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Politik dreht Biokraftstoffen den Hahn zu

Lesezeit: 10 Minuten

Der Biokraftstoffmarkt schrumpft. Dafür ist nicht zuletzt die Politik verantwortlich. Die jetzt eingeführte Treibhausgas-Quote verschärft die Lage.


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Die Statistik spricht Bände: Der Anteil der Biokraftstoffe ist im Jahr 2014 auf 4,9 % gesunken – der niedrigste Wert seit dem Jahr 2005. Im Jahr 2007 lag er noch bei 7,3 %. Das macht deutlich, wie wenig ambitioniert die Bundesregierung die Energiewende im Verkehrssektor in den letzten Jahren vorangebracht hat – und auch weiterhin die Bestattung einer ganzen Branche vorantreibt.


Sargnagel Steuer:

Verursacht hat den Niedergang der Biokraftstoffe ab dem Jahr 2007 die Besteuerung der Reinkraftstoffe wie Biodiesel oder Pflanzenöl. Das hat die bis dato steuerbefreiten Kraftstoffe im Vergleich zum Diesel für Privatkunden, aber vor allem für Speditionen und andere LKW-Flotten uninteressant gemacht.


Die stattdessen eingeführte Quotenverpflichtung sorgte zwar bis Ende 2014 dafür, dass u. a. bis zu 7 % Biodiesel dem fossilen Diesel und 5 % Ethanol dem Normalbenzin bzw. 10 % in E10 beigemischt wurden. Jedoch mussten diese Beimischprodukte nicht aus heimischer Produktion stammen, die Mineralölkonzerne konnten sie frei auf dem Weltmarkt einkaufen. „Mit dem Verschwinden des Reinkraftstoffmarktes haben viele Biokraftstoffhersteller in Deutschland aufgeben müssen, auch weil sie nicht mit unfair gefördertem, billigen Biodiesel aus Argentinien konkurrieren konnten und ihr Absatzpotenzial begrenzt blieb“, berichtet Frank Brühning vom Verband der Biokraftstoffindustrie (VDB).


Dabei erzeugt der Verkehr fast ein Drittel der CO2-Emissionen in Deutschland. Auch entfallen hierauf 28 % des Endenergieverbrauchs, während Strom lediglich 23 % beansprucht. Trotzdem dreht sich die Energiewende-Debatte fast nur um Strom.


Mehr Elektromobilität und verstärkte Energieeinsparung sollen die Verkehrswende voranbringen, was derzeit aber noch nicht absehbar ist. So liegt der Anteil der Elektrofahrzeuge an der deutschen Fahrzeugflotte bei aktuell 0,07 %, keine 30 000 Elektromobile gibt es hierzulande. Zudem ist Strom in absehbarer Zeit keine Alternative für den Schwerlastverkehr.


Würde aber der gesamte LKW-Verkehr in Deutschland auf Biodiesel umgestellt, ließen sich theoretisch mit einem Schlag 43 Mio. t CO2 einsparen, schätzt der Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie (OVID). Das wäre fast ein Drittel der deutschen Verkehrs-Emissionen. Sicherlich ein Ex-trembeispiel – aber schon im Jahr 2007 waren rund 2 Mio. LKW im Deutschland mit Biodiesel und Pflanzenöl unterwegs. „Für effizienten Klimaschutz brauchen wir nachhaltig erzeugte Biokraftstoffe. Sonst scheitert die Energiewende im Verkehr“, warnt Philipp Vohrer, Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien aus Berlin.


Auch fordern viele Politiker in Berlin und Brüssel seit Jahren Biokraftstoffe der zweiten oder dritten Generation, die sich aus Holz oder Reststoffen herstellen lassen. Viele Institute forschen zurzeit daran – genau wie an Wasserstoff-Fahrzeugen. Doch das Scheitern des so hoch gelobten Designerkraftstoffs „Biomass-to-Liquid“ (BtL) nach fast zehnjähriger Forschungstätigkeit zeigt, dass sich manche Zukunftsoption als Luftschloss entpuppen kann.


Zudem bezahlt Deutschland im Schnitt über 90 Milliarden Euro für die Einfuhr fossiler Energieträger im Jahr. Rund ein Drittel der deutschen Erdölimporte stammen dabei aus Russland. „Mit mehr Biokraftstoff im Tank ließe sich diese Abhängigkeit schon heute spürbar reduzieren“, sagt Vohrer mit Blick auf die aktuelle Russlandkrise. Allein die heute eingesetzten Biokraftstoffe ersetzen rund 3 Mio. t an fossilen Kraftstoffen.


Sargnagel THG-Quote:

Trotzdem hat Deutschland eine weitere Entscheidung getroffen, die den Markt weiter einschränken wird. Statt der bisherigen Mengenvorgabe aus der Quotenverpflichtung müssen die Mineralölkonzerne seit Anfang 2015 die Treibhausgas (THG)-Quote erfüllen. Sie sollen dabei u. a. mit dem Einsatz von Biokraftstoffen den THG-Ausstoß im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen um 3,5 %, ab dem Jahr 2017 um 4 % und ab 2020 um 6 % reduzieren. Mit dieser Vorschrift aus dem 12. Bundes-Immissionsschutzgesetz wird die Vorgabe aus der EU-Kraftstoffqualitätsrichtlinie (Fuel Quality Directive – FQD) in nationales deutsches Recht übertragen.


Die Folge: Die Mineralölindustrie wird versuchen, Kraftstoffe mit möglichst hohem THG-Minderungspotenzial einzusetzen, um die nötige Biokraftstoffmenge insgesamt zu begrenzen. Daher arbeiten auch die Biokraftstoffhersteller daran, die THG-Minderung ihres Kraftstoffs zu erhöhen, um diesen für die Industrie attraktiver zu machen.


Die aktuell geforderten 3,5 % sind mit heutigen Biokraftstoffen noch einfach zu erfüllen. Schwieriger wird es mit den 6 % ab dem Jahr 2020. Dann wird es auch Auswirkungen auf die Landwirtschaft geben, denn der Anbau bestimmt das THG-Minderungspotenzial eines Kraftstoffes mit. Wird beispielsweise viel Mineraldünger eingesetzt, ist die Reduktion im Vergleich zum fossilen Kraftstoff nicht so hoch. Dabei ergeben sich laut Brühning folgende Probleme:


  • Mit der THG-Quote könnte ein Anreiz bestehen, bei dem THG-Minderungspotenzial zu tricksen. Denn wenn der Lieferant eines Kraftstoffs aus Südamerika sagt, er habe nicht gedüngt und sein Kraftstoff habe daher einen sehr hohen THG-Minderungswert – wie lässt sich das nachweisen? Das könnte für die deutschen Landwirte erhebliche Nachteile haben, weil die Überprüfung hier viel einfacher möglich ist. „Für einen fairen Wettbewerb wären strenge Kontrollen nötig. Aber das zuständige Bundesumweltministerium hat sich dazu bislang nicht durchgerungen“, erklärt Brühning.
  • Deutschland ist das einzige EU-Land, das ausschließlich auf die THG-Quote baut. In anderen Ländern gibt es weiterhin die Mengenziele. Daher könnten sich viele ausländische Produzenten von Kraftstoffen mit einem angeblich hohen THG-Reduktionswert auf den deutschen Markt stürzen. Das setzt deutsche Hersteller weiter unter Druck – und senkt das Absatzpotenzial für die hiesige Landwirtschaft.


Absatz sinkt:

Auf jeden Fall dürfte die THG-Quote den Absatz heimischer Biokraftstoffe weiter reduzieren, befürchtet Claus Sauter, Vorstandsvorsitzender der Verbio AG, einem der größten Biokraftstofferzeuger in Deutschland: „Würde man die gesamte Menge des im Jahr 2014 in Deutschland erzeugten Biokraftstoffs einrechnen, würden wir heute auf eine THG-Quote von 3,9 % kommen.“ Das bedeutet: Um die Emissionen im Jahr 2015 um 3,5 % zu senken, sind weniger Biokraftstoffe als im Jahr 2014 nötig. Zudem könnte die Einführung der THG-Quote Biomethan als Kraftstoff vom Markt verdrängen (siehe Kasten).


Bei der Biokraftstofferzeugung werden für die Ermittlung der Treibhaus-gasemissionen in der Regel Standardwerte angesetzt. „Damit gibt es für den einzelnen Landwirt bisher keinen Anreiz, die Biomasse möglichst klimaschonend zu erzeugen“, kritisiert Ansgar Lasar, Klimaschutzbeauftragter der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Theoretisch wäre es dagegen denkbar, dass Biomasseerzeuger zukünftig die Treibhausgasemissionen einzelbetrieblich mit tatsächlichen Werten berechnen. „Das muss sich für sie lohnen, in dem sie zum Beispiel bei einer Unterschreitung der Standardwerte am Markt einen höheren Preis für diese Biomasse erzielen“, fordert Lasar. Aber die Mineralölindustrie ist bisher nicht bereit, die höhere THG-Minderung zu honorieren.


Sargnagel Nachhaltigkeit:

Seit 2011 müssen Biokraftstoffe die Kriterien der Nachhaltigkeits-Verordnung erfüllen und damit mindestens 35 % weniger Treibhausgase ausstoßen als fossile Kraftstoffe. Das Problem dabei: Nur ein geringer Anteil der weltweit gehandelten Biomasse wird als Biokraftstoffe genutzt, Beispiel Palmöl: hier sind es lediglich 12 % der weltweit erzeugten Menge. 72 % wandern dagegen in Nahrungsmittel und 16 % in die Industrie. Bei 88 % des Palmöls spielt der nachhaltige Anbau also keine Rolle.


Und selbst bei der nachhaltig erzeugten Biomasse ist es fraglich, ob die Zertifikate überhaupt etwas bewirken in den Herkunftsländern wie Indonesien oder Südamerika. Es gibt über 19 verschiedene Zertifizierungssysteme auf der Welt mit einer riesigen Bandbreite an Kriterien und Prüfintensitäten.


Seit mehreren Jahren kommt die Diskussion um „indirekte Landnutzungsänderungen“ (englisch: Indirect Land Use Change, kurz ILUC) dazu. Diese Theorie besagt: Wenn z.B. auf deutschen Feldern Raps für die Biokraftstoffproduktion angebaut wird, fehle dieses Rapsöl der Nahrungsmittelbranche und werde anderweitig erzeugt – z.B. in Form des billigen Palmöls auf gerodeten Regenwaldflächen.


Daher sollen heimische Biokraftstoffe laut EU-Kommission einen „CO2-Aufschlag“ bekommen. Bei Ölpflanzen schlägt die EU aktuell einen Aufschlag von 55 g CO2-Äquivalent pro Megajoule vor. Das würde das CO2-Minderungs-potenzial von Biodiesel verringern. Noch ist das Thema nicht vom Tisch, erst Mitte 2015 wird mit einer Ent-scheidung zur Erneuerbaren-Energien-Direktive der EU gerechnet, in welcher die ILUC-Faktoren festgelegt werden sollen.


Wie viele andere offenen Entscheidungen lähmt auch das die gesamte Industrie. „ILUC ist eine perfekte Waffe gegen Biokraftstoffe, denn es ist nicht messbar und ein rein theoretisches Konstrukt. Wenn in Indonesien Regenwald gerodet wird, steht ja gar nicht fest, dass das wegen Biokraftstoff-Rohstoffen geschieht“, kritisiert Brühning. Vielmehr zeige die Erfahrung der vergangenen Jahre, dass die Regenwaldabholzung mit der Gesetzgebung der jeweiligen Regierung zusammenhängt, so Brühning: „Bei weniger strengen Vorgaben wird mehr abgeholzt.“


Kein Auslöser für Armut:

In dem Zusammenhang werden Biokraftstoffe seit Jahren auch als Auslöser für Hunger diffamiert. „Das ist eine völlig verdrehte Diskussion, die nichts mit der Realität zu tun hat“, betont Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group, einer weltweiten Gruppe von Wissenschaftlern und Politikern.


Das bestätigt u. a. eine Studie der Universität Gießen: Agrarökonom Prof. Peter Michael Schmitz schätzt darin die Wirkungen von Biokraftstoffen auf die weltweiten Getreide- und Ölsaatenpreise auf unter 10 %. Daraus lasse sich keinesfalls eine kausale Beziehung zu Hunger und Armut in Entwicklungsländern ableiten. Deren Ursachen seien eher hausgemachte Probleme in den betroffenen Ländern, beispielsweise eine Vernachlässigung der Landwirtschaft, Korruption oder eine falsche Politik.


Die aktuelle Lage auf dem Weltmarkt gibt ihm Recht: Nach FAO-Zahlen sinkt die Zahl der Hungernden weltweit, aktuell sind die Getreidepreise sehr niedrig und die Läger voll – obwohl der Ausbau der Biokraftstoffe weltweit vorangeht.


Noch Potenzial:

Dennoch ist die Diskussion auch in Brüssel angekommen: Künftig soll es eine Beschränkung von konventionellen Biokraftstoffen aus „nahrungsmittelnahen Rohstoffen“ auf 7 % des Endenergieverbrauchs im Verkehr geben. „Das würde die Produktion von Rapsbiodiesel in Deutschland auf dem heutigen Stand nahezu einfrieren, ein Ausbau wäre nicht mehr möglich“, erklärt Matthias Spöttle vom Beratungsunternehmen Ecofys aus Berlin.


Dabei gibt es durchaus noch Potenzial für mehr Biokraftstoffe: In Deutschland wachsen auf rund 2,4 Mio. ha nachwachsende Rohstoffe, davon auf rund 1 Mio. ha Raps für die Biodieselproduktion. Nach Aussage der Universität Hohenheim gibt es in Deutschland bis zum Jahr 2050 – berücksichtigt man u.a. den Rückgang der Bevölkerung und Ertragszuwächse im Pflanzenbau – ein Potenzial von 4 bis 6 Mio. ha für nachwachsende Rohstoffe, ohne dem Nahrungs- und Futtermittelanbau Konkurrenz zu machen. Potenzial für den Rohstoffanbau in der EU gibt es nach einer aktuellen niederländischen Studie auch in Ländern wie Polen, Rumänien und Ungarn: Nachhaltig angebaute Rohstoffe allein aus diesen Ländern könnten 13 % des Kraftstoffbedarfs in der EU decken.


Zudem werden Nebenprodukte meist unterschlagen: Aus 1 ha Weizen mit 8 t Ertrag lassen sich neben 3 t getrocknete Schlempe als Proteinfutter und 2 t Etha­nol auch 2,5 t Reststroh nutzen, das über Ethanolsynthese als Biokraftstoff oder als Brennstoff genutzt werden könnte. „Diese Potenziale und die möglichen Effekte der regionalen und nationalen Wertschöpfung werden heute aber bei der Bewertung der Biokraftstoffe allein über die THG-Quote nicht berücksichtigt“, kritisiert Prof. Jürgen Zeddies von der Uni Hohenheim.


Perspektive fehlt:

Und was die Biokraftstoffbranche noch umtreibt: Es gibt weder in Deutschland noch in der EU eine Vorgabe, wie die Biokraftstoffpolitik nach 2020 weiter geht. Der Umweltausschuss (ENVI) des Europäischen Parlaments hatte sich Ende Februar 2015 gegen die Nutzung von Biokraftstoffen nach 2020 ausgesprochen. Das lähmt heute schon notwendige Investitionen in diesem Bereich – und macht den Weg für Erdöl im Verkehr frei, wie VDB-Geschäftsführer Elmar Baumann warnt: „Wer sich gegen Biokraftstoffe stark macht, nimmt die katastrophalen politischen und klimatischen Folgen der Abhängigkeit von Erdöl hin. Das trägt nicht zur Verringerung der Urwaldrodung bei, sondern einzig und allein zur steigenden Nutzung von Erdöl nach 2020.“ Hinrich Neumann

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