: Der Mechanismus blockiert, sobald man den Hebel zu stark durchdrückt oder loslässt. Zwar ist das ID relativ schwer, man kann es aber auch direkt am Gurt beim Aufsteigen am Einzelseil verwenden. Anton Wilhelm empfiehlt so ein Gerät, das es ähnlich auch von anderen Firmen gibt, vor allem für Einsteiger.


Übrigens: Wegen der Unfallgefahr und der schwierigen Rettung müssen Baumkletterer immer zu zweit arbeiten. Und beide Personen müssen dafür mindestens den SKT-Kurs A absolviert haben und voll ausgerüstet sein. Zum Aufstieg gibt es die unterschiedlichsten Methoden. Ausbilder Josef Reintjes startet mit der Footlock-Technik. Dabei schlingt er das Seil geschickt um die Füße. Zusätzlich läuft ein Klemmknoten auf dem Seil zum Sichern. Reintjes schiebt den Klemmknoten nach oben, hält sich unter dem Knoten am Seil fest, zieht die Beine an und umwickelt den Fuß mit dem Seil. Beim Langmachen des Beins schiebt er den Knoten weiter.


Der Klemmknoten besteht aus einem kurzen, hitzebeständigen Seil. Per Hand kann Reintjes die Klemmkraft steuern. Anstatt des Klemmknotens könnte er beim Footlocken z. B. auch mit einer Doppelhandsteigklemme plus Sicherung aufsteigen. Trotzdem: Die Footlock-Technik benötigt viel Übung – und scheidet deshalb für mich aus.


Ich verwende lieber eine Kombination aus Fuß- und Handsteigklemme. Beide lassen das Seil in einer Richtung einfach durchlaufen und klemmen sich in der anderen sicher fest. Die Fußsteigklemme (z.B. Pantin, rund 50 €) wird per Riemen direkt am (rechten oder linken) Schuh befestigt. Sie ist ziemlich klein und stört beim weiteren Klettern im Baum kaum. Die Handsteigklemme (rund 50 €) funktioniert ähnlich. Sie hat einen großen, kräftigen Griff und lässt sich einfach auf das Seil setzen. An der Steigklemme ist eine Trittschlinge für den (linken) Fuß befestigt. Zum Klettern schiebe ich abwechselnd Fuß- und Handsteigklemme nach und steige fast wie an einer Leiter in den Baum.


Wichtig ist die mitlaufende Seilklemme (40 bis 80 €), die mich sicher hält, falls etwas mit den Steigklemmen schief läuft. Nachteil: Ein Abseilen ist mit dieser Basis-Ausrüstung noch nicht möglich. Dazu müsste ich die Seilklemme gegen ein Abseilgerät, wie zum Beispiel das ID tauschen.


An meinem Ziel angekommen, sichere ich mich zusätzlich mit einem Positionierseil. Das Seil lässt sich mit einem speziellen Positionierer (ca. 100 €) verkürzen, einer Seilklemme mit praktischem Stellhebel und eingebautem Wirbel, um Seilverdrehungen zu vermeiden. Von hier oben habe ich eine gute Position, um die Ausbilder bei ihrer Arbeit zu fotografieren.


Wie mit dem Flaschenzug:

Im Baum arbeiten unsere Profis mit einem umlaufenden Seil. Wichtig dafür ist der Kambiumschoner. Denn durch die Reibung des umlaufenden Seils könnte das Kambium des Ankerasts zerstört werden, und man will ja Totäste entfernen und keine neuen produzieren. Der Schoner besteht deshalb aus einem breiteren Gurtband und Ringen bzw. Rollen, durch die das Seil geführt wird. Die Kletterer können den Schoner auch vom Boden aus mit der Wurfbeutelschnur richtig einbauen.


Im Prinzip ist das umlaufende Seilsystem wie ein Flaschenzug aufgebaut. Der Kambiumschoner dient mit seinen glatten Ringen oder Rollen als Umlenkung. Der Kletterer ist am Ende des Seils und am zurücklaufenden Seil eingebunden. Das wirkt wie die lose Rolle eines Flaschenzuges und halbiert die notwendige Kraft beim Aufseilen. Allerdings wird der Weg doppelt so lang, für 3 m Aufstieg muss der Kletterer dann 6 m Seil bewegen.


Normalerweise muss das umlaufende Seil bei geschickter Wahl des Ankerpunkts nicht mehr umgebaut werden, der Baumkletterer erreicht damit auch die Außenäste, die ihn ohne Seil nicht tragen könnten. Es kommt darauf an, das Seil beim Klettern möglichst schnell zu verkürzen, sich abzuseilen und an jeder Stelle sicher zu arretieren. Die Verbindung muss ständig straff sein, damit der Kletterer beim Abrutschen nicht in das Seil fällt sondern höchstens pendelt. Unsere erfahrenen Kletterer bewegen sich damit unglaublich geschickt durch den Wipfel und lassen sich dabei so weit wie möglich vom Seil unterstützen, um Kraft zu sparen.


Beim umlaufenden Seil gibt es unendlich viele Varianten – und Vorlieben der Kletterer. Der wichtigste Unterschied ist die Art der Seilklemme: Vom einfachen Klemmknoten bis zu komfortablen mechanischen Klemmgeräten. Die Seilklemme muss sich beim Klettern einfach verschieben lassen und den Kletterer in jeder Situation sicher halten.


Puristen schwören auf Klemmknoten. Sie sind fester Teil der Grundausbildung. Durch das mehrfache Umschlingen erzeugen die Knoten Reibung auf dem Kletterseil. Im lockeren Zustand lassen sie sich verschieben und sobald sie durch Belastung stramm gezogen werden setzen sie sich auf dem Seil fest.


Die Materialien und Durchmesser der Seile müssen zueinander passen, und das Klemmknotenseil soll wegen der Reibung beim Abseilen hochtemperaturbeständig sein (ab ca. 20 €). Trotzdem ist ihr Verschleiß recht hoch.


Klemmknoten für Profis:

Eine einfache Variante ist der Prusik-Knoten, er ist im Prinzip ein einfacher Ankerstich mit mehreren Windungen. Daneben gibt es eine ganze Reihe weiterer Knoten, die vor allem fortgeschrittene Profis nutzen. Sie unterscheiden sich unter anderem in ihrer „Schnelligkeit“ (Durchrutschverhalten) und in ihrer Wirkungsrichtung. Nachteil der Klemmknoten: Sie müssen von Hand weitergeschoben werden, was durchaus anstrengend sein kann, vor allem wenn der Knoten voll belastet wurde und sich sehr stramm auf das Seil gesetzt hat. Durch den geschickten Einbau einer Rolle an einer separaten Rebschnur schiebt sich der Knoten „automatisch“ nach oben. Diese spezielle Form nennt sich auch Prusik-Lift und ist bei den Kletterern ziemlich gängig.


Statt des kurzen Seils mit Klemmknoten kann man auch unterschiedliche Klemmgeräte in das Seilsystem einbauen. Gängige Geräte beim Baumklettern sind unter anderem das Lockjack Sport oder das Spiderjack 2.1, die zwischen 200 und 260 € kosten. Die Geräte schonen das Seil, allerdings ist ihr Einsatz teils anspruchsvoll, weil eine Antipanikfunktion fehlt: Macht der Kletterer einen fatalen Fehler, geht es ungebremst abwärts.


Bei unserem Training setzen die Ausbilder auch ein relativ neues Gerät ein, das ZigZag von Petzl, das rund 180 € kostet (überarbeitetes Modell 2014, die obere Öse wurde nach Schäden am ersten Modell verstärkt). Das ZigZag arbeitet wie eine Kombination aus Klemmknoten und Rolle, also etwa wie der Prusik-Lift. Das Klemmen übernehmen hier die Reibglieder eines Scherengelenks, der Seilverschleiß ist deutlich geringer als bei einem Klemmknoten. Der Kletterer kann die Klemmkraft und damit die Abseilgeschwindigkeit einfach per Druck auf den Hebel des Scherengelenks variieren. Sobald er das Gelenk loslässt, ziehen sich die Scheren auseinander und blockieren das Gerät. Es ist also weniger anfällig für Fehler durch Panikreaktionen.


Zum Abschluss des Trainings erreicht Sebastian Meyering mit seinem Doppelseil den sicheren Boden – nachdem er sich ohne Zwischenstopp in die Wipfel der benachbarten Bäume vorgearbeitet hat und mein Neid ihm von meinem „Hochstand“ aus gewiss ist.


Meyering knotet an das freie Ende seines Arbeitsseils eine kleine Kunststoffkugel und zieht es in Richtung Kambiumschoner. Diese „Kirsche“ passt zwar durch den ersten größeren der beiden Ringe, aber nicht durch den kleineren. Meyering zieht so den Kambiumschoner geschickt von seinem Ankerpunkt in luftiger Höhe. Bereits zu Anfang des Einsatzes hatte er darauf geachtet, den Kambiumschoner dafür in der richtigen Richtung einzubauen.


Auch wenn alles so elegant und leicht aussieht: Ein guter Baumkletterer macht keine Weg umsonst. Schon gar nicht, um hängengebliebene Ausrüstung aus dem Baum zu holen.

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