Der Handel spielt die Molkereien gegeneinander aus, weil sie zu wenig auf neue Markenprodukte und gezieltes Marketing setzen. Das meint Wettbewerbs-Experte Prof. Christian Wey. Viele Landwirte machen die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) für die Preiskrise am Milchmarkt verantwortlich. Sie auch? Wey: Nein
Der Handel spielt die Molkereien gegeneinander aus, weil sie zu wenig auf neue Markenprodukte und gezieltes Marketing setzen. Das meint Wettbewerbs-Experte Prof. Christian Wey.
Viele Landwirte machen die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) für die Preiskrise am Milchmarkt verantwortlich. Sie auch? Wey: Nein. Es stimmt zwar, dass der deutsche LEH relativ stark konzentriert ist. Die Bauern und Molkereien könnten allerdings ein stärkeres Gegengewicht aufbauen, wenn sie versuchen würden, sich mit ihren Produkten stärker von den Konkurrenten abzuheben, statt sich gegenseitig zu unterbieten. Das ruiniert die Preise.
Wie könnte das gehen? Wey: Indem man Produktdifferenzierung betreibt und die neuen Qualitäten massiv bewirbt. Mir als Branchenfremdem erscheint die Milchbranche da völlig unterentwickelt. Kaum eine Molkerei baut über starke Milchmarken eine Bindung zu ihren Verbrauchern auf. Es braucht mehr gute Produktideen und mehr Geld für die begleitenden Marketing-Maßnahmen. Die Molkereien, die sich auf diesen Weg begeben haben, sind mit Milchshakes für Kinder, Joghurt oder hochwertigem Käse sehr erfolgreich. Nur sind das wenige.
Hat der LEH ein Interesse an mehr Produktvielfalt und mehr Markenware? Wey:Die Discounter eher nicht. Sie wollen sich nicht von einer bestimmten Molkerei abhängig machen. Die Vollsortimenter aber schon. Derzeit sind zum Beispiel regionale Produkte angesagt. Wer „Dithmarscher“ oder „Allgäuer“ Milch anbietet, könnte diese mit einem Preisaufschlag verkaufen. Deswegen stimmt die Mär vom allmächtigen LEH nur bedingt. Das Problem liegt eher auf der Seite der Molkereien. Sie machen zu wenig aus ihren Möglichkeiten.
Also auch mehr Bio- oder Weidemilch anbieten? Wey:Jein. Die Umwelt und die Tiere sind den meisten Verbrauchern egal. Deshalb werden sie dafür kaum mehr Geld ausgeben. Empfindlicher sind sie schon beim Thema Gesundheit. Denken Sie nur daran, wie panisch die Verbraucher auf BSE und EHEC reagiert haben. Umwelt- oder tiergerechte Produkte lassen sich deswegen nur dann teurer verkaufen, wenn der Verbraucher glaubt, dass sie auch gesünder und sicherer sind. Die Werbung sollte daher auf den Gesundheitsaspekt abzielen.
Die EU erlaubt nun auch Genossenschaftsmolkereien, ihre Milchmengen mit den Bauern abzustimmen. Wie viel Marktentlastung bringt das? Wey: Wenig. Da müssten schon alle Molkereien mitziehen. Faktisch hätte aber jede einzelne Molkerei einen Anreiz, wieder mehr zu produzieren, sobald die anderen die Menge drosseln und der Preis etwas ansteigt. Deswegen ist das auf lange Sicht keine Lösung.
Was bringt alternativ die Gründung von gemeinsamen Verkaufskontoren? Wey: Auch nicht viel. Selbst wenn die Molkereien beim Bundeskartellamt damit durchkommen, wäre das kein stabiles Gebilde. Der Anreiz für einzelne Mitglieder, die anderen zu hintergehen und wieder selbstständig zu verkaufen, wäre auch hier zu groß.
Wieso fiel es dann der Zuckerbranche so leicht, über Jahre Preise abzusprechen? Wey: Weil sich die wenigen Mitglieder des Zucker-Kartells leicht absprechen und kontrollieren konnten. Bei weit über hundert deutschen Molkereien halte ich das für sehr schwierig.
Wie können die Molkereien dann ihre Marktmacht verbessern? Wey: Indem sie fusionieren. So kann der LEH nicht mehr einfach vom Verhandlungstisch aufstehen und bei einer anderen Molkerei kaufen. Er wird sich ernsthafte Sorgen über seine Versorgung mit Milch machen. Dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu zahlen.
Würde das Kartellamt solche Fusionen genehmigen? Wey: Da sehe ich Chancen. Die Molkereien könnten argumentieren, dass sich dadurch die Machtverhältnisse angleichen. Das Kartellamt hält die Marktmacht des LEH ohnehin für zu hoch – eine Meinung, die ich übrigens nicht teile.
Warum nicht? Wey: Das Kartellamt geht davon aus, dass nur bestimmte Supermärkte untereinander konkurrieren, z. B. Discounter nur gegen Discounter, Vollsortimenter nur gegen Vollsortimenter. Das stimmt nicht mehr. Heute führen die Vollsortimenter billige Eigenmarken und bei den Discountern liegen Markenprodukte in den Regalen. Der Wettbewerb ist daher lebhafter, als das Kartellamt behauptet. Deshalb ist die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch die Edeka auch kein Problem.
Die Agrarminister der Länder drohen mit einer staatlichen Mengenreduzierung, wenn die Milchmenge nicht sinkt. Was halten Sie davon? Wey: Nichts. Mit derartigen staatlichen Eingriffen sorgt man nur dafür, dass sich eine Branche nicht mehr weiterentwickelt. Man nimmt Landwirten und Molkereien den Druck, in Innovation und Wertschöpfung zu investieren.
Was passiert, wenn man die Andienungs- und Abnahmepflicht bei den genossenschaftlichen Molkereien abschafft? Wey: Das würde den Strukturwandel verstärken. Denn die Bauern müssten mit ihren Molkereien dann immer wieder neue Verträge aushandeln. Sie wären noch stärker gezwungen, sich ständig effizienter – und damit vor allem größer – aufzustellen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Insofern dient das jetzige System dem Erhalt bäuerlicher Strukturen.
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Der Handel spielt die Molkereien gegeneinander aus, weil sie zu wenig auf neue Markenprodukte und gezieltes Marketing setzen. Das meint Wettbewerbs-Experte Prof. Christian Wey.
Viele Landwirte machen die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) für die Preiskrise am Milchmarkt verantwortlich. Sie auch? Wey: Nein. Es stimmt zwar, dass der deutsche LEH relativ stark konzentriert ist. Die Bauern und Molkereien könnten allerdings ein stärkeres Gegengewicht aufbauen, wenn sie versuchen würden, sich mit ihren Produkten stärker von den Konkurrenten abzuheben, statt sich gegenseitig zu unterbieten. Das ruiniert die Preise.
Wie könnte das gehen? Wey: Indem man Produktdifferenzierung betreibt und die neuen Qualitäten massiv bewirbt. Mir als Branchenfremdem erscheint die Milchbranche da völlig unterentwickelt. Kaum eine Molkerei baut über starke Milchmarken eine Bindung zu ihren Verbrauchern auf. Es braucht mehr gute Produktideen und mehr Geld für die begleitenden Marketing-Maßnahmen. Die Molkereien, die sich auf diesen Weg begeben haben, sind mit Milchshakes für Kinder, Joghurt oder hochwertigem Käse sehr erfolgreich. Nur sind das wenige.
Hat der LEH ein Interesse an mehr Produktvielfalt und mehr Markenware? Wey:Die Discounter eher nicht. Sie wollen sich nicht von einer bestimmten Molkerei abhängig machen. Die Vollsortimenter aber schon. Derzeit sind zum Beispiel regionale Produkte angesagt. Wer „Dithmarscher“ oder „Allgäuer“ Milch anbietet, könnte diese mit einem Preisaufschlag verkaufen. Deswegen stimmt die Mär vom allmächtigen LEH nur bedingt. Das Problem liegt eher auf der Seite der Molkereien. Sie machen zu wenig aus ihren Möglichkeiten.
Also auch mehr Bio- oder Weidemilch anbieten? Wey:Jein. Die Umwelt und die Tiere sind den meisten Verbrauchern egal. Deshalb werden sie dafür kaum mehr Geld ausgeben. Empfindlicher sind sie schon beim Thema Gesundheit. Denken Sie nur daran, wie panisch die Verbraucher auf BSE und EHEC reagiert haben. Umwelt- oder tiergerechte Produkte lassen sich deswegen nur dann teurer verkaufen, wenn der Verbraucher glaubt, dass sie auch gesünder und sicherer sind. Die Werbung sollte daher auf den Gesundheitsaspekt abzielen.
Die EU erlaubt nun auch Genossenschaftsmolkereien, ihre Milchmengen mit den Bauern abzustimmen. Wie viel Marktentlastung bringt das? Wey: Wenig. Da müssten schon alle Molkereien mitziehen. Faktisch hätte aber jede einzelne Molkerei einen Anreiz, wieder mehr zu produzieren, sobald die anderen die Menge drosseln und der Preis etwas ansteigt. Deswegen ist das auf lange Sicht keine Lösung.
Was bringt alternativ die Gründung von gemeinsamen Verkaufskontoren? Wey: Auch nicht viel. Selbst wenn die Molkereien beim Bundeskartellamt damit durchkommen, wäre das kein stabiles Gebilde. Der Anreiz für einzelne Mitglieder, die anderen zu hintergehen und wieder selbstständig zu verkaufen, wäre auch hier zu groß.
Wieso fiel es dann der Zuckerbranche so leicht, über Jahre Preise abzusprechen? Wey: Weil sich die wenigen Mitglieder des Zucker-Kartells leicht absprechen und kontrollieren konnten. Bei weit über hundert deutschen Molkereien halte ich das für sehr schwierig.
Wie können die Molkereien dann ihre Marktmacht verbessern? Wey: Indem sie fusionieren. So kann der LEH nicht mehr einfach vom Verhandlungstisch aufstehen und bei einer anderen Molkerei kaufen. Er wird sich ernsthafte Sorgen über seine Versorgung mit Milch machen. Dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu zahlen.
Würde das Kartellamt solche Fusionen genehmigen? Wey: Da sehe ich Chancen. Die Molkereien könnten argumentieren, dass sich dadurch die Machtverhältnisse angleichen. Das Kartellamt hält die Marktmacht des LEH ohnehin für zu hoch – eine Meinung, die ich übrigens nicht teile.
Warum nicht? Wey: Das Kartellamt geht davon aus, dass nur bestimmte Supermärkte untereinander konkurrieren, z. B. Discounter nur gegen Discounter, Vollsortimenter nur gegen Vollsortimenter. Das stimmt nicht mehr. Heute führen die Vollsortimenter billige Eigenmarken und bei den Discountern liegen Markenprodukte in den Regalen. Der Wettbewerb ist daher lebhafter, als das Kartellamt behauptet. Deshalb ist die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch die Edeka auch kein Problem.
Die Agrarminister der Länder drohen mit einer staatlichen Mengenreduzierung, wenn die Milchmenge nicht sinkt. Was halten Sie davon? Wey: Nichts. Mit derartigen staatlichen Eingriffen sorgt man nur dafür, dass sich eine Branche nicht mehr weiterentwickelt. Man nimmt Landwirten und Molkereien den Druck, in Innovation und Wertschöpfung zu investieren.
Was passiert, wenn man die Andienungs- und Abnahmepflicht bei den genossenschaftlichen Molkereien abschafft? Wey: Das würde den Strukturwandel verstärken. Denn die Bauern müssten mit ihren Molkereien dann immer wieder neue Verträge aushandeln. Sie wären noch stärker gezwungen, sich ständig effizienter – und damit vor allem größer – aufzustellen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Insofern dient das jetzige System dem Erhalt bäuerlicher Strukturen.