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Aquakultur: Retten Bauern die Weltmeere?

Lesezeit: 8 Minuten

Brüssel will die Fischmast stärker fördern und so die Weltmeere entlasten. Entwickelt sich da ein neues Geschäftsfeld für Landwirte? Wir haben zwei Pioniere besucht.


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Schon im Jahr 2050 könnte es vorbei sein mit der Meeresfischerei. Das sagen zumindest einige Wissenschaftler bei der Umweltorganisation UNEP der Vereinten Nationen. Von der ständigen Überfischung werden sich die Weltmeere nicht mehr erholen, so ihr düsteres Szenario.


Einige deutsche Bauern haben das bereits als Geschäftsfeld für sich entdeckt und mästen in ihren Ställen Fische in sogenannten Kreislaufanlagen (KLA). Die deutschen Argarminister haben sie dabei hinter sich. Diese glauben, dass die Kreislaufanlagen in der Lage sein könnten, Fischimporte nach Deutschland zumindest teilweise zu ersetzen. Im „Nationalen Strategieplan Aquakultur“ werden die Vorteile der Fischmast hoch gelobt: Die exzellente Futterverwertung der Fische (ca. 1 : 1) und ihr hoher Muskelanteil mache Fische sehr attraktiv im Vergleich zu anderen Masttieren. Außerdem verursache die Fischproduktion in Aquakultur weniger Treibhausgasemissionen als die Fleischproduktion und benötige weniger Land sowie – in geschlossenen Kreislaufanlagen – weniger Wasser. Obendrein sei Fisch wegen seines hohen Anteils an bestimmten Omega-3-Fettsäuren auch noch gesünder als Fleisch, so das Papier.


Schlusslicht Europa:

Andere Länder der Welt haben diese Potenziale der Aquakultur längst erkannt. Während die Fangmengen aus dem Meer weltweit stagnieren, hat das „Fish Farming“ in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckende Entwicklung hingelegt. Mittlerweile stammt ein Drittel des Fisches der Welt aus Aquakultur, das entspricht rund 20 Mio. Tonnen jährlich (siehe Übersichten 1 und 2).


An der EU ist diese Entwicklung bislang aber vorbeigegangen. 80 % des Fisches aus Aquakultur werden in Asien produziert. Neue Anlagen werden auch in Südamerika und Afrika gebaut. Da will die EU-Kommission nicht länger untätig zusehen und plant, mit ihrem neuen europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) jetzt auch die heimische Aquakultur stärker zu fördern. Deshalb hat sie die Mitgliedsstaaten aufgefordert, nationale Strategiepläne vorzulegen – so wie die deutschen Agrarminister das getan haben. So werden die EU-Gelder sinnvoll eingesetzt und die heimische Fischproduktion neu aufgestellt, hofft die Kommission. Bahnt sich da für Europas Landwirte ein neues, lukratives Geschäftsfeld an? Oder haben wir in Europa und Deutschland den Zug schon verpasst?


Alternative zu Schweinen?

Rudi Oppmann, Landwirt aus Unterfranken, will das gerade herausfinden. Seit Ende Juni tummeln sich in einer Halle gleich neben seinem Schweinestall afrikanische Welse dicht an dicht. Oppmann ist frisch gebackener Fischmäster – und das weit ab vom Meer. Vor drei Jahren hatten er und seine Familie die Idee dazu, weil sie händeringend nach einer Alternative zur Schweinehaltung suchten. Denn mit einer Erweiterung ihres Maststalls mit aktuell 1 500 Plätzen wären sie in ihrem Dorf Burggrumbach wohl auf Widerstand gestoßen. Außerdem wäre unklar gewesen, ob die Oppmanns überhaupt an die notwendigen Flächen kommen. In der Region floriert der Gemüsebau und hat die Pachtpreise in schwindelerregende Höhen getrieben. Damit aber Hofnachfolger Simon (18) auch langfristig von dem Betrieb leben kann, wollten die Oppmanns noch einmal größer investieren. „Nur wie“, fragten sie sich.


Da geriet ihnen ein Flyer in die Hände, den sie Monate zuvor auf der EuroTier mitgenommen, zunächst aber nicht weiter beachtet hatten. Darauf fiel ihnen das Bild des seltsam aussehenden afrikanischen Welses ins Auge. Der Flyer stammte von der PAL Anlagenbau GmbH, die seit rund 20 Jahren Kreislaufanlagen für die Fischhaltung baut. Die Oppmanns riefen im Herbst 2012 bei der Firma an und fragten, ob die Aquakultur eine Option für sie sein könnte.


Reiner Elies, Berater bei PAL, erklärt, für welche Betriebe eine Fischzucht infrage kommt: „Wer Energie übrig hat.“ Denn der afrikanische Wels wird – wie übrigens die meisten „Fische im Stall“ – in einer Warmwasser-Kreislaufanlage gemästet (siehe Übersicht 3). Und die will beheizt werden, denn der afrikanische Wels bevorzugt Temperaturen von 28 °C. Bietet man ihm weniger, so wächst er nicht. Deswegen seien Betriebe, welche die Abwärme aus einer Biogasanlage kostenlos nutzen können, klar im Vorteil. Aber auch für Betreiber von Gasturbinen oder Pflanzenöl-Produzenten kann sich die Abwärmenutzung mittels Fischzucht rentieren, so Elies.


Wichtig sei auch eigenes Wasser, fährt er fort. Am besten aus einem leistungsfähigen, eigenen Brunnen. Und die Aquakultur müsse zu den bestehenden Betriebszweigen passen. Die Fische sollten ein ergänzender Betriebszweig sein, der neue Synergieeffekte schafft. „Sie dürfen aber niemals die Begründung für den Bau z.B. einer Biogasanlage sein,“ warnt er.


Halbe Million Investition:

Als typisches Investitionsvolumen für einen Familienbetrieb nennt Elies rund 500 000 bis 600 000 Euro. Damit könne man eine Anlage mit rund 100 Kubikmetern Wasser für eine Jahresproduktion von ca. 100 Tonnen Wels errichten. Die genauen Kosten hängen u.a. davon ab, ob ein neues Gebäude errichtet oder nur ein bestehender Stall umgebaut wird. Außerdem sei entscheidend, wo der Strom herkommt und ob ein Brunnen erst noch gebohrt werden muss oder nicht.


Bei den Oppmanns waren sich Elies und Kollegen schnell sicher: Der Betrieb ist geeignet. Durch die Kooperation mit einer Biogasanlage steht genug kostenlose Wärme zur Verfügung. Der Betreiber bekommt im Gegenzug den KWK-Bonus von 3 Cent pro Kilowattstunde. Und für den Betrieb der KLA, in der Oppmann täglich 15 % der insgesamt 100 Kubikmeter Wasser austauschen muss, würde auch der Hofbrunnen als Wasserquelle ausreichen.


Das überzeugte die Oppmanns und sie entschieden sich, in die Fischmast einzusteigen. Sie holten die erforderlichen Genehmigungen ein und schlossen sich der Erzeugergemeinschaft „Fisch­gut Mitte“ an, über die sie Setzlinge und Futter beziehen sowie die gemästeten Welse vermarkten. Bei den diversen Anträgen auf Genehmigungen und Förderung musste Oppmann etwas Geduld aufbringen, weil es geschlossene Kreislaufanlagen in Bayern bislang kaum gibt. Bei verschiedenen Ämtern füllte er deswegen Formulare für Teichwirtschaften mit Forellen aus. Die Beamten wussten zunächst nicht, wie sie damit umgehen sollten. Oppmann formuliert es passend: „Die fischen auch im Trüben“. Sein Durchhaltevermögen hat sich aber ausgezahlt: Die Anlage wurde genehmigt, und sowohl der Europäische Fischereifonds (EFF – bald EMFF) als auch der Freistaat Bayern beteiligten sich mit jeweils 20 % an den Baukosten (s. a. Checkliste auf S. 50).


Jetzt, zwei Jahre nach Beginn der Planungen, haben die ersten afrikanischen Welse ihr Quartier in Unterfranken bezogen. Ein Mastdurchgang mit den außergewöhnlichen Tieren dauert fünf bis sechs Monate. Zu Weihnachten werden also die ersten Welse schlachtreif sein. Die Oppmanns sind vorsichtig optimistisch, dass sie schon nach einigen Durchgängen schwarze Zahlen schreiben. Ihnen ist aber auch klar, dass es ein enges Geschäft ist und sie die Kreislaufanlage über 25 Jahre abbezahlen werden. Zwar haben sie sich mit dem Wels für einen sehr robusten Fisch entschieden, der auch einmal einen Fehler verzeiht. Manche in der Branche bezeichnen ihn als „Anfängerfisch“. Dennoch ist der Betrieb einer Kreislaufanlage eine hochkomplizierte Angelegenheit. Die Fütterung muss genauso passen wie die Temperatur; die Ammonium-, Nitrit- und Sauerstoffkonzentration muss ständig im Auge behalten werden. Oppmann geht davon aus, dass er in den ersten Jahren „auch mal Lehrgeld bezahlen“ wird.


Dschungel an Vorschriften:

Aquakultur ist keine einfache Angelegenheit, geben auch die Autoren des nationalen Strategieplans zu. Dass sie hierzulande bisher nicht aus den Kinderschuhen gekommen ist, habe handfeste Gründe, sagen die Autoren. Allen voran die schwierigen Genehmigungsverfahren. Wer in die Aquakultur einsteigen möchte, der sieht sich mit den verschiedensten Gesetzen und Verordnungen konfrontiert – von Raumordnungsprogrammen und allgemeinem Baurecht über Natur- und Tierschutzgesetze bis hin zu wasserrechtlichen Vorschriften. Diese sind noch dazu von Bundesland zu Bundesland verschieden und stehen teilweise sogar in Widerspruch zu Bundesgesetzen. Als wäre das noch nicht verwirrend genug, legen die einzelnen Landkreise gleiche Gesetze häufig auch noch unterschiedlich aus.


Wer sich durch diesen Dschungel an Vorschriften schlagen möchte, braucht also einen langen Atem – zu lang, als dass mit einem schnellen Ausbau der Aquakultur in Deutschland zu rechnen wäre, so die Autoren. Weitere Hemmschuhe seien bislang der internationale Konkurrenzdruck und der Mangel an qualifizierten Fachkräften gewesen, heißt es in dem Papier weiter.


Experten bremsen Euphorie:

Da ist es nicht verwunderlich, dass die Fachwelt in Deutschland auf die Euphoriebremse tritt, wenn es um den Einstieg von Landwirten in die Fischmast geht. Im Norden warnt Christina Hiegel von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, dass grundlegende Fragen des Bau- und Wasserrechts beim Bau von Kreislaufanlagen nicht geklärt seien bzw. von den Genehmigungsbehörden unterschiedlich bewertet werden. Wer es dennoch tue, gehe hier ein großes Risiko ein. Im Süden verweist Dr. Helmut Wedekind, Leiter des Instituts für Fischerei an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, auf die komplexen biologischen Prozesse in den Anlagen. Daran habe sich schon so mancher Betriebsleiter die Zähne ausgebissen. Wedekind ist vom Zukunftspotenzial der KLA überzeugt, hat aber auch festgestellt: „Neueinsteiger unterschätzen neben der Komplexität der Anlagen oft die Arbeitsbelastung.“


Und wer die Technik im Griff hat, muss seine Fische auch noch gewinnbringend verkaufen. In Baden-Württemberg sind in den vergangenen Jahren fünf Landwirte, die KLA errichtet hatten, an der Vermarktung gescheitert. Unzureichende Fachkenntnisse und die hohen Investitionskosten taten ihr übriges. Der dortige Leiter der Fischereiforschungsstelle, Dr. Alexander Brinker, rät daher zu einer nüchternen Betrachtung der möglichen Gewinne und Risiken, bevor man eine KLA baut. Er hat schon zu oft erlebt, dass der Einstieg von Landwirten in die intensive Fischzucht fehlschlug. Sein Fazit: „ Nur wer gut kalkuliert hat und herbe Rückschläge einstecken kann, sollte das Wagnis Kreislaufanlage eingehen.“

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