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Die schwarz-gelbe Gefahr

Lesezeit: 11 Minuten

Der Maiswurzelbohrer ist auf seinem Weg nach Norden nicht aufzuhalten. Wie lassen sich die Schäden begrenzen? Womit müssen Maisanbauer jetzt rechnen?


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Es ist eine „Erfolgsstory“ ohnegleichen. Die Rede ist von der Aus­breitung des Westlichen Maiswurzelboh­rers in Europa. Der kleine Käfer mit dem markanten Aussehen hat es geschafft, ausgehend von seinem ersten Auftreten Anfang der 90er-Jahre in Serbien, große Teile Südosteuropas zu besiedeln. Das sind ge­rade einmal 20 Jahre. Und der Vormarsch ist nicht aufzuhalten.


Mittlerweile ist der Käfer in fast der Hälfte der europäischen Staaten „angekommen“. Wie stark sich der Befall alleine von 2004 bis 2008 aus­gebreitet hat, verdeut­licht der Vergleich der Befallsgebiete in unserer Übersicht. In Polen und Tschechien hat sich der Käfer mittlerweile bis knapp 100 km an die Grenze zu Deutschland vorgearbeitet. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis der Schädling auch in den neuen Bundesländern auftaucht.


Hohe Ertragsverluste


Aus Sicht des Wurzelbohrers ist die Verbreitung zwar eine Erfolgsgeschichte, für die Maisanbauer gleicht sie jedoch einem Horror-Szenario. In den USA ist der Wurzelbohrer der bedeutendste Maisschädling und verursacht dort jährlich Schäden und Bekämpfungskosten von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Experten gehen davon aus, dass auch in Eu­ropa langfristig mit Schäden und Kosten von rund 500 Mio. €/Jahr zu rechnen ist.


Dass solche Zahlen nicht aus der Luft gegriffen sind, ist am Beispiel Italien, wo der Schädling erstmals 1998 auftauchte, leicht nachvollziehbar. In Nord­italien verursacht der Wurzelbohrer bereits dramatische Schäden. Die Befallsentwicklung hat sich vor allem in der Lombardei, dem größ­ten italienischen Maisanbaugebiet, in den letzten Jahren immer mehr aufgeschaukelt.


2009 ist die Situation regelrecht eskaliert, nachdem der Mais – bedingt durch das Anwendungsverbot von Insektizidbeizen aufgrund der Bienenschäden – ohne Insektizidschutz ausgesät wurde. Folge: Befallsdichten von bis zu 30 Käfern pro Pflanze. Das entspricht umgerechnet etwa 2,5 Mio. Käfer/ha.


Ein solches Massenauftreten ist durchaus vergleichbar mit dem des Rapsglanzkäfers 2006 oder der Marienkäfer im Sommer letzten Jahres an der Ostsee. In Nord­italien, insbesondere in der Lombardei, tra­ten nach Medienberichten hohe Ertrags­ausfälle von lokal 30 % und mehr auf.


Auch in anderen Regionen Südosteuropas verursachte der Wurzelbohrer hohe Schäden. In Südungarn kam es z. B. 2003 aufgrund fehlender Bekämpfungsmaßnahmen zu extremen Ertragseinbrüchen bis zum Totalausfall auf einzelnen Flächen. Mittlerweile zeigen dort die Maßnahmen zur Unterdrückung des Schädlings aber durchaus Wirkung.


Nach Einschätzung von Dr. Peter Baufeld, Julius Kühn-Institut in Kleinmachnow, ist die Populationsdichte durch Frucht­wechsel und Insektizideinsatz jetzt zwar insgesamt rückläufig. Dennoch sind unter dem Einfluss des kontinentalen Klimas in heißen Sommern auch bei moderatem Befall ökonomische Schäden zu befürchten. Grund: Der Mais reagiert aufgrund der Wurzelschäden durch die Lar­ven bei hohen Temperaturen und geringem Wasserangebot mit deutlichen Minder­erträgen.


Schäden durch Käfer und Larven


Der Wurzelbohrer entwickelt sich mehr und mehr zum Hauptschädling im Mais – nicht nur im Südosten Europas. Die Schäden werden sowohl vom Käfer selbst als auch von seinen Larven verursacht, wobei letztere für den Hauptschaden verantwortlich sind.


Während die beiden ersten Larvenstadien an den Feinwurzeln fressen und sie bei starkem Befall fast völlig vertilgen, bohrt sich das dritte Larvenstadium in die Hauptwurzeln und in den Stängel ein. Die Fraßtätigkeit verursacht nicht nur starken Wasserstress bei den Pflanzen, sie beeinträchtigt auch die Standfestigkeit. Ertragsausfälle von 10 bis 20 % – vor allem bei Wasserstress – sind keine Seltenheit.


Bei starkem Befall fehlt den Pflanzen auch die ausreichende Verankerung im Boden, und es tritt – je nach Befallsstärke – nesterweises, durchaus aber auch großflächiges Lager auf. Bei ausreichender Feuchtigkeit richten sich die Pflanzen zwar wieder auf, als typisches Symptom kommt es dann aber zur so genannten Gänsehals-Bildung. Das schwächt die Pflanzen, und durch das verminderte Wachstum sind Ertragseinbußen vorprogrammiert. Außerdem nimmt die Gefahr von Pilzinfektionen bei Wurzelbefall zu.


Der Fraß der Käfer führt zu Schäden an den Blättern (Streifenfraß, ähnlich dem Getreidehähnchen), Pollen, Narbenfäden und milchreifen Körnern. Auch hier sind Folgeinfektionen z. B. durch Fusarium nicht auszuschließen. Der Fraß der Narbenfäden verschlechtert außerdem die Befruchtung und verursacht die lückenhaft mit Körnern besetzten Kolben.


Der Käfer reist gerne


Für seine Ausbreitung entwickelt der kleine Käfer erstaunliche Fähigkeiten. Der Käfer selbst ist sehr mobil, ein sehr guter Flieger und kann bei optimalen Bedingungen durchaus 20 km, im Extremfall sogar bis zu 40 km, überwinden.


Noch erstaunlicher ist aber die Tatsache, dass der Schädling verschiedenste Trans­portmittel (Flugzeug, Bahn, Binnenschiffe, Lkws) nutzt, um entlang der großen Transportrouten weite Entfernungen zu überbrücken. So wurde der Käfer immer wieder zunächst an Flug­häfen, Autobahn-Raststätten oder Binnenhäfen entdeckt, um sich dort zu etablieren und in der Folge dann auszubreiten.


Belegt ist in mehreren Fällen die Einschleppung der Käfer mit Flugzeugen aus den USA anhand genetischer Untersuchungen. So z. B. an den Flughäfen von Paris, London, Amsterdam und Brüssel. Durch sofortige Bekämpfungsmaßnahmen konnten die Käfer hier in den meisten Fällen wieder ausgerottet oder zumindest stark zurückgedrängt werden.


Dennoch ist nach Ansicht von Prof. Stefan Vidal von der Universität Göttingen zu befürchten, dass es in den nächsten Jahren zu weiteren Einschleppungen kommen wird. Warum der Käfer nicht schon früher den Sprung über den großen Teich geschafft hat, obwohl er dort seit über 50 Jahren im Cornbelt als wichtigster Maisschädling gilt, könnte folgende Ursache haben: In den USA hat sich das Verbreitungsgebiet des Wurzelbohrers erst in den letzten 10 bis 15 Jahren nach Osten ausgedehnt. Mit dieser Arealausweitung könnte laut Prof. Vidal das vermehrte Einschleppen des Käfers nach Europa zusammenhängen.


Interessant sind auch Simulationsmodelle in den USA, die zeigen, dass die klimatischen Veränderungen die Ausbreitung nach Norden forcieren und die Bedingungen für den Käfer in den nächsten Jahrzehnten bis weit nach Kanada hinein günstiger sein werden. Übertragen auf Europa heißt dies: Durch den Temperaturanstieg aufgrund des Klimawandels und durch den zunehmenden Maisanbau findet der Wurzelbohrer auch bei uns ideale Bedingungen für die weitere Ausbreitung nach Norden. Kein Wunder also, dass der Schädling auch in Deutschland immer mehr zum Problem wird. Zwar hat er sich hier bislang noch nicht in dramatischem Umfang vermehrt oder gar zu Schäden am Mais geführt. Sorgen bereitet den Behörden und Landwirten dennoch die zunehmende Verbreitung des Schädlings in den letzten zwei Jahren.


Immer mehr Flächen ­betroffen


Seit seinem ersten Auftreten im Jahre 2007 in Baden-Württemberg sowie in Bayern im Raum Passau hat sich die Befallsfläche erheblich ausgeweitet. In Bayern verbreitet sich der Schädling vor allem entlang der Donau und der Autobahn (Passau, Deggendorf, Regensburg) und hat mittlerweile die Landkreise Deggendorf, Straubing-Bogen und Regensburg sowie die Stadt Regensburg erreicht. Damit hat sich das Befallsgebiet um eine Strecke von rund 120 km ausgedehnt. Der Schädling hält damit die von Experten angegebene durchschnittliche Verbreitung von jährlich etwa 40 km ein.


Hinzu kommen aber auch immer wieder so genannte Hot-Spots. Gemeint sind damit auf einer Stelle konzentrierte Käferfunde wie 2009 in Bayern bei Freilassing im Berchtesgadener Land. Laut EU-Verordnung ziehen solche Funde zwingend entsprechende Maßnahmen zur Ausrottung des Befalls nach sich.


Auch in Baden-Württemberg hat sich das Befallsgebiet seit 2007 deutlich ausgedehnt. Neben einem Befallsort mit 28 Käfern im Kreis Lörrach und einem weiteren im Kreis Konstanz mit 8 Käfern hat es 2009 besonders die Maisanbauer in den Landkreisen Ortenau und Emmendingen getroffen. Im Ortenau-Kreis wurden an 22 Orten insgesamt 93 Käfer in den Pheromonfallen gefangen. Im Landkreis Emmendingen waren es 18 Befallsorte mit 89 Käfern. Konsequenz: 2009 wurden im Kreis Emmendingen knapp 1 400 ha und im Ortenau-Kreis gut 1 000 ha Maisfläche mit Insektiziden behandelt, um die Käfer abzutöten.


Eingrenzen statt ausrotten


Aufgrund der Vielzahl der einzelnen Befallsstellen in den beiden Landkreisen geht man hier mittlerweile davon aus, dass der Schädling sich nicht mehr ausrotten lässt. Sehr zur Erleichterung der Landwirte hat das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium nach Abstimmung mit den EU- und Bundesbehörden entschieden, in den beiden Kreisen zukünftig eine Eingrenzungsstrategie zu verfolgen. Dazu wird die gesamte Fläche der Landkreise (ausgenommen die Maisflächen in den Schwarzwaldtälern) zum Eingrenzungsgebiet erklärt. Hier gelten folgende Regelungen:


Auf Flächen, auf denen 2009 der Käfer gefangen wurde, sowie auf direkt angrenzenden Flächen darf 2010 kein Mais angebaut werden.


Im Eingrenzungsgebiet wird eine Fruchtfolge vorgeschrieben. Gerechnet ab 2010 darf entweder einmal Mais in zwei Jahren oder zweimal Mais in drei Jahren auf der gleichen Fläche stehen. Bei zweimal Mais in drei Jahren muss beim zweiten Maisanbau eine chemische Bekämpfung der Larven oder der Käfer erfolgen. Außerdem wird die Überwachung mit Pheromonfallen sowie bei Bedarf die Bekämpfung von Befallsherden fortgesetzt.


In den Landkreisen Konstanz und Lörrach, wo Befall durch Wurzelbohrer an jeweils einem Befallsherd ermittelt wurde, gilt weiterhin die Strategie der Ausrottung. In ähnlichen Fällen geht man auch in Bayern vor, wie beispielsweise in Freilassing im Berchtesgadener Land.


In solchen Fällen wird um einen Befallsherd eine Befallszone mit einem Radius von mindestens einem Kilometer und daran angrenzend eine Sicherheitszone von mindestens 5-km-Radius ausgewiesen. In der Befallszone gilt ein zweijähriges Anbauverbot für Mais. In der Sicherheitszone darf auf Flächen, auf denen im Befallsjahr Mais stand, im Folgejahr kein Mais angebaut werden oder es muss eine Bekämpfung der Käfer erfolgen.


Mit der für 2010 erfolgten Strategieänderung wurden die drohenden, drastischen Anbaueinschränkungen in dem intensiven Maisanbaugebiet Baden deutlich entschärft. Ziel ist jetzt zwar nicht mehr die Ausrottung, dennoch sollen die Maßnahmen dazu führen, den Schädlingsbefall zu mindern und die Ausbreitung möglichst zu verringern.


Die derzeit angeordneten Maßnahmen reichen nach Auskunft von Experten für diese Zwecke aus. Die Unterbrechung des Maisanbaus ist für die Bekämpfung der Larven ohnehin die effektivste Maßnahme. Folgt nach Mais kein erneuter Maisanbau, fehlt die für die Larven dringend benötigte Nahrungsgrundlage – die Maiswurzeln. Folge: Der weitaus überwiegende Teil der Larven stirbt ab. Ein Massenbefall wie in Italien oder Ungarn kann sich somit erst gar nicht aufbauen.


Sind 2010 Insektizide verfügbar oder nicht?


Auch die Beizung des Maissaatgutes hat sich als gut wirksam zur Bekämpfung der Larven erwiesen. Nach dem massenhaften Bienensterben im Frühjahr 2008 aufgrund von mangelhaft gebeiztem Maissaatgut ist die Zulassung von Insektizidbeizen jedoch ausgesetzt.


Zwar wurden inzwischen sowohl die Beizung als auch die Sätechnik verbessert, um die Bienen gegen den Beizstaub zu schützen. Dennoch ist nach Expertenaussagen wegen der Funde von insektizidbelasteten Guttationstropfen am Mais nicht damit zu rechnen, dass für die kommende Maisaussaat eine Insektizidbeize wieder verfügbar ist.


Auch Insektizidgranulate hatten bisher nur nach § 11 Pflanzenschutzgesetz eine Ausnahmezulassung. Derzeit ist ebenfalls unklar, ob hierfür wieder eine Ausnahmezulassung erteilt wird. Erfolgt dies nicht, gibt es gegen die Larven keine chemische Bekämpfungmöglichkeit. Nur zur Käferbekämpfung stehen dann Insektizide zur Verfügung.


Wie geht es weiter?


Ist mit dem Strategiewechsel und der Umstellung der Maßnahmen von „aus­rotten zu eingrenzen“ die Kuh vom Eis? Nein – ist sie nicht! Die Strategieanpassung und die Einführung von Eingrenzungsgebieten in den bayerischen und baden-württembergischen Befallsregionen dient aber dennoch dazu, die Kuh – um im Bild zu bleiben – nicht ins Eis einbrechen zu lassen.


Denn: Ein Festhalten an der Ausrottungsstrategie hätte in den Befallshochburgen ein zweijähriges Anbauverbot für Mais bedeutet. Was dies bei der Vielzahl der Wurzelbohrer-Fundorte in den beiden baden-württembergischen Landkreisen mit intensivem Maisanbau bedeutet hätte, kann man sich leicht ausmalen.


Die jetzt getroffenen Fruchtfolgebeschränkungen und Bekämpfungsauflagen verursachen bei den betroffenen Maisanbauern zwar immer noch hohe wirtschaftliche Einbußen, ein Festhalten an der Ausrottungsstrategie wäre für sie aber ungleich teurer geworden. Außerdem besteht jetzt Planungssicherheit. Das heißt: Nicht bei jedem neuen Käferfund wird zukünftig in diesen Gebieten die „Maschinerie“ mit Befalls- und Sicherheitszonen sowie Insektizidduschen in Gang gesetzt.


Dennoch muss klar sein: Der Wurzelbohrer ist bei uns angekommen und wird sich nicht wieder verabschieden. Das würde wahrscheinlich nur der Fall sein, wenn man in den betroffenen Gebieten den Maisanbau komplett verbieten würde. Aber wer will das schon? Einzige Chance: Die Populationsdichte niedrig halten und die weitere Verbreitung in angrenzende Maisanbaugebiete möglichst lange hinauszögern.


Ob letzteres gelingt, wird die Zukunft zeigen. Aber man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass der Wurzelbohrer über kurz oder lang auch im Norden ankommen wird. Dazu bedarf es bekanntlich nur einer Tagesreise mit dem Lkw vom Kaiserstuhl ins Münsterland oder Emsland. Dann werden jedoch wieder zunächst Ausrottungsstrategien zum Tragen kommen – mit den bekannten Folgen. A. Willige

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