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Biokraftstoffe: EU-Entscheidung sorgt für großes Echo

Die Abstimmung über Biokraftstoffe im Europaparlament hat erwartungsgemäß ein großes Echo und äußerst unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Befürworter und Gegner zusätzlicher Nachhaltigkeitskriterien warfen sich teilweise gegenseitig Einflussnahme vor.

Lesezeit: 10 Minuten

Die Abstimmung über Biokraftstoffe im Europaparlament hat erwartungsgemäß ein großes Echo und äußerst unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Befürworter und Gegner zusätzlicher Nachhaltigkeitskriterien warfen sich teilweise gegenseitig Einflussnahme vor. Wir haben wir Sie die wichtigsten Stimmen eingefangen:


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Die zuständige Berichterstatterin im Umweltausschuss, Corinne Lepage, sprach vor Journalisten im Anschluss an das Votum des Plenums von einer vernünftigen Obergrenze für die Förderung von Biokraftstoffen der ersten Generation. Damit gebe das Parlament ein klares Signal, dass sich die öffentliche Förderung nach 2020 fortschrittlichen Biokraftstoffen widmen sollte.


Während Christdemokraten und deutsche FDP-Politiker überzogene Regulierungsvorschläge abgewendet sehen, gehen die Beschlüsse den Sozialdemokraten, Grünen und Linken nicht weit genug. Vertreter der deutschen Biokraftstoffbranche reagierten vorsichtig erleichtert bis empört. Nichtregierungsorganisationen begrüßten dagegen die ausdrückliche Berücksichtigung indirekter Landnutzungsänderungen (iLUC), kritisierten jedoch die Anhebung des Förderdeckels von 5 % auf 6 % am Transportenergieverbrauch.


Keine Investitionssicherheit


Lepage betonte, die Einbindung indirekter Landnutzungsänderungen (iLUC) sei wichtig für die Integrität der EU-Klimapolitik. Biokraftstoffe der ersten Generation kosteten den Steuerzahler jährlich 6 bis 7 Mrd. Euro. Sie bedauerte, dass das Parlament ihr kein Mandat für schnelle Verhandlungen mit dem Rat erteilte - zwei Stimmen aus ihrer eigenen Fraktion, der Gruppe der Liberalen und Demokraten (ALDE), fehlten ihr. Investitionssicherheit bringe das nicht, so Lepage. Die linksliberale Französin, die bei zahlreichen Themen eine andere Linie vertritt als die deutsche FDP, warf der Biokraftstoffbranche Schamlosigkeit vor. Eine solche Lobbyschlacht habe sie seit Beginn ihrer Arbeit als Europaabgeordnete noch nicht erlebt.


Kein kompletter Kahlschlag


Der FDP-Europaabgeordnete Holger Krahmer, Lepages Fraktionskollege im Umweltausschuss, bezeichnete es als sinnvoll, gegen die Konkurrenz von Nahrungsmitteln und Energiepflanzen in der Agrarproduktion vorzugehen. Eine zu einseitige Förderung führe zu Übertreibungen. Diesen künstlichen Markt sollte man zurückschneiden; „kompletter Kahlschlag“ sei jedoch nicht akzeptabel.


Die FDP-Agrarexpertin Britta Reimerssieht Raum für Wachstum in der europäischen und deutschen Biokraftstoffbranche gesichert. Die Agrar- und Energieexperten der FDP im Bundestag, Rainer Erdel und Dr. Christel Happach-Kasan, nannten die beschlossenen Regelungen „nicht gänzlich zufriedenstellend“. Die Fördergrenze von 6 % sei für Biokraftstofferzeuger eine enorme Belastung. Gleichzeitig schaffe sie aber eine dringend notwendige Planungssicherheit. „Niemand bezweifelt, dass die Zukunft von Biotreibstoffen in der Nutzung von Rest- und Abfallstoffen liegen muss“, so Erdel und Happach-Kasan. Derzeit bestehe allerdings kein Grund, die Produktion von Biosprit der ersten Generation abrupt zu drosseln.


Sieg der Vernunft


Für die CDU-Abgeordnete Christa Klaß ist das Abstimmungsergebnis ein Sieg der Vernunft. Die problematischsten Vorschläge seien zurückgewiesen worden. Die Produktion von Biokraftstoffen bleibe in einem verträglichen und angemessenen Rahmen erhalten. „6 % für Biokraftstoffe der ersten Generation sowie mindestens 2,5 % für fortschrittliche Biokraftstoffe 2020 sind ein wichtiges Signal“, erklärte die Europaabgeordnete der Region Trier. Getätigte Investitionen seien jetzt gesichert, während man die weitere Forschung und Entwicklung für Biokraftstoffe der zweiten und dritten Generation fördere. Gleichzeitig betonte Klaß, die Priorität der landwirtschaftlichen Produktion sei und bleibe die Erzeugung von Lebensmitteln.

Negative Folgen kaum bestreitbar


Die Vorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, sprach von einem vorsichtigen Schritt, die negativen Klimafolgen durch die Nutzung von Pflanzenkraftstoffen zu begrenzen. „Mittlerweile lässt sich kaum noch bestreiten, dass die Nutzung von Pflanzenkraftstoffen in der EU zur Zerstörung von Regenwald führt - mit massiven Folgen für das Klima“, so Harms. Es bleibe weiterhin unklar, ob durch die Pflanzenkraftstoffnutzung überhaupt Emissionen eingespart würden.


Das 6-Prozent-Ziel bezeichnete die Grüne als enttäuschend. Die Nutzung von Agrarflächen zum Füllen von Tanks statt Tellern habe bereits zu steigenden Nahrungsmittelpreisen und zur Regenwaldzerstörung geführt. Die EU dürfe diese Trends nicht noch weiter verschärfen. Ihr Kollege vom Landwirtschaftsausschuss, Martin Häusling, stellte ergänzend fest, die Abgeordneten hätten gezeigt, dass der Einsatz von Agrokraftstoffen im Verkehrssektor verringert werden müsse. Dessen Probleme könnten nur durch eine Änderung der EU-Mobilitätspolitik gelöst werden.


Tank-Teller-Konkurrenz gestoppt


Matthias Groote, SPD-Europaabgeordneterund Vorsitzender des Umweltausschusses, erklärte, man könne nun besser zwischen „guten und schlechten“ Biokraftstoffen unterscheiden. Biosprit müsse ökologisch und sozial nachhaltig sein. „Mit den neuen Regeln stoppen wir die Konkurrenz zwischen Tank und Teller bei Nahrungsmitteln wie Mais, Raps und Zucker“, so Groote. Der Anbau von Biokraftstoffen dürfe die Lebensmittelpreise nicht weiter in die Höhe und den Raubbau an der Natur vorantreiben. Aber die neuen Regeln erfüllten auch ihren eigentlichen Zweck, nämlich die Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen aus Kraftstoffen. Nur so könne die EU ihre Klimaziele erreichen.


Endlose Ausweitung verhindert


Sabine Wils, Europaabgeordnete der Linkspartei, sieht „die endlose Ausweitung des Agro-Treibstoffverbrauchs in Europa“ verhindert. Die Regulierung für Biodiesel reiche jedoch nicht aus, „um die aktuellen katastrophalen Konsequenzen von Agrarkraftstoffen einzudämmen“. Durch das Nein zur direkten Aufnahme von Verhandlungen mit dem Rat erwartet Wils eine deutliche Verzögerung des weiteren Gesetzgebungsprozesses. „Die Linke lehnt Agrarkraftstoffe als falsche Lösung für den Klimawandel ab und hat eine Abschaffung der 10-Prozent-Beimischungsquote für Mitgliedstaaten der EU gefordert“, so die Politikerin. Eine EU-Klimapolitik, die auf Agrarkraftstoffe setze, handle im Sinne von Agrar- und Mineralölkonzernen und gegen die Interessen von Mensch und Natur.


Zukunft der Branche bedroht


Der Deutsche Bauernverband (DBV)bekräftigte seine Ablehnung von iLUC-Faktoren. Damit würden europäische Landwirte für die Zerstörung von Regenwald in außereuropäischen Ländern verantwortlich gemacht. Das Abstimmungsergebnis stelle die Zukunft der heimischen Biokraftstoffe in Frage. Die Abgeordneten seien in ihrer Mehrheit zwar nicht dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission gefolgt, der eine Zerschlagung der heimischen Biokraftstoffbranche zur Folge gehabt hätte. Aber leider nicht übernommen habe das Plenum die Vorschläge seines Industrieausschusses, der unter anderem eine Deckelung von Biokraftstoffen aus Ackerkulturen erst bei 6,5 % vorgeschlagen habe.


Auch die EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA) übten scharfe Kritik. Landwirte und die gesamte Branche hätten auf der Grundlage der EU-Vorgaben massiv in den Sektor investiert, betonte COPA-/COGECA-Generalsekretär Pekka Pesonen. Er forderte eine Erhöhung des förderfähigen Anteils von Biosprit am Transportenergieverbrauch auf wenigstens 8 %. Ferner müssten alle Abfälle und Reststoffe in das Ziel für Biokraftstoffe der zweiten und dritten Generation aufgenommen werden.


Massiver Gegenwind


Für den Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB) besteht „weiterhin die Hoffnung, dass indirekte Landnutzungsänderungen sachgerecht behandelt werden“. In der Abstimmung habe sich gezeigt, dass es massiven Gegenwind für den „verfehlten Vorschlag“ des Umweltausschusses gebe, erklärte VDB-Geschäftsführer Elmar  Baumann. Trotz des starken Drucks von Nichtregierungsorganisationen mit groß angelegten Kampagnen hätten sich die Europaabgeordneten für Biokraftstoffe und damit für die Einsparung von Treibhausgasen im Verkehrssektor und gegen mehr fossiles Öl ausgesprochen - das sei ausgesprochen positiv. Eine korrekte Bewertung des Futtermittelanteils und eine sinnvolle Förderung von Biokraftstoffen aus Abfällen stünden noch aus, erklärte Baumann. Er verwies darauf, dass als Koppelprodukt zu Biodiesel und Bioethanol Eiweißfuttermittel entstehen. Ferner schafften Biokraftstoffe Arbeitsplätze in ländlichen Regionen und seien die einzige in größerem Umfang vorhandene Alternative zu fossilen Kraftstoffen. Die Rohstoffe stammten zum großen Teil von Stilllegungsflächen.


Vor die Wand gefahren


Die Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen (UFOP)warnt vor einem Aus der Branche. Der UFOP-Vorsitzende Wolfgang Vogel sieht die Zukunft der Biokraftstoffe als Bestandteil einer nachhaltigen Mobilitätspolitik grundsätzlich in Frage gestellt. „Wir fahren mit Sicht auf den Prellbock im Jahr 2020 zu“, so Vogel, der auch Präsident des Sächsischen Landesbauernverbandes ist. Die Einführung von iLUC-Faktoren lehnt die UFOP ab, und zwar sowohl verbindliche Vorgaben als auch Referenzwerte zur reinen Berichterstattung. Der UFOP-Vorsitzende warf dem Parlament vor, es habe sich bei seinem Beschluss von einer medial getragenen Kampagne leiten lassen.


Die Europäische Biodieselvereinigung (EBB) bekräftigte ebenfalls Zweifel an der Berechnungsmethode für iLUC-Faktoren. Europa könne es sich nicht leisten, fast 220.000 Arbeitsplätze aufgrund vereinfachter Annahmen zu gefährden. Die europäischen Institutionen sollten stolz darauf sein, dass sich die Biodieselindustrie für eine grünere Wirtschaft, das Wachstum der Landwirtschaft und Arbeitsplätze einsetze.


Der Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd (BWV), Norbert Schindler, liegt mit Vogel und der EBB grundsätzlich auf einer Linie, gab aber zu verstehen, dass es hätte schlimmer kommen können. Die Erhöhung des Deckels auf 6 % und die Verschiebung der Anwendung von iLUC-Faktoren auf 2020 gingen in die richtige Richtung. Allerdings stellte Schindler klar, dass die Einführung dieser Faktoren seiner Auffassung nach nicht nur fachlich absurd wäre, sondern zudem zu einem unzumutbaren Bürokratieaufwand aller Beteiligten führen würde.


Nicht messbar


Kritik an Brüssel übte auch der Präsident derLandwirtschaftskammer Niederösterreich, Herrmann Schultes. Er bestritt, dass es für iLUC-Kriterien eine fundierte wissenschaftliche Basis gebe. De facto seien solche indirekten Landnutzungsänderungen nicht messbar. „Bei fossilen Energieträgern wird überhaupt nicht berücksichtigt, wo und wie diese hergestellt werden; bei Biotreibstoffen hingegen müssen alle möglichen und unmöglichen Emissionsfaktoren bis ins letzte Detail einbezogen werden“, monierte Schultes. Für fossile Treibstoffe müssten endlich dieselben Maßstäbe gelten. Daneben äußerte er seinen Unmut über die durchgesickerten Kommissionspläne, für feste Biomasse und Biogas EU-weit einheitliche Nachhaltigkeitskriterien einzuführen. Dadurch entstünden neue bürokratische Hürden und Kosten für die Primärproduktion von Bioenergieträgern. In diesem Sinne äußerte sich auch der Präsident des Österreichischen Biomasse-Verbandes, Dr. Horst Jauschnegg. Während die Regulierungswut der EU bei erneuerbaren Energien anscheinend keine Grenzen kenne, schrecke man vor ähnlichen Vorgaben für klimaschädliche fossile Energieträger und gefährliche Atomkraftwerke zurück.


Sozial und ökologisch unverantwortlich


Völlig anders wurde die Abstimmung des Europaparlaments von Nichtregierungsorganisationen bewertet. „Die Entscheidung, Agrarsprit in der geplanten Größenordnung dem Benzin und Diesel beizumischen, ist sozial und ökologisch nicht verantwortbar“, erklärte Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Deckelung bei 6 % sei wegen der negativen Klimabilanz vieler Agrarkraftstoffe und gravierender Folgen für die Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern zu zaghaft. Das reiche nicht aus, um die „aberwitzige Biosprit-Politik der letzten Jahre“ zu revidieren. Solange es für Agrarsprit keine realistische Klimabilanz gebe, würden die Verbraucher über die Auswirkungen des expandierenden Anbaus der Rohstoffe im Unklaren gelassen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sollten die EU-Parlamentarier sich fragen, wie viele Geldgeschenke an die Industrie sie den Bürgern noch zumuten wollten, so Weiger. Er erinnerte an die Ergebnisse einer aktuellen Forsa-Umfrage, die eine hohe Ablehnung in der Bevölkerung gegen Biosprit ermittelte (AgE 37/13, EU-Nachrichten 4). Ähnlich wie der BUND äußerte sich auch dessen europäische Dachorganisation Friends of the Earth Europe (FOEE). Die fehlgeleitete Nutzung von Nahrungsmitteln als Treibstoffe müsse komplett eingestellt werden.


Weiterhin hohe Subventionen


Die Entwicklungsorganisation Oxfam betonte, das Schlimmste sei zwar verhindert worden, aber das Parlament habe trotzdem seine Pflicht versäumt, im besten Interesse seiner Wählerschaft und der Hungernden in armen Ländern zu handeln. Millionen Menschen blieben auch künftig Nahrungsmittelpreisschwankungen, Abholzung und Landgrabbing unterworfen. Aus Sicht des Europäischen Umweltbüros (EEB) erlaubt die Erhöhung der Deckelung auf 6 % weiterhin hohe Subventionen „an einen Wirtschaftszweig, der erwiesenermaßen mehr Schaden als Nutzen gestiftet hat“. Die Anwendung von iLUC-Faktoren ab 2020 sei ein Signal für die Zukunft, löse aber nicht das aktuelle Problem.


Der World Wide Fund for Nature (WWF) sieht die möglichen negativen Auswirkungen von Biokraftstoffen nicht ausreichend begrenzt. „Die Entscheidung schafft nicht genügend Anreize für innovative und nachhaltige Biokraftstoffe“, so WWF-Referent Johannes Erhard. Ein echter Klimaschutzbeitrag bestehe nur auf dem Papier. Die indirekten Landnutzungsänderungen würden weiter nicht ausreichend adressiert.

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