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top agrar-SerieStreitgesprächeNutztierhaltung - Tierwohl nicht mit der Brechstange

Lesezeit: 14 Minuten

Wie kann die Politik für mehr Tierwohl sorgen, ohne die Existenz der Bauern zu gefährden? Darüber diskutiert Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt mit Prof. Dr. Harald Grethe, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Agrarpolitik.


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Herr Minister, das Gutachten zur Zukunft der Nutztierhaltung wird heiß diskutiert. Warum haben Sie sich daran bisher nicht beteiligt?


Schmidt: Man muss nicht jeder „Sau“ hinterherlaufen, die aufgeregt durchs Dorf getrieben wird. Manchmal lässt sich das Tier viel besser bewerten, wenn es wieder im Stall steht. Soweit sind wir jetzt.


Wie fällt Ihre Bewertung aus?


Schmidt: Erstens ist das Gutachten in Teilen hammerhart, was die möglichen Konsequenzen angeht. Zweitens ist es im besten Sinne anstoßend für die weitere Gestaltung der EU-Agrarpolitik. Und drittens gibt es uns – zumindest in der Langfassung – sehr konkrete Vorstellungen davon, wo wir 2030 mit unserer Nutztierhaltung stehen könnten.


Herr Prof. Grethe, es gab Lob von den Grünen und von den Tierschützern, aber auch harsche Kritik vom Bauernverband. Hat Sie das überrascht?


Grethe: Kaum. Das Gutachten ist zunächst politisch instrumentalisiert worden. Wenn die Grünen sagen, wir seien gegen Massentierhaltung, ist das Unsinn. Wir wollen ja weg von diesem Begriff. Das Ziel – mehr Tierschutz – haben wir z. T. gemeinsam. Der Weg ist aber unterschiedlich, sofern er bei den Bundes-Grünen überhaupt erkennbar ist. Auch beim Bauernverband hat es übertriebene Kritik gegeben. Wir wollen keine „Wende mit der Brechstange“, sondern einen verträglichen Umbau der Tierhaltung. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt und es gibt großes Interesse, ernsthaft über das Gutachten zu diskutieren. Das freut uns.


Muss man politisch zu-spitzen, um Gehör zu finden?


Grethe: Wir haben nicht zugespitzt, sondern nur den Handlungsbedarf klar benannt. Das ist die Aufgabe eines Wissenschaftlichen Beirats, der nicht den Zwängen der Tagespolitik unterliegt.


Der Beirat fordert einen stärkeren Dialog zwischen Bauern und Bürgern, um das gegenseitige Verständnis zu verbessern? Sehen Sie auch Defizite?


Schmidt: Absolut. Die Landwirtschaft wird gegenwärtig in der Gesellschaft. überwiegend kritisch gesehen. Sie gehört aber in die Mitte der Gesellschaft Der Berufsstand reagiert auf diese Kritik oft nur defensiv. Dadurch entsteht ein Unverständnis, das wir dringend beseitigen müssen. Daran will ich mich inhaltlich und finanziell beteiligen. Deshalb fördern wir zum Beispiel das dreijährige Forschungsvorhaben „SocialLab“ mit 2,4 Mio. €. Dabei geht es darum, die Ansprüche der Bürger an die Tierhaltung zu erfassen, zu bewerten und nach Möglichkeiten zu suchen, wie wir diese so umsetzen können, dass es für die Landwirte wirtschaftlich machbar ist.


Bringt sich der Berufsstand in diesen Dialog intensiv genug ein?


Schmidt: Lassen Sie es mich so formulieren: Er gibt kein einheitliches Bild ab. Ich freue mich aber, dass vor allem die jungen Landwirte in den Nachwuchsorganisationen in dieser Frage sehr aktiv und offensiv sind.


Was erwarten Sie von einer Enquete-Kommission Tierschutz im ­Bundestag?


Grethe: Eine solche Enquete-Kommission könnte die großen Fragen der ­Nutztierhaltung klären. Wohin wollen wir die Tierhaltung in Deutschland langfristig steuern? Wie wollen wir unsere Tiere halten, nur im Stall oder auch mit Zugang nach draußen? Wie viel Geld müssen wir für das Umsteuern bereitstellen? Wie positioniert sich unsere Tierhaltung im internationalen Wettbewerb? Für diese Kernfragen brauchen wir einen Basiskonsens über alle Parteigrenzen hinweg. Wir müssen den Landwirten langfristig Orientierung bieten, unabhängig von Legislaturperioden. Für solche Aufgaben ist eine Enquete-Kommission gut geeignet. Sie arbeitet parteiübergreifend und bezieht externe Experten ein.


CDU-Agrarsprecher Franz-Josef Holzenkamp hält wenig von diesem Vorschlag. Sie auch?


Schmidt: Die Abgeordneten können und sollen sich eigenständig und regierungsunabhängig äußern. Auf meiner Ebene, also in der Koordinierung von Bund und Ländern, will ich mich gerne einbringen. Für meinen Geschmack ist der Tierschutz viel zu stark parteipolitisch gefärbt. Es schadet den Tieren und den Bauern, wenn man auf deren Rücken versucht, politisch zu punkten.


Politiker arbeiten gerne mit Symbolen und starken Bildern. So gilt Ihre grüne Amtsvorgängerin Renate Künast als die Mutter des staatlichen Bio-Siegels. Werden Sie zum Vater eines staatlichen Tierwohl-Siegels?


Schmidt: Eine gute Idee. Ich bin trotzdem skeptisch, weil der Staat die Vielfalt der Siegel und Label nicht noch weiter erhöhen sollte. Der Verbraucher hat heute schon Mühe, den Überblick über die Siegel und ihre jeweiligen Standards zu behalten. Hinzu kommt, dass die meisten Siegel bisher kaum Marktwirkung entfalten. Wichtiger ist es, die unterschiedlichen Standards stärker zu vereinheitlichen. Dennoch möchte ich die Siegel-Idee noch nicht beerdigen.


Grethe: Die Bewertung des Ministers teile ich, seine Schlussfolgerung aber nicht. Gerade wegen dieser Vielfalt wäre ein staatliches Tierwohl-Siegel besonders glaubwürdig. Außerdem hätte der Staat ganz andere Möglichkeiten, ein solches Siegel zu bewerben. Die bisherigen Tierwohl-Programme haben einen verschwindend geringen Marktanteil, obwohl ca. 20 % der Kunden an der Ladentheke mehr Geld für mehr Tierwohl ausgeben würden. Dieses Potenzial könnten wir mit einem staatlichen Siegel besser heben.


Schmidt: Da bin ich mir nicht sicher. Die Brancheninitiative Tierwohl verzichtet ganz bewusst auf ein solches Siegel. Das sollte uns zu denken geben.


Was halten Sie von dieser Initiative?


Grethe: Sie zeigt, wie positiv die Landwirte auf Tierschutzinitiativen reagieren, wenn der wirtschaftliche Rah-men stimmt. Jetzt geht es darum, das Budget der Initiative schnell aufzustocken, damit auch die teilnehmen können, die noch nicht zum Zuge gekommen sind, aber schon investiert haben. Die Brancheninitiative und ein staatliches Tierwohl-Siegel würden sich hervorragend ergänzen, wir brauchen beides.


Wie können Sie die Initiative unterstützen?


Schmidt: Das prüfe ich gerade. Das Kartellrecht setzt mir enge Grenzen.


Der Beirat geht davon aus, dass der Umbau der Tierhaltung hin zu mehr Tierwohl rund 3 bis 5 Mrd. €/Jahr kosten wird. Ein Teil des Geldes soll aus der EU kommen, indem man Mittel aus der 1. in die 2. Säule umschichtet. Können Sie da mitgehen?


Schmidt: Nein. Über den jetzigen Kompromiss haben Bund und Länder hart und lange verhandelt. Da sollte man diesen nicht gleich wieder aufknüpfen. Richtig ist aber, dass das aktuelle Prämiensystem ausschließlich an der Fläche ansetzt und die Tierhaltung gar nicht berücksichtigt. Wir sollten mittelfristig darüber nachdenken, wie wir das ändern können, ohne gleich wieder in den Zustand gekoppelter Prämienzahlungen zurückzufallen.


Grethe: Genau dafür haben wir doch die 2. Säule: Hier können die Mitgliedstaaten Prämien für besondere Leistungen der Tierhalter ausloben. Wenn Deutschland die Möglichkeit der Umschichtung voll ausschöpfen würde, könnten wir ab 2018 jährlich 530 Mio. € für den Tierschutz aktivieren. Zurzeit sind das nur rund 40 Mio. €. Die Politik wird langfristig nicht umhinkönnen, auf die Mittel der 1. Säule zuzugreifen, um mehr Tier- und Umweltschutz zu finanzieren.


Schmidt: Zur Wahrheit gehört aber auch, dass dann dieses Geld, das direkt einkommenswirksam ist, in der 1. Säule fehlt. In Zeiten wie diesen ist das politisch schwer zu vermitteln.


Gibt es EU-Staaten, die bereits so handeln, wie Sie es vorschlagen?


Grethe: Nur Estland schöpft die Möglichkeit voll aus, 15 % der Direktzahlungen in die 2. Säule zu verlagern. Aber auch Großbritannien, Dänemark und Lettland liegen deutlich oberhalb der 4,5 % von Deutschland. Österreich, Italien und Finnland haben in den letzten Jahren erheblich mehr Geld für Tierwohlprämien ausgegeben als wir. Insgesamt ist dieses Politikinstrument aber bisher in der EU wenig entwickelt.


Auch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ könnte deutlicher in Richtung Tierwohl ausgestaltet werden. Zugespitzt hieße das: Mehr Tierwohl und weniger Dorferneuerung.


Schmidt: Das ist eine Baustelle, auf der wir etwas tun könnten. Für den Umwelt- und Klimaschutz haben wir die Mittel bereits erhöht. Davon wird auch die Tierhaltung profitieren.


Tatsächlich ändern sich die Förderschwerpunkte nur sehr langsam. Warum eigentlich?


Grethe: Weil dafür der politische Wille beim Bund und auch in vielen Ländern fehlt. Aus unserer Sicht ist das ein großes Problem. Man kann nicht von den Landwirten mehr Tierwohl fordern, ohne ihnen die Umsetzung auch finanziell zu ermöglichen! Wer es mit dem Tierschutz ernst meint, muss dafür auch Geld bereitstellen!


Viele Tierhalter lehnen einen verpflichtenden Sachkundenachweis Tierschutz mit regelmäßigen Fortbildungsmaßnahmen ab. Warum halten Sie diesen für notwendig?


Grethe: Wir wollen den Wissensstand der Tierhalter über Tierschutz und Tierwohl aktuell halten. Dort gibt es permanent Weiterentwicklungen und neue Anforderungen. Wir wollen dafür sorgen, dass es dazu ein Bildungsangebot gibt und dieses auch in Anspruch genommen wird. So etwas ist im Gesundheitswesen seit Jahren völlig normal und hat nichts damit zu tun, dass wir die gegenwärtigen Betriebsleiter pauschal für schlecht ausgebildet halten. Ganz im Gegenteil. Aber viele Personen, die in der Tierbetreuung arbeiten, haben keine Berufsausbildung. Hier muss für unterschiedliche Gruppen ein Angebot entwickelt werden, das flexibel genutzt werden kann.


Schmidt: Ich sehe die Notwendigkeit für einen solchen Sachkundenachweis derzeit nicht. Ich glaube, wir sollten eher die Überwachung und die Kontrollen verbessern. Ein großer Stall, der 300 m lang ist, stellt ganz andere Anforderungen an das Management, die Organisation der Arbeit und die Kontrolle als ein kleinerer oder mittelgroßer Stall. Hier müssen wir in Zukunft differenzierter denken und vorgehen.


Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus will je nach Tierart und Nutzungsrichtung feste Mindest-Betreuungszeiten vorgeben. Was halten Sie davon?


Grethe: Wir haben das im Beirat diskutiert und verworfen. Die Stallsysteme und die Managementfähigkeiten der Betriebsleiter sind so unterschiedlich, dass man dies mit festen Betreuungszeiten pro Tier nicht abbilden kann. Unser Ansatz ist: Das Tierwohl muss stimmen. Das muss überprüft werden. Mit welchem Managementaufwand der einzelne Betrieb das hinbekommt, bleibt ihm überlassen.


Die Große Koalition setzt darüber hinaus auf Zulassungsverfahren für Haltungssysteme. Wie weit sind Sie da?


Schmidt: Im Geflügelbereich sind die Haltungssysteme sehr stark normiert. Da befinden wir uns auf der Zielgeraden. Im Schweinebereich gibt es eine viel größere Bandbreite. Deshalb haben wir zunächst ein „Best Practice-Testnetz“ geschaffen. Da müssen wir jetzt erst die Ergebnisse abwarten, bevor wir die nächsten Schritte festlegen können.


Der Beirat sieht Vollzugsdefizite beim Tierschutzrecht. Wo liegen die?


Grethe: Vor allem bei den Kontrollen. Hier fehlt es an Personal, aber auch an Möglichkeiten, zentral auf die verschiedenen Datenquellen, z. B. der Tierseuchenkassen, der Schlachthöfe oder der Antibiotikadatenbank, zurückgreifen zu können.


Sind wir dann nicht ganz schnell beim gläsernen Landwirt?


Schmidt: Das ist in der Tat eine Gratwanderung. Wie können wir maximalen persönlichen Datenschutz bei größtmöglicher Transparenz sicherstellen? Für mich ist klar, dass wir in der Lage sein müssen, aus den verfügbaren Daten die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Das hat aber Grenzen, weil der Datenschutz in Deutschland ein hohes Gut ist. Wir müssen ausloten, wie weit wir gehen können.


In der Öffentlichkeit sind das Kastrieren der Ferkel, das Töten der männlichen Eintagsküken sowie das Schwänze- und Schnäbelkürzen besonders umstritten. Der Beirat will feste Ausstiegstermine. Sie auch?


Schmidt: Ich setze auf eine Mischung aus freiwilligen Branchenverpflichtungen und gesetzlichen Regelungen. Erstens habe ich mit der Geflügelwirtschaft vereinbart, dass die Halter ab dem 1. August 2016 freiwillig auf das Kürzen der Schnäbel verzichten und die Legehennenhalter ab dem 1. Januar 2017 keine schnabelgekürzten Junghennen mehr einstallen. Zweitens ist die betäubungslose Ferkelkastration ab 2019 gesetzlich verboten. Hier sind jetzt auch die Schlachter und der Handel gefordert, bis dahin verlässliche Absatzkanäle für die Eber zu schaffen. Und drittens fördern wir einen Prototyp zur serienmäßigen Geschlechtsbestimmung im Ei, um 2017 endlich mit dem Kükenschreddern Schluss machen zu können.


Und wie geht es beim Schwänzekürzen weiter?


Schmidt: Das Problem lässt sich nicht lösen, indem man dem Schwein einfach einen 10 €-Schein an den Schwanz bindet, wie es der ein- oder andere Landesminister glaubt (Anm. der Red.: gemeint ist die Ringelschwanzprämie in Niedersachsen). Der Ausstieg muss verantwortbar sein. Von heute auf morgen geht das nicht. Aber klar ist, weitermachen wie bisher geht auch nicht. Wir müssen so schnell wie möglich aus dieser Praxis aussteigen. Da werde ich weiter Druck machen.


Noch fehlen wissenschaftlich geprüfte Lösungen für einen Verzicht auf Schnäbel- oder Schwänzekürzen und trotzdem fordert der Beirat feste Ausstiegsdaten. Wie passt das zusammen?


Grethe: Wir stehen doch in dieser Frage nicht am Anfang der Forschung: Die allermeisten Stellschrauben sind bekannt. Dieses Wissen müssen wir schneller in die Praxis bringen, die allerdings sehr heterogen ist. Dafür brauchen wir natürlich Übergangsfristen, eine intensive Beratung sowie die Finanzierung von Modell- und Demonstrationsbetrieben. Auch die Förderung intakter Ringelschwänze kann hierzu einen Beitrag leisten! Die Diskussion um ordnungsrechtliche Ausstiegsdaten ist ein wesentlicher Motor für das in jüngster Zeit stark zunehmende Engagement des Sektors.


Auf welcher staatlichen Ebene muss das Tierschutzrecht weiterentwickelt werden?


Grethe: Auf allen Ebenen. Mehr Tierschutz kostet Geld. Wenn wir das auf nationaler Ebene allein über ein strengeres Ordnungsrecht durchsetzen würden, wäre das eine Wettbewerbsverzerrung zulasten der deutschen Landwirte, und teilweise auch des Tierschutzes. Deshalb ist es hilfreich, das Tierschutzrecht auf einer möglichst hohen Ebene zu harmonisieren.


In der WTO sollte die EU z. B. verhandeln, Tierwohlzahlungen als nicht wettbewerbsverzerrend einzustufen und damit unbegrenzt erlauben. Auch sollte sie sich dafür einsetzen, bestimmte Haltungssysteme kennzeichnungspflichtig machen zu dürfen, so wie wir das aus der Eierkennzeichnung kennen. Innerhalb der EU wäre es natürlich das Beste, wenn wir gemeinsame Tierschutzstandards hätten.


Ist das realistisch?


Grethe: Wir haben in der Tat sehr unterschiedliche Interessen in der WTO, aber auch in der EU. Wir meinen, dass wir angesichts der kritischen Haltung unserer Bürger nicht darauf warten können, bis die Mehrheit in der EU soweit ist, höhere Tierschutzstandards einzuführen. Deshalb schlagen wir vor, eine Koalition der Willigen zu bilden, in der sich die Länder zusammentun, die schneller vorangehen wollen. Dazu gehören zum Beispiel Dänemark und die Niederlande. Wir begrüßen, dass der Bundeslandwirtschaftsminister in diesem Sinne bereits intensive Gespräche führt. Für den Beirat sind aber auch nationale Alleingänge kein tabu, wenn gleichzeitig die Mehrkosten ausgeglichen werden, um negative Wettbewerbswirkungen zu dämpfen. Hierfür machen wir konkrete Vorschläge.


Schmidt: Für mich sind nationale Alleingänge nur das allerletzte Mittel. Sie sind nur in ganz wenigen Fällen gerechtfertigt, wie aktuell beim Problem der Schlachtung trächtiger Rinder, die ich in Deutschland dringend unterbinden will. Mein erstes Ziel ist es, gemeinsam mit ausgewählten europäischen Partnern in der EU voranzugehen.


Was hat eine EU der zwei Geschwindigkeiten noch mit einer gemeinsamen europäischen Agrarpolitik zu tun?


Schmidt: Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ist nicht das Ziel, aber ein notwendiger Zwischenschritt, auch weil die EU-Kommission beim Tierschutz zu wenig Initiative zeigt.


Wie wirkt ein schärferes Tierschutzrecht auf den Strukturwandel?


Grethe: Dort, wo mehr Tierwohl hohe Investitionen in Stallgebäude und deren Einrichtung erfordert, werden einige Betriebe früher als geplant aus der Produktion ausscheiden. Das kann den Strukturwandel beschleunigen. Es gibt aber auch Maßnahmen, die eher bremsen. Das gilt z. B. für den Weidegang, der spätestens bei 300 Kühen schwierig wird. Unterm Strich wird der Strukturwandel zu weiter wachsenden Durchschnittsbeständen führen. Ich sehe aber nicht, dass dies grundsätzlich im Konflikt zu mehr Tier- und Umweltschutz steht. Wir sollten öffentlich kommunizieren, dass Stallgröße und Tierwohl nicht eindeutig zusammenhängen.


Schmidt: Das beurteile ich deutlich kritischer als Prof. Grethe. Mehr Tierwohl darf nicht zu mehr Strukturwandel führen. Wenn es am Ende nur noch tierwohloptimierte Megaställe gäbe, hätten wir ein neues Akzeptanzproblem. Da bin ich gegen.


Dieses Gutachten hat viel Staub aufgewirbelt. Wie unbequem darf ein Wissenschaftlicher Beirat für seinen Minister sein?


Schmidt: Ich erwarte keine Hofberichterstattung, ich erwarte aber auch nicht nur schlagzeilenträchtige Gutachten. Beides bringt uns nicht weiter. Wissenschaftliche Empfehlungen werden nie 1 : 1 in Politikentscheidungen überführt. Die Politik muss immer auch noch weitere Kriterien einbeziehen, abwägen und dann entscheiden.


Sie sind also nicht beratungsresistent?


Schmidt: Im Gegenteil. Mir ist sehr an einer fundierten Beratung aus der Wissenschaft und aus der Praxis gelegen. Deshalb möchte ich noch einen Praktiker-Beirat gründen. Der soll aus ganz normalen Landwirten bestehen, nicht aus berufsständischen Interessenvertretern, und meine Überlegungen aus dem Blickwinkel der Praxis bewerten. Ich verspreche mir davon noch bessere Entscheidungen im Sinne der Bauern.


Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch.


Claus Mayer/Dr. Ludger Schulze Pals

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