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„Viele sind die ritualisierten Schaukämpfe leid“

Lesezeit: 5 Minuten

Landwirte, Umwelt- und Tierschützer denken viel zu stark in Feindbildern. Ohne mehr Bereitschaft zum sachlichen Dialog lassen sich die Probleme nicht lösen, meint Dr. Clemens Dirscherl, Geschäftsführer des Evangelischen Bauernwerks Württemberg.


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Wo werden überall Feindbilder aufgebaut?


Dirscherl: Innerhalb der Landwirtschaft bei den Kontroversen zwischen Öko-Landbau und konventioneller Landwirtschaft, bei der Diskussion über die Zukunft der Milchpolitik zwischen Bauernverband und BDM und aktuell bei dem Thema Biogas, das die Bauern in den Dörfern spaltet.


Aber auch die Kritik von außen, z.B. von Umwelt- und Tierschutzgruppen oder den Grünen, wird oft als persönlicher Angriff auf die eigene Existenz verstanden. Auf Bauerntagen werden diese Feindbilder dann wunderbar gepflegt. Es reicht noch immer, den Namen Künast auf einer Bauernversammlung zu erwähnen, um Getöse zu erzielen. Die Frau ist seit acht Jahren nicht mehr im Amt.


Ist eine gesunde Distanz nicht normal? Unternehmerverbände und Gewerkschaften sind sich auch nicht immer grün.


Dirscherl: Natürlich ist für eine sachliche politische Auseinandersetzung ein reiner „Kuschelkurs“ nicht hilfreich. Aber bitte ohne persönliche Diffamierung! Viele Unternehmerverbände suchen trotz der inhaltlichen Auseinandersetzungen immer wieder den Kontakt zu ihren Kritikern. In der Landwirtschaft fehlt dazu mitunter die Bereitschaft oder die notwendige Dialogfähigkeit.


Wie hat der Berufsstand auf Ihre Kritik reagiert?


Dirscherl: Auf dreierlei Weise: Erstens Zustimmung, verbunden mit der Ermunterung, dieses Problem weiterhin offen anzusprechen. Zweitens irritiertes Befremden, weil man sich selbst doch als dialogorientiert versteht, was ich für viele Vertreter der Landwirtschaft auch gar nicht in Abrede stellen möchte. Und drittens Ärger darüber, dass wieder einer der Landwirtschaft etwas „Böses“ will. Der „Kirchenfuzzi“ solle sich um seinen eigenen Kram kümmern, hieß es.


Auf der „Gegenseite“ sind die Feindbilder und Berührungsängste nicht kleiner.


Dirscherl: Das stimmt! Auch bei den Umwelt- und Tierschutzverbänden und anderen Nichtregierungsorganisationen vermisse ich oft die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Dialog. Deshalb hat mir die Demonstration „Wir haben es satt“ bei der Grünen Woche auch nicht gefallen. Vielen Teilnehmern fehlt es an Einfühlungsvermögen für die reale Lebens- und Arbeitssituation von Bäuerinnen und Bauern. Das verhärtet die Konfrontation...


... schärft aber das Profil.


Dirscherl: Was nutzt das schärfste Profil, wenn dadurch die Gräben immer tiefer werden. Die Herausforderungen sind doch klar: Die Gesellschaft fordert von der Landwirtschaft mehr Engagement für Klima-, Tier-, Arten- oder Bodenschutz. Andererseits stehen die Bauernfamilien unter erheblichem Wirtschafts- und Arbeitsdruck. Da ist es vielleicht verständlich, wenn man sich mal Luft machen will. Aber am Ende muss man sich zusammenraufen und nach gemeinsamen Wegen suchen.


Wie kommen wir jetzt weiter? Ihr Appell allein dürfte nicht reichen.


Dirscherl: Der Charta-Prozess von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner war ein Anfang. Da ging es mitunter sehr kontrovers, aber immer sachlich zu. Teilweise gab es sogar gemeinsame Positionen. Ich meine, wir brauchen eine Art „Gesellschaftsvertrag“, der die Eckpfeiler für die Landwirtschaft bestimmt und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen benennt. Dieser Gesellschaftsvertrag könnte das längst überholte Landwirtschaftsgesetz von 1955 ablösen.


Das ist die große Ebene.


Dirscherl: Der Dialog muss auf allen Ebenen gelernt und gepflegt werden. Wie wäre es, bei einem Bauerntag auch einmal BUND oder NABU zu Wort kommen zu lassen. Umgekehrt gilt natürlich dasselbe für die Nichtregierungsorganisationen, die zu ihren Veranstaltungen auch betroffene Bauern einladen könnten. Für mich als Kirchenmann wäre es ein großartiges Erlebnis, wenn Bauern, Verbraucher, Umwelt- und Tierschützer bei einem Hofgottesdienst z.B. anlässlich des Erntedankfestes eine gemeinsam vorbereitete Fürbitte sprechen.


Sehen Sie die Bereitschaft für einen anderen Umgang?


Dirscherl: Durchaus. Wer hätte noch vor wenigen Jahren gedacht, dass Tierschutzbund, Handel, Schlachter und Bauern gemeinsam ein „Tierwohl-Label“ auf den Weg bringen. Oder wenn wir beim Evangelischen Bauernwerk mit Greenpeace, Bauernverband, BUND, Dritte Welt-Gruppe und der Kirche über das Thema „Bauern weltweit – gemeinsam in einem Boot“ diskutieren. Meine Erfahrungen mit Junglandwirten zeigen, dass viele die ritualisierten Schaukämpfe leid sind, weil sie sich dadurch innerhalb der Gesellschaft zunehmend isoliert fühlen. Da erkenne ich große Bereitschaft zu mehr Dialog.


Wie lässt sich Vertrauen aufbauen?


Dirscherl: Indem man weniger übereinander, sondern mehr miteinander redet. Dazu gehören persönliche Begegnungen zwischen Menschen. Das sollten die Landwirte als Chance begreifen, auf ihre Situation hinzuweisen: Seht her, wir sind betroffen von Entwicklungen, Skandalen, gesetzlichen Verordnungen und immer höheren gesellschaftlichen Ansprüchen. Und dies sollten Sie vor Ort in der Praxis veranschaulichen. Der Dialog ermöglicht dann auch inhaltliche Aufklärung. Viele Landwirte haben damit schon positive Erfahrungen gemacht.


Wer Bauern persönlich als wahrhaftig und aufrichtig kennengelernt hat, der korrigiert vielleicht auch sein eigenes Traumbild von der Landwirtschaft. Hier müssen wir ansetzen und auf die Kritiker zugehen.-sp-


Dr. Clemens Dirscherl ist auch Ratsbeauftragter der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) für agrarsoziale Fragen.

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