Bei der Internationalen Grünen Woche in Berlin treffen die Interessen von Gesellschaft und Landwirten bei der Lebensmittelerzeugung frontal auf einander. Der Agrarökonom Harald Grethe kritisiert im Vorfeld die mangelnde Bereitschaft miteinander über Missstände und Auswege zu reden. Die Politik hat aus seiner Sicht bisher bei der Moderation versagt.
„Es ist jedes Jahr das Gleiche, kurz vor Beginn und während der Grünen Woche, dem größten Branchentreff der deutschen Landwirtschaft: Die Kritiker halten der modernen Landwirtschaft vor, sie sei grundsätzlich „nicht nachhaltig“, und der organisierte Berufsstand verteidigt sich damit, dass jeder Landwirt schon aus eigenem Interesse die Umwelt schütze und seine Tiere tiergerecht halte. Das Befremdliche dabei ist, dass von beiden Seiten in dieser Auseinandersetzung oft gar kein wirklicher Dialog angestrebt wird“, schreibt Grethe in einem Gastkommentar, der in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ veröffentlicht ist. Stattdessen würden vielmehr „politische Kampfbegriffe“ und „pauschale Defensivparolen“ ausgetauscht, kritisiert er weiter. Beide Seiten würden nur auf den Beifall der eigenen Klientel ausgerichtet sein.
Agrarpolitik tut zu wenig
Die Agrarpolitik müsste laut Grethe „einen wesentlichen Beitrag zur Aussöhnung“ leisten. Sei solle die existierenden Probleme im Tier- und Umweltschutz entschiedener benennen und Finanzierungskonzepte für mehr Tier- und Umweltschutz entwickeln, fordert er. Er verweist auf das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL), welches im Frühling 2015 Zusatzkosten von 3 bis 5 Mrd. € für mehr Tierschutz ausgemacht hat. Grethe selbst hat an dem Gutachten maßgelblich mitgewirkt, in seinem Gastkommentar ruft er Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt dazu auf, die empfohlenen Maßnahmen umzusetzen.
Drei Maßnahmen für mehr Tierschutz
Drei Maßnahmen sind Grethe dabei wichtig: Ein staatliches Tierwohl-Label, das intensiv beworben werde, so dass der Marktanteil von gelabeltem Fleisch von einem auf 20 Prozent steigen könne. Ein Ausbau der Tierschutzprämien in der zweiten Säule der Agrarpolitik. Sowie der Ausbau der finanziellen Ausstattung der privaten Initiative Tierwohl von Bauernverband und Lebensmitteleinzelhandel. Grethe fordert statt der bisher vom Handel in den Fonds gezahlten 4 Cent/kg Fleisch sogar eine Verzehnfachung auf 40 Cent/kg und eine Erweiterung auf mehr Fleischsorten wie beispielsweise Rindfleisch.
Grünen Woche zum Dialog nutzen
Grethe schlussfolgert in seinem Kommentar, dass die Finanzierung der Maßnahmen möglich sei, es aber an „hinreichendem politischen Willen“ dafür fehle. „Das trägt zu einer Polarisierung der Diskussion bei, weil die Lücke zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen und Realität der Tierhaltung zunehmend auseinanderklafft“, schreibt er. Er ruft alle Beteiligten dazu auf, die Grüne Woche für einen gemeinsamen Dialog zu nutzen. „Wer gerechtfertigte Kritik aufnimmt und zulässt, ist auch glaubhafter in der Zurückweisung ungerechtfertigter Kritik“, so der Agrarökonom weiter. All das könne jedoch nur geschehen, wenn es dafür die richtigen politischen Rahmenbedingungen gebe, ist der Agrarökonom überzeugt.
Harald Grethe ist Agrarökonom an der Universität Hohenheim. Der 50-Jährige leitet den Wissenschaftlichen Beirat Agrarpolitik beim BMEL. Sein Gastkommentar ist unter dem Titel „Raus aus der Kampfzone“ im aktuellen Spiegel erschienen.