Trotz des Aufschwungs der Elektromobilität in der Forschung halten führende Köpfe des Volkswagen-Konzerns klassische und neue Biokraftstoffe weiterhin für einen wichtigen Bestandteil der Antriebsstrategie für die Mobilität von morgen. "Wir sehen bei Einhaltung aller Nachhaltigkeitskriterien Potential dafür, dass Biokraftstoffe weltweit etwa 10 % bis 20 % des Bedarfs decken können", erklärte der VW-Forschungsleiter für Antriebstechnik, Dr. Tobias Lösche-ter-Horst, vergangene Woche gegenüber dem Presse- und Informationsdienst Agrar-Europe.
Wie hoch der Anteil tatsächlich sein werde, hänge stark davon ab, wie sich die Kosten am Markt für Agrarrohstoffe entwickelten und inwieweit eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion sinnvoll sei. Eine mögliche Antwort auf die Versorgung der Zukunft sei zum Beispiel, für Kurzstrecken künftig verstärkt auf Elektromobilität zu setzen, auf Langstrecken hingegen Biokraftstoffe zum Einsatz kommen zu lassen. "Wir sehen momentan in der Batterie noch nicht die Lösung für die Langstreckenmobilität", unterstrich Lösche-ter-Horst. Neben Biokraftstoffen verfolgt VW laut seinen Angaben für die Langstrecke daher auch das Thema Wasserstoff in Verbindung mit der Brennstoffzelle. Die Weiterverarbeitung von regenerativem Wasserstoff zu Biomethan, das zur bestehenden Infrastruktur passe, könnte ebenfalls eine interessante Ergänzung darstellen.
"Für die Langstrecke werden wir auf absehbare Zeit eine hohe Energiedichte benötigen, das heißt wir brauchen auch weiterhin flüssige oder auch gasförmige Energieträger, um 600 km bis 800 km am Stück zu fahren und eine kurze Nachtankzeit zu haben", sagte Lösche-ter-Horst. Relativ begrenzt ist das Potential laut seiner Einschätzung allerdings beim Biodiesel. Das Ziel der EU-Staats- und Regierungschef, bis 2020 mindestens 10 % der Energie im Mobilitätssektor aus erneuerbaren Quellen zu decken, hält der VW-Forscher im Bereich Biodiesel aufgrund der Biomasseverfügbarkeit für kaum erreichbar. Durch Einsatz von 10 % Biokraftstoff am Markt erwartet er im Übrigen nicht, dass es zu massiven Verschiebungen der Marktkräfte käme. Die Elektrofahrzeuge werden laut Lösche-ter-Horsts Dafürhalten einen Beitrag zu diesem Ziel leisten, der aber bis 2020 relativ klein bleiben wird.
Das Potential für Biokraftstoffe hält der VW-Forschungsfachmann bei Ottomotoren für deutlich größer als im Biodieselbereich, schon allein aufgrund der relativ kurzkettigen Kohlenwasserstoffmoleküle, die Pflanzen bilden und die eher dem Otto- als dem Dieselkraftstoff verwandt sind. Für die Automobilhersteller ist dies insofern eine schlechte Nachricht, weil man unter ihnen befürchtet, der Diesel sei als Mitteldestillat voraussichtlich der erste "kritische Treibstoff", wenn es zu einer Verknappung am Markt für fossilen Sprit kommt.
Der Unterabteilungsleiter Kraftstoffe bei Volkswagen, Dr. Stefan Schmerbeck, sieht dies ähnlich, hält jedoch Abhilfe durch Investitionen in Rohölraffinerien für möglich. Gegenüber der Verwendung reiner Biokraftstoffe gibt Volkswagen der Beimischung den Vorzug, jedenfalls was den europäischen Markt angeht. "Vom Treibhausgasminderungseffekt betrachtet ist es gleichgültig, ob wenige Wagen mit E85 oder sämtliche Pkw mit E10 fahren", sagte Lösche-ter-Horst zum Einsatz von Ottokraftstoff mit einem Ethanolanteil von 85 %.
Biosprit, der über einen Vergasungsschritt gewonnen wird (Biomass to Liquid - BtL), hält Lösche-ter-Horst trotz der Verzögerungen bei der Entwicklung nach wie vor für einen "sehr interessanten Kraftstoff" aufgrund des Potentials zur Reststoffnutzung. Er glaubt allerdings, dass Biotreibstoff aus Lignozellulose eher auf den Mark kommt. Es gebe eine ganze Reihe von Unternehmen, die mit ähnlichen Verfahren unterwegs seien, um die Biomasse mit Enzymen aufzuschließen, um daraus Ethanol zu gewinnen.