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Windboom zwischen Wald und Bergen

Lesezeit: 7 Minuten

Das neue Ökostromgesetz beschert der Windenergie in Österreich viel Aufwind. Von den Erfahrungen können auch deutsche Windmüller und Landwirte lernen.


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Saurüssel heißt der Weißwein, für den die Region rund um Poysdorf im niederösterreichischen Weinviertel bekannt ist. Jetzt ist die Gegend um noch eine Attraktion reicher: Seit Kurzem drehen sich zwischen den Reben die mit 140 m Turmhöhe höchsten Windräder Österreichs. Ganze acht Stück lässt die Windkraft Simonsfeld AG, die Bürgerwindparks in Österreich plant und betreibt, zurzeit errichten.


An der nichtbörsennotierten Aktiengesellschaft, die von dem Landwirt Martin Steininger Anfang der 90er Jahre ins Leben gerufen wurde, sind rund 1 600 private Anleger beteiligt. Damit ist jeder der 68 Windparks, den die AG heute betreibt, gleichzeitig auch ein „Bürgerwindpark“. Ein ähnliches Beteiligungsmodell bietet die WEB Windenergie AG aus Pfaffenschlag (Waldviertel in Niederösterreich).


Diese landesweiten Bürgerbeteiligungs-Organisationen sind jedoch nicht die einzigen Besonderheiten in Österreich:


  • Bürger können sich nicht nur an einer Gesellschaft beteiligen, sondern auch mit Anleihen Geld verdienen.
  • Die Bürger werden in kritischen Fällen per Volksabstimmung über Windparks in die Entscheidung einbezogen.
  • Die Landwirte erhalten keine vom Stromertrag abhängige Pacht, sondern Auszahlungen nach festen Sätzen.
  • Die Windbranche finanziert mit festen Beträgen den Stromnetzausbau.


Anleihen für Bürger:

Neben der direkten Unternehmensbeteiligung an der Betreibergesellschaft ist in Österreich das Modell der Anleihe sehr beliebt. Dabei stellen die Bürger einer Region für eine bestimmte Zeit Geld für ein konkretes Projekt zur Verfügung, das fix verzinst wird. Die Mindestbeträge liegen in der Regel bei 1 000 €. „Beim Windpark Poysdorf, unserem bisher größten Projekt, haben wir eine Anleihe von 17 Mio. € aufgelegt, die aufgrund des großen Interesses dreifach überzeichnet wurde“, nennt Winfried Dimmel von der Windpark Simonsfeld AG ein Beispiel für den Erfolg dieses Modells. Das bedeutet: In der sogenannten Zeichnungsfrist hatten die Bürger dreimal mehr Geld zur Verfügung gestellt als die AG benötigte.


Mit dem Geld hat die Simonsfeld AG den bestehenden Windpark um acht Anlagen Repower 3.2M114 mit je 3 MW Leistung und 143 m Nabenhöhe erweitert. Der 2005 gebaute Park bestand ursprünglich aus 14 Anlagen vom Typ Vestas V90 mit 105 m Nabenhöhe. „Die höheren Anlagen können wir zwischen den bestehenden Anlagen aufbauen, ohne dass sie sich Wind wegnehmen“, erklärt Projektleiter Michael Nagl. Die Windgeschwindigkeit liegt mit 6,5 m/s auf einem für österreichische Verhältnisse hohen Niveau. Bei dem Projekt kam auch zum ersten Mal ein Turmdrehkran zum Einsatz, der wenig Stellfläche benötigt und mit dem Stahl-Beton-Hybridturm „mitwächst“. „Mit dieser Technik können wir auch neue Standorte erschließen, die sehr beengt sind“, erklärt Nagl.


Die Bürgerbeteiligung ist in Österreich allerdings mit den Jahren immer schwieriger geworden. „Die Finanzmarktaufsicht hat hohe Anforderungen“, erklärt Dimmel. Dazu gehört ein umfangreicher Prospekt für jeden Windpark, der die Anleger sehr detailliert über die Risiken aufklärt. Er allein verursacht wegen der nötigen Unterstützung durch Rechtsanwälte Kosten von mindestens 80 000 €.


Auch in Österreich organisieren sich zudem mancherorts Bürgerinitiativen, die gut vernetzt sind. Das hängt auch damit zusammen, dass der Ausbau der Windenergie in Österreich in starken Wellenbewegungen verläuft. Einen ersten Windboom gab es in den Jahren 2003 bis 2006. Dann verschlechterten sich die Förderbedingungen nach dem Ökostromgesetz (ÖSG) wieder – bis zur Novellierung des Gesetzes im Jahr 2012. „Das ist das beste Gesetz aus Sicht der Windkraft, das wir je hatten“, lobt Martin Fliegenschnee-Jaksch von der IG Windkraft aus St. Pölten.


Ab da wurden viele Projekte, die geplant, aber noch nicht gebaut waren, in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft. Die Hersteller installierten 87 neue Anlagen mit 296 Megawatt (MW) Leistung allein im Jahr 2012. Diesen Rekord toppte die Branche dann im vergangenen Jahr mit 113 neuen Anlagen (über 300 MW Leistung).


Dazu kommt der technische Fortschritt. Denn neue Anlagen mit 3 MW Leistung und 140 m Turmhöhe sind hoch genug, um auch im Wald genügend Strom zu erzeugen. Damit werden jetzt neue, bewaldete Standorte weiter im Westen erschlossen.


Das stößt nicht immer auf Zustimmung. Nach der niederösterreichischen Gemeindeordnung können 10 % der Wahlberechtigten eine Volksabstimmung einberufen. Damit ist die Zustimmung für einen Windpark nicht vom Votum weniger Gemeinderatsmitglieder abhängig, sondern von allen Bürgern. „Wir begrüßen das inzwischen, weil es sehr früh eine Entscheidung und damit Planungssicherheit für uns bringt“, bewertet Dimmel das. Denn so haben die Planer und Investoren grünes Licht, bevor sie große Beträge in Gutachten etc. gesteckt haben. „Von allen Abstimmungen, die bis jetzt in Österreich durchgeführt wurden, ist die Mehrheit positiv ausgegangen“, bekräftigt Fliegenschnee-Jaksch.


Kein Pachtpreisanstieg:

Von der Windkraft können die Landwirte profitieren, indem sie Flächen für die Stellfläche des Windrades und des Krans sowie für die Wege und die Kabeltrasse verpachten. Außerdem werden vorhandene Feldwege für die Parks ausgebaut und ganzjährig befahrbar gemacht.


Die Pachtverträge haben in der Regel eine Laufzeit von 20 bis 30 Jahren. Besonderheit: Die Pacht ist nicht vom Stromertrag abhängig, sondern orientiert sich an Richtsätzen, beispielsweise der Landwirtschaftskammer. Diese Pacht ist zwar deutlich geringer als in Deutschland. Dafür gibt es kaum Neiddebatten oder eine regionale Explosion der Pachtpreise. „Neben der Pacht ist es uns wichtig, dass der Planer Landwirte und Bürger einbezieht und unsere Wünsche bei der Planung von Wegen berücksichtigt“, meint Landwirt Norbert Lackenbauer aus Wetzelsdorf (Niederösterreich). Er ist mit seiner Familie an der Windpark Simonsfeld AG beteiligt und profitiert so auch ohne hohe Pachterlöse von dem Windboom.


Außerdem legt er Wert darauf, dass der Planer auch der spätere Betreiber des Windparks ist und das Projekt nicht nach Abschluss der Pachtverträge an Dritte verkauft. „Mit den Käufern so eines Projekts können wir Flächenbesitzer dann nicht mehr so gut verhandeln“, weiß er aus Erfahrung.


Geld für Netzausbau:

Ein weiteres Problem des Windkraftausbaus löst die Branche in Österreich selbst: Den Netz- ausbau. Denn mit der Zunahme von Windkraftanlagen muss auch mehr Strom abtransportiert werden. Dafür sind stärkere Netze nötig. In Deutschland führt das gerade im Norden zu großen Engpässen, weil der Windboom mit dem Netzausbau nicht Schritt hält. „Jeder Betreiber einer Windkraftanlage zahlt in den meisten Regionen pro MW einen festen Betrag von 135 000 € an den Netzbetreiber, der damit den Netz- ausbau finanziert“, erklärt Fliegenschnee-Jaksch. In einigen Regionen wie Niederösterreich finanziere die Windbranche damit fast im Alleingang den kompletten Netzausbau, schätzt er. Als Gegenleistung erhalten die Betreiber jetzt einen etwas höheren Einspeisetarif nach dem ÖSG.


Politik hat großen Einfluss:

Auch in unserem Nachbarland hat die Politik großen Einfluss auf das Wohl und Wehe im Windmarkt. Dazu zwei Beispiele: Vor 15 Jahren hat das Burgenland als kleinstes Bundesland keinen Strom selbst erzeugt. Heute wird hier dank des politischen Rückenwinds mehr Strom mit Windrädern produziert als das ganze Land verbraucht.


Im Nachbarland Niederösterreich dagegen droht jetzt eine Bremse. Die Regierung hat in dem Land mit dem größten Potenzial einen Ausbaustopp verhängt. Sie will das Raumordnungsgesetz ändern und landesweit Zonen für die Windkraft einrichten. Bis zur Umsetzung wird das den Ausbau bremsen und es werden sich wieder viele Projekte anstauen, befürchtet die IG Windkraft. Die nächste Windflaute steht damit schon wieder bevor. Hinrich Neumann

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