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topplus Blick von außen

Image der Landwirtschaft: Zeitenwende im Meinungsbild?

Die politische Idee der Natur wird da am stärksten gewählt, wo man im Alltag am wenigsten mit ihr zu tun hat: in den Großstädten. Was die Bauernproteste über die Entfremdung von Stadt-Land verraten.

Lesezeit: 5 Minuten

Dieser Beitrag ist zuerst im "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben" erschienen.
Kommunikationsexperte und Autor Andreas Möller analysiert in einem "Blick von außen", welche Chance auf nachhaltige Veränderungen die Bauernproteste haben.

Als ich 2017 einen Verlag für das Buchprojekt „Zwischen Bullerbü und Tierfabrik“ suchte, war das Interesse gering. Die Landwirtschaft führte abgesehen von den üblichen Skandal­themen ein Schattendasein. Zumindest dann, wenn man aus der Stadt aufs Land blickte. Anders als in früheren Generationen war und ist sie weitgehend aus dem gesellschaftlichen Fokus verschwunden, obwohl Schlagworte wie „Regionalität“, „Bio“ usw. ebenso hoch im Kurs stehen wie Foodblogs.

Kein stiller Abschied

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Die Bauernproteste haben das in beein­druckender Geschwindigkeit geändert. Doch es ist fraglich, wie lange das Fenster der Aufmerksamkeit offenbleibt. Denn die Zahlen sind unmissverständlich: Weniger als 2% der Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten noch in landwirtschaftlichen ­Berufen – und nicht mehr jeder Vierte wie nach dem Zweiten Weltkrieg oder jeder Zweite im 19. Jahrhundert. Die Zahl der Höfe hat sich seit der Wiedervereinigung mehr als halbiert.

Der Historiker Ewald Frie hat darüber ein bemerkenswertes Buch geschrieben, das im Münsterland angesiedelt ist. „Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben“ heißt es im Untertitel. Das hat auch Auswirkungen auf die Frage, was in der „Tagesschau“ oder in sozialen Medien wie „X“ landet – und damit als politikrelevant eingestuft wird.

Festgefügte Klischees

Das öffentliche Bild der Landwirtschaft war zu jedem Zeitpunkt ein Seismograf des gesellschaftlichen Wandels. Aber gerade in unübersichtlichen Zeiten klammern wir uns an Klischees. Es sind deshalb Reizthemen wie der Pflanzenschutz als Ursache eines Insektenrückgangs, die Nitratkonzentration in Böden, die Zustände in Ställen usw., welche das öffentliche Bild trotz aller Wertschätzung für die Bauern prägen. Die Vielfalt oder die immense Bedeutung der Branche für den sozialen Zusammenhalt im ländlichen Raum rückt da rasch in den Hintergrund.

Bäuerliche Corporate Social Responsibility?

Die Land- und Ernährungswirtschaft wird nicht mehr primär für ihre Leistungen in der Nahrungsmittelproduktion honoriert – die nimmt man als gegeben hin. Beurteilt wird sie vor allem nach ihren sekundären Beiträgen zu Klima- und Artenschutz, Tierwohl und anderen gesellschaftlichen Aufgaben. Wenn man so will: eine Art bäuerliche Corporate Social Responsibility. Dabei müssten wir angesichts der Mehrfach-Krise aus Covid, Lieferketten-Engpässen, Ukraine-Krieg darüber diskutieren, ob sich die Landwirtschaft neben ­ihren gesellschaftlichen Aufgaben auf ihre ursprüngliche Kernaufgabe konzentrieren darf, die Nahrungs­mittelproduktion nämlich.

Stadt-Land-Dualismus wächst

Selbst wenn man sich vor einer herbeigeredeten Spaltung der Gesellschaft hüten sollte: Der Stadt-Land-Dualismus hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten zugenommen. Man kann ihn auch anhand der Verteilung der Wählergruppen der Bundestagswahl 2021 studieren. Die Grünen etwa wurden in der Stadt doppelt so oft gewählt wie im ländlichen Raum. Bei keiner anderen Partei gab es diese Stadt-Land-Spreizung, wie die Forschungsgruppe Wahlen ermittelt hat.

Es geht dabei nicht um einzelne Parteien, sondern um die Repräsentation der Interessen von Stadt und Land. Man ­könnte auch sagen: Die politische Idee der Natur wird dort am vehementesten gewählt, wo man im Alltag und im Brot­erwerb am wenigsten mit der Natur zu tun hat: in den Großstädten, und hier auffallend häufiger in den Innenstadtbereichen als in den zahlenmäßig deutlich stärkeren Randbezirken.

Die Natur stillt für viele Städter augenscheinlich andere Bedürfnisse als für ­Bauern, und das gilt überall auf der Welt: in Frankreich ebenso wie in Polen oder in England, wo sich die Stadt-Land-Spreizung ähnlich drastisch zeigt wie in Amerika.

Während „Natur“ für Land- oder Forstwirte primär die wirtschaftlich zu nutzende Natur ist, soll sie für viele Städter ein emotionales Vakuum füllen angesichts der Beschleunigung des urbanen Lebens. Das galt bereits im 19. Jahrhundert, und es gilt in einer Gegenwart, die zunehmend säkularisiert und von Erosion der Parteienzustimmung und Veränderung von Lebensentwürfen geprägt ist – und deshalb nach kollektiven Werten sucht.

Vor allem aber soll das Land umsetzen, was eine städtisch geprägte Mehrheit für nachhaltiges Wirtschaften und für ethisch integer hält, sei es im Ackerbau oder in der Stromproduktion. Und das mit zunehmenden bürokratischen Bürden, die bitte nicht der Verbraucher zu schultern hat.

Mangelnde Wertschätzung

Wenn wir also verstehen wollen, warum die Bauern demonstrieren und weshalb der Agrardiesel nur ein Symptom für ein Gefühl mangelnder Wertschätzung ist, sollten wir genauer hinsehen. Wir sollten nicht aufs Land fahren, um dort unsere Vorstellungen einer sinnstiftenden Natur zu exportieren. Der Bullerbü-Blick ist eine Form kultureller Landnahme. Die Industrialisierung großer Flächen mit Windkraftanlagen oder Freiflächen-PV als Investment-Case, dessen Gewinne nicht in der Region verbleiben, ein anderer. In beiden Fällen ist der ländliche Raum eine Projektionsfläche eigener Utopien. Ein Beitrag zum Erhalt intak­ter dörflicher Gemeinschaften wird damit nicht geleistet.

Zurück zum Anfang: Mein Buch hat damals noch einen Verlag gefunden – allerdings aufgrund eines Satzes, den ich am Ende noch hinzufügte. Er hatte mehr mit Demokratie zu tun als mit Ställen und Biogasanlagen: „Wohin es führt, wenn die Sprachlosigkeit zwischen Stadt und Land zunimmt, haben wir im US-Präsidentschaftswahlkampf gesehen. Tun wir alles, dass ähnliche Tendenzen in Deutschland nicht eines Tages zum Durchbruch kommen.“

Das war vor sieben Jahren. Noch haben wir es in der Hand, einander auch sprachlich mit echtem Verständnis zu begegnen.

Ihre Meinung ist gefragt

Welche Bilanz ziehen Sie aus den Bauernprotesten? Und wie sollte es aus Ihrer Sicht weitergehen? Schreiben Sie uns Ihre Meinung an: hanna.grieger@topagrar.com
Wir behalten uns vor, interessante Zuschriften redaktionell zu verarbeiten.

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