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Früher Sauen, heute Bio-Chicorée: Ein Landwirtspaar sattelt um

Nach dem Ausstieg aus der Sauenhaltung haben sich Kerstin und Stephan Klünemann für eine ungewöhnliche Nische entschieden: Sie bauen Bio-Chicorée an – und zwar im großen Stil.

Lesezeit: 7 Minuten

Weiß-gelblich, knackig, leicht bitter im Geschmack: Chicorée findet mittlerweile häufiger Platz auf dem Teller der Deutschen. Mit 300 g pro Person und Jahr führt das Gemüse bislang aber noch ein Schattendasein. Und das im wahrsten Sinne: Denn Chicorée-Sprossen wachsen nicht auf dem Feld, sondern im Dunkeln in speziellen Treibräumen heran, damit sich nicht zu viele Bitterstoffe bilden.

Landwirte, die das Gemüse hierzulande anbauen, sind bisher allerdings rar gesät – besonders in viehdichten Regionen, wie etwa dem Emsland. Anders sieht das bei Stephan und Kerstin Klünemann aus dem emsländischen Niederlangen aus. „Früher dachten wir, mit Kartoffeln oder Rüben ist man als Landwirt innovativ. Gemüse und Bio waren für uns nicht vorstellbar“, sagt die 35-jährige Landwirtin, die mit ihrem Mann einen Betrieb mit 5.000 Bio-Puten und 40 ha Acker nach Naturland-Richtlinien leitet.

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Von der konventionellen Sauenhaltung hat sich das Paar vor einigen Jahren verabschiedet. Künftig denkt es in anderen Größenordnungen: In der neu gebauten Produktionshalle sollen pro Woche 25 t Chicorée heranwachsen – und das auf gerade einmal 2 000 m2 Fläche. Derzeit sind es 4 t pro Woche. Der Betrieb hat sich der Gartenbauzentrale Papenburg eG (GBZ) angeschlossen, die die Vermarktung der Ware an Naturkostketten und Einzelhändler deutschlandweit übernimmt. Künftig soll der Bio-Chicorée zum Hauptstandbein des Betriebs werden.

Unverhofft kommt oft

Das Ehepaar hofft, damit eine Marktlücke vor allem in Norddeutschland zu schließen. „Wir sehen das als Wachstumsmarkt“, sagt Stephan Klünemann. Ohne die GBZ als Vermarktungspartner, der von Anfang an im Boot war, hätten sie diesen Schritt aber wohl nicht gewagt. Schließlich schlägt der Bau der Produktionshalle mit knapp 4 Mio. € ordentlich zu Buche.

Schließlich schlägt der Bau der Produktionshalle mit knapp 4 Mio. € ordentlich zu Buche. - Auszug

Auf den Anbau des Bittergemüses ist das Paar vor einigen Jahren durch Zufall gestoßen. Während bis 2018 noch 200 Sauen in konventioneller Haltung zum Betrieb gehörten, entschieden sich die beiden nach längerem Überlegen für den Ausstieg. „Im Schweinebereich gab es in den letzten Jahren eine traurige Entwicklung mit ständig neuen Rahmenbedingungen. Eine Investition war für uns zu unsicher“, sagt Landwirtin Kerstin Klünemann rückblickend.

Was also tun mit dem leerstehenden Sauenstall? Versuch macht klug: Auf 500 m2 bauten sie zunächst testweise Edelpilze an. Die Vermarktung entpuppte sich aber als zu aufwendig. Am Ende setzte sich Chicorée durch. „Den gab es in der Region bisher kaum. Die GBZ zeigte sich von ­Anfang an interessiert, auch wenn die Absatzmenge eine große Unbekannte war“, so Stephan Klünemann.

„Für uns war klar: Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir eine professionelle Halle bauen. - Kerstin Klünemann

Wegen der unerwartet hohen Nachfrage der Genossenschaft steigerten sie die Anbaumenge von anfangs 300 kg pro Woche innerhalb eines Jahres auf 1,5 t. „Im alten Stall sind wir schnell an unsere Kapazitätsgrenzen gestoßen“, sagt der 32-Jährige. „Für uns war klar: Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir eine professionelle Halle bauen. Jetzt wussten wir ja, wie es geht.“ Da die GBZ speziell nach Bio-Chicorée suchte, schloss sich das Paar dem Naturland-Verband an und stellte den Betrieb im Zuge des Baus sukzessive um.

Chicorée wächst im Dunkeln

Know-how im Anbau hat sich das Landwirtspaar über Betriebsbesuche und Recherchen angeeignet. Denn der Anbau ist kein Selbstläufer und verlangt Fingerspitzengefühl. Anders als man es vielleicht vermuten würde, wachsen die Chicorée-Sprossen unter kontrollierten Bedingungen in Dunkelkammern heran. Damit ist der Anbau ganzjährig möglich. Gerade einmal 23 Tage brauchen die länglichen, spitz zulaufenden Triebe bis zur Ernte. In sogenannten Treibkammern wachsen sie in Kisten, die sechs Meter hoch gestapelt und mit Bio-Substrat aus Holz- und Kokosfasern gefüllt sind. Durch die Kisten wird Wasser gepumpt. Die Luft ist feucht-warm. Regelmäßig kontrolliert Kerstin Klünemann die Temperatur der Pflanzen und des Wassers. 

„Die Investition war erheblich, macht sich aber hoffentlich bezahlt. - Kerstin Klünemann.

Grundlage für das Wachstum der Sprossen sind die Chicorée-Wurzeln, die im Frühjahr auf dem Acker herangezogen, im Herbst geerntet und dann tiefgefroren gelagert werden. Der Betrieb erhält Just-in-Time-Lieferungen von einem niederländischen Betrieb. Der Preis pro Wurzel liegt im Centbereich. Auf dem Betrieb angekommen, setzen die Mitarbeiter die aufgetauten Wurzeln in Setzrahmen. Dann geht es in die Treibkammern zum Wachsen.

Hat der Chicorée sein Verkaufsgewicht von etwa 100 g pro Pflanze erreicht, wird es palettenweise aus der Kammer gefahren. Zur Ernte nehmen die Mitarbeiter die Sprossen aus den Setzrahmen und legen sie in eine Schneidemaschine, die die Köpfe von den Wurzeln trennt. Diese gehen zusammen mit den welken Blättern ins Viehfutter oder in Biogasanlagen. Abgepackt in 3-kg-Kisten ist der Chicorée dann abholbereit. Die leeren Kisten reinigt ein Roboter. „Die Investition war erheblich, macht sich aber hoffentlich bezahlt“, sagt Kerstin Klünemann.

Externe Arbeitskräfte nötig

Trotz technischer Unterstützung läuft die Hauptarbeit per Hand. Derzeit beschäftigt der Betrieb drei Vollzeitkräfte und sechs Aushilfen. Künftig sollen es bis zu 25 Mitarbeiter werden. Darunter auch Menschen mit Beeinträchtigung, die auf dem regulären Arbeitsmarkt Schwierigkeiten hätten.

Wegen der hohen Arbeitsbelastung ist der Betrieb froh, die Vermarktung über die Genossenschaft ausgelagert zu haben. Und für eine Direktvermarktung seien die Produktionsmengen ohnehin zu groß. „Die Genossenschaft kümmert sich um die Abholung und Mengenplanung und übernimmt die Verhandlung und Abrechnung mit dem LEH. Ab dem Hallentor haben wir also nichts mehr damit zu tun.“ Über die Mitgliedschaft in der Genossenschaft besteht eine Anlieferungspflicht für die produzierte Ware. Die GBZ verpflichtet sich im Gegenzug, diese zu vermarkten.

Vermarktung über Genossenschaft

Die Abnahme durch die Genossenschaft erfolgt in Absprache mehrmals wöchentlich. Im Handel kostet Bio-Chicorée etwa 7 €/kg. Der Preis, den Betrieb Klünemann erhält, liegt ein deutliches Stück darunter – wie hoch genau, will das Paar aber nicht ver­raten. Wie andere Biobetriebe spüren auch sie die derzeitige Kaufzurückhaltung bei Bioprodukten. Bisher konnten aber bis auf wenige Ausnahmen alle produzierten Mengen verkauft werden, auch wenn der Betrieb das Risiko nichtverkaufter Ware trägt.

Weil es sich beim Chicorée nicht um eine landwirtschaftliche Produktion im ursprünglichen Sinne handelt, musste die Produktion in ein Gewerbegebiet verlagert werden. Bei der Suche nach einer geeigneten Fläche kam erschwerend hinzu, dass das Paar eine Betriebsleiterwohnung nahe der Produktion bauen wollte. Aus dem Grund liegt die Halle knapp 30 Minuten von der eigentlichen Hofstelle in Geeste entfernt.

Keine Investition ohne Risiko

Der Genehmigungsprozess für den Bau der Halle verlief reibungslos. „Es gibt weder Emissionen noch Gerüche. Das machte das Ganze deutlich einfacher, als man es aus der Landwirtschaft kennt.“ Dafür brachte aber der Bau so manche Überraschung mit sich. Zu Baubeginn im November 2021 hatte das Paar noch mit 20 % niedrigeren Baukosten gerechnet. Mit Beginn des Kriegs änderte sich die Lage aber schnell. Auch die Lieferungen von Material, zum Beispiel Stahl, verzögerten sich. „Die Baustelle stand 14 Wochen still“, blickt Kerstin Klünemann zurück. Hinzu kamen Coronafälle bei den Handwerkern, sodass die Produktion erst Monate später startete.

Weil es sich beim Chicorée nicht um eine landwirtschaftliche Produktion im ursprünglichen Sinne handelt, musste die Produktion in ein Gewerbegebiet verlagert werden. - Auszug

Beim Bau schlug vor allem die Technik zu Buche – darunter die Kühlung, die Aufbereitungsanlage des Wassers und der Roboter. Förderung erhielt der Betrieb über das Land Niedersachsen für einen Teil der Inneneinrichtung.

Bei den laufenden Kosten macht der Zukauf der Wurzeln mit etwa 65 % den größten Kostenblock aus. Hinzu kommen Personal- und Energiekosten. Die gestiegenen Stromkosten machen sich dabei deutlich bemerkbar. Bei 25 t Chicorée pro Woche braucht die Halle etwa 500 000 kWh Strom im Jahr. Eine PV-Anlage auf dem Dach ist bereits in Planung. Da Chicorée beim Wachsen Wärme produziert, sucht der Betrieb derzeit noch nach Verwertungsmöglichkeiten für den Wärmeüberschuss.

Trotz der hohen Kosten sieht sich das Paar mit seiner Entscheidung auf Kurs. Wenn der Anbau wie erwartet läuft, sollen schon bald neue Kulturen folgen.

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