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Jute statt Plastik

Lesezeit: 7 Minuten

Im holländischen Schweine-Innovations-Center Sterksel erhalten die Sauen vor der Geburt einen Jutesack als Nestbaumaterial. Die Saugferkelverluste konnten dadurch deutlich gesenkt werden.


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Der Nestbautrieb ist auch bei modernen Sauenherkünften stark ausgeprägt. Zu erkennen ist das unter anderem daran, dass die Sauen den Buchtenboden vor der Geburt mit der Schnauze extrem stark bearbeiten. Sie schieben die Rüsselscheibe ständig über den Boden. Die Tiere versuchen auf diese Weise, eine Kuhle bzw. einen Trichter zu bauen, in dem sie später ihre Ferkel ablegen können.


Dieses natürliche Verhalten der Sauen hat holländische Forscher dazu animiert, mit verschiedenen Nestbaumaterialien zu experimentieren. Die Versuche laufen im Rahmen des so genannten „Pro Dromi-Projektes“. Ziel des Projektes ist es, moderne Abferkelbuchten weiter-zuentwickeln (siehe top agrar 2/2011 ab Seite S 14).


Aktuell stehen Versuche zum Thema Nestbauverhalten im Vordergrund. „Wir wollen herausfinden, welchen Effekt der Einsatz von veränderbarem Material vor der Geburt auf die Leistungen und das Verhalten der Tiere hat“, erklärt Anita Hoofs, zuständige Mitarbeiterin im Innovations-Center Sterksel.


Nestbau nach Plan:

Hoofs und ihr Team haben zunächst das Verhalten der Sauen in den Tagen vor dem Abferkeln per Videokamera studiert. Ihr Ziel war, mehr Informationen über den Nestbautrieb zu bekommen. Dafür wurde eine Sau vor der Geburt in eine Bucht getrieben, in der Langstroh und mehrere Jutesäcke bereit lagen. Der Film dazu ist im Internet unter www.topagrar.com/Heft+ zu finden.


Bei der Auswertung des Filmmaterials wurde deutlich, dass sich der Nestbau in drei Phasen untergliedert:


  • Phase 1: Rund 24 Stunden vor der Geburt wühlt die Sau das Stroh so auseinander, dass in der Mitte eine Kuhle bzw. ein Trichter entsteht.
  • Phase 2: Die Sau legt den Trichter mit weichem Material aus. Im Versuch schleppte die Sau zwölf Jutesäcke (!) mit dem Maul in die von ihr vorbereitete Kuhle.
  • Phase 3: Kurz vor der Geburt ordnete die Sau das weiche Material noch einmal gründlich.


Versuchsleiterin Anita Hoofs ist davon überzeugt, dass vor allem die erste Phase sehr wichtig für die Tiere ist. Denn hier versuchen die Sauen ihre angeborenen Verhaltensweisen auszuleben. Ist das nicht möglich, kann das negative Auswirkungen auf die Geburt haben.


„Da weniger Prostaglandin produziert wird und deshalb die Kontraktion der Gebärmutter abnimmt, dauert die Geburt insgesamt länger. Das kann zu Sauerstoffmangel bei einigen Ferkeln führen“, erklärt Hoofs die Zusammenhänge. „Hinzu kommt, dass weniger Prolactin gebildet wird, wodurch die produzierte Milchmenge sinkt. Und das hat zur Folge, dass die zuletzt geborenen Ferkel deutlich weniger bzw. keine Kolos-tralmilch erhalten. Steigende Saugferkelverluste sind die Folge.“


Weniger tot gelegene Ferkel:

Während der Versuche, bei denen inzwischen fast 70 Geburten ausgewertet wurden, erfassten die Forscher zunächst die Tierverluste. Alle Sauen standen in Abferkelbuchten mit herkömmlichem Ferkelschutzkorb. Den Tieren in der Versuchsgruppe wurde ein Jutesack sowie ein Hanfseil angeboten, in der Kontrollgruppe hatten die Sauen nur das Seil zur Verfügung.


Übersicht 1 zeigt den Anteil der tot gelegenen Ferkel während der Geburt und innerhalb der ersten 48 Stunden danach. Deutlich wird, dass der Anteil der erdrückten Ferkel während der Geburtsphase rapide sinkt, wenn den Sauen bereits im Vorfeld der Geburt Nestbaumaterial in Form eines Jutesacks zur Verfügung steht. Der Unterschied von 0,21 zu 0,63 % tot gelegenen Ferkeln ließ sich statistisch absichern. Zwei Tage nach der Geburt bewegten sich die Verluste hingegen auf annähernd gleichem Niveau.


Hauptursache für die geringeren Verluste beim Einsatz des Jutesacks war, dass die Sauen seltener ihre Position wechselten (vergleiche Übersicht 2). Sie waren insgesamt ruhiger und blieben länger in einer bestimmten Position liegen. Außerdem lief die Geburt viel zügiger ab, wie Übersicht 3 verdeutlicht. Die Sauen mit Jutesack ferkelten in der angestrebten Zeit von drei Stunden ab, bei den Tieren ohne Jutesack dauerte die Geburt gut 1,5 Stunden länger.


Bleibt die Frage, warum sich die Verluste zwei Tage nach der Geburt auf fast gleichem Niveau bewegten? „Das lag an einem Managementfehler“, erklärt Anita Hoofs. „Wir haben den Jutesack bei der Sau im Ferkelschutzkorb liegen lassen. Die Ferkel legten sich vermehrt darauf und wurden von der Mutter erdrückt.“


Das wird mittlerweile anders gehandhabt. Inzwischen legen die Forscher den Jutesack nach der Geburt direkt ins Ferkelnest. Und der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, die Verluste in den ersten Tagen nach der Geburt konnten gesenkt werden.


Die Ergebnisse werden übrigens von Praxisbetrieben bestätigt. Die Versuche mit dem Jutesack laufen mittlerweile in 20 Sauen haltenden holländischen Betrieben. „In einem Betrieb konnten wir die Saugferkelverluste durch Totliegen um bis ein Viertel“, betont Anita Hoofs. „In anderen Betrieben waren die Erfolge nicht ganz so groß, denn die Ergebnisse sind natürlich immer abhängig von der Ausgangssituation im Betrieb.“


Doch wo liegt die Ursache für diesen Erfolg? Anita Hoofs und ihre Kollegen sind davon überzeugt, dass der Jutesack eine magische Anziehungskraft auf die Ferkel ausübt, weil dieser durch das Einspeicheln sehr stark nach ihrer Mutter riecht. „Der anhaftende Mutterduft und das angenehm weiche Material sorgen dafür, dass sich die Ferkel gerne auf den Jutesack legen“, erklärt die Forscherin.


Dass sie Recht hat, zeigt folgendes Beispiel: Testweise wurde der Jutesack an verschiedenen Stellen in der Bucht platziert. Egal wo er lag, die Ferkel legten sich nach dem Saugakt jedes Mal auf die weiche Unterlage. Das war selbst dann der Fall, wenn der Sack nicht unter einer Wärmequelle platziert wurde!


Im Rahmen der Untersuchungen machten die Forscher noch eine weitere Beobachtung: Der Jutesack regt die Ferkel an, darauf herumzubeißen. „Dadurch lernen sie viel früher das Kauen“, erklärt Anita Hoofs. Die Expertin will nun in weiteren Versuchen klären, inwieweit sich das positiv auf die Futteraufnahme während der Säuge- und Aufzuchtphase auswirkt.


Qualität muss stimmen:

Im Rahmen der Versuche zeigte sich, dass Jutesack nicht gleich Jutesack ist. Entscheidend für die Haltbarkeit ist die Qualität und die Dicke des Materials. Pro Quadratmeter Jutetuch sollte das Gewicht bei mindestens 220 g liegen. Zudem muss der Rand rundherum umgenäht sein, andernfalls zerreisen die Sauen das Material zu schnell mit dem Maul.


Wird der Jutesack in herkömmlichen Abferkelbuchten eingesetzt, muss außerdem sichergestellt sein, dass der Sack an Ort und Stelle bleibt. In Sterksel wurde deshalb zusammen mit der Firma Schippers Bladel eine spezielle Halterung für den Ferkelschutzkorb entwickelt. „Wie bei einem Handtuchhalter verfügt das Patent über ein Öse, in die eine Ecke des Sacks eingehängt wird“, beschreibt Anita Hoofs die Entwicklung.


Die Erfahrungen mit der Halterung sind positiv. Die Sau kann den Jutesack mit der Rüsselscheibe hin und her schieben, ohne dass dieser aus dem Ferkelschutzkorb herausgeschoben wird.


Stückkosten von knapp 1 Euro:

Die Kosten liegen bei rund 0,90 € pro Jute-sack, die Halterung schlägt mit etwa 12 € pro Stück zu Buche. Alternativ lässt sich der Sack mit einem Kabelbinder fixieren. Den zusätzlichen Arbeitsaufwand beziffert das Team um Anita Hoofs auf 3 bis 4 Minuten. Bei einem Stundenlohn von 25 € sind das Arbeitskosten in Höhe von knapp 1,70 € pro Wurf. Sinken die Ferkelverluste um 0,4 %, werden die zusätzlichen Kosten bereits wieder aufgefangen, hat Anita Hoofs ausgerechnet.


Deutlich weist die Expertin noch darauf hin, dass gebrauchte Jutesäcke nicht wiederverwertbar sind, da Kristalle aus dem Urin das Material verunreinigen. Gebrauchte Säcke müssen in jedem Fall entsorgt werden! Alles andere wäre Sparen am falschen Ende.Marcus Arden

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