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Das große Gerangel um die Hähnchen

Lesezeit: 9 Minuten

Endlich verdienen die Hähnchenmäster wieder Geld. Je schwerer die Tiere, desto besser die Ergebnisse. So scheint es. Ist das nachhaltig?


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Höhere Baukosten, teurere Energie und deutlich gestiegene Futterpreise: Schon rein wirtschaftlich hatten viele Hähnchenhalter im vergangenen Jahr nur wenig Freude an ihrem Geschäft. Und das wohlgemerkt in einer Zeit, in der sich viele von ihnen, als „agrarindustrielle Massentierhalter“ beschimpfen lassen mussten. Jetzt scheinen die Betriebe wieder in etwas ruhigeres Fahrwasser zu steuern.


Aktuelle Auswertungen der Landwirtschaftskammer Niedersachsen zeigen, dass sich die wirtschaftliche Situation der Hähnchenhalter im Wirtschaftsjahr 2011/12 wieder positiver entwickelt hat. Zuletzt erzielten die Mäster im Durchschnitt eine Direktkostenfreie Leistung von 41 €/m2 (Übersicht 1). Das obere Viertel der Betriebe kam sogar auf Werte jenseits der 50 €/m2-Marke. Bei diesem Niveau sind alle Kosten gedeckt. Neben einer angemessenen Vergütung für die geleistete Arbeit und das im Stall gebundene Kapital bleibt noch ein echter Unternehmergewinn.


Auffällig ist aber, dass die Einkommensschere zwischen den Betrieben zunehmend auseinander läuft (ebenfalls Übersicht 1). Während die Mast für das untere Viertel der Betriebe im Wirtschaftsjahr 2010/11 zum Zuschussgeschäft wurde, war bei den oberen 25 % kein Einbruch festzustellen.


Was sind die Gründe für den aktuellen Aufwärtstrend? Und woher kommen die großen Unterschiede?


Höhere Kosten, höhere Preise:

Ein Blick auf die Daten eines der größten niedersächsischen Arbeitskreise für Hähnchenmast macht deutlich, dass vor allem die Kosten für Energie und Futter deutlich angezogen haben. Wer heute einen neuen 40 000er-Hähnchenstall bauen möchte, zahlt rund 50 000 € mehr als noch vor zwei Jahren.


Auf der anderen Seite haben aber auch die biologischen Leistungen und die Auszahlungspreise einen Schritt gemacht. In der aktuellen Auswertung erzielten die Betriebsleiter durchschnittliche Tageszunahmen von gut 60 g pro Tier und Tag (Übersicht 2, Seite 28). Die Futterverwertung lag bei 1:1,65. Und die Verluste tendierten gegen 4 %. Die größte Stellschraube für die Wirtschaftlichkeit blieb aber der Hähnchenpreis. Die Mäster erlösten zuletzt über 90 Ct/kg. Das sind ca. 10 Ct/kg mehr als noch vor zwei Jahren.


Große Unterschiede:

Auffällig ist, dass die Schere zwischen den guten und weniger guten Betrieben größer wird. Das obere Viertel der Betriebsleiter verkauft schwerere Tiere zu einem besseren Preis. Und es erzielt höhere Tageszunahmen bei einer günstigeren Futterverwertung. Das schlägt voll durch auf die Wirtschaftlichkeit. Unterm Strich liegen derzeit 12 € Direktkostenfreie Leistung pro Quadratmeter Stallfläche zwischen den erfolgreichen und den weniger erfolgreichen Betrieben. Tendenz: Steigend.


Sind die zunehmenden Unterschiede allein auf die unterschiedlichen Unternehmerleistungen zurückzuführen? Zu einem guten Teil, mit Sicherheit. Es entspricht der Natur der Sache, dass der eine Mäster ein besseres Auge und Händchen für seine Broiler hat als sein Nachbar.


Karl Uhlenberg, langjähriger Geflügelberater bei der Landwirtschaftskammer in Aschendorff, hält es entsprechend für überbewertet, für welchen Partner ein Mäster produziert. „Ob Wiesenhof, Rothkötter oder ein Holländer“, ist er überzeugt, „unterm Strich tun sich die großen Integratoren alle nicht viel.“ Uhlenberg beobachtet auch, dass Mäster häufiger als in der Vergangenheit ihre Partner wechseln. Dies geschehe aber in alle Richtungen, ohne eine klare Präferenz für einen Integrator.


Drum prüfe wer sich bindet:

Henning Pieper, Geflügelberater bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen in Hameln, sieht das anders. Er analysiert die Konditionen der großen Marktpartner seit Jahren sehr genau und beobachtet zurzeit in seinem Arbeitskreis eine deutliche Unwucht zwischen den Vermarktungswegen.


Die entscheidende Größe, um die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Mastverfahren zu vergleichen, ist die Direktkostenfreie Leistung pro Quadratmeter Stallfläche. Hier haben schwerere Tiere zurzeit einen klaren Vorteil. In der Leicht- und Mittelmast (Hauptgriff mit weniger als 2,2 kg bzw. 2,2 bis 2,5 kg) erzielten die Betriebsleiter in Piepers Arbeitskreis zuletzt 38 bzw. 39 € DkfL pro m2 Stallfläche (Stand Juli 2012). In der Schwermast waren es rund 10 € pro m2 mehr. „Die Unterschiede zwischen den Vermarktungswegen sind im Moment gewaltig“, erklärt Pieper, „es ist eben nicht egal, mit welchem Partner ich mich als Mäster einlasse.“


Piepers Auswertungen zeigen, dass die Betriebe mit Schwermast vor allem aufgrund besserer biologischer Leistungen punkteten. Darüber hinaus erhielten sie trotz deutlich höherer Ausstallgewichte sogar einen Cent mehr pro kg Lebendgewicht. Woran liegt das?


„Momentan rangeln die großen Integratoren um jeden Broiler“, erklärt Prof. Hans-Wilhelm Windhorst vom Institut für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten der Hochschule Vechta (ISPA). Er hält die Zahlen der Landwirtschaftskammer für plausibel und ist überzeugt, dass die Mäster zurzeit eine gute Verhandlungsposition hätten.


Ein Auslöser dafür lässt sich aus Windhorsts Sicht an der Gemeinde Wietze im Landkreis Celle, Niedersachsen, festmachen. Dort schlachtet die Rothkötter-Gruppe seit September vergangenen Jahres Frischgeflügel und könnte bei Vollauslastung den größten Geflügelschlachthof in Europa betreiben. Von der genehmigten Auslastung von 135 Millionen Tieren im Jahr scheint das Unternehmen aus dem Emsland jedoch noch ein gutes Stück entfernt.


Auch die Wesjohann-Gruppe und andere Integratoren haben neue Kapazitäten geschaffen. Die wollen ausgelastet werden. Deshalb ist ein regelrechter Kampf um die Hähnchen entbrannt. Am deutlichsten zu spüren sind die Auswirkungen derzeit in Niedersachsen. Der Effekt strahlt aber zunehmend auf den gesamtdeutschen Markt aus.


Das Dilemma von Wiesenhof, Rothkötter und Co. lässt sich mit einer einfachen Formel auf den Punkt bringen: Die, die bauen wollen, können nicht. Und die, die bauen können, wollen nicht. Allein im Emsland sollen weiterhin rund 10 Mio. Hähnchenplätze „in der Pipeline stehen“. Hier liegen die Landkreise in Lauerstellung, was die Anpassungen der landwirtschaftlichen Privilegierung im Baurecht angeht.


Wie viele der beantragten Ställe tatsächlich gebaut werden, muss sich noch zeigen. Sicher scheint nur: Was die neuen Ställe in bisher vornehmlich durch den Ackerbau geprägten Regionen angeht, scheint sich mancher Vermarkter bislang verspekuliert zu haben. Einen gestandenen Ackerbauern zum Einstieg in die Tierhaltung zu bewegen, gestaltet sich scheinbar schwieriger, als mancher es sich vorgestellt hat. Die aktuell guten Getreide- und Rapspreise verstärken die Zurückhaltung noch zusätzlich. Zumal Organisationen wie die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL) und zahlreiche Bürgerinitiativen gezielt Stimmung gegen jeden neuen Stall machen.


Was kommt aus der Schatulle?

Man kann es aber auch positiv ausdrücken: Der Absatz, unter anderem durch den Export, scheint derzeit nicht der begrenzende Faktor im Hähnchensektor zu sein. Entsprechend entbrennt der Kampf um die Rohware.


Für die Mäster heißt das: Verhandeln Sie hart und vergleichen Sie angebotene Konditionen genau. Setzen Sie aber keine langjährige Partnerschaft leichtfertig aufs Spiel. Am Ende zählt das Gesamtpaket und nicht allein der Auszahlungspreis: Ermöglichen die gelieferten Jungtierqualitäten verlässliche und hohe biologische Leistungen? Wie gut ist es um die Beratung bestellt? Welche Rolle spielen Boni und Sonderzahlungen? Und wie flexibel reagiert der Marktpartner auf individuelle Einstallwünsche?


Viele Beobachter sind sich einig, dass die Betriebsleiter zwar kurzfristig in einer guten Verhandlungsposition sind, sich das Blatt aber auch schnell wieder wenden könnte. Manch einer fragt sogar hinter vorgehaltener Hand, ob manche Top-Kondition zurzeit „aus der Schatulle“ stammt, also mancher Schlachter höhere Preise verspricht, als er gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel kostendeckend weitergeben kann.


Export und Politik als Risiken:

Prof. Hans-Wilhelm Windhorst rät den Landwirten auch angesichts der Entwicklungen auf den internationalen Geflügelmärkten zur Besonnenheit. Man müsse sich als deutscher Produzent sicherlich nicht verstecken. Fakt sei aber, dass das Angebot an Hähnchenfleisch weiterhin schneller steige als der Verbrauch.


Durch den gesättigten Inlandsmarkt bleibt für immer größere Mengen nur der Export. Wenn Russland tatsächlich, wie jüngst angekündigt, in den kommenden Jahren zum Selbstversorger bei Geflügel aufsteigen würde, könnte das deutliche Marktverwerfungen mit sich bringen. Auch ein plötzlicher Exportstopp, z. B. durch einen Ausbruch der Vogelgrippe, bleibe ein latentes Risiko.


Dr. Klaus Damme, Leiter beim Fachzentrum für Geflügel- und Kleintierhaltung in Kitzingen, beobachtet auch aus diesem Grund eine spürbare Investitionszurückhaltung bei den Betrieben im süddeutschen Raum. Der Wissenschaftler aus Unterfranken blickt aber auch mit Sorge auf die anhaltenden Debatten um Tierschutz und den Einsatz von Antibiotika. Dieser „Systemkritik“ müsse die Branche mit guten Argumenten und intensiver Öffentlichkeitsarbeit standhalten. Außerdem glaubt er, dass die deutschen Produzenten konsequenter an einer Premiumschiene für Geflügelfleisch arbeiten sollten.


Damme verweist auf Länder wie Frankreich, in denen Hähnchenfleisch in gleich vier Handelsklassen vertrieben wird. „Wir reden von einem System, das durch mehr Platz für die Tiere, bessere Einstreu und etwas niedrigere Tageszunahmen 30 bis 50 % teurer wäre“, erklärt der Versuchsgutleiter. „Das mag vielleicht nichts für die breite Masse sein, wäre aber eine glaubwürdige Angebotsergänzung.“ Betriebsleitern, die vor Neuinvestitionen stehen, rät er sogar, von Beginn an ausreichend Platz für mögliche Extensivierungsmöglichkeiten einzuplanen. Zusätzliche Standards wie Freilaufflächen oder Außenvolieren seien in Zukunft sehr gut möglich.


Ein lösbarer Spagat?

„Ich würde zusätzliche Vermarktungsschienen nicht verteufeln“, erklärt auch Henning Pieper von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen angesichts des Kern-Dilemmas der Betriebe: Dem Spagat zwischen günstigen Geflügelprodukten für den Weltmarkt und einheimische Konsumenten mit höchsten Ansprüchen an Tierwohl und Produktqualität. Beides bleibt aus seiner Sicht eine echte Herausforderung, aber auch keine unlösbare Aufgabe für den hochproduktiven Sektor.


Erste Warnsignale im Hähnchenmarkt lassen sich also nicht leugnen. Man diskutiert sie aber wohlgemerkt in einem Betriebszweig, in dem sich in der Vergangenheit meist recht gutes Geld verdienen ließ. Hier sprechen die Betriebsleiter selbst womöglich die deutlichste Sprache: Auch wenn die Anzahl der Neueinsteiger in die Mast unter den Erwartungen von Wiesenhof, Rothkötter und Co. blieb. Wer als Mäster einmal in einen Stall investiert hat, hat in aller Regel auch einen zweiten gebaut.

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