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Was bringt der Artikel 148 für Milcherzeuger?

Der Artikel 148 soll die Position der Landwirte am Milchmarkt stärken. Doch dazu gibt es ganz unterschiedliche Meinungen beim Bundesverband der Milcherzeuger und dem Milchindustrieverband.

Lesezeit: 6 Minuten

Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) will die Position der Landwirte am Milchmarkt stärken und deshalb den Artikel 148 Gemeinsame Marktorganisation (GMO) umsetzen. Der beinhaltet Vorgaben für die Verträge zwischen Molkerei und Milchbauer, unter anderem zu Liefermenge und Preis. Führt das zu einer besseren Position der Milcherzeuger am Markt?

Ja, sagt Karsten Hansen, Bundesverband deutscher Milcherzeuger (BDM). Nein, sagt Eckhard Heuser, Milchindustrieverband (MIV). Wir haben beide nach ihren Argumenten gefragt.

PRO

Vorneweg an alle Kritiker die Frage: Hat Ihr genossenschaftlich organisierter Futtermittellieferant Ihnen schon einmal erlaubt, für bereits genutzte Futtermittel selbst die Preise festlegen zu dürfen? Oder ist es nicht doch so, dass entweder vor Bezug ein konkreter Preis ausgehandelt wird oder das Lagerhaus einen Betrag festlegt?

Warum gerade das Beispiel mit der Genossenschaft? Der Hintergrund dafür ist der spürbar heftige Widerstand gegen eine nationale Umsetzung des Art. 148 GMO – auch und vor allem aus dem Bereich der Genossenschaftsmolkereien. Und die messen mit zweierlei Maß: Wenn wir etwas von einem genossenschaftlich strukturierten Unternehmen beziehen, müssen wir den Preis vorher aushandeln oder den in Rechnung gestellten Betrag zahlen. Wenn wir unser Produkt Milch abgeben, soll aber nichts ausgehandelt oder in Rechnung gestellt werden. Das ist ein unanständiges Verhalten!

Aus Molkereisicht ist der Widerstand nachvollziehbar: Sie können seit vielen Jahren jegliche an ihre Abnehmer gemachten Preiszugeständnisse eins zu eins an ihre Lieferanten durchreichen. Bei einer verbindlichen Vorgabe zum Abschluss von vertraglichen Vereinbarungen über Preis, Menge, Qualität und Lieferdauer ist das zumindest für die Vertragsdauer nicht mehr möglich. Preiszugeständnisse der Molkereien an ihre Abnehmer gehen dann auf ihre Rechnung. Das wird dazu führen, dass die Managementebenen das gegenseitige Unterbieten bei den Kontraktangeboten überdenken müssen.

Mehr Gedanken müssen sie sich auch über Anlieferungsmengen machen. Preiszugeständnisse der Molkereien an ihre Abnehmer wie den Lebensmitteleinzelhandel oder weiterverarbeitende Betriebe haben ihre Ursache in der Regel in einer vorherrschenden Käufermarktsituation. In gesättigten Märkten bestimmt der Abnehmer das Preisniveau. Aus Sorge der Molkerei, bei den Kontraktausschreibungen unterboten zu werden, werden schon im Vorgriff niedrigere Kontraktpreise zumindest in Betracht gezogen. Denn die geringeren Erlöse lassen sich umgehend an die Milcherzeuger weiterreichen.

Nicht so bei bestehenden Preisvereinbarungen, denn da greift Vertragstreue. Das heißt aber nicht, dass kein Handlungsspielraum bestünde. In gesättigten Märkten müsste die Milchmenge reduziert werden, womit sich schneller ein Marktgleichgewicht herstellen ließe. Molkereien müssten also mit ihren Lieferanten über die vertraglich vereinbarten Liefermengen verhandeln und prüfen, ob diese in beiderseitigem Einvernehmen angepasst werden können.

Da Marktsättigung in der Regel nicht das Problem eines Molkereiunternehmens ist, sondern den gesamten EU-Milchmarkt betrifft, wären übergeordnete Marktanpassungsschritte wesentlich sinnvoller. Wir vom BDM haben dazu mit unserer Zukunftsstrategie 2030 Vorschläge wie z. B. ein Frühwarnsystem und Marktanpassungsschritte erarbeitet, um rechtzeitig auf aufziehende Marktkrisen reagieren zu können. Perspektivisch müssen die Milcherzeuger in die Lage versetzt werden, auf EU-Ebene ohne Einfluss durch die Molkereiindustrie auf veränderte Marktsituationen reagieren zu können.

Die Verbände der Molkereiindustrie samt Bauernverband agieren gegen unsere Bestrebungen. Die nationale Umsetzung des Art 148 GMO könnte sie zum Überlegen in Richtung mehr marktwirtschaftlicher Instrumente zwingen. Klar ist uns, dass der Artikel 148 GMO nur ein erster Schritt hin zu einer besseren Marktstellung der Milcherzeuger und zu gewinnbringenden Milcherzeugerpreisen ist.

KONTRA

Eingriffe des Staates in die Marktwirtschaft müssen gut begründet sein, einer validen Folgenabschätzung genügen und ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen. Das ist bei der Umsetzung des 148 GMO nicht der Fall. Wir hoffen, dass Koalitionsausschuss und Bundesrat dem Entwurf nicht zustimmen. Auf der letzten Sitzung der Agrarminister waren nur fünf Länder dafür, darunter Bundesländer ohne nennenswerte Milcherzeugung wie Bremen und Hamburg.

Offen bleibt, was die neue Regelung Neues bringt: Rohmilchlieferverträge werden schon jetzt schriftlich geschlossen, sie haben eine bestimmte Laufzeit, bzw. besteht ein Kündigungsrecht. Die Verträge enthalten nach unserem Verständnis auch Regelungen über die Liefermenge und den Preis: Wenn die Molkerei garantiert, alle Milch abzunehmen, ist das die definierte Liefermenge und in Genossenschaften bestimmt der Vorstand die Preise. Bei Privatmolkereien gibt es Gebietsklauseln wie den Schnitt der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft. Und zwar für 100 % der Menge. Mehr verlangt auch die neue Verordnung nicht. Angebote seitens der Molkereien für die Vermittlung von Preisabsicherungsgeschäften bzw. eines Festpreises sind aber nur als fakultative Kannbestimmung vorgesehen. Ansonsten muss eine „Preisformel“ einvernehmlich zwischen Milcherzeuger und Molkerei entwickelt werden. Das wird problematisch, wenn Erzeuger A etwas anderes fordert als Erzeuger B.

Wenn die deutschen Molkereien verpflichtet würden, 80 % der Milchmenge preislich an den Börsen abzusichern, entstehen diesen etwa 100 Mio. € Kosten für die Abwicklung der Termingeschäfte. Dieses Geld fehlt beim Milchpreis. Ich glaube nicht, dass die Märkte für solche Termingeschäfte aufnahmebereit wären. Hinzu kommt: Wer an der Börse absichert, muss unterjährig nachschießen, wenn sich der Markt bewegt. Wenn das die Molkerei machen soll, ist das zumindest bei den Genossenschaften das Geld der Milcherzeuger. Genossenschaften erfassen knapp 70 % der deutschen Milch. Die Milcherzeuger als Eigentümer der Molkerei entscheiden, wie ihre Milch eingekauft wird. Wenn das BMEL Genossenschaften zwangsbeglücken will, geht das schief. Die Mitglieder besitzen die Hoheit über die Satzung und das ist gut so.

Spanien und Frankreich wenden den Artikel 148 GMO heute schon an und stöhnen unter der Last der Bürokratie und Rechtsunsicherheit. Die besseren Milchpreise hatte aber Deutschland. Außerdem gilt, dass der Artikel 148 GMO nur anwendbar ist, wenn der Sitz des Käufers, also der Molkerei, in Deutschland ist. Das kann z. B. für Arla oder FrieslandCampina problematisch werden. Am Ende führt das zu Abwanderung von Produktion.

Ein fairer Preis bildet sich durch Angebot und Nachfrage, nicht durch Verordnungen. Der Markt lässt sich nicht aushebeln. Der BDM schreibt selbst: „Es stellt sich damit noch nicht automatisch eine bessere Verhandlungsposition ein und damit in Folge automatisch höhere Milchpreise.“ Sie fordern also mehr Regelungen. In meinen Augen geht Bürokratieabbau anders!

Was kann man tun? Mit der Strategie 2030 hat die deutsche Milchwirtschaft bereits die Initiative Milch oder QM-Milch umgesetzt. Es sollten sich alle Beteiligten gemeinsam an einen Tisch setzen und nachdenken. Leider haben die kleineren Erzeugerverbände den Verhandlungstisch verlassen, vielleicht sollten sie das überdenken? Wenn es beim jetzigen Stand der Entwürfe bleibt, kann man allen Molkereien nur raten, lediglich das Interventionsniveau abzusichern. Damit ist niemanden gedient, es erfüllt aber die Verordnungskriterien.

Ihre Meinung ist gefragt

Würden Sie sich eher auf der Seite "Pro" oder "Kontra" verordnen? Was meinen Sie: Kann der Artikel 148 die Marktmacht der Milcherzeuger stärken und zu höheren Milchpreisen führen? Oder erhöht das nur die Bürokratie?

Schreiben Sie uns Ihre Meinung an kirsten.gierse-westermeier@topagrar.com
Wir behalten uns vor, Meinungen gekürzt zu veröffentlichen.

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