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Mit größeren Blättern auf Windfang

Lesezeit: 10 Minuten

Der Zubau von neuen Windrädern verlagert sich immer weiter in Richtung Süden, in den Wald und ins Mittelgebirge. Mit neuen technischen Lösungen wollen Hersteller und Wissenschaftler die Effizienz der Anlagen im Binnenland verbessern.


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E in Sattelzug schraubt sich langsam über die Serpentinen die schmale Waldstraße hinauf. Im Gepäck hat er ein 62 Meter langes und 13 t schweres Rotorblatt. Damit das Fahrzeug überhaupt um die Kurven fahren kann, ist das Blatt in einem Winkel von 70° schräg nach oben gerichtet.


Bilder wie diese wird es in Zukunft häufiger geben. Denn der Windkraftzubau wandert von der Küste mehr und mehr in Richtung Binnenland – und hier besonders in die Wälder oder auf die Höhenzüge, wo deutlich mehr Wind als im Tal weht. Rund 500 der 1 100 im Jahr 2013 neu installierten Anlagen sind in Mittelgebirgen aufgestellt worden, während der Anlagenzubau in Norddeutschland seit dem Jahr 2008 weiter abnimmt. Das zeigt der neue Windenergiereport 2013, den das Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) Anfang April veröffentlicht hat.


Testpark in den Bergen:

Der Bau von Windrädern an schwierigen Standorten stellt die Hersteller vor große Herausforderungen – nicht nur beim Transport der Komponenten zur Baustelle, sondern auch bei der Effizienz. Aufgabe des Forschungsverbundes „WindForS“ mit Sitz an der Universität Stuttgart ist daher, die Windenergienutzung in bergigem Gelände kontinuierlich zu verbessern. Auch wollen die Wissenschaftler in dem Projekt „KonTest“ auf einem Testfeld in den Bergen Forschungswindräder aufstellen und neue Technologien hinsichtlich Materialien, Konstruktion, Aerodynamik, Lärm, Betriebsführung usw. untersuchen.


Mit dem Zuwachs im Binnenland werden die Anlagen immer größer. Die Nabenhöhe der 2013 neu installierten Anlagen lag im Mittel bei 117 m und damit 5 % höher als im Vorjahr. Gewachsen ist auch der Rotordurchmesser, der bei den neuen Anlagen im Jahr 2013 im Schnitt bei 95 m lag und damit 8 % größer als im Jahr 2012 war. Da die Anlagen ab einer Höhe von 100 m eine andere Luftschicht mit höherer Windgeschwindigkeit erreichen und die Rotoren in der Höhe weniger Turbulenzen ausgesetzt sind, können höhere Anlagen die Windgeschwindigkeiten besser nutzen und mehr Ertrag liefern.


Rotordurchmesser wächst:

Binnenlandanlagen sind auch gekennzeichnet durch eine hohe Rotorblattfläche im Verhältnis zur Leistung (m2 pro Kilowatt, m2/kW). Denn ein größerer Rotor erhöht die Wirtschaftlichkeit der Anlagen auch an nicht optimalen Standorten. Bei den heute verfügbaren Binnenlandanlagen hat die Nordex N-117 mit 4,48 m2/kW die größte spezifische Rotorblattfläche, wie das Fraunhofer IWES analysiert hat.


Größere Rotorblätter sorgen dafür, dass die Anlagen schon bei geringeren Windgeschwindigkeiten anfangen zu drehen. „Das ist sinnvoller als eine immer höhere Nennleistung der Anlagen“, findet Dr. Arno van Wingerde vom Fraunhofer IWES. Denn höhere Leistungen führen dazu, dass bei viel Wind mehr Strom eingespeist wird. Das führt zu einem sinkenden Börsenstrompreis und damit zu geringeren Einnahmen der Windradbetreiber. Größere Rotorblätter dagegen sorgen für eine Stromproduktion auch in Zeiten, wo nicht so viel Wind weht.


Neue Materialien gefragt:

Das Fraunhofer IWES testet gerade Rotorblätter mit Längen von bis zu 83 m. Das Problem dabei: Die Masse des Rotorblattes steigt überproportional zur Rotorblattfläche. Sobald die Hersteller also die Blattfläche vergrößern, müssen sie das Problem der Gewichtszunahme lösen.


Hierbei kommt der bislang eingesetzte glasfaserverstärkte Kunststoff (GFK) als Material an seine Grenzen. „Daher müssen die Hersteller hochwertigere und entsprechend teurere Materialien einsetzen“, erklärt Wingerde. Das können beispielsweise kohle- bzw. carbonfaserverstärkte Kunststoffe sein, die leichter und fester sind. Mit Kohlenstofffasern arbeitet z.B. der dänische Blatthersteller SSP Technology, der für Samsung Heavy Duty 83,5 m lange Rotorblätter für eine Offshore-Anlage mit 7 MW Leistung gebaut hat.


Neben dem Gewicht feilen die Hersteller auch an den Kosten der Rotorblätter. Es gibt bislang wenig industrielle Fertigung, vieles ist noch Handarbeit. Ein Rotorblatt mit 60 m Länge kostet rund 250 000 €. „Die Rotorblätter machen 25 bis 30 % der Kosten einer Windenergieanlage aus“, erklärt Prof. Andreas Reuter vom Fraunhofer IWES aus Bremerhaven. Mit mehr Automatisierung könnte die Industrie hier Kosten sparen, ist er überzeugt. Anregungen liefert u. a. die Luftfahrtindustrie.


In dem Projekt „Blademaker“ arbeitet das Fraunhofer IWES mit 15 Industrie- und Forschungspartnern an neuen Herstellungsverfahren. Ziel: Die Fertigungskosten um bis zu 10 % zu senken. Bis zum Jahr 2015 soll ein neues Demonstrationszentrum aufgebaut werden.


Blätter werden effektiver:

Mit neuen Technologien könnten die Blätter aber auch effektiver werden. Mehr Leistung sollen Rotorblätter beispielsweise mit Vortex-Windstromgeneratoren bringen. Hieran forscht die Technische Universität (TU) Berlin zusammen mit den Unternehmen 3M (USA) und Smart Blades (Berlin).


Die dreieckigen, etwa 10 cm langen Generatoren werden auf die Blattoberseite geklebt. Sie sollen die Strömungseigenschaften so beeinflussen, dass die Anlage damit bis zu 5 % mehr Strom erzeugen kann.


Das Institut für Strömungsmechanik der TU Berlin forscht zudem an flexi-blen Kanten bei den Rotorblättern. Diese Kanten können – ähnlich wie beim Flugzeug – den Auftrieb der Blätter erhöhen oder verringern. Das soll sowohl den Wirkungsgrad der Blätter als auch die Lebensdauer erhöhen. Gleichzeitig sollen sich Wartungskosten verringern.


Die flexiblen Elemente werden über eine Steuerung je nach Windverhältnissen geregelt. Dafür kann die Lasermesstechnik LIDAR (Light Detecting and Ranging) genutzt werden, welche das heranströmende Windfeld vor der Anlage über die gesamte Rotorfläche erfasst. So eine Vorsteuerung ist parallel zu einem Projekt des süddeutschen Forschungsverbunds „WindForS“ auf einer Kenersys Windenergieanlage K110 mit 2,4 MW Leistung und 95 m Nabenhöhe im Einsatz. „Die Vorsteuerung soll die mechanisch auftretenden Belastungen der Windkraftanlage senken und die Lebensdauer erhöhen“, erklärt WindForS Geschäftsführer Andreas Rettenmeier.


Auch verschiedene Wissenschaftler des neu gegründeten „Forschungsverbundes Windenergie“ wollen intelligente Rotorblätter in dem Projekt „Smart Blades“ erforschen. Das Bundesumweltministerium stellt dafür 12 Mio. € zur Verfügung.


Lösungen der Hersteller:

Rotorblätter haben sich nach Aussage des Anlagenherstellers Enercon in den letzten Jahren als Engpass beim Bau neuer Anlagen erwiesen. Darum hat der Hersteller allein im Jahr 2013 zwei neue Fertigungsstätten für Rotorblätter in Aurich und Haren (Niedersachsen) in Betrieb genommen.


Mit der E92 hat Enercon zudem eine neue Anlage im Programm, die auf dem Konzept der über 5 000-mal gebauten E82 aufbaut. Allerdings hat die E92 10 m mehr Rotordurchmesser und soll bis zu 15 % mehr Ertrag an vergleichbaren Standorten erzeugen. „Die Anlage ist für das Binnenland konzipiert“, erklärt Erik Steinmüller von der Enercon-Vertretung in Hof (Bayern). Der Rotordurchmesser beträgt 92 m, die Nabenhöhe 78 bis 138 m. Die Nennleistung der neuen E92 liegt bei 2,3 MW.


Die neue E115 mit 2,5 MW Leistung ist eine Weiterentwicklung der E101. Bei der Anlage mit 115 m Rotordurchmesser wird die Länge des Rotorblatts zur kritischen Größe. „Daher bieten wir ein geteiltes Blatt an, das wir in zwei Teilen zur Baustelle transportieren“, erklärt Steinmüller.


Auch Vestas arbeitet an längeren Rotorblättern. Bei der neuen V126 (3.3 MW Leistung) ist das Blatt mit fast 62 m ganze sieben Meter länger als das des Vorgängermodells V112. Das Blatt hat dabei wie schon bei früheren Modellen eine selbstragende Struktur. Hierbei ist die Außenschale ein tragendes Element. „Damit ist das Gewicht beinahe identisch mit dem der V112, obwohl es länger ist“, berichtet Vertriebsingenieur Christoph Manseder.


Bei der 3.0M122 von Senvion (ehemals Repower Systems) ist der Rotordurchmesser mit 122 m speziell für Schwachwindstandorte ab Windgeschwindigkeiten von 6 m/s auf Nabenhöhe ausgelegt. „Er unterscheidet sich nur noch wenig von unseren Off-shore-Anlagen, die 126 m Durchmesser haben“, erklärt Thomas Tuntsch, zuständig für den Vertrieb in Süddeutschland. Die Nabenhöhe der 3.0M liegt bei 139 m. „Wir wollen die 200 m Gesamthöhe nicht überschreiten, die häufig in Genehmigungsauflagen auftaucht“, begründet Tuntsch dieses.


Ein weiteres wichtiges Qualitätskriterium für das dicht besiedelte Süddeutschland ist die Lautstärke. Denn bei höheren Schallemissionen müssen die Anlagen abgeregelt werden, was die Stromausbeute reduziert. Die 3.0M liegt laut Senvion mit einem Schall­leistungspegel von 104,5 dB (gemessen bei Windgeschwindigkeiten von 9 bis 10 m/s an der Rotorblattspitze) im unteren Lautstärkebereich in der 3 MW-Klasse.


Auch die neue Nordex N131/3000 ist eine Binnenland-Anlage mit deutlich größerem Rotor. Mit 64,4 m ist dieser 14 m größer als bei der bisherigen Binnenlandanlage N117. Der größere Rotor soll den Ertrag um bis zu 28 % steigern können, verspricht der Hersteller. Gebaut wird sie auf einem 134 m hohen Hybridturm des Herstellers Max Bögl, also einer Kombination aus Beton- und Stahlturm. Der Serienstart ist ab 2015 vorgesehen. Die Anlage mit 3 MW Leistung hat ebenfalls einen Schallleistungspegel von 104,5 dB (A).


Getriebelose Antriebe:

Neben den Rotorblättern arbeiten Hersteller und Wissenschaftler an weiteren Konzepten, z.B. dem Antrieb. Das Getriebe in Windenergieanlagen gehört zu den Komponenten, die die längsten Stillstandzeiten verursachen. Anhand der Getriebeölqualität können Sensoren Fehler erkennen und die Betreiber rechtzeitig vor einem Schaden vorwarnen. Hierzu stellen die Sensoren z. B. kontaminierende Schadstoffe wie Abrieb, Wasser und Staub fest. Immer häufiger rüsten Betreiber daher heute schon Ölsensoren in ihren Anlagen nach.


Aber die Sensoren müssen auch zuverlässig und genau messen. Um geeignete Fabrikate bei verschiedenen Ölqualitäten und Betriebsbedingungen testen zu können, entwickelt das Fraunhofer IWES einen Teststand für verschiedene Ölsensortypen. Das Projekt „DegradO“ läuft noch bis Dezember 2015.


Ein weiteres Forschungsprojekt beschäftigt sich mit dem Direktantrieb. Direktangetriebene Anlagen übertragen die Drehung des Rotors ohne Getriebeübersetzung auf einen langsam laufenden Generator. Getriebelose Anlagen gelten als weniger schadensanfällig. Der Antrieb dominiert noch mit 59 % bei den heutigen Anlagen. Allerdings verliert diese Technik an Bedeutung im Vergleich zum Antriebskonzept mit variabler Drehzahl des Rotors, Getriebe und schnell laufendem Generator.


Das Fraunhofer IWES und die Forschungsgruppe Windenergie (FITT gGmbH) wollen eine neue getriebelose Windenergieanlage mit 3 MW entwickeln. Bei diesem Konzept sind die Rotorblätter direkt auf dem Generator angebracht und nicht wie bisher auf einer Nabe vor dem Maschinenhaus montiert. Mit weniger und leichteren Komponenten und einem neuen Kühlsystem wollen die Wissenschaftler die Effizienz erhöhen und gleichzeitig die Kosten der Windenergieanlage senken.


Tiere rechtzeitig erkennen:

Bei wachsender Größe sind Windräder immer häufiger Naturschützern ein Dorn im Auge. Denn die bis zu 200 km/h schnell drehenden Rotoren können Vögel oder Fledermäuse beeinträchtigen. Die Cube Engineering aus Kassel arbeitet daher an Lösungen, um Windenergie und Naturschutz in Einklang zu bringen. Dazu gehören Kameras, die größere Vogelschwärme erkennen. Über eine intelligente Steuerung können die Anlagen dann rechtzeitig heruntergeregelt werden. Dieses System kommt jetzt in einem Windpark in Jordanien erstmals zum Einsatz.


Eine weitere Technik hat Cube mit dem „Batprotector“ entwickelt, der Fledermäuse aufspüren soll. Hierzu arbeitet Cube mit anderen Partnern in der „Arbeitsgemeinschaft technischer Fledermausschutz und Windenergie“ zusammen. Der Batprotector besteht aus Ultraschallsensoren, die auf Masten um einzelnen Anlagen herum oder an den Rändern eines Windparks installiert werden. Der Schutzmechanismus wird im Sommer eine Stunde vor Sonnenuntergang aktiviert. Sobald die Sensoren Aktivitäten von Fledermäusen erkennen, wird die Anlage heruntergeregelt bzw. gestoppt. Wenn die Sensoren zwei Stunden lang keine Fledermausaktivitäten messen, wird der Schutz wieder aufgehoben und die Anlage freigeschaltet. Eine Stunde nach Sonnenaufgang wird der Batprotector deaktiviert. „Mit diesem System lassen sich die Abschaltzeiten minimieren und die Fledermäuse trotzdem wirksam schützen“, erklärt Cube-Geschäftsführer Stefan Chun. Hinrich Neumann

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