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Tierhaltung im Brennpunkt

Lesezeit: 14 Minuten

Tierschutz, Antibiotika, Stallbau: Der Druck auf die Tierhalter wächst. Überlassen wir die Debatte den Kritikern, ist die Zukunft der Veredlung in Gefahr.


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Es sind Schreckensbilder wie diese, die beim Fernsehzuschauer hängen bleiben: Schlachtreife Puten, die beim Verladen zusammengetreten werden, verendete Hähnchen inmitten tausender Artgenossen und hinkende, verstörte Schweine im nächtlichen Taschenlampenlicht eines Tierschutzaktivisten. Die Botschaft, die vermittelt werden soll, ist klar: Moderne Tierhaltung beutet Menschen und Tiere aus, belastet die Umwelt und gefährdet die Gesundheit der Verbraucher.


Ob Dioxin im Schweinefutter, Meldungen über Antibiotika in der Hähnchenhaltung oder Demonstrationen gegen neue Ställe, die deutschen Tierhalter stehen seit Monaten im Brennpunkt. Da reicht schon eine Stichprobe von 20 Hähnchenfleischkäufen, um den Eindruck zu erwecken, die Hälfte des deutschen Geflügelfleisches sei mit multiresistenten Keimen belastet, und anschließend reflexartig den Ausstieg aus der „Massentierhaltung“ zu fordern.


Bürgerinitiativen und Organisationen wie PETA, der BUND, aber auch Vertreter aus der eigenen Branche wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) nutzen einzelne Fehltritte geschickt, um mit emotionalen Bildern am Image der Landwirtschaft zu rütteln. So polterte etwa NABU-Präsident Olaf Tschimpke nach dem Bekanntwerden der jüngst diskutierten Studie zum Antibiotikaeinsatz in der nordrhein-westfälischen Hähnchenhaltung: Die Geflügel-Lobby sei eine „Schweinepest für die Verbraucher“. Selbst im Bundestag wird kräftig geholzt. Nach Ansicht von Friedrich Ostendorff, stellvertretender Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses, von den Grünen, ist der „Treibstoff Antibiotika“ in großen Ställen die Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg der „Agrarindustrie“.


Wenn die Akzeptanz schwindet:

Noch, wohlgemerkt, isst der Verbraucher gerne Fleisch, allen Skandalisierungen zum Trotz. Viele Käufer sind gleichgültig und der allgemeine Aufschrei der Empörung ist scheinbar schnell vergessen. Aber bleibt das auch so? Fakt ist, die Zahl der Vegetarier wächst und die Folgen der Dauerkritik für die gesellschaftliche Akzeptanz der Tierhaltung werden zunehmend unkalkulierbar. Und das ist der Kern des Problems. Was nützt es Ihnen, wenn Sie als Tierhalter alle Gesetze einhalten und trotzdem im Dorf als „industrieller Massentierhalter“ am Pranger stehen? Und was bringt es, wenn Sie zwar Schweine zum Weltmarktpreis produzieren könnten, aber gar nicht erst die Genehmigung für den erforderlichen Wachstumsschritt bekommen?


Die anhaltende Debatte um die wachsende Konzentration der Veredlung im Nordwesten, aber auch der Spießroutenlauf beim Bau neuer Ställe im Süden und Osten zeigen, dass es nicht ohne die Akzeptanz der Bevölkerung geht (top agrar 12/2010). Dabei ist der Stimmungswandel längst in der Politik angekommen. Der Verbraucher stimmt zwar weniger als Kunde an der Ladentheke ab, sehr wohl aber als Bürger an der Wahlurne.


Politiker aller Parteien haben verstanden, dass sich mit Verbraucherthemen heutzutage besser in der Wählergunst punkten lässt, als mit einer landwirtschaftsnahen Politik, die unter Umständen sogar Stimmen kostet. Vertreter aller Parteien nutzen die Debatte, um ganz offen an der Privilegierung für den Bau gewerblicher Ställe zu sägen oder die Direktzahlungen aus Brüssel mit neuen Fußangeln im Tier- und Umweltschutz zu versehen.


Viele Branchenkenner halten die anhaltenden Diskussionen um den Tierschutz und die Debatten um neue Ställe und die Grenzen des Wachstums in den Veredlungsregionen für nichts weniger als das größte Zukunftsrisiko der deutschen Veredler. Und das wohlgemerkt in einer Situation, in der viele Betriebsleiter, wie etwa die Ferkelerzeuger, bereits zusätzliche Kosten durch neue Tierschutzauflagen verkraften müssen (z. B. Gruppenhaltung von Sauen), während ihnen das Wasser ohnehin finanziell bis zum Halse steht.


Baustelle Tierschutz:

Hier kommen Meldungen, laut denen 96 % aller untersuchten Hähnchen in NRW mit Antibiotika behandelt wurden, oder Zahlen aus Niedersachsen, nach denen drei Viertel der dortigen Schweinemäster die Wirkstoffe regelmäßig einsetzen, zur absoluten Unzeit. Unsere Branchenvertreter sollten jetzt nicht den Fehler machen, die Ergebnisse schön zu reden. Denn die Erhebungen werfen auch unangenehme Fragen auf: Stimmt wirklich alles in einem Haltungssystem, wenn z. B. bei wenigen Wochen alten Hähnchen hoher Antibiotika-Einsatz die Regel und nicht die Ausnahme ist? Und gerät die zunehmende Konzentration der Schweinehaltung in wenigen Hochburgen doch punktuell an ihre Grenzen?


Das sind Fragen, die auch in den Augen von Prof. Thomas Blaha von der Tierärztlichen Hochschule Hannover ernsthaft beantwortet werden müssen. Blaha ist überzeugt, dass die deutschen Tierhaltungsstandards zwar zu den besten in der Welt gehören, es aber – auch ausgelöst durch den starken Kostendruck – Kompromisse in Sachen Tierschutz gebe, die dem Verbraucher so nicht mehr vermittelt werden können:


  • Kühe werden zu früh gemerzt,
  • Ferkel betäubungslos kastriert,
  • Kälber ohne Betäubung enthornt,
  • Schnäbel gekürzt und
  • Schwänze kupiert.


Der Veterinär erklärt, in vielen Fällen seien die Tiere durch eine einseitige Zucht und nicht kurative Eingriffe, wie z. B. das Schwänzekürzen, an ihre Haltungsbedingungen angepasst worden – und nicht umgekehrt. Desweiteren sei es vielen Tieren in den modernen Systemen nicht möglich, ihr natürliches Verhaltensrepertoire ausreichend auszuleben.


Messen und vergleichen?

Blaha appelliert an den Berufsstand, den „nachhaltigen Einstellungswandel in der Bevölkerung“ ernst zu nehmen und das Tierwohl in Forschung und Praxis stärker in den Mittelpunkt zu stellen:


  • Mittelfristig durch eine mehr auf die Bedürfnisse des Tieres ausgerichtete Zucht und Haltung.
  • Kurzfristig mit einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess durch ein Benchmarking zwischen den Betrieben.


Konkret hieße das, tierschutzrelevante Indikatoren zu messen und zwischen den Betrieben zu vergleichen. Hierzu zählen am Schlachthof gewonnene Daten, wie z. B. Leberschäden, Ballengeschwüre und äußere Verletzungen, aber auch einzelbetriebliche Ergebnisse wie Tierverluste oder die Nutzungsdauer von Milchkühen. Eine solche „risikoorientierte Überwachung“ fordert der Veterinär auch beim Antibiotika-Einsatz. „Die guten Betriebe zeigen, dass es geht – und die problematischen Betriebe lassen sich so ermitteln und gezielt beraten.“ Er appelliert: „Wir müssen branchenintern hin­-gucken und die Probleme anpacken, denn sonst tun es andere.“


Doch beileibe nicht jeder Branchenvertreter sieht das so. Sowohl zwischen den Vertretern der unterschiedlichen Haltungszweige als unter den Landesbauernverbänden blockieren sich derzeit zwei prinzipiell unvereinbare Ansätze: Wollen wir uns verschanzen oder eine offene, ehrliche Debatte führen?


Burgen oder Brücken bauen?

Nicht wenige Vertreter lehnen es offen ab, auf weitere Forderungen der üblichen Kritiker einzugehen. Tenor: Reichen wir den kleinen Finger, nehmen die den ganzen Arm. Das ist mit Blick auf das Vorgehen vieler selbsternannter Umwelt- und Tierschützer nicht ganz von der Hand zu weisen. Dort geht es meist im Kern um die drastische Beschränkung bis hin zur Abschaffung der Tierhaltung, oft mit dem Ziel einer vegetarischen oder sogar veganen Lebensweise.


Die Organisation PETA (People for the Ethical Treatment of Animals, zu deutsch „Menschen für den ethischen Umgang mit Tieren“) verglich im Jahr 2003 allen Ernstes die unsäglichen Massenmorde an Juden während des Holocaust mit dem Schlachten von Nutztieren. Und militante Ausläufer wie etwa die Animal Liberation Front, die von Europol unter anderem mit den jüngsten Brandanschlägen auf Hähnchenställe in Niedersachsen in Verbindung gebracht wird, scheuen selbst vor kriminellen Mitteln nicht zurück.


Natürlich teilen die wenigsten Vertreter der knapp 2 000 deutschen Tierschutzvereine solche Radikalpositionen. Schaut man aber in die Programme von gemäßigteren Umweltvertretern wie ProVieh oder dem NABU, dominieren auch dort Forderungen wie die Rückkehr der Schweinehaltung auf Stroh, die mit heutiger Praxis unvereinbar wären und Jahrzehnte wissenschaftlicher Forschung ad absurdum führen würden.


Erhebungen zeigen außerdem, so groß wie häufig behauptet ist das Interesse des Verbrauchers an der Landwirtschaft beileibe nicht. „Für die meisten Menschen ist Landwirtschaft selbstverständlich da“, stellt Simone Helmle von der Universität Hohenheim klar. Die Forscherin ist zuständig am Lehrstuhl für landwirtschaftliche Kommunikations- und Beratungslehre und kommt in ihren Untersuchungen zu einem ernüchternden Urteil: Die Mehrheit der Bevölkerung hat kein tiefgehendes Interesse an moderner Landwirtschaft.


Worum geht´s? Ich bin dagegen!

Interessant ist, dass mangelndes Wissen und fehlende Aufmerksamkeit der Urteilsfreude keinen Abbruch tun. „Wenn es um Tierhaltung geht, gilt: Alle verstehen etwas davon“, bringt es Peter Kunzmann, Professor am Ethikzentrum der Universität Jena, auf den Punkt. Er ordnet ein: „Dies ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass wir uns gleichzeitig nicht auch als Experten für Kieferchirugie sehen, obwohl diese kaum komplexer sein dürfte, als die Haltung von Nutztieren mit all ihren Facetten.“


„Agrarfabriken“ und Aufheizer:

Passt eine aktuelle Entwicklung dann auch noch in ein vorhandenes Denkmuster, geht auch bei Meinungsbildnern wie Journalisten, Lehrern und Politikern schnell die Objektivität verloren. Dann werden Einzelfälle von verunreinigten Futtermitteln im Zuge des Dioxin-Skandals als Problem der Massentierhaltung verallgemeinert oder die Ausbrüche von BSE als Folge der „Agrarfabriken“ gebrandmarkt (der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im November 2000). Dann passen auch wieder alle Klischees: Große Betriebe sind generell schlecht, die Biolandwirtschaft uneingeschränkt gut. Und früher? War sowieso alles besser!


Untersuchungen von Prof. Achim Spiller von der Uni Göttingen kommen zu dem Ergebnis, dass selbst in seriösen Zeitungen wie der FAZ oder dem Spiegel 70 % der Berichte über die konventionelle Land- und Ernährungswirtschaft als kritisch einzustufen sind. Im Internet, wo der Wettstreit um die Meinung der Verbraucher zunehmend ausgetragen wird, sind es fast 90 %. Das am stärksten diskutierte Thema ist dabei seit nunmehr vier Jahren die moderne Tierhaltung.


Repräsentative Umfragen zeigen, dass 66 % der Bevölkerung die heutige Tierhaltung ablehnen. Nur 18 % glauben, dass Lebensmittel gesünder sind als vor 20 Jahren. Und auf die Frage angesprochen, ab welcher Tierzahl Massentierhaltung beginne, lautet die Zahl, ab der 90 % der Befragten zustimmen: 5 000 Hähnchen (top agrar 1/2012, Seite 13).


Dies ist laut Prof. Spiller allerdings auch eine Mitschuld des Berufsstands und der entscheidende Schwachpunkt einer Wagenburg-Strategie: Man begibt sich in die Defensive und überlässt die Meinungsführung an Zeitungskiosken und Stammtischen den NGOs. „Spätestens seit der BSE-Krise hat sich die Branche aus der öffentlichen Diskussion verabschiedet“, erklärt Spiller, „das müssen wir schleunigst ändern.“


In die Offensive gehen.

Spiller plädiert dafür, frühzeitig und im aktiven Dialog Strategien zu definieren. Als Beispiele nennt er die Diskussionen um die betäubungslose Ferkelkastration und das Schwänzekupieren. Diese sollte der Berufsstand nur verteidigen, wenn er sicher sei, sie auch langfristig öffentlich akzeptiert zu bekommen. „Die Frage muss lauten“, so Spiller, „können wir in einer Fernsehdiskussion, in der Bilder dazu gezeigt werden, argumentativ bestehen?“


Wenn nein, dann sollte der Berufsstand offensiv ein Ausstiegsszenario entwickeln. Wenn ja, dann sollte er das Schwänzekupieren aktiv und öffentlich vor den Kritikern verteidigen. Hierfür bräuchte es dann aber auch Studien, die beweisen, dass es auch unter optimierten Bedingungen nicht ohne ginge (Reportage S. 44).


Hier bleiben in Spillers Augen auch die Erfahrungen aus dem Ausstieg aus der Käfighaltung von Legehennen ein mahnendes Beispiel. „Viele Branchenvertreter haben seinerzeit viel zu lange ausschließlich die klassischen Käfige verteidigt und die Kleingruppenhaltung als Fehlweg dargestellt“, so Spiller. „Sie wurde erst als Lösung verkauft, als die Diskussionen um die Käfighaltung verloren waren. Auch dadurch ist es nicht gelungen, die Kleingruppe dauerhaft als Haltungsform zu etablieren.“


Von Holländern lernen?

In den Niederlanden hat man bereits vor einigen Jahren vergleichbare Debatten rund um den Tierschutz und die Rolle der intensiven Tierproduktion geführt und am Ende die Tierschutzorganisationen bestimmen lassen. Schließlich folgten Tier- und Umweltschutzvorschriften, die zu den schärfsten in ganz Europa gehören. Wyno Zwanenburg, Vorsitzender des niederländischen Schweinehalter-Verbandes NVV, hat diesen Prozess hautnah begleitet und sieht große Parallelen zur jetzigen Debatte in Deutschland. Er appelliert an die deutschen Tierhalter, rechtzeitig gegenzuhalten.


Er und seine niederländischen Kollegen haben vor dem Hintergrund der schweren Image-Verluste im Zuge der massiven Schweinepestausbrüche 1997 und 1998 (2,3 Mrd. € finanzieller Schaden) und zahlreicher Kampagnen gegen die intensive Landwirtschaft ihre Kommunikationsstrategien gewechselt:


  • Heute gibt es in vielen Ställen Sichtfenster, durch die Verbraucher einen Blick in den Stall werfen können. Innerhalb eines landesweiten Betriebsnetzes sind jederzeit Kundenbesuche nach Voranmeldung möglich.
  • Die Niederländer sind inzwischen Meister darin, mit guten Slogans auf vorhandene Standards und erbrachte Leistungen hinzuweisen.
  • Und der Fleischsektor hat ein Gesicht bekommen – über authentische Betriebsleiter, die mit ihrer Person für ihre Anliegen gerade stehen.


„Es geht hier nicht nur um Fachinformationen“, erklärt Zwanenburg, „sondern darum, Vertrauen zu wecken und mit positiven Emotionen zu punkten.“ Das tun die Holländer etwa im Rahmen der „Big Challenge“, einem Fahrradrennen mit dem die Schweinehalter Geld für wohltätige Zwecke sammeln.


Solche Aktionen begrüßen auch außerlandwirtschaftliche Experten. Der frühere VW-Vorstand und ausgefuchste Image-Berater Prof. Klaus Kocks von der Cato Sozietät, erklärte erst auf dem jüngsten Milchforum in NRW: „Den Schinken verkauft man nicht, indem man die Verbraucher durch den Schlachthof führt, sondern indem man ihn anbietet wie feine Damenwäsche.“ Modernes Marketing sei weder mit Milchkühen auf der Alm, noch mit realistischen Bildern der intensiven Landwirtschaft zu leisten.


Hier wäre auch eine gemeinsame Branchenkommunikation gefordert, doch die scheitert noch immer an der Finanzierung.


Was darf’s kosten?

Spannend bleibt die Frage, inwieweit der Verbraucher überhaupt bereit wäre, für Veränderungen Mehrkosten zu tragen. Denn die schär­feren Auflagen kollidieren mit dem Wettbewerbsdruck auf den Betrieben. Selbst die Kritiker räumen ein, dass es für die breite Masse der Landwirte zurzeit keine andere Alternative gebe, als über sinkende Kosten durch größere Bestände und moderne Technik den Kopf über Wasser zu halten.


Doch ist das ein Naturgesetz? Erhebungen zeigen, dass 40 % der Verbraucher eine naturnahe Produktion wünschen. Zumindest sagen sie das – denn mit Blick auf die Verkaufszahlen kommen Bioprodukte mit einem Marktanteil von unter 1 % bei Schweine- und Geflügelfleisch noch immer nicht aus der Nische heraus.


Hier fehlt es allerdings auch an bezahlbaren Alternativen. Die Uni Göttingen geht davon aus, dass rund 20 % der Verbraucher bereit wären, für bessere Haltungsbedingungen höhere Preise in Kauf zu nehmen und eine aktuelle Emnid-Umfrage geht sogar noch weiter: Die Befragten räumten dem Tierwohl mit 89 % die höchste Priorität für die Wahl ihrer Kaufentscheidungen ein. Erst dann folgten der Preis (71 %), Bio-Standards (56 %) und regionale Herkunft (54 %).


Hier sind die verschiedenen Tierwohl-Labels, wie es Westfleisch bereits anbietet und Vion zurzeit in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Tierschutzbund entwickelt, ein interessanter Ansatz (top agrar 8/2011, Seite 118). Rein wirtschaftlich könnte sich für den Handel und die freiwillig teilnehmenden Landwirte ein neues, höherpreisiges Marktsegment erschließen lassen. Und aus Image-Sicht sind die neuen Labels ein Schritt in Richtung Verbraucher und Tierschutzseite. Das Ganze steht und fällt allerdings mit der Glaubwürdigkeit. Das birgt aber auch Gefahren, in den Niederlanden haben sich einige Tierschützer mit Kampagnen auf das dortige „Beter-Leven-Siegel“ gestürzt. Könnten Aktivisten Missstände bei teilnehmenden Landwirten finden, wäre die Fallhöhe auch in Deutschland umso größer. Kritiker wie der Vorsitzende des Ernährungssausschusses im Deutschen Bun-destag, Hans-Michael Goldmann (FDP) sehen außerdem die Gefahr eines „Zwei-Klassen-Tierschutzes“.


Wahr ist aber auch: Wenn Landwirte und Handel den Schritt machen, können sie auch Verbraucher und Tierschützer in die Verantwortung nehmen. Denn hat der Verbraucher die Möglichkeit, tier-gerechtere Ware zu bezahlbaren Preisen zu erwerben, dann soll er sie auch kaufen – oder die vorhandenen, bereits hohen Standards akzeptieren. Auch wenn die Verhandlungen mit dem Tierschutzbund nicht immer einfach sind, es ist geschickt von Vion, einen der Kritiker mit ins Boot zu holen. Das erhöht die Glaubwürdigkeit und nimmt auch die Tierschutzseite in die Pflicht. Schließlich muss auch sie ein Interesse daran haben, anhand von Tierschutzaspekten aber auch ökonomischen und wissenschaftlichen Punkten einen Weg zu finden.


Das macht in der öffentlichen Diskussion zwar weniger Schlagzeilen als die instrumentalisierten Bilder von getretenen Puten und hinkenden Schweinen – für Tiere, Landwirte und Verbraucher käme am Ende des Tages aber deutlich mehr heraus.

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