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„Wir sind doch keine Gänsehalter“

Lesezeit: 8 Minuten

Die Gänseplage in Norddeutschland setzt den Bauern immer weiter zu. Im ostfriesischen Rheiderland fressen die geschützten Vögel inzwischen fast den kompletten ersten Grasschnitt. Die Landwirte sind frustriert.


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Hillrich Eekhoff mag im Frühjahr nicht mehr aus dem Fenster schauen. Während sich andere Berufskollegen in Ostfriesland auf die Grasernte zum ersten Schnitt vorbereiten, sitzen auf Eeckhoffs Flächen tausende von Gänsen. Sie machen sich über das junge Gras her. „Da pflegt man die Narbe, sät neu ein, düngt und dann kommen die Gänse und fressen alles kahl“, bringt es der verzweifelte Milchviehhalter aus Hatzumerfehn im ostfriesischen Rheiderland auf den Punkt. Als er in diesem Jahr erst im Juni seinen 1. Schnitt mähen konnte, war es eigentlich schon der zweite Aufwuchs. „Den ersten haben die Gänse verputzt“, schimpft er.


Ein Drittel weniger Ertrag:

In der Region bangen mittlerweile hunderte Rinderbetriebe um ihr Winterfutter: Im Schnitt der letzten Jahre ernten sie jetzt gut 30 % weniger als sonst üblich. Denn 100 000 bis 150 000 Gänse kommen bereits Anfang September und bleiben bis Ende Mai – rund sechs bis achten Wochen länger als noch vor zehn Jahren. „Die Vögel haben eindeutig ihr Zugverhalten geändert“, beobachtet Klaus Borde, stellvertretender Vorsitzender des landwirtschaftlichen Hauptvereins in Ostfriesland, Kreisverband Leer.


Dazu kommt, dass eine immer größere Zahl der Gänse an der deutschen Küste über Sommer brütet anstatt wie in die sonst typischen Brutgebiete zu fliegen. Damit erhöht sich die Population drastisch. Und das nicht nur punktuell wie früher, sondern inzwischen über das ganze Rheiderland von der Küste bis zum Emsland verteilt (Übersicht 1).


Die Jäger haben im Juli 2014 in Niedersachsen einen Bestand von rund 49 000 Graugänsen, 8 100 Nilgänsen und 3 500 Kanadagänsen gezählt. „Das sind die drei Arten, die im Sommer bei uns leben“, erklärt Biologin Inga Klages vom Institut für Wildtierforschung an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. An dieser Zählung haben sich allerdings nur 13 % der Jagdreviere in Niedersachsen beteiligt, die tatsächliche Gänsezahl könnte also noch höher sein.


Die Artenvielfalt ist groß, auch im Winter. Nicht nur die Graugänse fallen in Massen ein, sondern auch Kanada-, Nil-, Weißwangen-, Bläss- und vor allem die gefürchteten Nonnengänse. Denn sie fressen das Gras dank ihres kurzen Schnabels sehr kurz ab.


Im 200 km entfernten Hannover ist das noch nicht angekommen. Laut niedersächsischem Umweltministerium sind die Gänserastzahlen seit 2010 gleich geblieben. Das sehen die Einheimischen anders: „Das Problem verschärft sich von Jahr zu Jahr“, berichtet Kreisjägermeister Jan-Wilhelm Hilbrands.


400 € Schaden pro Hektar:

Die Folgen für die Landwirte sind enorm. Mittlerweile entstehen ihnen Kosten von mindestens 400 € pro Hektar, zeigen Berechnung des Beratungsringes Leer (Übersicht 2, Seite R 10). „Diese Kosten entstehen einmal durch den Schaden auf dem Grünland, weil die Landwirte nicht mehr ausreichend Futter ernten und daher Maissilage kaufen müssen, aber auch durch die längere Stallhaltung“, rechnet Beratungsringleiter Siebend Peters aus Leer vor. Beim ersten Schnitt fehlen den Betrieben rund 30 % des Aufwuchses, auf Teilflächen sogar 70 bis 80 %.


„Früher hat der 1. Schnitt für meine 130 Kühe als Winterfutter ausgereicht. Heute brauche in den kompletten ersten und zweiten Schnitt“, berichtet Landwirt Albert Aeissen.


Längere Stallhaltung:

Im Betrieb von Amos und Jan Venema aus Jemgum mit 113 ha Grünland kommen im Jahr Schäden zwischen 50 000 und 60 000 Euro zusammen – gerade in diesem Jahr beim rasanten Verfall des Milchpreises besonders prekär. Zudem steigen die Pachtpreise in der Region kontinuierlich an. Denn die Flächen werden knapper, da sie auch immer stärker als ökologische Ausgleichsflächen genutzt werden, z.B. für den Bau der Autobahn oder sogar für die Vertiefung des Hamburger Hafens.


Und dann zieht auch noch der Preis für Maissilage allmählich an, die die Landwirte aus dem Emsland, dem Cloppenburger Raum und sogar aus den Niederlanden als Ersatz für das fehlende Gras zukaufen müssen. Denn die Biogasanlagenbetreiber in den Regionen befürchten heute schon wegen der anhaltenden Trockenheit Ertragseinbußen und sind mit Maisverkäufen vorsichtiger.


Zudem kommen die Rinder im Frühjahr rund sechs Wochen später aus dem Stall, weil einfach nicht genug Gras da ist. „Normalerweise beginnt die Weidesaison Anfang April. In diesem Jahr konnten wir die Tiere erst Mitte Mai rauslassen“, berichtet Amos Venema.


Er geht auch davon aus, dass die Tiere im Herbst eher von der Weide kommen – entweder, weil das Gras wegen des Gänsedrucks fehlt oder weil die Flächen hoffnungslos mit Gänsekot verschmutzt sind. „Die ersten Betriebe lassen die Kühe schon nachts im Stall“, berichtet Zweigvereinsvorsitzender Borde.


Die bitteren Folgen: Mehr Gülle-aufkommen, mehr Arbeit für Futtervorlage und Mehrverbrauch beim Winterfutter. „Dabei will Niedersachsen mit einem Weidemilchprogramm den Weidegang stärker anregen. Bei uns drängt aber das Federvieh die Tiere in den Stall zurück“, beschreibt Amos Venema das Dilemma.


Auf den Vertragsnaturschutzflächen gilt bei der Gülleausbringung ein Verzicht auf die 230 kg N-Regelung nach der Düngeverordnung, was bei vielen Betrieben zu Extrakosten bei der Gülleabgabe führen kann. „Diese Kosten sind bei unseren Berechnungen noch gar nicht berücksichtigt“, erklärt Berater Peters.


Umbruch erst im Folgejahr:

Der hohe Gänsedruck mit dem starken Verbiss führt zu einer Verschlechterung der Grasnarbe, aus den Lücken sprießt Unkraut. Aber anders, als sonst üblich, können die Landwirte nicht etwa im September neu ansäen, der junge Aufwuchs wäre sofort ein Raub der Vögel, die im nassen Herbst auch mit Kot und Tritt so manche Neuansaat vernichten.


Im Folgejahr dürfen die Landwirte nach der Landschaftsschutzverordnung aber erst ab dem 1. Juli umbrechen. Jede gepflügte und neuangesäte Fläche fällt daher aus der aktuellen Vegetationsperiode heraus und erhöht den Flächendruck. Und ohne Umbruch geht es kaum: Der schwere Kleiboden macht ein Nachsäen per Einschlitzen auf vielen Betrieben unmöglich.


Dabei ist die Neuansaat keinesfalls sicher: Die Flächen mit dem schmackhaften jungen Gras suchen die Gänse im Winter bevorzugt auf, was nicht selten einen Totalausfall des ersten Schnittes zur Folge hat. Wegen der einzuhaltenden Winterruhe dürfen die Landwirte aber erst nach dem 1. April auf die Fläche. „Für Nachsaaten oder Herbizid­anwendungen im Frühjahr ist es dann meist zu spät“, beklagt Landwirt Albert Aeissen.


Entschädigung reicht nicht:

Dabei sind die Landwirte nicht per se gegen die Vögel. „Wir hatten hier im Rheiderland für den Vertragsnaturschutz eine gute Lösung gefunden“, berichtet ­Arnold Venema, Landwirt und Mitglied des Umweltausschusses beim Landkreis Leer.


Die Landwirte, deren Flächen innerhalb eines Kerngebietes von 800 ha Größe lagen, haben Ende der 90er-Jahre umgerechnet 100 € pro Hektar erhalten, wenn sie besondere Maßnahmen zum Gänseschutz erfüllen. Dazu gehörte z. B., dass sie von November bis Ende März Winterruhe auf ihren Flächen einhalten und die Flächen reduziert düngen. Die Gebietskulisse wurde später auf das ganze Rheiderland ausgedehnt. Im Jahr 2011 ist die Zahlung zudem auf 235 €/ha ausgedehnt worden.


Doch aus dem kooperativen Vorgehen hat die Landesregierung im Jahr 2014 ein Agrar-Umweltprogramm gemacht (siehe Kasten links). Die Nachfrage danach war im Jahr 2014 so groß, dass der Fördertopf von ca. 7,4 Mio. € schnell ausgeschöpft war.


Weil die Gänse immer früher kommen und länger bleiben, reicht die Zahlung als Ausgleich für die Schäden schon lange nicht mehr aus. Zwar seien laut Umweltministerium je nach Lage der Fläche, Bewilligung von Zuschlägen und Beteiligung der unteren Naturschutzbehörde offiziell Zuwendungen zwischen 180 und 890 € pro Hektar möglich.


„Aber die höheren Fördersätze von bis zu 890 € pro Hektar sind mit solch starken Einschnitten in die Betriebsabläufe, wie z. B. die Wiedervernässung von Flächen, verbunden, dass sie aus ökonomischer Sicht für Vollerwerbsmilchviehbetriebe vollkommen uninteressant sind“, erläutert Amos Venema.


Daher erhalten die meisten Landwirte nur 235 €/ha nach der Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahme (AUKM) „Maßnahmen zum Schutz Nordischer Gastvögel“. Mit dem Geld wollte das Land die Mehraufwendungen der Landwirte und zum Teil die Schäden abdecken, die bei der Gänserast vom 1. Januar bis 31. März entstehen. Für den Fraß im April und Mai und dann wieder im September und Oktober findet kein Ausgleich statt.


Aussteigen aus dem Programm wollen die Landwirte aber trotzdem nicht. „Denn selbst dann dürften wir die Gänse nicht nach den Vogelschutzrichtlinien vergrämen. Mit dem Gänseschutz bekommen wir wenigstens einen Teil des Schadens bezahlt“, erklärt Amos Venema. Das gilt aber nur für die Landwirte, deren Flächen im ausgewiesenen Gänseschutz-Gebiet liegen. Auf Schäden außerhalb der Kulisse bleiben viele Landwirte dagegen sitzen.


Zusätzlich verkoten die Tiere Binnengewässer wie das Große Meer, was zur Eutrophierung führt. Der flache See kippt um, die Nitratbelastung wird aber der Landwirtschaft angelastet.


Wiesenvögel bedroht:

Inzwischen ist der Gänseschutz aus Sicht der Landwirte ohnehin eine Farce, weil dadurch die Wiesenbrüter wie Kiebitz, Uferschnepfe, Austernfischer & Co. vertrieben werden. Denn eigentlich hatte das EU-Vogelschutzgebiet im Rahmen von Natura 2000 ursprünglich den Schutz der nordischen Rastvögel und der Wiesenbrüter zum Ziel. Amos Venema: „Aus den Rastvögeln wurden aber Dauergäste, die die Wiesenbrüter von den Außendeichsflächen vertreiben!“

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