Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Bürokratieabbau Agrarantrag 2024 Maisaussaat Erster Schnitt 2024

top agrar Kommentar im Spiegel

Bauernproteste: Die Landwirtinnen und Landwirte sind zu Recht verärgert

Die Politik hat die Probleme der Landwirtschaft jahrelang ignoriert. Dass die Bauern nun gegen weitere Zumutungen demonstrieren, ist verständlich. top agrar-Chefredakteur ordnet die Proteste im Spiegel ein.

Lesezeit: 6 Minuten

top agrar-Chefredakteur Matthias Schulze Steinmann bekam die Möglichkeit, auf spiegel.de die Hintergründe für die Sorgen der Landwirte zu erklären und ein paar Dinge einzuordnen. Hier lesen Sie seinen Debattenbeitrag.

Die Landwirtinnen und Landwirte, die ich kenne, sind keine „Wut-Bauern“. Sie demonstrieren nicht für mehr Lohn, weniger Arbeit oder eine bessere Work-Life-Balance. Sie wollen Nahrungsmittel produzieren. Und sie arbeiten 24/7 dort, wo es auch mal ungemütlich ist, übel riecht und wo es auch am Wochenende und in den Abendstunden hoch hergeht.

Es muss einiges zusammenkommen, um diese Männer und Frauen auf die Barrikaden zu treiben. Den meisten von ihnen sagt man nicht zu Unrecht eine gewisse Bodenständigkeit und ein ausgeglichenes Naturell nach. Und obendrein werden sie im Stall und auf dem Acker gebraucht und verschwenden ungern Zeit, um sich in der Öffentlichkeit den Frust von der Leber zu schreien.

Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Stellvertreter Christian Lindner und Robert Habeck haben mit ihren Streichungsplänen beim Agrardiesel geschafft, was der Bauernverband und andere landwirtschaftliche Gruppen wohl niemals hinbekommen hätten: Sie haben die Landwirtinnen und Landwirte vom Ökobetrieb bis zum konventionellen Schweinehalter geeint. Und sie haben die Bäuerinnen und Bauern nahezu geschlossen auf die Straße getrieben.

Anfangs war der Rückhalt in der Bevölkerung immens. Noch zu Weihnachten rieb ich mir als Chefredakteur eines landwirtschaftlichen Fachmagazins verwundert die Augen, dass laut Umfragen eine breite Mehrheit der Deutschen nicht nur eine Meinung zu Fragen der Agrardieselbesteuerung hatte, sondern sich klar auf die Seite der Landwirtinnen und Landwirte schlug.

Mit ihren Plänen mutete die Regierung einer kleinen Berufsgruppe, die praktischerweise nicht zu ihrer klassischen Wählerklientel zählte, überproportionale Härten zu – wohl wissend, dass es für die Landwirtinnen und Landwirte derzeit kaum Alternativen zum Diesel gibt, weil man 500 l Tankinhalt bei einem modernen Schlepper nicht mal eben durch ein paar Batterien ersetzen kann. Und sie ignorierte, dass die Steuervergünstigung und insbesondere die bisherige Befreiung von der Kfz-Steuer keine Großzügigkeit der Allgemeinheit waren, sondern dem Verursacherprinzip folgte. Schließlich finanzieren die Einnahmen aus der Kfz-Steuer vor allem den Straßenbau.

Seit dem 4. Januar ist vieles anders. Es war der Tag, an dem die Regierung der Branche entgegenkam. Wenige Stunden später produzierte die Blockade der Fähre in Schlüttsiel, auf der sich Habeck befand, Bilder, die auch bei vielen landwirtschaftlichen Beobachtern Befremden auslösten.

Landwirtschaft ist bunt und nicht braun.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit beklagte eine „Verrohung der politischen Sitten“. Der SPIEGEL kommentierte „Dreist, dreister, Bauernlobby“. Und die Bild-Zeitung fragt plötzlich, wie gefährlich die „Wut-Bauern“ noch würden.

Deshalb ist es richtig und wichtig, dass sich die Organisatoren der Demos und allen voran der Deutsche Bauernverband seit dem Beginn der Proteste klar von radikalen Aktionen und fragwürdigen Mitstreitern abgrenzen. Kein Mitbürger braucht einen Galgen, um zu verstehen, dass die Landwirtinnen und Landwirte berechtigte Anliegen haben. Kein Politiker darf als Privatperson aufgesucht oder gar bedrängt werden. Und keine Landwirtin und kein Landwirt wartet auf die Hilfe irgendwelcher Gestalten von rechts oder aus der Verschwörerecke, die vom Umsturz fantasieren oder zu radikaleren Mitteln anstacheln.

Landwirtschaft ist bunt und nicht braun. Das machen viele Landwirtinnen und Landwirte mit Aufklebern an ihren Schlepperkabinen und Fotos in ihren Onlineprofilen deutlich. Und das ist gut so. Denn auch sie tragen in diesen Tagen Verantwortung und müssen ihr gerecht werden. Nicht nur, weil es ihrem Anliegen dient, sondern weil es zu den Grundfesten des demokratischen Miteinanders gehört.

Die Politik wäre gut beraten, den Empfehlungen mehrerer sozialdemokratischer Ministerpräsidenten zu folgen und die Kürzungen zurückzunehmen. Es geht zwar nur noch um ein paar Tausend Euro pro Betrieb und Jahr. Aber diese mindern angesichts der Marktmacht des Einzelhandels entweder das Einkommen der Landwirte, oder sie werden in Form steigender Preise an die Verbraucher weitergegeben. Beides braucht in Zeiten von Höfesterben und anhaltender Inflation kein Mensch.

Am Ende gibt es ständig neue Vorschriften, aber keine neuen Chancen.

Wichtiger noch als die akute Schadensbegrenzung ist der Blick auf die Hintergründe und Ursachen der Unzufriedenheit. Das beginnt bei der wachsenden Sprachlosigkeit zwischen Stadt und Land. Viele Landwirtinnen und Landwirte fühlen sich belehrt von Menschen, die von Problemen wie der Wiederansiedlung des Wolfes kaum etwas verstehen und vom langsamen Internet in den Dörfern nicht betroffen sind. Zugleich wissen sie nicht, wie sie die steigenden Auflagen beim Pflanzenschutz umsetzen sollen, wenn ihnen die Verbraucherinnen und Verbraucher die höheren Kosten über noch höhere Lebensmittelpreise nicht erstatten. Am Ende gibt es ständig neue Vorschriften, aber keine neuen Chancen.

Es braucht Ideen, wie die großen Themen – vom Klimaschutz und dem Erhalt der Biodiversität bis zum Umbau der Tierhaltung – gelöst werden können. Ich kenne viele junge Landwirtinnen und Landwirte, die nur darauf warten, ihre Ställe klima- und tierwohlkonform umzubauen, um ihren Nutztieren ein besseres Leben zu ermöglichen, und denen die Feldlerche genauso wichtig ist wie ein ordentlicher Weizenertrag. Viele von ihnen haben in den vergangenen Jahren aufgegeben, aufgeben müssen, weil sich eine solche Landwirtschaft nicht rechnet. Weil die zuständigen Behörden nicht wussten, was sie genehmigen durften. Und weil den Betrieben die notwendige Planungssicherheit für eine Millioneninvestition, die sich erst in zwei Jahrzehnten rechnet, fehlt.

Auch der Lebensmitteleinzelhandel mit seiner immensen Marktmacht trägt große Verantwortung.

Das sind Dilemmata, die uns als Bürger und Verbraucher auch umtreiben sollten, wenn die Landwirte nicht die Autobahnzufahrt blockieren, und für die auch der Lebensmitteleinzelhandel mit seiner immensen Marktmacht große Verantwortung trägt.

Dabei lagen mit den Vorschlägen der Zukunftskommission Landwirtschaft und den Ergebnissen des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung, der sogenannten Borchert-Kommission, zwei mühsam erarbeitete Konzepte auf dem Tisch, um die Probleme endlich anzugehen. Beide Konzepte wurden von der früheren Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) viel zu zögerlich unterstützt. Ihr Nachfolger Cem Özdemir (Grüne) schob sie wegen des Widerstandes der FDP und der Halbherzigkeit von SPD und Grünen vom runden Tisch auf die lange Bank. Das wiegt noch schwerer als die unausgegorenen Streichungspläne der Ampel.

Die Bundesregierung sollte die Verteuerung des Agrardiesels zurücknehmen. Dann sollten beide Seiten einander wieder zu hören und gemeinsam überlegen, wie sich die großen Zukunftsprobleme lösen lassen.

Mehr zu dem Thema

top + Das Abo, das sich rechnet: 3 Monate top agrar Digital für 9,90€

Unbegrenzter Zugang zu allen Artikeln, Preis- & Marktdaten uvm.

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.