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„Hunger ist eine große Fluchtursache!“

Ist die Exportorientierung der EU-Landwirtschaft allein schuld am Hunger in der Welt? Gerd Müller hält das für eine einseitige Sicht. Im top agrar-Gespräch zeigt er auf, was jetzt getan werden muss.

Lesezeit: 5 Minuten

Ist die Exportorientierung der EU-Landwirtschaft allein schuld am Hunger in der Welt? Gerd Müller hält das für eine einseitige Sicht. Im top agrar-Gespräch für die Ausgabe 7/2017 zeigt er auf, was jetzt getan werden muss.


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Die größte Not herrscht zurzeit am Horn von Afrika. Was ist die Ursache?


Müller: Die Folgen des Klimawandels. Seit fast einem Jahr ist dort kein Regen gefallen. Aktuell sind in Äthiopien und Somaliland ca. 25 Mio. Menschen direkt vom Hungertod bedroht. Um die Menschen zu retten, brauchen die Vereinten Nationen ganz schnell 4 bis 5 Mrd. € Soforthilfe. Das muss die Weltgemeinschaft leisten können. Deutschland hat seine Hilfen schon massiv aufgestockt.


Wir können die Krisen der Welt aber nicht alleine lösen. Alle, die mit ihrem Lebensstil und CO2-Ausstoß Verursacher der Erderwärmung sind, stehen in der Verantwortung, diejenigen zu unterstützen, die gar nichts zum Klimawandel beitragen und am stärksten darunter zu leiden haben. Wir müssen ihnen helfen, sich auf die veränderten klimatischen Bedingungen einzustellen.

 

Wie sieht diese Hilfe aus?


Müller: Wir stellen jährlich 1,5 Mrd. € für die ländliche Entwicklung bereit, u. a. für den Aufbau sog. Grüner Innovationszentren, 13 in Afrika und eines in Indien, die Kleinbauern und verarbeitende Betriebe ausbilden und beraten.


Ziel ist es, mit einer modernen nachhaltigen Landwirtschaft für höhere Produktivität und Wertschöpfung zu sorgen. Dabei geht es auch um den Zugang zu Krediten, um den Aufbau von Genossenschaften zur besseren Organisation der Vermarktung und um die Verringerung von Nachernteverlusten. Diese können nicht selten mehr als die Hälfte der Ernte ausmachen.


Was wollen Sie erreichen?


Müller: Die G7-Staaten haben sich vorgenommen, bis 2030 insgesamt 500 Mio. Menschen aus Hunger und Mangelernährung zu führen. Dafür müssen wir die Produktivität der Landwirtschaft deutlich steigern und dabei mit weniger Wasser und auch weniger Ackerflächen auskommen.


Wie kommen Ihre Angebote vor Ort an?


Müller: Die Menschen sind unglaublich motiviert. Ein Beispiel für die Arbeit unserer Innovationszentren ist der Reisanbau. Wir vermitteln den Bauern eine verbesserte Anbaumethode, die mit weniger Wasser, besserem Saatgut und ohne chemischen Pflanzenschutz auskommt. Jetzt ernten die Bauern 8 bis 10 t/ha Reis statt wie bisher 2,5 t mit der traditionellen Methode.


Die Exportorientierung der EU-Landwirtschaft zerstöre regionale Agrarmärkte v. a. in Afrika und verstärke die Versorgungsengpässe, kritisieren die Hilfsorganisationen. Stimmt das?


Müller: Wir brauchen einen fairen Welthandel, denn wir können unseren Wohlstand nicht auf dem Rücken anderer leben. Ein erster Schritt war, dass die Agrarsubventionen auf EU- und WTO-Ebene abgebaut wurden. Hier müssen wir weiter vorankommen. Aber auch die Entwicklungs- und Schwellenländer müssen mitwirken und vor Ort günstige Rahmenbedingungen für Investitionen im ländlichen Raum schaffen. Dazu gehören eine faire Bodenordnung mit sicheren Landnutzungs- und Besitzrechten für die Landbevölkerung, Berufsbildung und der Ausbau der Infrastruktur. Ghana, Ruanda oder Kambodscha zeigen, wie man Hunger erfolgreich bekämpfen kann. Solche Länder unterstützen wir nach der Maßgabe: fordern und fördern.


Wie groß ist das Problem des „Land Grabbings“?


Müller: Soweit wir wissen, sind seit dem Jahr 2000 weltweit rund 27 Mio. ha land- und forstwirtschaftlicher Nutzflächen an ausländische Investoren gegangen. Dabei gibt es Negativbeispiele verantwortungsloser Agrarinvestitionen, die keinen Beitrag zur Überwindung von Hunger und Armut leisten – im Gegenteil. Deshalb werden wir hier an vielen Stellen aktiv.


Wo ist das Problem besonders groß?


Müller: Es lassen sich hier nicht einzelne Länder herausgreifen. Unsere Aufgabe ist es, die lokalen Bevölkerungen in unseren Partnerländern zu schützen vor Landraub durch ausländische, aber auch durch inländische Investoren. Nationale Eliten sichern sich große und besonders produktive Flächen. Das Ausmaß an Korruption wird hier sogar noch größer eingeschätzt als bei ausländischen Investitionen.


Was kann man dagegen tun?


Müller: Wir investieren in unseren Partnerländern 70 Mio. € z. B. in den Aufbau von Grundbuch-Verwaltungen. Wir arbeiten auch direkt mit NGOs zusammen, um den Kleinbauern die Landrechte zu sichern. Und auf internationaler Ebene werben wir für hohe Standards bei Landinvestitionen, z. B. als Anteilseigner der Weltbank.


Warum nutzen viele afrikanische Länder ihre Potenziale nicht?


Müller: Leider ist es häufig einfacher und kurzfristig preiswerter, Agrarprodukte vom Weltmarkt zu importieren. Die Agrarimporte Afrikas haben sich in den vergangenen 10 Jahren fast vervierfacht. In der gleichen Zeit legte die Produktion nur 2 bis 3 % pro Jahr zu. Damit blieb sie weit hinter der steigenden Nachfrage der wachsenden Bevölkerung.


Hier liegt ein riesiges Wachstums- und Arbeitskräftepotenzial, das wir gemeinsam heben können. Nur ein Beispiel: Mit deutscher Unterstützung wurde in der Nähe von Nairobi eine Fruchtsaftfabrik gebaut, die mittlerweile von 40 000 Bauernfamilien beliefert wird. Die Mango-, Orangen- und Apfsäfte sind hervorragend und in Kenia sehr beliebt.


Wie wichtig ist der Erhalt der kleinbäuerlichen Agrarstrukturen?


Müller: Sehr wichtig. 80 % aller landwirtschaftlichen Betriebe in Afrika sind Kleinbauern. Es gibt rund 30 Mio. Betriebe mit jeweils weniger als 2 ha, die aber etwa 60 % der landwirtschaftlichen Flächen bewirtschaften und zwei Drittel der afrikanischen Bevölkerung ernähren. Die Kleinbauern sind auch in Zukunft das Rückgrat der Ernährung.


Wann kann sich Afrika selbst versorgen? Wird das überhaupt gelingen?


Müller: Wir sind auf einem guten Weg. Bei unserer Afrika G20-Konferenz Anfang Juni in Berlin haben die afrikanischen Staats- und Regierungschefs die Erfahrung mitgenommen, dass sich der Westen weg von einer Entwicklungspolitik alten Stils hin zu einer echten Wirtschaftspartnerschaft mit Afrika bewegen.


Wir können nur zusammen Zukunftsperspektiven entwickeln. Die Ernährungsfrage der Menschheit entscheidet sich in den ländlichen Räumen der Entwicklungsländer. Dafür haben wir in unserem Ministerium die Weichen neu gestellt und einen Marshallplan mit Afrika entwickelt.


Sie werden auch als künftiger Landwirtschaftsminister gehandelt. Welches Ministerium wäre Ihnen lieber?


Müller: Sollte sich nach der Wahl die Möglichkeit geben, würde ich mich freuen, mein erfüllendes Amt gerne weiterführen zu dürfen.

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