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Eberfleisch in der Sackgasse?

Lesezeit: 6 Minuten

Schon in vier Jahren wird die betäubungslose Ferkelkastration verboten. Die Politik will das so. Doch der Markt hat seine eigenen Gesetze. ISN-Marktreferent Matthias Quaing hat sich in der Branche umgehört und schlägt Alarm.


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Jede Woche kommen in Deutschland ungefähr 65 000 Eber an den Haken. Etwa die Hälfte dieser Tiere dürfte aus den Niederlanden stammen. Im Vergleich zum Gesamtmarkt, ca. 1 Million Tiere pro Woche, ist die Zahl der Eberschlachtungen also nach wie vor überschaubar. Trotz der relativ kleinen Menge lässt sich das Fleisch dieser Tiere offenbar nicht immer reibungslos vermarkten.


Eberfleisch unerwünscht:

Für die Landwirtschaft wäre der weitere Ausbau der Ebermast grundsätzlich kein Problem, da sind sich die Experten einig. Die Knackpunkte sind die nachgelagerten Stufen. Denn bei vielen Abnehmern in der Fleischverarbeitung und im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist Eberfleisch weiterhin ein Tabu. Das bestätigt ein Mitarbeiter der Vion: „In jüngster Zeit müssen wir immer häufiger unterschreiben, dass wir kein Eberfleisch liefern.“


Noch weiter geht ein größerer Fleischverarbeiter aus dem Rheinland. „Wir verarbeiten grundsätzlich nur Fleisch von weiblichen Tieren, um die Anforderungen der Kunden im Lebensmittelhandel zu erfüllen“, so die eindeutige Aussage.


Die ablehnende Haltung in der Branche dürfte vor allem mit den geruchs­auffälligen Tieren zu tun haben. Ein Schlachter erklärt zwar, dass es dafür durchaus Märkte gibt:


  • Der „auffällige“ Bauch wird überwiegend zu Bacon für den britischen Markt oder für die Rohwurst verarbeitet.
  • Der Schinken dieser Tiere wird oft zu Rohschinken verarbeitet oder geht in den Export nach Italien.
  • Schultern und Verarbeitungsfleisch gehen überwiegend in die Rohwurst.
  • Mit Gewürzen oder Rauch lässt sich der Geruch auch maskieren.
  • Das Verschneiden, z. B. in Fertigprodukten, soll bis zu einem bestimmten Prozentsatz auch möglich sein.


Doch mittelständische Schlachtunternehmen verfügen nicht immer über eine eigene Verarbeitung. Und geruchs­auffällige Tiere zu einem Spottpreis an die großen Konkurrenten zu verkaufen, kommt für die befragten Mittelständler erst gar nicht infrage, weil sie so ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit schwächen würden. Es sind deshalb bisher nur die Großen der Branche, also Tönnies, Westfleisch und Vion, die in nennenswertem Umfang Jungeber schlachten.


Der Mittelstand verzichtet aber noch aus weiteren Gründen am liebsten ganz auf das Geschäft mit Eberfleisch:


  • Das zusätzliche Sortierkriterium verkleinert die Chargen.
  • Das Risiko von Reklamationen steigt.
  • Die Kosten der Geruchsdetektion sowie die geringere Ausschlachtung machen die Eber uninteressant.
  • 3 bis 5 % der Eber


sind ausgeprägt geruchs-


auffällig. Im schlimmsten Fall werden sie für untauglich erklärt und gehen als K3-Material in die Tonne.


Selbst Tönnies bremst!

Doch selbst bei Tönnies wachsen die Bäume offenbar nicht in den Himmel. Obwohl das Unternehmen bekundet, nicht geruchs­auffällig getestete Eber ganz normal in allen Vertriebsschienen verarbeiten zu können, hatte Tönnies an seinem Standort in Sögel kürzlich auf die „Eber-Bremse“ getreten. Seit Ende Oktober erlösen niederländische Jung­eber dort 3 ct/kg SG weniger als die deutschen Artgenossen. Der Hintergrund: Nachdem der Anteil der nicht­kastrierten männlichen Tie­re in den Niederlanden immer wei­-ter stieg und zuletzt bei etwa 50 % lag, haben niederländische Schlachter wie Vion oder van Rooi die Auszahlungspreise drastisch gekürzt. Daraufhin seien Händler reihenweise mit Ebern über die Grenze gefahren, berichtet ein Tönnies-Vertreter.


Mittlerweile berichten Branchenkenner, dass durch die jüngsten Preisab­züge in den Niederlanden immer mehr Betriebe wieder aus der Ebermast aussteigen.


Die Marschrichtung aus Rheda bleibt von diesen Entwicklungen bisher unberührt. Man werde weiterhin an der Eberschlachtung festhalten, brauche aber zwingend Zeit zum Planen, heißt es. Konkret: Wer Eber an Tönnies liefern will, muss dies weit im Voraus ankündigen. Mit dieser Vorlaufzeit sei die Vermarktung des Fleisches dann aber kein Problem, so der Tenor.


Initiative Tierwohl fördert Eber.

Trotz dieser Beteuerung stellt sich auch in Deutschland die Frage: Wie viele Eber verträgt der Markt?


Die Bereitschaft der Industrie und des Handels, Eberfleisch zu kaufen, ist zum jetzigen Zeitpunkt unbefriedigend. Nach Aussagen der Westfleisch schließen 95 % der Betriebe in der Fleischwarenindustrie Eberfleisch kategorisch aus. Der LEH zeigt sich da etwas offener: Mittelständische Schlachter behaupten zwar, Eberfleisch sei auch an den Handel nicht zu verkaufen.


Doch die Großen der Branche berichten zumindest von verhaltenem Interesse. „Um die Verbraucherakzeptanz zu testen, lassen sich einzelne Lebensmittelhändler überschaubare Chargen an Eberfleisch liefern“, so Westfleisch-Vertriebschef Hubert Kelliger. „Es gibt aber auch Händler, die Eberfleisch weiterhin kategorisch ausschließen.“ Von einer breiten Aktzeptanz kann jedenfalls nicht die Rede sein.


Die Debatte um Eberfleisch bleibt akut und könnte durch die Initiative Tierwohl im nächsten Jahr zusätzliche Brisanz erhalten. Das Kriterium „Ebermast“ wird hier mit 1,50 € je verkauftem Tier, sowohl weiblich als auch männlich, vergütet. Schweinemäster dürften deshalb künftig mehr Eber erzeugen als bisher. Genau dieses Ziel wurde mit der Auswahl des Kriteriums für die Initiative ja auch verfolgt.


Am Ende könnte die Folge sein, dass auch hierzulande Jungeber mit Abzügen bestraft werden und der Bonus aus der Initiative Tierwohl so quasi an den Schlachter weitergegeben wird. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz!


Einige Kritiker befürchten sogar noch größere Flurschäden, wenn die Ebermast weiter ausgebaut wird: Sie glauben, dass durch Eberfleisch der Schweinefleischkonsum in Deutschland auf Dauer noch schneller zurückgeht.


Keine echten Alternativen!

Es bleiben viele offene Fragen, und die Ebermast scheint derzeit nicht der Königsweg zu sein, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Das Problem ist nur, dass die Alternativen bisher nicht konkurrenzfähig sind:


  • Die Impfung gegen Ebergeruch wird von nahezu allen Befragten in der Schlachtung und Verarbeitung abgelehnt. Man sorgt sich um die Akzeptanz der Verbraucher.
  • Die Kastration unter Betäubung ist teuer und nicht ungefährlich für den Anwender.


Unterm Strich ist die Analyse des Ebermarktes deshalb ernüchternd. Zum jetzigen Zeitpunkt ist kaum zu erkennen, wie die betäubungslose Ferkelkas-tration rechtzeitig einzuhalten ist, ohne mit Ebern Schiffbruch zu erleiden. Eigentlich ist noch viel Grundlagenforschung erforderlich, sagen die Experten – und zwar nicht in der Ebermast, sondern in der Entwicklung von schmerzausschaltenden Verfahren, um eine echte Alternative zum Kastrationsverzicht zu haben. Ob die verbleibende Zeit dafür reicht, ist fraglich.

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