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Phagen statt Antibiotikum?

Phagen sind natürlich vorkommende Viren, die nur gegen bestimmte Bakterien wirken. Sie sind relativ stabil und könnten den Antibiotikaeinsatz teils ersetzen. Rückstände hinterlassen sie nicht.

Lesezeit: 4 Minuten

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben".

Mit weltweit 1031 Bakteriophagen kommen diese zehnmal häufiger vor als Bakterien. So findet man im Wasser von Seen bis zu 100 Mio. Phagen pro Milliliter. In Böden können es sogar bis zu 1 Mrd. Phagen pro Gramm sein.

Wie Sophie Kittler erläutert, sind Phagen verantwortlich für 20 bis 50% aller Bakterieninaktivierungen. Kittler, die am Institut für Lebensmittelsicherheit an der Stiftung Tierärztliche Hochschule (TiHo) zu Phagen forscht, erklärt deren Wirkung auf einer Tagung der Deutschen Gruppe der World Poultry Science Association (WPSA).

Keime wieder empfänglich

Weil Phagen behüllt sind, bleiben sie in der Umwelt stabil. Sie wirken nur gegen bestimmte Bakterien. Es gibt verschiedene Arten von Phagen, die nicht alle für einen therapeutischen Einsatz geeignet sind. Lytische Phagen kommen dafür infrage. Sie vermehren sich nach dem Andocken an eine Bakterienzelle darin, bis die Zelle schließlich platzt und sich damit auflöst. So werden weitere Phagen an die Umgebung abgegeben.

Wie effektiv sie gegen ein Bakterium wirken, ist unabhängig davon, ob eine Antibiotikaresistenz dieses Bakteriums besteht. Mehr noch: Neueste Erkenntnisse belegen, dass Phagen dazu führen können, dass ein resistentes Bakterium wieder empfänglich wird für ein Antibiotikum. Dies gelingt, weil Phagen in der Lage sind, die Struktur eines Bakteriums zu verändern.

Resistenzbildung möglich

Es gibt allerdings auch verschiedene Möglichkeiten einer Resistenzbildung von Bakterien gegenüber Phagen. Wie das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) schreibt, ist dafür am häufigsten eine Resistenz durch Veränderung des Erbguts verantwortlich. Dabei werden die bakteriellen Rezeptoren so verändert, dass die Phagen nicht mehr binden können.

Allerdings wird dadurch oft auch die Fitness oder das krankmachende Potenzial der Bakterien verringert. Darüber hi­naus kann die Aufnahme und ­Vervielfältigung des Phagen-Erbguts verhindert und in die Zelle eingedrungenes Phagen-Erbgut zerschnitten und damit unwirksam gemacht werden.

Grundsätzlich sei aber festzustellen, dass es eine quasi gemeinsame Weiterentwicklung von Bakterien und Phagen gibt. Das bedeutet, dass bei einer Resistenzbildung der Bakterien die Phagen recht leicht durch Verändern ihres Erbmaterials dieser Resistenz entgegenwirken.

Ein Versuch an der Geflügelklinik der TiHo zeigte, dass trotz einer vorhandenen Resistenz der Bakterien gegen Phagen eine Reduzierung von Campylobacter erfolgte. Auch in kombinierter Anwendung von Phagen, organischen Säuren und Kurkumin wurde die Campylobacter-Konzentration gesenkt. Die mit einem probiotischen Produkt gekoppelte Anwendung von Phagen zeigte eine noch bessere Wirkung.

„Bei der Kombination von Phagen mit anderen Produkten erreicht man, dass die Phagen sich um den Hauptkeim kümmern und zum Beispiel Säuren oder Probiotika die ­anderen vorhandenen Nebenkeime klein halten.“ So erklärt es Geflügeltierarzt Dr. Erwin Sieverding. Statt der Addition der Effekte erhofft man sich bei gleichzeitigem Einsatz eine potenzierende Wirkung.

Kombination zeigt Wirkung

Kittler erläuterte, dass eine Behandlung mit Phagen generell komplizierter ist als der Einsatz eines Antibiotikums. Bei Campylobacter sei eine Reduzierung um 2,5 Logstufen nachgewiesen – allerdings im Labor. Auf Praxisbetrieben hält Kittler eine Reduzierung um eine Logstufe (z. B. von 108 auf 107 Keimen) für realistisch.

Sollten Phagen zur Behandlung bei bakteriellen Infektionen zum Einsatz kommen dürfen, könnte es nach Kittler so ablaufen, dass der Tierarzt die krankmachenden Keime an ein Phagenzentrum sendet. Dort würden passende Phagen zur Behandlung ausgewählt.

Hohe rechtliche Auflagen

Noch ist der direkte Einsatz von Phagen am Nutztier rechtlich nicht geklärt. Schwierig sei es, so erläutert Sieverding, eine genau spezifizierte und definierte Menge an Phagen in einem Produkt zu standardisieren. Dies müsse aufgrund möglicher Resistenzausbildung, ähnlich wie bei bestandsspezifischen Impfstoffen, gelegentlich aktualisiert werden.

In Deutschland sind bis heute keine Phagen-Präparate zugelassen. Anders sieht es in Europa aus. In den Niederlanden, Polen, Ungarn, Frankreich, Tschechien, Norwegen und dem Vereinigten Königreich sind Phagen-Präparate für die Pflanzen- und Tierzucht erhältlich.

Einsatz zur Metaphylaxe

Sieverding steht einem Einsatz von Phagen offen gegenüber. Er sieht sie nicht als direkte Konkurrenz zu Antibiotika, sondern würde sie eher zur Metaphylaxe einsetzen, beispielsweise vor dem Vorfangen von Hähnchen. „Was wir nicht wollen, ist Tiere mit Antibiotika behandeln, die vielleicht krank werden könnten“, sagt er.

Hier sieht er das Haupteinsatzgebiet der Phagen und nennt ein weiteres Beispiel: ein Betrieb, der in der dritten Woche häufiger Probleme mit Clostridien hat. Entscheidend sei, so macht Sieverding klar, dass Phagen rechtzeitig im Vorfeld verabreicht werden und nicht erst, wenn die Tiere Symptome zeigen.

Phagen haben aus seiner Sicht Vorteile: Geht ihnen die Nahrungsgrundlage (der Keim) aus, so sterben sie ab. Es gibt also keine Rückstandproblematik wie bei Antibiotika. Natur und Umwelt werden nicht negativ beeinflusst. „Ich kann bei so einem Naturprodukt aber nicht erwarten, dass ich 100% davon kenne“, sagt Sieverding. Solange diese Auflagen gelten und entsprechende Produkte mit chemischen Parametern bewertet werden, sieht er keine Chance für ein Phagen-Produkt mit direkter Anwendung am Tier. Doch könnte eine Kombinationstherapie aus Antibiotikum und Phagen ein neuer Ansatz in der Geflügelmedizin sein.

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