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topplus Neue ZKL-Spitze

„Wir wünschen uns mehr Mut und Innovationsbereitschaft von politischer Seite“

Regina Birner und Achim Spiller leiten nun die Zukunftskommission Landwirtschaft. Wir sprachen mit ihnen über die neuen Möglichkeiten der ZKL und ihre Sicht auf die Agrarpolitik in Berlin und Brüssel.

Lesezeit: 10 Minuten

Seit wenigen Wochen bilden Regina Birner von der Uni Hohenheim und Achim Spiller, Uni Göttingen, das neue Führungsteam der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL).

Deren Empfehlungen haben bereits 2021 innerhalb und außerhalb der Agrarbranche hohe Wellen geschlagen, wurden aber politisch schnell vom runden Tisch auf die lange Bank geschoben.

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Wir sprachen mit den beiden Wissenschaftlern darüber, ob sich der politische Wille infolge von Agrardieselstreit und Bauernprotesten verändert hat. Welche Perspektiven sie den Tierhaltern aufzeigen möchten. Und wie Lösungen gegen überbordende Bürokratie in Berlin und Brüssel auf den Weg gebracht werden können.

 

top agrar: Liebe Frau Birner, lieber Herr Spiller, die ZKL stand lange für die Befriedung der Lager in der Agrarpolitik. Zuletzt sind die Gräben aber wieder aufgebrochen. Und auch diejenigen, die die Ergebnisse der ZKL skeptisch bewerten sind erstarkt. Welche Kraft geht heute von der ZKL noch aus?

Birner/Spiller: Wir sehen kein “Aufbrechen der Gräben” zwischen den Mitgliedern der ZKL. Was wir vielmehr beobachten, sind die Folgen politischer Entscheidungen, die den Empfehlungen der ZKL klar widersprechen. Dies gilt insbesondere für die überproportionale Belastung der Land- und Forstwirtschaft und des Gartenbaus durch die Streichung der Agrardieselbeihilfe. Wie die ZKL jüngst in einer Mitteilung aufgezeigt hat, stehen die durch die ursprünglich geplanten Kürzungen bewirkten Einkommensminderungen in keinem Verhältnis zu den zu erwartenden positiven Umwelteffekten. Nach den Empfehlungen der ZKL hätte eine Streichung von umweltschädlichen Subventionen mit der Förderung umweltpositiver Fortschritte verbunden werden müssen, was aber nicht der Fall war. Die dadurch entfachten Proteste zeigen, dass die ZKL und ihre Empfehlungen wichtiger denn je sind.

Für die Kraft der ZKL spricht auch, dass der erreichte Konsens bis heute hält, obwohl die Bedingungen für die Transformation der Landwirtschaft viel härter geworden sind, insbesondere durch den Angriffskrieg auf die Ukraine und durch die Inflation. Die Proteste haben wieder verstärkt Aufmerksamkeit auf die ZKL gelenkt, denn sie unterstreichen, dass politische Entscheidungsträger gut daran täten, die Chancen, die sich aus der ZKL ergeben, zu nutzen.

Reicht die Kraft der ZKL auch in der jetzigen Lage mit den Bauernprotesten noch aus? Würden Sie sich mehr Unterstützung von den landwirtschaftlichen Verbänden wünschen?

Birner/Spiller: Es mangelt der ZKL ja keinesfalls an der Unterstützung der landwirtschaftlichen Verbände. Wie auch alle anderen Beteiligen stehen sie zu dem Konsens der ZKL. Vor diesem Hintergrund sehen wir die Kraft der ZKL durch die gegenwärtigen politischen Entwicklungen gestärkt. Vielleicht ärgert sich die Regierung ja inzwischen ein wenig darüber, dass sie dem Konsensergebnis der ZKL nicht mehr Beachtung geschenkt hat.

Kurzfristig auf den Weg zu bringen ist die Umsetzung der Empfehlungen der Borchert-Kommission, die sich die ZKL zu eigen gemacht hat.

Was kann die Ampel aus Ihrer Sicht kurzfristig bis zum Sommer überhaupt ändern? Nach den jahrelangen Diskussionen ist schwer vorstellbar, dass es zu einem Durchbruch bei den vielen agrarpolitischen Streitpunkten kommt.

Birner/Spiller: Kurzfristig auf den Weg zu bringen ist die Umsetzung der Empfehlungen der Borchert-Kommission, die sich die ZKL zu eigen gemacht hat. Dafür gibt es gerade wieder ein Zeitfenster und eine immer drängendere Notwendigkeit. Allerdings ist das Vertrauen der Tierhalter in die Verlässlichkeit der Politik in den letzten Monaten nicht gerade größer geworden. Hier ist Überzeugungsarbeit in der Breite zu leisten.

Außerdem ist der Handlungsbedarf für weitere Empfehlungen der ZKL deutlich geworden, die bislang nicht auf der Agenda der Ampel gestanden haben. Die Reaktion auf die Proteste der Landwirtinnen und Landwirte hat klar gemacht, dass sie auf eine breite gesellschaftliche Unterstützung bauen können. Das sollte auch die Politik motivieren, jetzt engagiert eine konsensorientierte Weiterentwicklung des Agrar- und Ernährungssystem voranzubringen. Wir wünschen uns mehr Mut und Innovationsbereitschaft von politischer Seite, um die Chancen zu nutzen, die die ZKL aufgezeigt hat.

Ja, es gibt sehr wohl eine realistische Aussicht auf weniger Papierkram für Landwirte.

Thema Nummer eins ist bei vielen Landwirten der Bürokratieabbau. Die Ampel verspricht ihn auch in ihrem Entschließungsantrag, laut dem sie bis zum Sommer ein Agrarpaket umsetzen will. Wird sich die Zukunftskommission dem annehmen? Und wo gibt es aus Ihrer Sicht überhaupt eine realistische Aussicht auf weniger Papierkram für die Landwirte?

Birner/Spiller: Der Abschlussbericht der ZKL enthält bereits zwei Empfehlungen, die erheblich zum Abbau von Bürokratie beitragen können: Weniger ordnungsrechtliche Detailregulierungen, dafür mehr marktwirtschaftliche Instrumente. Und mehr kooperative Instrumente, die vor Ort Freiräume lassen für eine unbürokratische Umsetzung. Wir können uns gut vorstellen, dass sich die ZKL noch weiter mit diesen Ansätzen befasst. Wir verweisen aber auch auf folgende Stellungnahme, die der Wissenschaftliche Beirat beim BMEL schon 2019 vorgelegt hat: “Möglichkeiten, Ansatzpunkte und Grenzen einer Verwaltungsvereinfachung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU”. Dort wurden bereits sehr umfangreiche und detaillierte Empfehlungen zum Bürokratie-Abbau vorgelegt, die zeigen: Ja, es gibt sehr wohl eine realistische Aussicht auf weniger Papierkram für Landwirte. Beispielsweise lässt sich der Verwaltungsaufwand durch angemessene Bagatellgrenzen, die verstärkte Nutzung digitaler Technologien und die Entfristung der allgemeinen Verfahrensbestimmungen der GAP vereinfachen. Hier muss die ZKL das Rad nicht neu erfinden.

 

Politisch zeichnen sich auch steuerliche Erleichterungen für die Landwirtschaft ab. Welchen Stellenwert bekommt das Thema in der Arbeit der ZKL?

Birner/Spiller: Die diskutierten steuerlichen Erleichterungen für die Landwirtschaft entsprechen dem Grundsatz der ZKL, dass Mittel, die durch einen Abbau von umweltschädlichen Subventionen eingespart werden, der Landwirtschaft direkt zur Unterstützung der Weiterentwicklung zur Verfügung stehen sollen. Allerdings sehen wir es nicht als Aufgabe der ZKL an, kurzfristig finanztechnische Vorschläge zur detaillierten Ausgestaltung von steuerlichen Erleichterungen, etwa zur erhöhten Resilienz landwirtschaftlicher Betriebe, zu erarbeiten.

 

Wie nimmt die ZKL die Forderung nach einer verlässlichen Finanzierung für die tierwohlgerechte Tierhaltung auf? Bleibt es bei den Empfehlungen für eine Mehrwertsteuererhöhung oder einer Tierwohlabgabe, so wie sie die Borchert-Kommission 2020 ausgesprochen hatte?

Birner/Spiller: Die einhellige Übernahme der Empfehlungen der Borchert-Kommission durch die ZKL hat damals den gesellschaftlichen Konsens nochmals verstärkt. Das Ende der Borchert-Kommission hat ein Vakuum hinterlassen, damit wird man sich befassen müssen. 

Die Zukunft der Landwirtschaft ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Nicht nur die Übernahme der Borchert-Empfehlungen sondern auch viele weitere Punkte aus dem Abschlussbericht der ZKL haben bereits 2021 innerhalb und außerhalb der Branche hohe Wellen geschlagen, aber auch viel Zustimmung geerntet. Was waren aus Ihrer Sicht die markantesten Punkte?

Birner/Spiller: Der markanteste Punkt ist aus unserer Sicht, dass ein tragfähiger Konsens über die Zukunft des Agrar- und Ernährungssystems erzielt wurde, der bis heute von allen Verbänden in den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt- und Tierschutz, Lebensmittelwirtschaft und Verbraucherschutz sowie von den beteiligten Wissenschaftler:innen getragen wird. Davon war ja nicht auszugehen, aber es ist gelungen ein gemeinsames Nachvornedenken zu entwickeln. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Mitgliedschaft der ZKL generationenübergreifend angelegt ist. Gerade die Jugendverbände sind dafür zentral.

Der Kern des Konsenses lässt sich aus den Leitlinien herausdestillieren: Die Zukunft der Landwirtschaft ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Weiterentwicklungen des Agrar- und Ernährungssystems, welche „die ökologische Verträglichkeit und Resilienz der landwirtschaftlichen Produktion sowie den Tierschutz verbessern“ brauchen einen „verlässlichen Rahmen und müssen wirtschaftlich tragfähig sein.” Dabei sollen Produktionsverlagerungen in Regionen mit geringeren sozialen und ökologischen Standards verhindert werden. Besonders wichtig ist für uns auch die Tatsache, dass sich die ZKL den Konsens der Borchert-Kommission zu eigen gemacht hat. Die Landwirtschaft erkennt an, dass eine Transformation des Agrar- und Ernährungssystems notwendig ist. Im Gegenzug erkennen die Umwelt- und Tierschutzverbände an, dass diese Transformation mit klaren Zukunftsperspektiven für Landwirt:innen verknüpft sein muss.

Die ZKL stellt außerdem klar heraus: “Vorsorge rechnet sich”. Es macht volkswirtschaftlich Sinn, jetzt in die Transformation der Landwirtschaft zu investieren, um die externen Kosten der Landwirtschaft zu verringern. Je früher zielgerichtet in die Weiterentwicklung eines nachhaltigen Agrar- und Ernährungssystems investiert wird, desto günstiger wird es. Prävention ist wirtschaftlicher als ein „Weiter-so“. Eine wichtige Errungenschaft der ZKL ist auch die persönliche Vertrauensbasis, die zwischen den Akteuren entstanden ist, die sehr unterschiedliche Interessen vertreten.

Bei der GAP haben sich die Agrarminister zuletzt wieder schwergetan, sich für Veränderungen stark zu machen. Vor allem weil Umschichtungen in zielgerichtete Maßnahmen wie die Öko-Regelungen und die Agrarprogramme der Zweiten Säule mit einem Abschmelzen der Basisprämie einhergehen. Davor schrecken die Agrarministerinnen und Agrarminister nach den Bauernprotesten jetzt zurück. Die ZKL hatte aber genau das gefordert. Wie wird die ZKL die GAP-Diskussion begleiten?

Birner/Spiller: Der Konsens zur GAP war einer der ganz zentralen Vorschläge aus der ZKL. Die bisherigen Direktzahlungen kommen durch die Überwälzung auf den Bodenmarkt immer weniger den aktuellen Betrieben zugute. Deshalb sollten sie, so die ZKL, “innerhalb von zwei GAP-Förderperioden schrittweise und vollständig in Zahlungen umgewandelt werden, die konkrete Leistungen im Sinne gesellschaftlicher Ziele betriebswirtschaftlich attraktiv werden lassen”. Von diesen damals 13 Jahren Umstellungszeitraum sind jetzt leider schon fast drei vergangen, ohne dass es eine solche klare Ansage aus der Politik gibt.

Wird es reichen, jetzt möglichst wenig an der GAP in der laufenden Periode zu tun und Veränderungen an der GAP auf die Reform 2027 zu schieben?

Birner/Spiller: Gerade die langfristige Ausrichtung und frühzeitige Ankündigung ist wichtig, damit Pachtpreise in den Verhandlungen zwischen Betrieben und Verpächtern angepasst werden können. Deshalb ist es zentral, jetzt langfristige Beschlüsse zu fassen. Es ist doch gerade diese fehlende Planungssicherheit, die den landwirtschaftlichen Betrieben derzeit besonders zu schaffen macht.

In Brüssel hat die EU-Kommission einen strategischen Agrar-Dialog gestartet — eine Art EU-ZKL. Auch von dort wird es Vorschläge zur GAP geben. Wie könnte man mit Empfehlungen aus Deutschland und der EU umgehen, die sich widersprechen?

Birner/Spiller: Wenn es Herrn Strohschneider als Vorsitzendem dieser EU-ZKL gelingt, in dem gleichen “Spirit” auch auf EU-Ebene eine Konsensfindung und damit einen Schulterschluss zwischen den verschiedenen Beteiligten zu befördern, dann wird es nicht zu viele Widersprüche geben.

Welche Themen werden Sie in der ZKL in den kommenden Wochen und Monaten am höchsten Priorisieren?

Birner/Spiller: Wir haben die Sprecherfunktion ja gerade erst übernommen. Auf unserer nächsten Sitzung werden wir über Ziele in diesen nicht ganz leichten Zeiten sprechen. Mut macht uns, dass die Fraktionen der Regierung, aber auch der Bundeskanzler der ZKL gerade verstärkt Aufmerksamkeit schenken.

Was braucht es, um die Transformation der Branche auch im Sinne der Landwirtinnen und Landwirte voranzutreiben?

Birner/Spiller: Der Witz der ZKL liegt ja gerade darin, dass die Politik die Ziele der Landwirtschaft und die der Umwelt-, Tierschutz- und Verbraucherseite gleichermaßen im Auge behalten sollte. Über viele Jahre hinweg gab es die Vorstellung, dass wenn sich eine Seite durchsetzt, die andere weniger hat. Die ZKL hat aber in ihren Leitlinien Wege aufgezeigt, wie von einer klugen Politik letztlich beide Seiten profitieren können.

 

Zur Person:

Regina Birner und Achim Spiller bilden zusammen das Sprecher-Team der ZKL, seit Peter Strohschneider im Januar 2024 von der Kommissionspräsidentin mit der Leitung der “EU-ZKL” betraut wurde. Eine gleichzeitige Leitung einer deutschen und einer EU-Kommission ist nach EU-Compliance-Vorschriften nicht möglich.

Regina Birner ist Agrarökonomin und leitet seit 2010 die Professur für “Sozialen und institutionellen Wandel in der landwirtschaftlichen Entwicklung” an der Universität Hohenheim. Zuvor war sie Programmleiterin am Internationalen Forschungsinstitut für Ernährungspolitik (IFPRI) in den USA. Seit 2012 ist sie Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). 2023 wurde sie in die ZKL berufen. Regina Birner berät auch internationale Organisationen wie die Weltbank und die FAO.

Achim Spiller ist seit 2000 Professor für Agrar- und Lebensmittelmarketing an der Universität Göttingen und derzeit Vorsitzender beim Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Er hat drei große Konsensfindungsprozesse der letzten Jahren in der Borchert-Kommission, der ZKL und im Bürgerrat des Deutschen Bundestages begleitet. In der Forschung beschäftigt er sich mit Verbraucherverhalten und dem Management der Lebensmittelwertschöpfungskette.

Und wie können Sie sicherstellen, dass die Empfehlungen auch tatsächlich umgesetzt werden und nicht im Sande des politischen Betriebes versickern?

Birner/Spiller: Die ZKL kann dies nicht sicherstellen, aber die Tatsache, dass ein konfrontativer Politikstil nicht zum Ziel geführt hat, lässt uns Hoffnung schöpfen, dass eine langfristiger angelegte und stärker auf das Gemeinsame gerichtete Politik gelingen kann. Dazu würden wir als Sprecherteam zusammen mit den Mitgliedern der ZKL gerne beitragen.

Herzlichen Dank für das Interview!

 

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