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„Damit wir nicht das Aldi-Spielchen spielen“

Der Grüne EU-Parlamentarier Martin Häusling will nicht, dass die Supermärkte auch im Biobereich alle Marktmacht an sich reißen. Wie die Biobauern das verhindern und ob die EU ihnen dabei hilft, verrät er im top agrar-Interview. Herr Häusling, die Biobranche wächst und zieht neue Produzenten und Händler an...

Lesezeit: 7 Minuten

Der Grüne EU-Parlamentarier Martin Häusling will nicht, dass die Supermärkte auch im Biobereich alle Marktmacht an sich reißen. Wie die Biobauern das verhindern und ob die EU ihnen dabei hilft, verrät er im top agrar-Interview.

 

Herr Häusling, die Biobranche wächst und zieht neue Produzenten und Händler an. Das ist auf der diesjährigen Biofach nicht zu übersehen. Wo steht die Branche?

 

Die Branche ist wirtschaftlich sehr erfolgreich. Ich hoffe nur, dass sie sich nicht in die falsche Richtung entwickelt. Wir sollten uns bald fragen: Wo geht es hin mit Bio? Bleibt es bei den meist alternativen Vermarktungswegen? Oder sind wir bald nur noch ein Segment im Supermarkt? Wenn ich mich hier auf der Biofach so umsehe, sind große Lebensmitteldiscounter die neuen Hauptakteure. Das ist risikoreich.

 

Warum?

 

Das Spielchen ist immer das gleiche: Die großen Abnehmer sagen, sie wollen einen attraktiven neuen Markt beliefern und suchen dafür Erzeuger. Denen versprechen sie gute Preise und bezahlen diese zunächst auch. Doch sobald die Erzeuger große Mengen an einen einzelnen Abnehmer liefern, sind sie abhängig. Dann hat der Abnehmer die Bauern im Sack und kann mit dem Erzeugerpreis machen, was er will. Es kommen dann Drohungen wie: „...sonst holen wir uns das Getreide billiger von woanders.“

 

Wie können die Bauern das vermeiden?

 

Indem sie sich in die Preisbildung einmischen. Dafür brauchen sie den Kontakt zu den Verarbeitern und Händlern. Zudem sollten sie sich weiterhin in Erzeugergemeinschaften und Verbänden zusammentun, um gemeinsam Druck auszuüben. Es ist dann die Aufgabe der Verbände, z.B. zu sagen, unter 50 ct/kg Milch liefern wir nicht.

 

Ich bin selber Milchviehhalter und habe gerade erlebt, wie wirkungsvoll das ist: Alle haben letztes Jahr erwartet, dass durch die vielen neuen Biomilcherzeuger der Preis verfällt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wir sind weiterhin nahe an der 50 ct-Marke. Einige österreichische Bauern sind zur Biofach gekommen und haben sich gewundert, dass die deutschen Kollegen mehr für die Milch bekommen. In Österreich gibt es nämlich nur noch 42 ct. Die Bauern lassen sich dort scheinbar damit abspeisen  und  die österreichischen Molkereien liefern zu einem niedrigerem Preis  nach Deutschland. Das sollten sich die österreichischen Kollegen nicht gefallen lassen und sich dafür einsetzen, dass wir gleich hohe Preise haben.

 

Aus der EU kommt eine neue Ökoverordnung auf die Biobauern zu. Die schier endlosen Verhandlungen durchblickt außerhalb Brüssels kaum noch jemand. Sie sind Berichterstatter des Parlaments zu dem Thema. Was würde es für die Bauern bedeuten, wenn der aktuelle Verhandlungsstand zum Gesetz würde?

 

Der aktuelle Stand wird niemals zum Gesetz werden, weil er in der landwirtschaftlichen Praxis gar nicht umsetzbar wäre. Malta hat nun die EU-Ratspräsidentschaft übernommen und neue Vorschläge eingebracht. Was besonders bedauerlich ist, ist, dass   erzielte Kompromisse infrage gestellt werden. Der Verhandlungsprozess wird immer unübersichtlicher. Die EU-Kommission sollte ihren umstrittenen Entwurf endlich korrigieren und stattdessen einen umsetzbaren Vorschlag auf den Tisch legen. Das muss aber die Kommission entscheiden. Wir vom Parlament können das nicht alleine erzwingen.

 

Wenn Sie freie Hand über die Ökoverordnung hätten: Was würden Sie ändern?

 

Eines unser Hauptprobleme sind ungleiche Bedingungen. Zum Beispiel nutzen Bauern in Deutschland und Österreich Biosaatgut wann immer möglich und ökologisch erzeugte Tiere, während die anderen Mitgliedsstaaten sich auf ihren Ausnahmegenehmigungen ausruhen. Diese müssen wir endlich befristen. Noch kritischer sehe ich die Importe von außerhalb der EU. Auch da brauchen wir gleiche Spielregeln für Biobauern und Händler. Es kann nicht dauerhaft 64 unterschiedliche Importregeln haben.

 

Warum sind Ihnen gleiche Spielregeln so wichtig?

 

Solange für manche Bauern laxere Regeln gelten als für andere, werden diese immer günstiger produzieren und zum Zug kommen. Denn viele Verarbeiter entscheiden im Einkauf nur noch nach dem Preis. Wir wissen z.B., dass Mühlen Biogetreide aus Osteuropa zu Preisen kaufen, zu denen heimische Bauern es niemals produzieren könnten. Mit dem Mehl backen die Bäcker billige Brötchen, die dann beim Discounter liegen. So stürzen wir uns in einen Preiskampf, den kleine Bauern und Verarbeiter verlieren werden. Der Ökolandbau fährt vor die gleiche Wand, vor die auch der konventionelle fuhr. Wir brauchen einheitliche Biostandards für alle, damit wir nicht dieses alte Aldi-Spielchen mitspielen müssen.

 

Wie schaffen wir gleiche Regeln für alle Biobauern?

 

Wir brauchen eine eigenständige und politisch unabhängige Instanz in Brüssel, die die Kontrollen europa- und weltweit harmonisiert und überwacht. Im Moment legt jeder die Ökoverordnung anders aus. Sogar innerhalb Deutschlands, zwischen den Bundesländern, werden die Regeln unterschiedlich gehandhabt. Das müssen wir harmonisieren und es muss auch für Importe aus  Drittstaatengelten. Wir brauchen aber nicht nur gleiche Regeln, sondern auch eine gleichwertige Kontrolle. Die Überwachung der nationalen Kontrollbehörden von Brüssel aus funktioniert ungenügend. Ich bin oft erstaunt, wie wenig die EU-Kommission von der Biobranche mitbekommt.. Brüssel kann nicht mal die Warenströme innerhalb Europas nachvollziehen. Deswegen kommt es dann zum Beispiel zur „Wundersamen Getreidevermehrung“, während die Bioware mit dem Schiff über das Mittelmeer von Rumänien nach Italien fährt.

 

Vielen stoßen sich im aktuellen Entwurf der neuen Ökoverordnung vor allem an den biospezifischen Grenzwerten für Pflanzenschutz-Rückstände. Die deutschen Verbände sehen diese gar als Methode, Bio in Mitteleuropa abzuschaffen, weil man hier Pflanzenschutz-Abdrift vom konventionellen Nachbarn nicht vermeiden kann. Sie warfen Ihnen vor, dass Sie bei diesem Thema „umfielen“ und sich auf die Seite der Kommission stellten. Zu Recht?

 

Das weise ich empört zurück. Im letzen Trilog waren es die EU-Parlamentarier, die einen Grenzwert aufgehalten haben.. Das war nicht leicht.

Sie haben auf der einen Seite den Kommissar, der sich im Ökolandbau nicht auskennt und die Folgen solcher Grenzwerte gar nicht abschätzen kann. Er überlässt die Arbeit an der Verordnung voll seinen Mitarbeitern, gibt aber zwischendurch dennoch wirre Interviews wie kürzlich in der TAZ.

 

Es wäre hilfreich, wenn alle Beteiligten ihre Worte zurückhaltender wählten. Wir vom  EU-Parlament haben eine klare Linie: Wir wollen die Vorsorgemaßnahmen stärken. Und wir fordern eine solide Analyse: Woher kommen die Probleme eigentlich? Die meisten Verunreinigungen  kommen von konventionellen Nachbarn und passieren während der Verarbeitung oder beim Verpacken. Da würde es wenig helfen, den Landwirt zu sanktionieren.

 

Die Kritik an den neuen Grenzwerten kommt vor allem aus Deutschland. Tun sich die anderen Mitgliedsstaaten leichter mit der Idee?

 

 Viele Mitgliedstaaten  haben Probleme mit ihrem Kontrollsystem und sagen sich: Dann zäumen wir das Pferd eben von hinten auf. Wenn wir im Produkt Rückstände finden, dann fahren wir auf den Betrieb und kontrollieren ihn. Das reicht nicht.

 

 Bio ist mehr als nur Rückstandfreiheit. Die könnte nämlich sogar ein konventioneller Landwirt schaffen, wenn er sich geschickt anstellt. Aber bei Bio geht es um Nachhaltigkeit in allen Facetten. Ein Biobetrieb gehört für mich einmal im Jahr auf den Kopf gestellt von einem Kontrolleur, der weiß, von was er redet.

 

Sich da nur den Aspekt der Rückstände rauszupicken und das zur neuen Definition von Bio zu machen, geht nicht. Ich habe mich deswegen mit der EU-Kommission lange gestritten, weil sie das nicht verstehen will.

 

Trotzdem sind Rückstandskontrollen entlang der gesamten Wertschöpfungskette richtig und wichtig, damit man Probleme erkennt. Aber man muss die Verursacher suchen und Konsequenzen ziehen. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass im konventionellen Bereich Pestizide eingesetzt werden, deren Abdrift Ökoprodukte verunreinigt.

 

Wie lange dauert es noch, bis sich Europa auf eine Ökoreform einigt?

 

Ich habe noch viel Sitzfleisch. Mir werfen ja alle immer vor, dass ich die Verhandlung durch meine Hartnäckigkeit unnötig in die Länge ziehe.

 

Aber die EU-Ökoverordnung ist so etwas wie das Grundgesetz der Biobranche. Da kommt es auf jedes Wort an und man muss ins Detail gehen. Ich bin einer der wenigen Praktiker am Tisch und kann verstehen, was die Vorschläge für die Betriebe bedeuten.

 

Es geht um die Ausrichtung der Biobranche: Bleibt sie eine Nische, oder ist Ökolandwirtschaft die Zukunft der Landwirtschaft?

 

Herr Häusling, vielen Dank für das Gespräch.

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