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Der Tierarzt in der Verantwortung: Ernst-Günther Hellwig über Massentierhaltung und Turbo-Tiere

Bauer Willi sprach mit dem Agrarwissenschaftler und Fachtierarzt Ernst-Günther Hellwig über das Thema Tierwohl und die Überforderung vieler Tierhalter. Hellwig ist Leiter der Agrar- und Veterinär-Akademie (AVA) in Horstmar-Leer und bildet seit über 15 Jahren Tierärzte, Berater und Landwirte fort.

Lesezeit: 8 Minuten

Bauer Willi sprach mit dem Agrarwissenschaftler und Fachtierarzt Ernst-Günther Hellwig über das Thema Tierwohl und die Überforderung vieler Tierhalter. Hellwig ist Leiter der Agrar- und Veterinär-Akademie (AVA) im münsterländischen Horstmar-Leer und bildet seit über 15 Jahren Tierärzte, Berater und Landwirte fort.


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Herr Hellwig, im Programm Ihrer Tierärztetagung am 17. bis 20. März liest man sehr häufig den Begriff „Tierwohl“, der ja auch in der öffentlichen Debatte eine große Rolle spielt. Einfache (vielleicht auch blöde?) Frage. Was ist für Sie Tierwohl? Und was glauben Sie, wie „die Gesellschaft“ Tierwohl definiert?


Hellwig: Die Frage ist überhaupt nicht „blöde“. Eigentlich ist das eine sehr schwierige Frage, denn die Tiere sprechen (verbal) nicht, können uns aber deutliche Signale geben, ob sie sich wohlfühlen, ob sie gestresst sind, ob sie krank werden bzw. krank sind.


Ganz einfach: Tierwohl bedeutet, dass sich die Tiere wohl fühlen. Schweine z.B. liegen in einer Seitenlage in normaler Haltung entspannt, die Atmung, ist unverkrampft, die Atemfrequenz ist physiologisch. Kühe liegen bequem in den Liegebuchten und kauen nach dem Fressen ganz entspannt wieder. Kühe sind sehr neugierig und wollen viel schauen. Unsere modernen Laufställe bieten dazu allen Komfort. Und wenn die Kühe noch freiwillig entscheiden können, wann sie gemolken werden wollen (die Robotermelktechnik macht’s möglich), dann ist es eine Freude, diese Kühe zu beobachten.

 

So gut wie heute ging es unseren Tieren noch nie! Denken Sie an dunkle enge Kuhställe in Anbindehaltung, nasse und feuchte Kälberbuchten; enge Schweinekoben.  Die positiven Errungenschaften der letzten 20 Jahre in Sachen Tierschutz, Tierhaltung und Tiergesundheit sind phantastisch. Und ich wiederhole mich gerne: nie ging es den Tieren besser.

 

Kritische Stimmen sagen, dass unsere heutige Tierhaltung die Tiere überfordert. Stimmt das? Und wie ist es mit den Tierhaltern?


Hellwig:Nehmen wir unsere Kühe. Jede Kuh ist heute genetisch in der Lage 12.000 kg Milch und mehr pro Jahr zu geben. GENETISCH. Wir haben also Hochleitungstiere im Stall stehen, die nichts mehr mit den genügsamen Kühen vor 50 Jahren zu tun haben. Vergleichen wir die Tiere einmal mit einem VW Polo, 40 PS und einem Maserati mit 650 PS. Jedem ist klar, dass nur die Wenigsten den Maserati ohne Probleme beherrschen. Und so ist es auch bei den Kühen mit hohen Leistungen.


Ich arbeite mit Spitzenbetrieben in Sachsen und Thüringen zusammen, die über 1.000 melkende Kühe haben. Diese Betriebe haben einen Stalldurchschnitt von weit über 10.000 kg Milch (und das seit Jahren) und Zellzahlen von 50.000 bis höchstens 100.000 Zellen in der Milch. Die Kühe sind gesund und gebären einmal im Jahr ein Kalb. Die Tierarztkosten, oder besser gesagt „Gesundheitskosten“ (Arzneimittel werden nur im Ausnahmefall gebraucht, denn es wir immer einmal jemand krank), sind äußerst niedrig. Die Betriebe laufen einfach rund.

 

Die Tierbetreuer sagen mir: Wir arbeiten streng nach Arbeitsanweisungen, wir bilden uns laufend fort und diskutieren fachlich mit Berufskollegen und Tierärzten. Jeder kennt seine Rolle und für die Tierbeobachtung planen wir sehr viel Zeit ein. Ein Kuhbetreuer hat nichts auf dem Acker zu suchen. Das machen andere Spezialisten. Ein Kuhbetreuer ist in seiner Arbeitszeit nur für die Kühe da und für nichts anderes. Arbeiten mit und an dem Tier ist die Grundvoraussetzung für Tierwohl und Tiergesundheit.


Massentierhaltung? Ja, es werden „eine Masse von Tieren“ gehalten – aber man sieht förmlich, wie sich die Individuen wohlfühlen. Die negative Besetzung dieses Begriffes trifft heute nicht mehr zu. Doch wir haben es versäumt, dies zu berichtigen.


Wer auf seinem Betrieb alles selbst machen muss (Säen, Düngen, Ernten, Silieren, Melken, Füttern, Trecker fahren…), macht zwar „alles“, aber die Frage bleibt offen, ob alles auch „super“ ist. Beispiel Milchviehfütterung: Die Silagequalität ist ganz wichtig, denn die Kühe brauchen allerbeste Grundfutterqualitäten – ob der Allrounder die benötigte Futterqualität (Silierhilfsmittel, Verdichtung etc.) immer hinbekommt?


Und hier kommen wir eben sehr schnell an die Grenzen des landwirtschaftlichen Managements. Wir können es „Überforderung“ nennen. Wie viele überforderte Landwirte stehen kurz vor dem Burn out? Und der Berater sagt noch: mehr Kühe, höhere Leistung, damit du Geld verdienst – so ein Quatsch. Dieser Landwirt braucht Kühe, mit denen er arbeiten kann.

 

Mit Maseratis, die keinen Fehler verzeihen, tun wir uns gewaltig schwer. Polos sind hier weitaus toleranter. Diese genügsamen Autos stecken auch „Fehler“ mehr oder weniger gut weg. Und so ist das auch mit den Kühen. Hoch leistende Tiere verzeihen keinen Fehler, sei er auch noch so klein. Für den Allrounder ist es eben besser mit Kühen zu arbeiten, mit denen er auch gut umgehen kann. Wir müssen umdenken. Kühe und Manager (Tierwirt) müssen zusammen passen.


Was muss oder was kann denn nun anders werden?


Hellwig:Wir befinden uns derzeit in einem Umbruch. „Mehr Leistung“, wie das Ziel der Züchtung der letzten Jahre war, ist kaum noch in der Praxis realisierbar. Aber: Ein Milchviehbetrieb muss mit der Milch Geld verdienen, ein Ferkelerzeuger mit dem Verkauf von Ferkeln. Er will in dieser schwierigen Zeit der niedrigen Preise möglichst wenig „drauflegen“.

 

Und gleichzeitig sehen die Bürger die Tierhaltung mehr und mehr kritisch. Wir müssen dem gerecht werden und zeigen, dass wir „es können“ und dass es den Tieren gut dabei geht. Und wenn der Tierbetreuer sich überfordert fühlt, müssen wir überlegen, ob er nicht „Golf“ fährt anstatt „Maserati“.

 

Der Untertitel der Tagung lautet ja: Verantwortung der Tierärzte für Tier, Mensch und Umwelt. Wieso eigentlich auch für Mensch und Umwelt?


Hellwig:Landwirte und Tierärzte sind einer ständigen Kritik ausgesetzt: „Antibiotika fördern Resistenzen für den Menschen, Antibiotika kontaminieren die Umwelt; multiresistente Keime verbreiten sich durch die Luft, allein wenn schon ein Viehanhänger durch Wohngebiete fährt,…“, so höre ich es bald jeden Tag. Und dann die so genannte Massentierhaltung, die der Verbraucher nicht mehr akzeptiert.

 

Die „14 Weisen“ des Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik (WBA) fordern in einem kürzlich veröffentlichten Gutachten zur Akzeptanz der Nutztierhaltung grundlegende Veränderungen der Nutztierhaltung. Die Autoren machen u.a. sehr deutlich, dass wir den Ansprüchen der Konsumenten nachkommen müssen, die der industriellen Hochleistungslandwirtschaft kritisch gegenüber stehen.

 

Tierärzte und Landwirte dürfen diese Entwicklung nicht ignorieren. Im Gegenteil: Wir müssen auf die Bürger und Verbraucher zugehen und auf deren Wünsche und Forderungen mehr eingehen als bisher. Eine der 14 Weisen wird mit  uns auf der Haupttagung diskutieren und wir wollen gemeinsam Wege suchen, die Nutztierhaltung akzeptabler zu gestalten.

 

Das Anliegen, durch Prävention Arzneimittel einzusparen, dient auch dem Umweltgedanken. So kann zum Beispiel mit einer besseren Futterausnutzung eine mögliche zusätzliche Umweltbelastung reduziert werden (geringere N-Produktion). Auch die „Tiermanager“, also die Landwirte, können durch spezielle tierärztliche Beratung betriebsindividuelle Ziele ihrer Tierproduktion diskutieren und entsprechende Schwerpunkte setzen, die nicht immer nur die Prämisse „mehr und mehr Leistung“ bedeuten muss.


Ich weiß, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Dennoch die einfache Bitte: Nennen Sie mir die aus Ihrer Sicht wichtigsten Faktoren, die zukünftig beim Schwein und Rind beachtet werden sollten.


Hellwig:Unsere moderne Tierproduktion ist tiergerechter denn je. Denken Sie nur im Kuhbereich an die Laufstallhaltung, wo die Tiere selbst entscheiden können, wann sie zum Melken gehen. Wir kennen alle noch die Anbindehaltung in meist dunklen Ställen, wo (in der Regel) die Bäuerin die Kühe gemolken hat. Die Arbeit war damals für die Landwirtschaft sehr mühsam und von Tierwohl konnte man, im Vergleich zum Laufstall, sicher nicht sprechen.

 

Ähnlich bei den Schweinen, die mit Schultergurten bzw. engen Kastenstände ein Leben fristen mussten. Heute laufen die Tiere mit guter Luft, viel Licht und genügend Futter und Wasser. Die Tierhaltung hat sich enorm zum Wohle der Tiere verbessert. Natürlich mag es hier und da Ausnahmen (schlechter geführte Betriebe mit Tierwohlmängeln) geben, das darf allerdings nicht zur Verallgemeinerung und Negierung der Landwirtschaft führen.


Allerdings scheint die schon immer angestrebte Leistungsverbesserung heute an ihren Grenzen angekommen zu sein. Immer mehr, immer schneller, immer weiter… – immer mehr Milch, immer mehr geborene Ferkel, immer höhere Zunahmen… . Diese althergebrachten Ziele sind kritisch zu überdenken.


Doch jetzt konkret zu den Faktoren: Züchterisch müssen wir bei Kühen auf bessere Futterverwertung und Futteraufnahme selektieren, mit guten „Füßen“ und gesunden Tieren. Ganz wichtig ist eine physiologische Futterzusammensetzung verbunden mit bester Futterhygiene. Dem Schwein müssen wir die Möglichkeiten bieten, z.B. mittels physiologie-optimiertem Futter die Darmgesundheit zu stabilisieren. Die Züchtung sollte uns gesunde vitale und möglichst krankheitsresistente Ferkel  liefern, die von „guten“ Müttern (positive Muttereigenschaften) aufgezogen werden. Wir brauchen Züchtungen, bzw. Kreuzungen, die dem Managementgrad des Betriebes entsprechen.


Jeder Tierwirt soll diejenigen Tiere in seine Obhut bekommen, mit denen er gut und optimal arbeiten kann und nicht überfordert ist, wie es heute oft der Fall ist.  Jeder Landwirt muss sich fort- und weiterbilden, damit er neue Impulse für die sich in seiner Obhut befindlichen Tiere bekommt und seine tägliche Arbeit kritisch hinterfragen und optimieren kann. Das alles ist dann gelebter Tierschutz.

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