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Kötschach-Mauthen: Eine Gemeinde geht voran

Lesezeit: 8 Minuten

Eine kleine Ortschaft in Österreich ist europäischer Vorreiter in Sachen erneuerbare Energie. Mit frischen Ideen treibt sie die Energiewende voran.


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Eine Windenergieanlage auf 1 400 m Höhe ist ein ungewöhnliches Wahrzeichen. Aber typisch für die Vorreiter-Gemeinde Kötschach-Mauthen im österreichischen Kärnten, die damit schon 1997 Geschichte schrieb: Es war damals in Europa das erste Windrad im Hochgebirge und ist bis heute das einzige im gesamten Bundesland Kärnten.


Doch nicht das Windrad allein zeichnet die Gemeinde aus, die in diesem Jahr die europäische Championsleague für erneuerbare Energien in der Kategorie „Gemeinden bis 5 000 Einwohner“ gewonnen hat. Es ist vielmehr die Kombination vieler Bausteine, die diesen kleinen Ort kurz vor der italienischen Grenze auszeichnen: Die Nutzung von vorhandenen erneuerbaren Energien, die Vorreiterrolle der Gemeindeverwaltung und ein breites Engagement von der Experimentierwerkstatt für Kinder bis zum Ökotourismus.


Dabei hat die Gemeinde mit 3 500 Einwohnern in kurzer Zeit viel geleistet. Erst im Jahr 2006 hat die Verwaltung beschlossen, die Energieversorgung bis zum Jahr 2020 komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Im Jahr 2008 gründete sich der Verein „Energie-Autark“ als Informationsplattform. „Wir haben von Anfang an die Gemeindepolitik außen vor gelassen und nur Interessenten für erneuerbare Energien ins Boot geholt“, berichtet Amtsleiter Jürgen Themessl, Verwaltungschef der Gemeinde und Geschäftsführer von Energie-Autark.


Holz als Energiequelle:

Heute sieht das Energiekonzept des Ortes so aus:


  • Drei Holzheizwerke (300 kW, 1 000 kW und 1 500 kW) und eine Biogasanlage (750 kW elektrische Leistung) versorgen zwei Nahwärmenetze mit einer Länge von insgesamt 5 km und decken rund 60 % der Wärmeversorgung der beiden Ortsteile Kötschach und Mauthen ab.
  • 21 Kleinwasserkraftwerke, die Wind- energieanlage (500 kW), die Biogasanlage sowie hunderte Photovoltaikanlagen auf Gebäudedächern produzieren mehr als 300 % des Stroms, den die Bürger benötigen.


Die Anlagen gehören dem Ökostromversorger Alpe-Adria-Energie (AAE), der seinen Sitz in dem Ort hat, Gesellschaftern bzw. Zusammenschlüssen verschiedener regionaler Wirtschaftsbetriebe, außerdem Tourismusbetrieben und sozialen Einrichtungen wie z. B. dem Landeskrankenhaus sowie Privatpersonen.


Die Wärmeversorgung aus Holz ist ein wichtiges Element für die Energiewende in Kötschach-Mauthen. Denn mit den heute verwendeten Mengen von rund 14 000 m3 lassen sich über 1 Mio. Liter Heizöl ersetzen – also bleiben jedes Jahr ca. 1 Mio. Euro in der Ortschaft, die ansonsten an den Handel und Erdöl liefernde Länder abfließen würden.


Alle vier Holzheizwerke werden von einem Sägewerk aus versorgt. Das Holz dafür liefern Waldbauern aus der Umgebung. Zunächst verwertet das Sägewerk die wertvollen Holzsortimente und liefert dann die Reste wie Rinde oder Sägerestabfälle an die Heizwerke. Weitere Holzsortimente sind Hackschnitzel aus Industrieholz, das ansonsten in die Papierindustrie geht. „Wir hacken aber auch Astmaterial und kleinere Stämme der bei uns häufigen Buche, die ansonsten zu Scheitholz verarbeitet wird“, erklärt Sägewerksgeschäftsführer Jakob Lederer.


Reines Waldhackgut aus Nadelholz ist wegen des hohen Anteils von Nadeln dagegen nicht geeignet. „Es ist zwar günstig, aber liegt so dicht auf dem Haufen, dass es schlecht trocknet“, erklärt er. Der Holzpreis liegt im Moment bei 21 Euro je Schüttraummeter ab Sägewerk.


Fernwärme im Ortskern:

In den Ortskernen sind fast alle Wohnhäuser sowie öffentliche Gebäude angeschlossen. Das Problem sind jedoch einzelne Häuser im Außenbereich. „Der Meter Fernwärme kostet 250 Euro. Wenn man 100 m Leitung zu einem einzelnen Haus legt, verursacht das 25 000 Euro“, rechnet Lederer vor.


Im Vergleich zu den jährlichen Heizkosten von 700 Euro, die bei einem Durchschnittshaus anfallen, wären diese Kosten viel zu hoch. Daher sind Mikronetze mit einer eigenen dezentralen Wärmeversorgung für ihn die bessere Wahl, bei der drei bis vier Häuser zusammengefasst und über ein kleines Heizwerk versorgt werden.


Ein weiteres Problem sieht er in einem möglichen Preisanstieg bei Hackschnitzeln. Dazu könnten sehr große, zentrale Heizwerke beitragn, die eine große Menge Holz benötigen – zum Beispiel das geplante 95 MW-Biomasseheizwerk in der Landeshauptstadt Klagenfurt. „Das wird die Holznachfrage und damit den Hackschnitzelpreis massiv erhöhen, zum Nachteil für die Regionen“, kritisiert er.


Biogas als Sorgenkind:

Um den Holzbedarf zu senken, ist im Jahr 2005 eine Biogasanlage mit einer Leistung von 750 kW dazugekommen. Betreiber der Biogasanlage ist der Ökostromversorger AAE, der auch die Windkraftanlage, die meisten der Laufwasserkraftwerke sowie drei Pumpspeicherseen in der näheren Umgebung von Kötschach-Mauthen betreibt. Die Biogasanlage vergärt Mais, Gülle und Gras. Die Rohstoffe liefern die Landwirte vor Ort.


An der Biogasanlage selbst steht ein Blockheizkraftwerk (BHKW) mit 250 kW. Über eine 1 km lange Gasleitung versorgt die Anlage zudem noch ein Satelliten-BHKW mit 500 kW, das am Standort des Biomasseheizwerkes Obergailtal steht. Die Abwärme des BHKW nutzen die Kötschach-Mauthen ebenfalls im Fernwärmenetz. „Dank der Biogasanlage ist der Holzbedarf von 10 000 m3 auf 6 000 bis 7 000 m3 an diesem Heizwerk gesunken“, erläutert Lederer.


Dennoch ist die Biogasanlage schon länger das Sorgenkind in der Energieversorgung. Viele ungeplante Ausgaben für Reparaturen, aber vor allem der auf fast 40 €/t gestiegene Rohstoffpreis für Mais machen den Betrieb der Anlage unwirtschaftlich. Denn die staatliche Einspeisevergütung für den Strom beträgt knapp 16 ct/kWh. Dazu kommt ein Betriebskostenzuschuss von 4 ct/kWh, den der Staat Biogasanlagen vorübergehend gewährt. „Trotzdem reicht das nicht aus, um die Biogasanlage wirtschaftlich zu betreiben“, erklärt AAE-Geschäftsführer Wilfried Johann Klauss. Darum musste die Anlage – wie viele weitere in ganz Österreich – im Frühjahr 2014 Insolvenz anmelden. Wie es mit dem Betrieb weitergeht, ist derzeit unklar. AAE wird die Anlage wahrscheinlich nicht weiterführen.


Gemeinde fördert Umstieg:

Doch die Gemeinde setzt nicht nur auf Fernwärme. „Wir haben vor vier Jahren für die Bevölkerung eine eigene Anreizförderung für erneuerbare Energien aufgelegt“, erklärt Amtsleiter Themessl. Bürger, die auf Solarthermie oder eine andere regenerative Heizung umstellen, erhalten zusätzlich zu Bundes- und Landesmitteln eine Förderung von 200 bis 350 €.


Die Zuschusshöhe ist zwar nicht üppig, hat aber vor allem dafür gesorgt, dass die Menschen sich mit der Energiewende auch im eigenen Haus beschäftigt haben. „Wir haben in den letzten vier Jahren sehr viele Holzheizungen und rund 400 m2 Solarthermie-Kol-lektoren dazubekommen“, freut sich Sabrina Barthel vom Verein „Energie-Autark“.


Die Gemeindeverwaltung selbst sieht sich dabei auch als Vorreiter. Das Rathaus mit 11 500 m2, in dem es auch Wohn- und Geschäftsräume gibt, ist seit 1999 an das Fernwärmenetz angeschlossen. Das Gebäude allein verbraucht 280 000 kWh im Jahr. „Wir haben vor zwei Jahren eine Wärmedämmung angebracht und damit den Energiebedarf um ein Drittel gesenkt“, erklärt Themessl.


Die Sanierung des zentralen Gebäudes hat natürlich auch die Aufmerksamkeit des ganzen Ortes auf sich gezogen. Auch arbeitet auf dem Dach eine Bürger-Photovoltaikanlage mit 20?kW, die im Jahr 26 000?kWh Strom erzeugt. „Energieeinsparung gehört für uns zur Energiewende genauso dazu wie der Umstieg auf erneuerbare Energien. Daher wollen wir den Bürgern zeigen, was möglich ist“, so der Verwaltungschef.


Kinder begreifen Energie:

Im Rathaus gibt es zudem den „Lerngarten der erneuerbaren Energien“, eine Experimentierwerkstatt auf 300?m2 Fläche für Schulklassen, den der Verein „Energie-Autark“ u.a. mit der pädagogischen Hochschule Kärnten entwickelt hat. Hier können die Kinder erkunden, wie sich aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse Strom und Wärme erzeugen lassen. „Die Kinder arbeiten in Zweiergruppen. Wir wünschen uns, dass das die Neugierde weckt und sie dann den Eltern zu Hause zeigen, was sie erlebt haben“, berichtet Barthel.


Zusätzlich bietet Energie-Autark Führungen an allen Produktionsanlagen für Gruppen an.


Ökotourismus boomt:

Die Energieversorgung spart nicht nur Geld in der Gemeinde ein, sondern ist auch ein Wirtschaftsfaktor geworden. „Bei uns übernachten jedes Jahr mehrere tausend Menschen, die extra wegen der erneuerbaren Energien anreisen“, verdeutlicht Themessl. Jede Übernachtung spült 150 bis 200 € in die Kasse der Gastronomie – eine weitere, nicht zu unterschätzende Einnahmequelle für die Pioniergemeinde.


Aber es gibt auch noch Baustellen. Als nächstes steht die Energiewende in der Mobilität an. „Wir wollen nicht auf Biokraftstoffe setzen, weil wir hier weder Potenzial dafür haben noch eine nachhaltige Nutzung für möglich halten“, erklärt Themessl. Stattdessen macht die Gemeinde erste Versuche mit der Elektromobilität, z. B. mit einem geplanten E-Carsharing-Modell oder mit Elektrofahrrädern. Als Landgemeinde mit vielen Pendlern, die auswärts arbeiten, ist eine breite Umsetzung jedoch schwierig. Dazu kommen die strengen Winter mit viel Schnee und die teilweise steilen Straßen. „Dafür suchen wir noch nach Lösungen“, blickt er in die Zukunft.


Der Amtsleiter ist heute schon mindestens einen Tag pro Woche ausschließlich mit diesem Thema beschäftigt. Das zeigt, welchen großen Stellenwert die Energiewende in dem kleinen Ort hat. Und welche Bedeutung die regionale Energieerzeugung in einer ansonsten strukturschwachen Gegend annehmen kann. Hinrich Neumann

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