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Schuldenkrise - „Die Landwirtschaft profitiert vom Euro!“

Lesezeit: 11 Minuten

Überbordende Staatsschulden, schwacher Euro und steigende Inflationsrisiken. Welche Folgen hat die Euro-Krise für die Agrarwirtschaft? top agrar sprach mit dem früheren OECD-Direktor für internationalen Handel und Landwirtschaft, Prof. Dr. Stefan Tangermann.


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Politik und Wissenschaft bewerten die Auswirkungen der Euro-Krise auf die wirtschaftliche Entwicklung Europas und Deutschlands höchst unterschiedlich. Wie labil ist die aktuelle Lage?


Tangermann: Unternehmen und Konsumenten sind zunehmend verunsichert. Das behindert Investitionen und privaten Verbrauch, führt zu einem Konjunktureinbruch in Europa und schafft damit eine labile Lage. Dazu trägt bei, dass die Politik keine klare Linie verfolgt, sondern immer wieder neue Lösungsversuche ins Spiel bringt. Der Eindruck, dass die Politik nicht in der Lage ist, die Krise im Euro-Raum wirksam zu überwinden, verfestigt sich immer mehr.


Das wirtschaftliche Klima scheint sich einzutrüben. Droht uns eine neue weltweite Wirtschaftskrise wie schon 2009?


Tangermann: Zum Glück bleibt die Krise bisher weitgehend auf Europa beschränkt, wenngleich auch in anderen Teilen der Welt der Konjunktur-Motor zurzeit nicht so rund läuft, wie wir uns das wünschen würden. Ein schwerer Einbruch der Weltwirtschaft wie in der globalen Finanzkrise von 2008 bis 2009 zeichnet sich bisher nicht ab, aber das Wachstum von Weltwirtschaft und Welthandel hat sich deutlich abgeschwächt.


Welche Auswirkungen hat das auf den Agrarsektor?


Tangermann: Die Agrarwirtschaft ist weniger von der Konjunkturentwicklung abhängig als andere Sektoren. Nahrungsmittel werden immer gebraucht, auch wenn das Einkommenswachstum schwächelt. Agrarmärkte werden stärker von Entwicklungen in der Landwirtschaft selbst beeinflusst, vor allem vom Ausfall der Ernten. Die gegenwärtig wieder hohen Getreidepreise zeigen, dass die Weltagrarwirtschaft viel mehr von landwirtschaftlichen Faktoren wie dem Wetter abhängt als von der Weltkonjunktur.


Die hohen Staatsschulden einiger Staaten sind maßgeblich für die Euro-Krise verantwortlich. Brüssel stellt jährlich knapp 60 Mrd. € und Berlin weitere 5 Mrd. € für die Landwirtschaft bereit. Drohen hier Kürzungen, wenn künftig gespart werden muss und die Schuldenbremsen greifen?


Tangermann: Das ist in der Tat zu erwarten. Es wäre der breiten Bevölkerung wohl kaum zu vermitteln, dass an allen Ecken und Enden gespart werden muss, in der Agrarpolitik aber nicht.


Fakt ist aber, dass sowohl die Kommission als auch die Bundesregierung die Mittelansätze für die Landwirtschaft in Zukunft weitgehend konstant halten wollen. Wie passt das zusammen?


Tangermann: Ich habe bisweilen den Eindruck, die Agrarpolitiker verhalten sich, als lebten sie in einem Traumreich. Was um sie herum in der Gesamtwirtschaft geschieht, scheint sie wenig zu bekümmern.


Wo könnte denn aus Ihrer Sicht gespart werden? Auf EU-Ebene fließt das meiste Geld in die Direktzahlungen, auf Bundesebene in die Zuschüsse für das Altersgeld und die Krankenversicherung.


Tangermann: Die Direktzahlungen erscheinen mir als das schwächste Glied in der Kette, denn sie wurden zur Kompensation für Preissenkungen eingeführt und lassen sich nicht wirklich gut rechtfertigen, wenn die Preise in Wirklichkeit hoch sind. Der Versuch, sie grün anzustreichen, wird zunehmend als Etikettenschwindel wahrgenommen.


Deutschland lebt zurzeit auf einer Insel der Seligen. Wir haben im Vergleich zu anderen EU-Staaten traumhaft niedrige Zinsen. Bleiben die Zinsen vorerst so niedrig?


Tangermann: Wir werden vermutlich für längere Zeit niedrige Zinsen behalten, denn das Fluten der Volkswirtschaft mit billigem Geld gilt als eine der zentralen Optionen zur Bekämpfung der Krise. Und wenn die Krise im Euro-Raum sich weiter verschärfen sollte, was nicht auszuschließen ist, dann werden niedrige Zinsen erst recht als der Ausweg erscheinen. In Deutschland kommt hinzu, dass internationale Anleger hier einen der sichersten Häfen sehen und uns deshalb mit ihrem Geld überschütten.


Sind Effektivzinsen von unter 2 % überhaupt gesund? Drohen Investitions- und Spekulationsblasen, weil das Kapital so billig ist?


Tangermann: Das ist im Grundsatz zu befürchten, die steigenden Aktienkurse und Immobilienpreise könnten bereits als Warnzeichen gesehen werden. Allerdings wirkt die Konjunkturschwäche dem auch entgegen. Ich vermute deshalb, dass uns eine explosive Blase erspart bleibt.


Oder überhitzt der Sektor? Das an die deutschen Landwirte ausgegebene Kreditvolumen in den vergangenen drei Jahren um knapp 30 % gestiegen, während es im verarbeitenden Gewerbe im gleichen Zeitraum um fast 15 % gesunken ist (Übersicht 1).


Tangermann: Auch in dieser Hinsicht haben wir es im Agrarsektor wohl eher mit einer eigenständigen Entwicklung zu tun: Die hohen Preise für pflanzliche Produkte haben die Investitionslust in der Landwirtschaft beflügelt. Auch die Erwartung, dass angesichts steigender Weltnachfrage nach Agrarprodukten die Preise längerfristig hoch bleiben werden, trägt zu dazu bei.


Jedenfalls leidet die Landwirtschaft gegenwärtig nicht unter einer Kreditklemme.


Tangermann: Wir haben zurzeit generell keine Kreditklemme. In der Landwirtschaft kommt hinzu, dass die gerade auch in Deutschland traditionell große Bedeutung der genossenschaftlichen Banken, die von Kreditklemmen weniger betroffen werden als andere Finanzinstitute, sich hier positiv auswirkt.


Die Europäische Zentralbank (EZB) fährt seit Monaten eine Politik des billigen Geldes. Wir haben historisch niedrige Leitzinsen. Obendrein gab es kräftige Liquiditätsspritzen für europäische Banken. Steigt jetzt die Inflation?


Tangermann: Das wäre normalerweise zu befürchten. Allerdings wirkt auch hier die gesamtwirtschaftliche Wachstumsschwäche als Bremse. Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass wir mit erheblich höherer Inflation rechnen müssen.


Einige befürchten sogar eine Hyperinflation. Dann laufen z.B. den Betreibern von Biogasanlagen die Kosten weg, während die Erlöse gedeckelt bleiben?


Tangermann: Auch wenn die Inflation in den nächsten Jahren etwas höher ausfallen sollte, als wir das bisher im Euro-Raum erlebt haben, halte ich eine Hyperinflation für sehr unwahrscheinlich. Biogas kommt wohl eher aus anderen Gründen unter Druck, nämlich wegen der zunehmenden Zweifel daran, ob es klimapolitisch sinnvoll und mit dem Schutz von Natur und Biodiversität vereinbar ist.


Ist die Geldpolitik der EZB aus Ihrer Sicht also richtig?


Tangermann: Mit der grundsätzlichen Geldpolitik der EZB habe ich weniger Probleme als mit ihrer Bereitschaft, Regierungen hoch verschuldeter Staaten durch Ankauf ihrer Anleihen zu unterstützen. Das lässt sich weder mit der Unabhängigkeit der EZB noch mit ihrer Aufgabe als Stabilitätshüter vereinbaren.


Wie wirken sich die strengeren Vorgaben der Bankenregulierung auf die Kreditvergabe aus?


Tangermann: Höhere Anforderungen an das Eigenkapital von Banken vermindern den Spielraum für Kreditvergabe. Aber sie sind unvermeidlich, wenn die Stabilität des Bankensektors gestärkt werden soll, damit Banken nicht immer wieder auf Kosten des Steuerzahlers gerettet werden müssen. Aber auch hier gilt, dass genossenschaftliche Banken im Allgemeinen besser aufgestellt sind als manche anderen Finanzinstitute.


Der Euro hat im Vergleich zum Dollar in den letzten 12 Monaten fast 15 % an Wert verloren (Übersicht 2). Was bedeutet das für die deutschen Agrar-Exporte?


Tangermann: Das Exportieren macht umso mehr Freude, je schwächer die eigene Währung ist, denn dann lassen sich höhere Preise in Euro erzielen. Das gilt insbesondere dort, wo die Preise an den Weltmärkten und nicht im Inland gemacht werden, wie das bei Agrarprodukten zunehmend der Fall ist.


Importe, die auf Dollarbasis gehandelt werden, wie zum Beispiel Soja oder Öl, werden dagegen teurer. Heben sich die positiven und negativen Effekte des ungünstigeren Wechselkurses nicht weitgehend auf?


Tangermann: Natürlich steigen bei einem schwachen Euro die Kosten dort, wo auch die Preise von Betriebsmitteln sich aus dem Geschehen an den Weltmärkten ergeben. Aber für die Landwirtschaft insgesamt ist dieser Effekt geringer als die positive Wirkung auf die Erlöse, denn ihre Ausgaben für Betriebsmittel sind geringer als ihre Verkaufserlöse.


Wird der Euro in den nächsten Monaten noch schwächer?


Tangermann: Das ist nicht auszuschließen, aber schwer vorherzusagen. Wenn ich diese Frage mit Sicherheit beantworten könnte, würde ich vermutlich nicht dieses Interview bestreiten, sondern mich am Devisenmarkt engagieren...


Wie würden sich die deutschen Agrarexporte entwickeln, wenn die Euro-Zone tatsächlich zerbräche?


Tangermann: Wenn ein wettbewerbsschwaches Land wie Griechenland aus der Währungsunion ausscheiden sollte, würde ich – nach einer gewissen Phase der Unsicherheit und entsprechend schwankender Wechselkurse – mit einer leichten Aufwertung des „Rest-Euro“ rechnen. Die Agrarexporte würde das ein wenig erschweren. Allerdings erwarte ich nicht, dass sich daraus gravierende Schwierigkeiten für die deutsche Landwirtschaft ergeben.


Können sich die Landwirte gegen Wechselkursrisiken überhaupt absichern?


Tangermann: Risiken bei Wechselkursen kann man an Terminmärkten ebenso hedgen wie diejenigen bei Preisen, allerdings nicht kostenfrei. Wer sich Gedanken über Wechselkursrisiken macht, sollte mit seiner Bank über Optionen für die Absicherung sprechen.


Als Folge der Finanz- und Euro-Krise setzen scheinbar auch Spekulanten verstärkt auf Agrarflächen als Anlageform. Welchen Einfluss hat das auf den Bodenmarkt?


Tangermann: Wie Immobilien gelten auch landwirtschaftliche Flächen als Sachwerte, die eine Absicherung gegen Inflation bieten können. Allerdings eignen sich Agrarflächen nicht gut für eine rein spekulative Investition, weil ihre Verwertung ohne entsprechende Fachkenntnisse schwierig ist. Ich erwarte deshalb nicht, dass Spekulanten sich in großem Umfang in landwirtschaftlichen Flächen engagieren werden. Anders sieht es mit langfristig orientierten Anlegern aus, die im Laufe der Zeit durchaus eine zunehmende Bedeutung erlangen könnten. Allerdings dürfte angesichts des großen Umfangs des landwirtschaftlichen Bodenmarktes auch deren Einfluss begrenzt bleiben.


Sehen Sie politischen Handlungsbedarf?


Tangermann: Nein, denn ich erwarte keine großen Auswirkungen. Und Versuche, bestimmte Investoren vom Bodenmarkt fernzuhalten, funktionieren in der Praxis meistens nicht.


Auch Agrarrohstoffe sind zunehmend zum Spekulationsobjekt geworden. Treiben Spekulanten die Preise für Nahrungsmittel nach oben?


Tangermann: Es wird immer wieder übersehen, dass Spekulanten ja nicht nur kaufen und damit in diesem Augenblick den Preis hochtreiben. Weil sie Gewinn machen wollen, verkaufen sie anschließend wieder und treiben dann den Preis nach unten. Wenn beides zusammen betrachtet wird, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Spekulation im Gesamteffekt preistreibend wirkt. Das könnte sie nur tun, wenn die Spekulanten dem Markt dauerhaft Ware entziehen würden – aber genau das tun sie nicht, denn kein Spekulant will auf Dauer Weizen oder Mais anhäufen.


Brüssel, Berlin und Paris wollen die Warenterminbörsen stärker regulieren. Berichtspflichten sollen ausgeweitet und Obergrenzen für die Zahl der Kontrakte in einer Hand eingeführt werden (Positionslimits). Ist das notwendig und zielführend?


Tangermann: Regeln, die zu mehr Transparenz führen und verhindern, dass einzelne Marktteilnehmer das Geschehen dominieren können, sind durchaus sinnvoll, solange sie nicht dazu führen, dass ‚normale‘ Transaktionen übermäßig behindert werden. Denn funktionierende Terminmärkte sind – gerade auch für Landwirte – ein wichtiges Instrument zur Absicherung gegen die in letzter Zeit größer gewordenen Preisrisiken.


Und wenn die Briten nicht mitziehen? Führen nationale Alleingänge nicht zu neuen Wettbewerbsverzerrungen?


Tangermann: Wenn jeder wartet, bis alle Länder sich geeinigt haben, ist sinnvolle Regulierung kaum zu erreichen. Auch die mangelnde Regulierung des Bankensektors, die mitverantwortlich war für die globale Finanzkrise, hatte damit zu tun, dass jeder auf den anderen gewartet hat.


In den vergangenen Monaten hat man mitunter den Eindruck, die Politik sei nur noch der Spielball der Märkte. Haben Merkel und Co. das Heft des Handelns noch in Hand?


Tangermann: Das kann man durchaus bezweifeln. Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht und wird jetzt von den Märkten an ihre Versäumnisse erinnert. Wenn die Finanzpolitik in der Vergangenheit solider gewesen wäre und übermäßige Staatsschulden vermieden hätte, wäre es nicht zu der Krise gekommen, die wir jetzt im Euro-Raum erleben. Auch ein Verzicht auf die politisch gewollte, aber aus wirtschaftlicher Sicht verfrühte Einführung der Währungsunion hätte uns die gegenwärtigen Probleme erspart.


Die Landwirte haben vergleichsweise sichere Vermögenswerte. Können Sie die Krise gelassener sehen als andere? Was raten Sie?


Tangermann: Sachwerte, die ja in der Vermögensstruktur der meisten Landwirte eine ausschlaggebende Rolle spielen, sind in unsicheren Zeiten eine beruhigende Basis, und in der Tat würde ich gerade Landwirten zu Gelassenheit raten. Hektische Vermögensdispositionen sind jetzt nicht sinnvoll. Allerdings würde ich Geld in diesen Zeiten nicht gerade in Griechenland belassen ...


Herzlichen Dank für das Gespräch.-sp-


Volkswirt mit Stallgeruch:

Prof. Dr. Stefan Tangermann (68) war von 2002 bis 2008 Direktor für internationalen Handel und Land- wirtschaft bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris. Zuvor lehrte der Diplom-Landwirt und Volkswirt viele Jahre an der Universität Göttingen und engagierte sich im wissenschaftlichen Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Seit April 2012 ist Tangermann Präsident der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. „Eine kluge Wirtschaftspolitik wird nicht von den Märkten getrieben“, lautet sein Credo.

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