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Brexit: Das müssen Sie jetzt wissen

Lesezeit: 6 Minuten

Eine EU ohne Großbritannien hat auch Folgen für die hiesige Landwirtschaft. Hier die Antworten auf die neun wichtigsten Fragen.


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1.Wie wichtig ist der englische Markt für Nahrungsmittel aus Deutschland?


1.Wie wichtig ist der englische Markt für Nahrungsmittel aus Deutschland?


Die deutsche Nahrungsmittelbranche hat im Jahr 2015 Waren im Wert von 4,8Mrd. € nach Großbritannien exportiert. Darunter vor allem Fleisch (777 Mio. €), Backwaren (580 Mio. €) und Milchprodukte (508 Mio. €). Gleichzeitig flossen von Großbritannien Lebensmittel im Wert von 1,4Mrd. € nach Deutschland (Import). Zum Vergleich: Insgesamt exportierte Deutschland in 2015 Agrar- und Ernährungsgüter im Wert von etwa 65 Mrd. €. Jeden vierten Euro verdiente ein Landwirt hierzulande durch den Export.


2.Welche Folgen hat der Brexit für den deutschen Export?


„Das hängt davon ab, welche Anschlussregelungen die Briten nach ihrem Austritt aus der EU mit Brüssel aushandeln“, erklärt Prof. Martin Banse, Leiter des Thünen-Institutes für Marktanalyse. Möglicherweise bleibe Großbritannien Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR). Dann dürften Waren zwischen der EU und Großbritannien relativ frei gehandelt werden. Dabei fallen aber Zölle an, die in der Regel für Nahrungsmittel höher ausfallen als für Industriegüter. Besonders davon betroffen wären verarbeitete Nahrungsmittel wie Fleisch und Milchprodukte. Möglicherweise handelt die EU mit Großbritannien auch ein Abkommen aus, dass nur sehr geringe Agrarzölle vorsieht.


Fest steht: Können sich die EU und Großbritannien auf keine Anschlussregelung einigen, müssen sie Waren nach den Regeln der WTO austauschen. Rindfleischexporte würden dann bspw. mit einem Zoll von 28% belegt, Milchprodukte mit 35% und Zucker mit 125%. Unter diesen Bedingungen könnten die deutschen Nahrungsmittel-Exporte nach Großbritannien um 30%/Jahr (-1,2 Mrd. €/Jahr) einbrechen. Einen Teil der Lebensmittel kann Deutschland aber möglicherweise auf anderen Märkten verkaufen. Banse rechnet daher mit einem langfristigen Minus von -650 Mio €/Jahr.


3.Welche Folgen hat der Wertverlust des Pfundes für den deutschen Agrarsektor?


Das britische Pfund hat seit dem Referendum deutlich an Wert verloren. Der Kurs stürzte von 1,32 € auf 1,16 €/Pfund ab (Stand 8.7.2016). Damit verteuern sich für die Briten importierte Waren. Europäische und deutsche Agrarexporteure, die auf die britischen Inseln liefern, müssen jetzt unmittelbar einen höheren Pfundpreis fordern. Das dürfte EU-Lebensmittel auf dem englischen Markt weniger wettbewerbsfähig machen. Mittelfristig erwarten Experten durch neue Zölle und Handelsbarrieren aber stärkere Einbußen als durch die Pfundschwäche. Schließlich notierte die britische Währung vor drei Jahren ähnlich schwach wie jetzt.


4.Was bedeutet der Brexit für den EU-Agrarhaushalt?


Anfang Juli hat die EU-Kommission den Haushaltsplan für 2017 vorgelegt, der ein Gesamtbudget von 134,9 Mrd. € vorsieht. Großbritanniens Beitrag und seine Entnahmen aus dem Haushalt sind dabei noch berücksichtigt, denn das Land wird 2017 noch EU-Mitgliedstaat sein. Großbritannien gehört zu den Nettozahlern der EU. Ihr Anteil am Gesamthaushalt beträgt inklusive Britenrabatt rund 10,5%.


Auf den Agrarhaushalt könnte sich ein Austritt der Briten dennoch weniger auswirken, da auch die Rückflüsse an die Briten über die Direktzahlungen und die Leistungen aus der zweiten Säule wegfallen. Abzüglich der Rückflüsse in die britische Landwirtschaft ergab sich in den vergangenen Jahren eine Differenz von knapp 3 Mrd. € pro Jahr, die durch den Austritt der Briten aus der EU im Agrarhaushalt fehlen würden. Bezogen auf den EU-Agrarhaushalt von 2017 mit rund 55 Mrd. € wären das rund 5%.


5.Wie wirkt sich ein Brexit auf die EU-Agrarpolitik aus?


Mit den Briten geht der deutschen Agrarpolitik ein Verbündeter bei der Liberalisierung der EU-Agrarpolitik verloren. Großbritannien gehört nach Deutschland zu einem der wenigen EU-Mitgliedstaaten, die die Agrarzahlungen vollständig entkoppelt und damit lediglich an die Fläche gebunden haben. Bis die nächste EU-Agrarreform im Jahr 2020 in Kraft tritt, könnte klar sein, welchen Weg Großbritannien nach dem Referendum für den Austritt im Juni 2016 gewählt hat. Die GAP-Verhandlungen für die Zeit nach 2020 werden frühestens in der zweiten Hälfte von 2017 Fahrt aufnehmen. Großbritannien wird sich vermutlich daran nicht mehr beteiligen.


6.Wie wettbewerbsfähig ist die britische Landwirtschaft nach einem Brexit?


40% ihrer Lebensmittel kaufen die Briten derzeit aus dem Ausland, und das überwiegend aus der EU. Ob künftig mehr von diesem Geld an die britischen Bauern fließt, hängt auch von deren Wettbewerbsfähigkeit ab.


Derzeit liegen sie in punkto Vollkosten fast gleichauf mit ihren Berufskollegen in der EU, errechnete kürzlich das Beratungsunternehmen Anderson. Sollten die Importe aus der EU teurer werden – z.B. aufgrund eines schwachen Pfunds oder von Zöllen – käme das den britischen Landwirten zunächst zugute.


Ob sie konkurrenzfähig bleiben, hängt jedoch auch von folgenden Punkten ab:


  • ...wie gut die britische Agrarpolitik die Landwirte unterstützt. Der ehemalige britische Landwirtschaftsminister Jim Paice warnt, dass die Landwirte in der britischen Politik nichts zu melden hätten, weil sie nur 1,5% der Wählerstimmen stellen. Bislang hätten sie vom Einfluss der Bauern-Lobby in Brüssel profitiert, sagt Paice, der sich für die Remain-Kampagne engagierte. Bekommen britische Bauern künftig weniger Prämie als ihre Berufskollegen in der EU, so sinkt ihre Wettbewerbsfähigkeit. Wegen ihres mangelnden Einflusses in London dürfen sie auch nicht auf geringere Umweltauflagen hoffen.
  • ...wie schnell die Landwirte in ihre Betriebe investieren, um ihre Produktion hochzufahren. Beim englisch-walisischen Bauernverband geht man davon aus, dass die Hängepartie um die neuen Handelsbeziehungen zu viel Unsicherheit führt und daher Investitionen unattraktiv macht. Zudem sind die britischen Bauern mit durchschnittlich 60 Jahren älter als ihre EU-Kollegen. Die Investitionsbereitschaft von Landwirten nimmt in der Regel mit steigendem Alter ab. Den Einstieg von jungen Landwirten erschwert ein kompliziertes Boden- und Erbrecht.
  • ...wie viel die Agrarforschung zur Wettbewerbsfähigkeit beiträgt. Seit 2002 hat das britische Landwirtschaftsministerium den Etat pro Jahr um ca. 3,5% gekürzt. Eine Aufstockung ist bis 2022 verboten.


Ob die Briten also ihre Selbstversorgungsrate künftig anheben können, ist zweifelhaft. Die EU-Waren müssten aber mit günstigeren Importen aus Nord- und Südamerika konkurrieren.


7.Welchen Einfluss hat der Brexit auf die TTIP-Verhandlungen?


Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat versichert, dass die EU ihre Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) unbeirrt fortsetzen und bis Ende des Jahres abschließen will. Innerhalb der EU gehört Großbritannien zu einem der größten Verfechter von TTIP. Inwieweit aber überhaupt TTIP bis zum Jahresende beschlossen werden kann, ist fraglich.


8.Wann könnte es zum Brexit kommen?


Möglicherweise wird Großbritannien erst im Herbst oder Anfang kommenden Jahres seinen Austritt aus der EU offiziell in Brüssel beantragen. Sobald das aber geschehen ist, bleiben genau zwei Jahre Zeit für die Austrittsverhandlungen. Danach müssten die Briten die EU verlassen, es sei denn die EU und die Briten vereinbaren eine Verlängerung für die Verhandlungen.


9.Warum stimmten die britischen Bauern überwiegend für den Brexit?


Die Landwirte wollten die bürokratischen Auflagen aus Brüssel loswerden und stimmten zu ca. 60% für den Brexit. Insbesondere der Umgang der EU mit Neonicotinoiden, Glyphosat und Grüner Gentechnik habe den Unmut genährt, sagt z.B. Michael Seals, Rinderhalter und der Sprecher der Pro-Leave-Gruppierung „Farmers for Britain“.


Stefanie Awatar-Esper, Christian Brüggemann, Claus Mayer, Diethard Rolink

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