Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Bürokratieabbau Agrarantrag 2024 Maisaussaat Erster Schnitt 2024

Diskussion mit Minister

"Wir haben keine Einkommenssicherheit mehr"

Angesichts geschrumpfter Ausgleichszahlungen, sinkender Erzeugerpreise und weiterer großer Herausforderungen für Bauern hatte Norbert Totschnig einen ziemlich schweren Stand bei der AGÖ-Veranstaltung.

Lesezeit: 12 Minuten

Der große Andrang in der Dorfhalle in Pfaffing (OÖ) am Dienstag abend sorgte selbst bei Norbert Totschnig für Respekt. „Über 1.500 Bauern hier, teilweise von sehr weit angereist. Das ist auch für mich ein besonderer Moment“, eröffnete der Landwirtschaftsminister seine Einstiegsrede bei der Diskussionsveranstaltung der Agrargemeinschaft Österreich (AGÖ) am 23. April.

Geschäftsführer Hans Konrad hatte den Minister eingeladen, mit Bauern über deren Probleme offen zu sprechen. Dazu zählen u.a. rückläufige Milchpreise, gesunkene Ausgleichszahlungen, das neue Programm Tierhaltung Plus, das Verbot von Vollspaltenböden oder auch die Herkunftskennzeichnung.

"Ich bin kein Showman"

Totschnig stellte zu Beginn als "Eisbrecher" klar: „Ich bin kein Showman, mir geht’s um sachliche Arbeit. Ich setze mich für alle Bäuerinnen und Bauern ein. Aber ich bin keiner, der etwas verspricht, das er nicht einhalten kann. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dass man es immer allen recht macht. Deshalb gibt es auch immer wieder Kritik. Das gehört zum politischen Geschäft, zum politischen Dialog. Und genau deswegen bin ich heute hier.“

AGÖ-Geschäftsführer Hans Konrad sorgte bei seiner kurzen Begrüßung gleich für ein erstes Brodeln im Saal. Er kritisierte, dass die EU-Ausgleichszahlungen „nicht bei den Bauern ankommen.“ Weiters merkte er an: „Wir sind an einem Punkt, wo die Einkommenssicherheit nicht mehr da ist, wo wir jeden Tag enteignet werden. Wo uns jeden Tag für unsere fleißige Arbeit unser Lohn gestohlen wird.“ Dafür erntete er wie nicht anders zu erwarten tosenden Applaus. Und Konrad untermauerte nochmals seine Forderung nach einer Erhöhung des Milchpreises um fünf Cent: "Unsere Haupteinnahmequelle muss wieder der Rohstoff werden, den wir produzieren."

Wie sich im Laufe der anschließende Fragerunden zeigte, war der Minister in der teilweise sehr hitzig geführten Diskussion schon sehr viel Kritik ausgesetzt. Um es aber gleich vorwegzusagen: Der Minister hielt den teilweise sehr angriffigen Fragen und Bemerkungen vergleichsweise ruhig stand und nahm sich zudem über zwei Stunden Zeit. Dafür zollte ihm auch die AGÖ um ihren Geschäftsführer Hans Konrad entsprechenden Respekt.

Waldenberger hatte wichtigeren Termin

Martina Mittermayr von der AGÖ vergaß in diesem Zusammenhang aber auch nicht zu erwähnen, dass sowohl der OÖ Landwirtschaftskammerpräsident Franz Waldenberger als auch die Agrarlandesrätin Michaela Langer-Weninger trotz Einladung nicht nach Pfaffing gekommen waren. Waldenberger habe einen wichtigeren Termin als Grund für sein Nichterscheinen angegeben, meinte Mittermayr und ergänzte: „Ich frage mich, was es an diesem Tag für einen wichtigeren Termin geben kann als unsere Veranstaltung.“

Bevor es in die Diskussion mit den Praktikern ging, sprach der Minister über Herausforderungen, Chancen und Lösungsansätze für die Weiterentwicklung in der Land- und Forstwirtschaft. Darunter nannte er die Ernährungssicherung angesichts der wachsenden Weltbevölkerung. Weiters sprach er den Klimawandel an und dass „wir dagegen arbeiten müssen.“ 

Ziel des Green Deals sei Klimaneutralität bis 2050, so Totschnig weiter. Der Green Deal beinhalte 130 Gesetzesinitiativen, mit denen das erreicht werden soll. Allerdings erkenne man zunehmend, dass diese viele Gesetzesinitiativen dazu führen, „dass es mehr Bürokratie gibt, dass es vor allem mehr Verbote gibt und dass das sehr oft zulasten der Wettbewerbsfähigkeit geht, in der Wirtschaft, aber auch in der Landwirtschaft.“

Gegenbewegung in der EU begonnen

Als Beispiel nannte der Minister die Gesetzesvorlage im Bereich Pflanzenschutz. Die Vorgaben darin hätten letztlich zu einer Gegenbewegung in der EU geführt. „Diesen Kurswechsel haben auch wir massiv gefordert“, so Totschnig. Als weiteres Beispiel erwähnte der Minister die Entwaldungsverordnung. Deren Ziel sei ursprünglich, die Abholzung des Regenwaldes zu verhindern. Doch vielmehr bringe sie extreme Auflagen und Bürokratie für Europas Bauern mit sich.

Weiters ging Totschnig u.a. auf Mercosur, die Wolfsproblematik, Ukraineexporte, Kennzeichnungspflicht für Laborfleisch bis hin zur Herkunftskennzeichnung ein. Zu letzterer meinte der Minister: „Natürlich ist es unser Ziel, dass wir diese auch in der Gastronomie bekommen.“ Nur habe man sich im jetzigen Regierungsprogramm vorerst nur auf die Gemeinschaftsverpflegung verständigt. Aber die Herkunftskennzeichnung in der Gastronomie werde weiter ein Thema bleiben. Totschnig: „Wir kämpfen weiterhin für dieses Thema, weil wir wissen, dass das ein Anliegen ist und dass es uns auch unterstützt.“ Hierfür erntete er die ersten größeren Missfallensäußerungen.

Anschließend ging es in die Diskussion mit den rund 1500 Bäuerinnen und Bauern, wobei der Minister auf dem Podium unterstützt wurde durch Sektionsleiter Johannes Fankhauser, TGÖ-Geschäftsführerin Simone Steiner und den Leiter AMA Marketing "Milch und Milchprodukte" Peter Hamedinger. Wir haben hier einige der gestellten Fragen und Antworten für Sie zusammengestellt.

Frage: "Herr Minister, Sie haben gesagt, Ernährungssicherheit ist der Europäischen Union am wichtigsten. Wie kann es da sein, dass wir hier in Österreich 7 % unserer Flächen stilllegen müssen, Bauern in anderen Ländern wie Deutschland oder Tschechien nur 4 %? Wo ist da die Wettbewerbsfähigkeit für die österreichischen Bauern? Wir sind die kleinstrukturierteste Landwirtschaft und müssen die größten Biodiversitätsflächen anlegen."

Totschnig: "Generell gilt in Europa für die Basisprämie 4% Bracheflächen für alle. Warum haben wir zusätzlich im ÖPUL 7%? Weil das notwendig ist, eine Prämienkalkulation argumentieren zu können. Wir mussten einen erhöhten Standard anbieten, sonst könnten wir keine erhöhten Prämien im ÖPUL auszahlen. Und die Europäische Kommission wird überprüfen, ob die Mitgliedsländer mit ihren Strategieprogrammen einen Beitrag leisten zur Verbesserung des Artenschutzes und der Biodiversität."

Unausgegorenes AMA-Gütesiegel Marktfrucht

Frage von Alois Ganglmayr aus Grieskirchen: "Das AMA-Gütesiegel Marktfrucht wurde eingeführt, ohne dass mit dem Handel, mit den Verarbeitungsbetrieben dazu etwas ausgemacht worden ist. Und den Landwirten werden 5 Euro pro Hektar abgezogen. Derzeit ist es so, dass dieses AMA-Gütesiegel-Getreide mit einem Nicht-AMA-Gütesiegel-Getreide in dieselbe Zelle kommt. Das ist für mich ein Betrug an den Konsumenten."

Totschnig: "Wir haben mit AMA-Marketing ein einzigartiges Vehicle in Österreich. Dazu stehe ich. Wir haben damit die Möglichkeit Werbung zu machen für landwirtschaftliche Produkte. Das ist etwas wert. Zweitens haben wir durch die AMA-Marketing in Österreich Daten über die Entwicklung auf den Märkten, Nachfrage bei einzelnen Produkten. Das haben andere nicht. In Deutschland würden sie sich so was wünschen. Und zum dritten können wir mit dem AMA-Gütesiegel die österreichische Herkunft bewerben. Wir haben das so organisiert, dass die Bauern mitreden. Das heißt, da sitzen die Bauern gemeinsam mit den Akteuren der Wertschöpfungskette, den Verarbeitern und dem Handel am Tisch, und machen sich das aus, wie das AMA Gütesiegel auszuschauen hat, d.h. die Bauern verhandeln mit. Und nun zu der Reform: Es gab den Wunsch, das AMA-Gütesiegel auch im Marktfruchtbereich anzubieten. Vom Budget her liegen wir mit der Umverteilung bei 26 Mio. €. Damit schaffen wir die Möglichkeit, künftig Getreide, Backwaren auch zu unterstützen. Ziel ist es, mehr Wertschöpfung zu erwirtschaften. Wir sind zuversichtlich, dass es auch gelingt."

"Haben bereits bis zu 70 % in den Ländern im Gütesiegel"

Peter Hamedinger von der AMA ergänzte: "Wir haben bei den Marktfrüchten mit Getreiden begonnen. Hier ist die kommende die Ernte abgesichert, es werden genaue Chargentrennungen erfolgen, die neue Ernte aus Österreich im AMA-Gütesiegel ist hier angebaut, hier geerntet, und hier auch verarbeitet. Wir haben bereits in diversen Bundesländern 50 bis 70% der Landwirtschaft, die sich an diesem Programm beteiligt. Und wir haben auch in der Verarbeitung bereits die Richtlinie auf den Weg gebracht. Etwa ab Juni kann auch jeder Verarbeiter sich daran beteiligen. Das sind Mühlen, und letztendlich werden auch Bäckereien und so weiter noch integriert. Wir beginnen mit der Ernte im heurigen Jahr. Somit sind die Qualitäten am Ende des Jahres, Anfang nächstes Jahr verfügbar. Das leistet das AAM-Gütesiegel."

Manfred Muhr, Sprecher der AGÖ übte Kritik am Programm Tierhaltung Plus: Wir werden uns das Programm Tierhaltung Plus nicht auf Dauer einfach gefallen lassen, weil es weit über die Anforderungen der deutschen Handelskonzerne hinausgeht. Wir haben hierzu eine renommierte Rechtsanwaltskanzlei, die sich auf Europarecht spezialisiert hat, zu Rate gezogen. Diese wird das jetzt einmal überprüfen."

Peter Hamedinger: "Wir produzieren mehr Milch in Österreich als wir selber brauchen. Das bedeutet, dass wir einen großen Anteil auch exportieren müssen, weil es in einem freien Binnenmarkt auch Importe gibt. Und die Anforderungen, unter welchen Rahmenbedingungen wir dann exportieren dürfen, geben uns beispielsweise in Deutschland ein System-ITW vor. Das heißt, wir haben in diesem Fall die Standards zu erfüllen und diese Standards waren die Voraussetzung, dass wir eine Marktentlastung schaffen. Denn der deutsche Markt nimmt in etwa 50% unserer Exportaktivität im Milchbereich ab."

Hierzu wandte Manfred Muhr ein: "Wenn uns die österreichischen Molkereien immer sagen, wie schwierig der Export nach Deutschland ist, dann werden wir möglicherweise denen die Last abnehmen und unsere Rohmilch selber exportieren. Die Nachfrage von bayerischen Molkereien an österreichischer Milch ist ungebrochen. Und ich traue mich zu sagen, dass die AGÖ über ihre Mitglieder über ein Viertel der in Österreich produzierten Menge verfügt. Und das hat eine Marktmacht. Und diese werden wir wissen, einzuschätzen. Ich will das nur als Ansage machen. Das können wir uns auf Dauer nicht gefallen lassen."

" Bin entsetzt, wie Tierhaltung Plus vonstatten gegangen ist"

Frage von Helge Schwarz, Tierarzt aus Neumarkt am Wallersee: "Ich bin direkt betroffen durch das AMA-Gütesiegel Tierhaltung Plus. Ich bin entsetzt darüber, wie das Ganze vonstatten gegangen ist. Vor allem, dass die Bauern da innerhalb von kurzer Zeit was unterschreiben müssen, wo sie eigentlich bis heute nicht wissen, was sie unterschreiben. Das nächste ist, dass automatisch durch die Unterschrift, der Datenschutz außer Acht gelassen wird. Ich bin enttäuscht davon, dass es bis jetzt noch kein Gutachten diesbezüglich gibt, wie das eigentlich mit den Daten aussieht. Und ich verstehe nicht, dass so höchstpersönliche Daten in einer Cloud für Deutsche einsehbar werden. Auch wenn es nur einige wenige sind und diese verschlüsselt sind, wie behauptet wird. Und ich sehe wirklich nicht ein, dass diese höchstpersönlichen Daten anderen Nationen zur Verfügung gestellt werden. Das sind Datenbanken, die jederzeit gehackt werden können. Ich würde Sie wirklich bitten, von diesem Programm Abstand zu nehmen, speziell von diesem Antibiotikamonitoring. Und ich hoffe, dass die Tierärztekammer da nicht mitmachen wird. Das wäre eine Katastrophe für uns alle."

Simone Steiner, TGÖ: "Man hat sich entschieden, Molkereien, Landwirtschaft, dass man auf den Markt Deutschland nicht verzichten kann. Die Deutschen haben allerlei Vorgaben gehabt, u.a.  zum Monitoring Tiergesundheit. Und da hat man sich an den Verein Tiergesundheit Österreich gewandt, so ein Programm zu erstellen. Wir haben uns überlegt, Daten zu nutzen, die seit Jahren von Tierärzten gemeldet werden, der Antibiotikaeinsatz wird gemeldet, es wird bei der Schlachttier- und Fleischuntersuchung gemeldet. Alles Dinge also, von denen Sie überhaupt nichts merken. Unterm Strich bedeutet das Programm für Sie keinen Mehraufwand und auch keine zusätzliche Kosten.

Das heißt, wir nutzen Daten, die sowieso gemeldet werden. Wir brauchen die Bereitschaft der Tierärzte. Das heißt, das Programm des TGOs, das wir erstellen, kann nur eine Schiene sein, die deutschen Vorgaben zu erfüllen. Es ist für die Tierärzte mehr Arbeit und dafür verstehe ich auch die Kritik vom Kollegen Schwarz. Die Tierärzte müssen das freiwillig machen. Sie können das machen oder es muss ein weiteres System dafür geben.

Zum Datenschutz: Es werden Berichte auf eine Cloud in Österreich hochgeladen, wo drei Personen aus Deutschland Einsicht nehmen können. In den Berichten sieht man keinen Namen, keine Adresse, kein Bundesland. Man sieht eine Zahl, eine Ziffer. Für diejenigen, die daran nicht teilnehmen wollen, wird es alternative Lösungen geben müssen. Der TGO stellt dieses System für Sie zur Verfügung. Wenn die Tierärzte nicht mitmachen, muss es eine Alternativlösung dafür geben und ob das dann weniger Arbeit ist, kann ich nicht versprechen."

Manfred Muhr: "Herr Minister, sie haben angekündigt, dass die Haltungsformen-Kennzeichnung nur in Kombination mit einer Herkunfts-Kennzeichnung für verarbeitete Lebensmittel kommt? Gilt diese Aussage noch?"

Totschnig: "Ja."

Gegen Ende meldete sich dann noch Altbauer Alois Steinmann (89) aus Pfaffing mit rührenden Worten ans Publikum. Unter anderem meinte er: "Mich stimmt das ein bisschen traurig, dass man jetzt in guten Zeiten die Bauern nicht mehr brauchen kann. Ich wollte immer Bauer werden“, so Steinmann. Und es seien die 50, 60er Jahre wahrlich nicht einfach gewesen. Aber es sei immer ein wenig besser geworden. Vor allem sei der Bauernstand immer geachtet worden. Ich habe 1986 den ersten Laufstall gebaut. Da bin ich noch ausgelacht worden.“ Am Ende legte der Altbauer Minister Totschnig folgendes ans Herz: „Wenn der Herr Minister heimkommt, soll er zu seinen Kollegen sagen: „Mander, es ist Zeit. Wir müssen jetzt den Bauern helfen, kostet es, was es wolle. Laute Bravorufe schallten durch die Halle….

Bedingtes Verständnis füreinander

Für Konrad war das Gespräch mit Totschnig und anderen Vertretern der Politik ein Schritt in die richtige Richtung. Der Minister habe gesehen, was bei den Bauern los ist. Die wiederum hätten Einblick in die Politik bekommen. Allerdings hinterließ die Veranstaltung auch den Eindruck, dass das Verständnis für die vielschichtigen Probleme der anwesenden Bauern beim Minister und den übrigen Vertretern zumindest nur bedingt vorhanden war. Ein stärkeres Aufeinanderzugehen wäre wünschenswert.

Mehr zu dem Thema

top + Schnupperabo: 3 Monate für 9,90 € testen

Alle wichtigen Infos zur Maissaussaat 2024 | Tagesaktuelle Nachrichten, Preis- & Marktdaten

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.