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„Größer, schneller, weiter führt uns in die Sackgasse!“

Lesezeit: 12 Minuten

Die Union fordert von der Landwirtschaft mehr Tier- und Umweltschutz und will zugleich für wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen sorgen. Wie soll dieser Spagat gelingen?


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Größer, schneller, weiter führt uns in die Sackgasse, heißt es in Ihrem Positionspapier. Wollen Sie die Grünen bei der Bauernkritik noch überholen?


Holzenkamp: Natürlich nicht. Wir standen und stehen für eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft. Aber wenn wir uns mit den Nord- und Südamerikanern messen wollen, geht das nur über Qualität. Mit unserer Agrarstruktur können wir den Wettlauf über die globale Kostenführerschaft nicht gewinnen. Deshalb muss unsere zukünftige Leitlinie lauten: immer besser und immer transparenter.


Dennoch ist die unsere Agrarwirtschaft exportorientierter geworden.


Röring: Das ist richtig. Aber unser erster Blick muss auf die heimischen Verbraucher gerichtet sein. Die müssen wir zufriedenstellen. Wir wollen aber beides: Wochenmarkt und Weltmarkt.


Wettbewerbsfähige Strukturen und noch strengere Auflagen. Wie passt das zusammen?


Holzenkamp: Das ist ein großer Widerspruch. Viele Verbraucher fordern höchste Standards, sind aber bisher wenig bereit, dafür zu zahlen. Dabei übersehen sie, dass die Landwirte in den vergangenen Jahrzehnten den Tier- und Umweltschutz kontinuierlich weiterentwickelt haben. Dieser Prozess setzt sich fort, auch weil sich die gesellschaftlichen Einstellungen und Erwartungen verändern. Darauf muss die Landwirtschaft weiterhin reagieren.


Warum kommen die Leistungen der Landwirte für den Tier- und Umweltschutz beim Verbraucher nicht an?


Holzenkamp: Unsere Landwirte sind Weltmeister im Produzieren und Vermarkten, haben dabei aber das Kommunizieren sträflich vernachlässigt.


Röring: Wir sind auch nicht offensiv genug. Wir müssen die heiklen Punkte wie Antibiotika, Nitrat im Trinkwasser, nicht-kurative Eingriffe und Verlust der Artenvielfalt konsequent anpacken. Dabei werden wir uns an der ein oder anderen Stelle ändern müssen.


Sind die Bauern dazu bereit?


Röring: Wir dürfen nicht unterschätzen, welcher Kraftakt und welche Risiken in solchen Veränderungsprozessen stecken. Viele fragen sich: Setzen wir damit einen Strukturwandel in Gang, den wir gar nicht wollen? Um das zu verhindern, brauchen wir vertretbare Anpassungszeiträume. Und am Ende auch ein Signal der Verbraucher, dass sie für höhere Standards zahlen wollen.


Ist die Kritik an der Tierhaltung berechtigt oder überzogen?


Holzenkamp: Sie ist auf jeden Fall angekommen. Wir haben den Antibiotika-Einsatz reguliert und reduziert. Wir suchen beim Schwänze- und Schnäbelkürzen mit viel Geld über Praxis- und Demonstrationsversuche nach tragfähigen Alternativen. Und wir diskutieren über gesellschaftlich verträgliche Tierbestandsgrößen. Wir wollen keine Verhältnisse wie in den USA, wo 0,2 % der Tierhalter mehr als die Hälfte aller Tiere halten. Man kann allerdings nicht einfach eine zulässige Obergrenze ausrufen, so wie es die Grünen tun. Es geht darum, jedem einzelnen Tier ein optimales Umfeld zu bieten. Dafür ist die Bestandsgröße allein nicht maßgeblich.


Kürzlich haben Sie aber selbst eine Obergrenze von 50 000 Schweinen in die Diskussion geworfen.


Holzenkamp: Das war eine willkürlich gegriffene Zahl. Die vertretbare Obergrenze hängt v.a. von den betreuenden Personen ab. Klar ist, wenn es in einer Gemeinde nur noch ein oder zwei große Anlagen gibt, wird die Gesellschaft das nicht akzeptieren. Ich denke, wir brauchen eine ethisch-wissenschaftliche Diskussion über diese Frage, an deren Ende vielleicht Zahlen stehen.


Und was ist mit dem Kürzen von Schnäbeln und Schwänzen? Gibt es dafür ein konkretes Ausstiegsdatum?


Holzenkamp: Wir brauchen in dieser Frage vor allem mehr Sachlichkeit und mehr gemeinsames Handeln zwischen Bund und Ländern. Wir können nur dann verlässliche Ausstiegsfristen definieren, wenn wir die Konsequenzen kennen. Viele Gutachten zum Thema Schwanzbeißen - wie jüngst aus Niedersachsen - zeigen, dass ein schneller Verzicht auf das Schwänzekürzen zu massiven Tierschutzproblemen führt.


Ist den Verbrauchern ein so vages Ausstiegsdatum zu vermitteln?


Holzenkamp: Das ist in der Tat schwer, auch weil der Berufsstand in der Vergangenheit viel Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Zu oft wurden Probleme weggeredet und glattgebügelt. Der Berufsstand muss offener, ehrlicher und selbstkritischer mit der Öffentlichkeit umgehen. Nur so kann er sich neue Glaubwürdigkeit erarbeiten.


Wer ist da eigentlich zuerst gefordert, der Berufsstand oder der Staat?


Röring: Ganz klar die Wirtschaft, aber in der gesamten Wertschöpfungskette. Wir brauchen Lösungen, die von allen mitgetragen werden. Wer z. B. von den Bauern verlangt, dass sie Schluss machen mit der Eberkastration, muss ihnen am Ende auch die Eber abnehmen und vernünftig bezahlen.


Wie viel Zeit hat der Berufsstand noch um Ergebnisse zu liefern?


Holzenkamp: Wir brauchen in den nächsten zwei, drei Jahren Forschritte.


Sonst kommt ein Verbot?


Holzenkamp: Letztlich muss das natürlich ordnungspolitisch geregelt werden. Aber nochmal: Wir wollen das Problem gemeinsam mit der Wirtschaft lösen, damit der zusätzliche Aufwand auch entlohnt wird.


Zusätzliches Ordnungsrecht droht auch über den Stall-TÜV? Wollen Sie damit missliebige Haltungssysteme durch die Hintertür verbieten?


Holzenkamp: Nein. Das ist auch kein TÜV, den man wie beim Auto alle zwei Jahre wiederholen muss. Das ist ein Prüf- und Zulassungsverfahren für Haltungssysteme, bei dem das Haltungsverfahren einmalig zertifiziert wird. Es wird nur geprüft, ob das Haltungssystem den Vorgaben des Tierschutzgesetzes entspricht.


Am Ende ist die Sachkunde des Tierhalters wichtiger als das Haltungssystem. Sehen Sie hier auch Defizite?


Röring: Entscheidend sind die Menschen, die sich um die Tiere kümmern. Deswegen sind die Aus- und die laufende Fortbildung ganz wichtig. Was wir beim Sachkundenachweis Pflanzenschutz machen, ist bei der Tierhaltung noch entscheidender.


Wollen Sie einen Sachkundenachweis für Tierhalter einführen?


Röring: Wir sind da offen. Zunächst wollen wir den Tierschutz stärker in die Ausbildung integrieren. Aber es gibt ständig neue Erkenntnisse. Sich darüber in gewissen Abständen fortzubilden, hilft sowohl den Tieren als auch den Tierhaltern.


Die enormen Zuchtfortschritte der vergangenen Jahre haben die Tiere zum Teil an Leistungsgrenzen geführt. Stimmen die Zuchtziele noch?


Röring: Die hohe Leistung zeigt zunächst einmal, dass es den Tieren gut geht. Trotzdem glaube ich, dass wir mittlerweile an Grenzen stoßen, wenn z. B. die Sauen mehr Ferkel bekommen, als sie ernähren können.


Ist der Staat gefordert?


Holzenkamp: Wenn der Berufsstand seine Hausaufgaben macht, muss der Staat nicht eingreifen. Mir sind die Zuchtziele z. B. bei der Ferkelproduktion und bei den Puten zu einseitig auf Leistung orientiert. Auch die Robustheit sollte ein wichtiges Zuchtziel sein.


Selbst robuste Tiere werden mal krank. Wie stehen Sie zum Einsatz der sogenannten Reserveantibiotika?


Holzenkamp: Darüber diskutieren wir noch. Fachleute warnen uns, dass wir dann in einzelnen Bereichen kranke Tiere nicht mehr vernünftig behandeln können. Sicher können wir auf bestimmte Reserveantibiotika in der Tierhaltung ganz verzichten. Darüber hinaus könnten wir für eine Behandlung mit einem Reserveantibiotikum grundsätzlich ein Antibiogramm vorschreiben (Anm. d. Red.: Labortest zur Bestimmung der Resistenz eines Erregers gegen ein Antibiotikum).


Das Einkommen der Tierärzte stammt auch aus dem Verkauf von Arzneimitteln. Das kritisieren die Grünen.


Röring: Das Dispensierrecht hat sich bewährt, ist praktikabel und zeitsparend. Dennoch sollten wir uns das tierärztliche Entlohnungssystem genau anschauen. Bisher beziehen die Tierärzte ihr Einkommen v.a. aus den tierärztlichen Leistungen und den Provisionen für den Arzneimittelverkauf. Die Beratungsleistung wird dagegen nicht oder kaum honoriert. Das wollen wir ändern.


Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt will die Bundesländer entscheiden lassen, ob sie den Anbau einer zugelassenen gentechnisch veränderten Pflanze verbieten. Warum?


Holzenkamp: Der Minister will eine rechtssichere Umsetzung, ist aber nicht abschließend festgelegt. Für ein Verbot muss man gute Argumente haben. Vieles lässt sich nur regional begründen, weil es dort zum Beispiel eine besondere Flora und Fauna gibt oder weil das für den Tourismus wichtig ist.


Alle 16 Agrarminister der Länder fordern parteiübergreifend: Das soll der Bund regeln.


Holzenkamp: Die Länder machen sich einfach einen schlanken Fuß, weil es beim Thema Gentechnik immer Ärger gibt. Ich finde das peinlich.


Heftig gestritten wird auch über die neue Düngeverordnung. Wie groß ist der Handlungsbedarf?


Holzenkamp: Der ist groß. Wir haben Regionen mit steigenden Nitratwerten im Grundwasser. Deshalb diskutieren wir jetzt über Ausbringungszeiten, Ausbringungstechnik, Lagerraum und vieles mehr. Das ist auch richtig. Nicht einverstanden bin ich aber mit den Vorgaben zur Phosphatdüngung. Warum soll ein Landwirt weniger düngen, als die Pflanzen entziehen? Offensichtlich will man hier die Tierhaltung treffen. Das ist Strukturpolitik durch die Hintertür. So etwas lehne ich ab.


Aus Sicht des Berufsstandes ...


Röring: ... müssen wir so viel düngen dürfen, wie die Pflanzen benötigen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Rest ist Sache des Unternehmers. Er muss seine Nährstoffbilanzen in den Griff kriegen und zur Not überschüssige Nährstoffe aus der Region exportieren. Deshalb halte ich auch gar nichts davon, regionale Obergrenzen für Großvieheinheiten festzulegen. In den viehstarken Regionen haben sich viele kleinere Betriebe auf die Tierhaltung spezialisiert. Diesen würde man alle Zukunftschancen nehmen. Deshalb brauchen wir andere Lösungen.


Zum Beispiel den überregionalen Nährstoff-Ausgleich.


Röring: Ja. Hier muss unbedingt etwas passieren. Erstens muss es überall möglich sein, auch in Ackerbauregionen Lagerräume für Gülle zu bauen. Zweitens sollten solche Investitionen gefördert werden. Und drittens könnten Bund und Länder auch die Gülle- und Gärresteverarbeitung fördern.


Warum muss es eine bundeseinheitliche Düngeverordnung geben, obwohl wir nur regionale Überschüsse haben?


Holzenkamp: Wir können für alle Betriebe einheitliche und praktikable Regelungen schaffen. Regional unterschiedliche Auflagen führen zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Regionen, die wir nicht wollen.


Dürfen wir beim Tier- und Umweltschutz nationale Alleingänge machen, so wie es der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik fordert?


Holzenkamp: Klares Nein. Wir würden die Tierhaltung regelrecht aus Deutschland vertreiben. Deshalb müssen wir zumindest mit den Hauptwettbewerbern wie Dänemark und Niederlande gemeinsam vorangehen. Fast noch größere Verantwortung hat aber unser Lebensmitteleinzelhandel. Er bestimmt die Standards für die Produkte, die er listet und kann darüber das Niveau anheben. Dann müssten Edeka, Rewe, Lidl, Aldi und Co. aber ihr bisheriges Verhalten komplett ändern. Wer bestimmte Standards sicherstellen will, kann nicht heute hier und morgen da einkaufen und Lieferanten nach Belieben austauschen. Die Initiative Tierwohl ist ein erstes zartes Pflänzchen, dass Hoffnung macht, es könne dieses Umdenken tatsächlich geben.


Also mehr als ein Feigenblatt?


Röring: Ja. Die Initiative Tierwohl ist ein weltweit neuer Ansatz. Dieser muss sich natürlich noch bewähren. Deshalb müssen wir damit sehr behutsam umgehen. Das gegenseitige Vertrauen zwischen Handel und Berufsstand wächst nur langsam.


Warum machen wir nicht einfach die Grenzen dicht?


Holzenkamp: Die Zeiten sind vorbei. Erstens ist das in der EU nicht mehrheitsfähig und zweitens haben wir im letzten Jahr für über 65 Mrd. € Agrargüter exportiert.


Dürfen Lebensmittel deutlich teurer werden? Dann müssten z. B. auch die Hartz IV-Sätze steigen.


Holzenkamp: Natürlich ist der Lebensmittelpreis immer auch eine soziale Frage. Auf der anderen Seite reden wir von viereinhalb Millionen Familien, die von der Agrar- und Ernährungswirtschaft leben. Das ist die viertgrößte Branche in Deutschland. Wir müssen beiden Zielen gerecht werden.


Wie können wir die Lücke zwischen wirtschaftlicher Realität und gesellschaftlichen Erwartungen schließen?


Holzenkamp: Wir müssen einen gesellschaftlichen Dialog mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen in Gang bringen. Dieser sollte öffentlich stattfinden. Bei Stuttgart 21 haben wir damit gute Erfahrungen gemacht. Und er muss auf Dauer angelegt sein. Die Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung aber auch die gesellschaftlichen Erwartungen entwickeln sich permanent weiter.


Wer muss das anschieben?


Röring: Ich traue das Politik und Wirtschaft alleine nicht zu. Wir brauchen einen moderierten Prozess von außen. Das könnten zum Beispiel die Kirchen oder die Verbraucherorganisationen oder beide gemeinsam übernehmen.


Sollte der Berufsstand aktiv einen solchen Dialog einfordern?


Röring: Auf jeden Fall. Damit können wir deutlich machen, dass uns der Dialog mit der Gesellschaft wichtig ist und wir können selber kommunizieren, was wir machen. Zurzeit tun das oft andere und leider nicht immer richtig.


Hat der Bauernverband dafür die Kraft und den Mut?


Holzenkamp: Er muss die Kraft haben, es geht es um die Zukunft der Bauern und ihrer Familien.


Röring: Für die Bauern ist die gegenwärtige Diskussion absolutes Neuland. Nach ihrem Selbstverständnis machen sie etwas Gutes für die Menschen, in dem sie Lebensmittel produzieren. Jahrzehntelang hat sich niemand für ihre Arbeit interessiert und plötzlich sollen sie erklären, was sie tun und warum sie es so machen. Das ist ein Rollenwechsel. Deshalb muss man Geduld mit den Bauern haben. Aufgabe der Bauern-verbände ist es, diesen Denkprozess in Gang zu setzen, ohne die Mitglieder zu überfordern. Klar ist, es muss sich etwas ändern, aber es muss wirtschaftlich machbar sein, es braucht Zeit und wir müssen die Landwirte mitnehmen.


Wird die Union die Landwirtschaft wie die Grünen zu einem zentralen Wahlkampfthema machen?


Holzenkamp: Die Union hat sich immer als Anwalt der ländlichen Räume und der Landwirtschaft verstanden. Da müssen wir kein zentrales Wahlkampf-thema ausrufen. Und schon gar nicht machen wir Wahlkampf auf dem Rücken einer Berufsgruppe. Die Landwirtschaft ist eine wichtige Zukunftsbranche. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass das so bleibt.


Vielen Dank für das Gespräch.

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