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Der etikettierte Fisch – und der überforderte Verbraucher!?

Ein Kommentar von Prof. Dr. Ulrich Nöhle: Die Weltmeere drohen hoffnungslos überfischt zu werden. Seit 10 Jahren bleibt die Menge des gefangenen Seefisches trotz steigender Fangkapazitäten konstant.

Lesezeit: 5 Minuten

Ein Kommentar von Prof. Dr. Ulrich Nöhle,Lebensmittelchemiker, Vorsitzender der Verbraucherkommission beim Niedersächsischen Agrarministerium auf lebensmittelwirtschaft.org:


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Die Weltmeere drohen hoffnungslos überfischt zu werden. Seit 10 Jahren bleibt die Menge des gefangenen Seefisches trotz steigender Fangkapazitäten konstant. Ein Zuwachs kommt nur noch aus Aquakultur. Dabei ist Fisch ein zunehmend beliebtes Lebensmittel, im Vergleich zu anderen Lebensmitteln meist fettarm, wohlschmeckend, leicht verdaulich und schnell zuzubereiten.


Die zuständigen Behörden und etliche private Organisationen versuchen, die Überfischung durch Fangquoten, durch nachhaltige Befischung, durch Vermarktungspläne …..und durch Etikettierung zu verhindern. Durch Etikettierung? Wie soll das funktionieren?


Verständliche Informationen für bewusste Kaufentscheidungen


Dazu definiert der 21. Erwägungsgrund der V(EU)1379/2013 (Gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei…): „Den Verbrauchern müssen klare und verständliche Informationen unter anderem über die Herkunft und das Verfahren für die Produktion der Erzeugnisse zur Verfügung gestellt werden, um es ihnen zu ermöglichen, bewusste Kaufentscheidungen zu treffen“.

Demgemäß findet der Kunde auf der Verpackung eines Fisches folgende Informationen:

  • Die Handelsbezeichung des Fisches und seinen wissenschaftlichen Namen, und zwar in lateinischer Sprache mit Gattung und Spezies
  • Die Produktionsmethode mit „gefangen in“, „aus Binnenfischerei“, „aus Aquakultur“
  • Das Fanggebiet und das Unterfanggebiet sowie die Fanggebietsnummer gemäß einer Liste der Food and Agricultural Organisation ergänzt durch eine Karte oder ein Piktogramms, aus dem der Verbraucher entnehmen kann, wo das Fanggebiet auf unserem Globus liegt.
  • Die Kategorie des eingesetzten Fanggerätes. Dazu zählen Wadennetze, Schleppnetze, Kiemennetze, Umschliessungs- und Hebenetze, Haken und Langleinen, Dredgen sowie Reusen und
  • Der Auftauhinweis, falls das Produkt vorher schon einmal gefroren war
  • Das Mindesthaltbarkeitsdatum Aufbewahrungshinweis, einschl. ggf. Schutzatmosphäre, ggf. die Losnummer
  • Den Zubereitungshinweis, B. „filettiert“
  • Den Verarbeitungshinweis, B. „geräuchert“
  • Die Zutatenliste der Allergene
  • Die Nettofüllmenge
  • Die Anschrift des Lebensmittelunternehmers
  • Das Identitätskennzeichen des Herstellers
  • Die Nährwertdeklaration (ab 13.12.2016)
Zusätzlich kann freiwillig angegeben werden:

  • Der Zeitpunkt des Fangs oder der Entnahme bei Aquakultur
  • Der Tag der Anlandung
  • Der Anlandehafen
  • Die Fanggeräteeinzelbezeichnung. Für das Fanggerät „Schleppnetz“ wären mögliche Einzelbezeichnungen: Baumkurren, Grundscherbrettnetze, Zweischiffgrundschleppnetze, Pelagische Scherbrettnetze, Pelagische Zweischiffschleppnetze und Grundscherbrett-Hosennetze
  • Den Flaggenstaat des Fischereifahrzeuges
  • Ehtische oder soziale Informationen
  • Produktionstechniken oder Produktionsmethoden
Für Deutschlands beliebtesten Fisch, den Alaska-Seelachs, aus dem u.a. auch die Fischstäbchen hergestellt werden, liest sich das Etikett dann konkret:


Alaska-Seelachs (Theragra Chalcogramma)

filettiert

Wildfang

Fanggerät: Pelagisches Scherbrettnetz

Fanggebiet: FAO 67, Nordostpazifik + Piktogramm

Subfanggebiet: Beringsee

Fangschiff: Rebecca Irene (USA)

Fangzeitraum: März 2015

Anlandehafen: Dutch Habor, 29.3.2015

MSC zertifiziert

Bei -18 Grad C mindestens haltbar bis: 31.12.2015

LosNr. ABC 1234

400 g

Global Fish GmbH, Hamburg

Zulassungsnummer: DE   MV-EFB-xyz   EG

+ diverse Hinweise auf die Produktionstechniken




Ich frage mich, wie sieht denn die im 21. Erwägungsgrund eingeforderte „bewusste Kaufentscheidung“ des Verbrauchers durch diese umfängliche Information jetzt aus?


Beherrscht er die lateinische Sprache und kennt er sich biologisch mit den Familien, Gattungen und Spezies der Fische aus? Weiß der mündige EuGH-Verbraucher wirklich, was ein Pelagisches Scherbrettnetz ist und kennt er die Vor- und Nachteile zu einem Grundscherbrett-Hosennetz? Ist er mit dem Fanggerät möglicherweise nicht einverstanden und sucht den gleichen Fisch mit einem anderen Fanggerät? Ist er vielleicht mit dem Fangschiff nicht einverstanden oder will er einen bestimmten Anlandehafen boykottieren und sucht so lange in der Tiefkühltruhe zwischen den Fischen herum, bis er den Alaska-Seelachs aus Cuxhaven findet? Sicherlich nicht.


Verbraucherrätsel


Gibt es mehr als 30 Personen in Deutschland, die die o.g. Etikettierung wirklich verstehen und tatsächlich als Grundlage zur Kaufentscheidung nutzen? Oder wälzt der Verordnungsgeber hier möglicherweise einen mangelnden Vollzug von Rechtsvorschriften zum Schutz der Fischbestände auf hoher See dadurch auf den Verbraucher ab, indem er „alles“ auf die Verpackung drucken lässt, um dem Verbraucher zu sagen „Selber Schuld, Sie hatten doch die Wahl und hätten sich anstelle für Theragra Chalcogramma aus FAO 67 per Pelagischem Scherbrettnetz ja auch für Clupa harengus aus FAO 27, Subfanggebiet IVa mit Zweischiff-Wadennetz und Anlandehafen Hirtshals entscheiden können“ (Verbraucherrätsel: Um welchen Fisch handelt es sich? Wo und wie wurde er gefangen? Die Auflösung finden Sie unten.)


Um Missverständnisse zu vermeiden: Illegale Fischerei mit nicht zugelassenem Fanggerät durch nicht identifizierte Schiffe einschließlich Umladen der Fische auf Hoher See, Umpacken in SO-Asien und damit völlige Verschleierung der supply chain ist eine kriminelle Handlung und muss zum Schutz der Fischbestände und letztlich zum Schutz der Verbraucher mit aller Schärfe verfolgt und unterbunden werden…..aber doch nicht durch den Verbraucher per Etikettierung, sondern durch einen angemessenen Vollzug. Dieser ist – zugegeben – bei Seefisch aus dem Pazifik in internationalen Gewässern auf Hoher See sehr schwierig. Doch ein „Vollzug per Etikett durch den Verbraucher“ kann wohl nicht zielführend sein.


Kennzeichnung von Fleisch- und Fleischerzeugnissen


Ähnliches Ungemach droht in den kommenden Jahren in Bezug auf die Kennzeichnung von Fleisch- und Fleischerzeugnissen in Bezug auf Tierwohl in der industriellen Nutztierhaltung auch in zusammengesetzten Lebensmitteln. Dann könnte demnächst auf der Salami-Pizza stehen: „Zutaten: …Mehl….Salami (Schweinefleisch (Schwein geboren in den Niederlanden, gemästet in Belgien, geschlachtet in Deutschland, ohne kupierte Schwänze und mit organischem Beschäftigungsmaterial und 20% mehr Platz)….Tomaten…Gewürze….“. Und der Verbraucher sucht dann die Pizza mit der Salami mit dem Schwein aus Dänemark mit dem Zusatzmerkmal „Saufen aus der Fläche“?


Nein – Vollzug von Rechtsvorschriften durch die Vollzugsbehörden – Ernährung und Genuss durch den Verbraucher.


(Auflösung des Verbraucherrätsels Fisch: Clupa harengus = Hering; FAO 27 = Nordostatlantik, Subfanggebiet IVa = nördliche Nordsee, Wade = ringförmiges Netz; Hirtshals liegt an der jütländischen Nordseeküste Dänemarks – haben Sie’s gewusst ?)

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