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Antibiotika-Datenbank: Noch viel Ärger

Lesezeit: 9 Minuten

Seit anderthalb Jahren müssen Mäster ihren Antibiotika-Verbrauch melden. Über denErfolg gehen die Meinungen weit auseinander. top agrar zieht eine erste Bilanz.


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Bullenmäster Bernhard und Ursula Beckmann aus Bad Bentheim können es kaum glauben: Seit sie ihren Antibiotika-Verbrauch melden müssen und ihre Behandlungsstrategie ändern mussten, haben sie höhere Kälberverluste. Und noch etwas brachte sie zum Staunen: Wegen der Behandlung eines einzelnen Bullen mussten sie einen schriftlichen Maßnahmenplan bei der Behörde einreichen, um den Antibiotika-Einsatz bei den Mastbullen zu reduzieren. Das ist der Irrsinn der neuen Antibiotika-Datenbank.


Diese Datenbank ist das Ergebnis der 16. Novelle des Arzneimittelgesetztes (AMG). Welche Ziele hat das Gesetz? Welche Auswirkungen hat es? Was sagen Landwirte und Tierärzte dazu?


Gesetz mit klarem Ziel:

Hintergrund der Gesetzesänderung ist, dass die Resistenzen gegenüber Antibiotika zunehmen. Dafür wird unter anderem ein „übermäßiger“ Gebrauch in der Tiermedizin verantwortlich gemacht. Mit der Änderung des AMG zum 01. 04. 2014 will der Staat den Antibiotika-Einsatz in der Nutztierhaltung minimieren.


Die AMG-Novelle soll Landwirten als „Benchmarking“ die Möglichkeit bieten, sich mit anderen Betrieben im Antibiotika-Verbrauch zu vergleichen, auf Einzelbetriebsebene die Ursachen zu suchen und die Situation zu verbessern, erklärt das Bundeslandwirtschafts-ministerium (BMEL).


Für diese Art von Benchmarking müssen Rindermäster, aber auch Schweine- und Geflügelmäster, halbjährlich (spätestens am 14. 01. bzw. 14. 07.) ihren Antibiotika-Verbrauch an die HIT-Datenbank melden. Eine Meldepflicht besteht aber erst bei mehr als 20 Mastkälbern ab acht Monate bzw. Mastrinder älter als acht Monate.


Das HIT berechnet aus der Anzahl der Wirkstoffe, der behandelten Tiere, der Behandlungstage und der durchschnittlichen Tierzahl im Halbjahr die betriebliche Therapiehäufigkeit (siehe Übersicht 1). Und zwar getrennt für Mastkälber bis acht und Mastrinder älter als acht Monate.


Parallel dazu werden aus allen Meldungen, die deutschlandweit eingegangen sind, Durchschnittswerte errechnet (siehe Übersicht 2). Diese veröffentlicht das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zweimal jährlich. Und zwar ebenfalls für Mastkälber und Mastrinder:


  • Die Kennzahl 1 (auch Median genannt): 50 % der erfassten Therapiehäufigkeiten liegen unter diesem Wert.
  • Die Kennzahl 2 (auch Drittes Quartil genannt): 75 % der erfassten Therapiehäufigkeiten liegen unter diesem Wert.


Anhand dieser Kennzahlen müssen sich die Landwirte nun selbst einstufen: Wer über der Kennzahl 1, aber unter der Kennzahl 2 liegt, muss mit dem Tierarzt gemeinsam prüfen, wie er den Antibiotika-Verbrauch reduzieren kann.


Wer die Kennzahl 2 überschreitet, muss bei seiner Behörde unaufgefordert einen schriftlichen Maßnahmenplan einreichen. Das haben Beckmanns gerade erlebt. Ihre betriebliche Therapiehäufigkeit liegt bei Mastkälbern bis acht Monate über der Kennzahl 2.


Behandlungsstrategie geändert:

Früher hat Ursula Beckmann ihren Bullenkälbern beim Einstallen ein antibiotisches „Einstallpulver“ verabreicht, um Krankheiten vorzubeugen. Durch den Stress während des langen Transportes vom Erzeuger- zum Mastbetrieb sind Krankheiten vorprogrammiert. Außerdem kommt jedes Kalb von einem anderen Betrieb und bringt ein anderes Keimspektrum mit. Auch deswegen haben Beckmanns beim Einstallen prophylaktisch Antibiotika eingesetzt.


Doch seit sie ihren Verbrauch melden müssen, sind sie gezwungen, darauf zu verzichten. „Stattdessen behandeln wir nun die sichtlich kranken Tiere mehrere Tage hintereinander“, erklären Beckmanns. Das hatte aber auch Folgen für die Kälber: „Wir hatten höhere Verluste, bis sich die neue Herangehensweise eingespielt hat.“ Zudem sei es mehr Arbeit als vorher und nicht ungefährlich für gesunde Kälber. Diese könnten sich bei den kranken schnell anstecken. Dennoch müsse man sich selbst kritisch hinterfragen. Ein prophylaktischer Einsatz könne schließlich keine Lösung sein.


Um den Antibiotika-Einsatz zu reduzieren, setzt Dr. Harald Becker, Fachtierarzt für Rinder aus Heek in Nordrhein-Westfalen, auf Verbesserung in Hygiene, Haltung und Fütterung sowie auf vorbeugende Schutzimpfungen.


Andere Tierärzte schlagen vor, die Kälber bereits auf den Erzeugerbetrieben zu impfen, dann wären sie über den Transport hinweg besser geschützt. So ließe sich im Nachgang Antibiotika sparen. Nur dazu wäre aus Kostengründen wahrscheinlich keiner bereit.


Aber auch Betriebe mit einem guten Management überschritten die Kennzahlen. Familie Beckmann ist ein Beispiel dafür. Sie haben einen neuen Maststall gebaut, reinigen und desinfizieren die Stallabteile gründlich, haben die Fütterung dem Energiebedarf der Kälber angepasst und impfen sie.


Ähnlich geht es Bullenmäster Robert Ewigmann aus Schöppingen im nordrhein-westfälischen Kreis Borken. Er hat alle Möglichkeiten im Management ausgeschöpft. „Mir bliebe nur noch ein Stallneubau zur Verbesserung der Luftqualität. Das rechnet sich in der Bullenmast aber nicht“, erklärt er.


„Ehrlichkeit wird bestraft“:

Dass sie trotz des guten Managements die Kennzahlen überschreiten, frustriert Beckmann und Ewigmann. Schuld sei allerdings auch die „Unehrlichkeit“ einiger Berufskollegen. Denn nicht jeder, der Antibiotika angewendet hat, melde das. Diese Betriebe werden bei der Berechnung der bundeseinheitlichen Kennzahlen mit null Antibiotika-Einsatz gewertet. „Das verfälscht die Kennzahlen nach unten und bestraft diejenigen, die ehrlich sind“, schimpft Ewigmann.


Offizielle Zahlen gibt es jedoch nicht, da HIT nicht zwischen korrekter und widerrechtlicher Nicht-Meldung unterscheiden kann.


75 % keine Antibiotika?

So lag im letzten Erhebungszeitraum vom 01. 01. bis 30. 06. 2015 bei beiden Nutzungsarten die Kennzahl 1 bei 0 (siehe Übersicht 2). Das heißt, dass mindestens 50 % der meldepflichtigen Rindermäster kein Antibiotikum einsetzten oder nicht meldeten. Für Mastrinder älter als acht Monate lag die Kennzahl 2 ebenfalls bei 0, was heißt, dass mindestens 75 % der Rinderhalter kein Antibiotikum einsetzten oder nicht meldeten. Für Beckmann und viele andere Bullenmäster, die meldeten, war das ägerlich: Sie mussten für die Behandlung eines einzigen Bullen einen Maßnahmenplan einreichen. Das sind Knackpunkt und Problem der Antibiotika-Datenbank zugleich.


Auf einer Veranstaltung vom Bundesverband der beamteten Tierärzte e. V. wurde deswegen gefordert, die Maßnahmenpläne für Mastrinder älter als acht Monate abzuschaffen und die „Bullenmast sogar gänzlich aus dem Minimierungskonzept herauszunehmen“. Denn die Kennzahlen würden zum einen zeigen, dass in der Bullenmast nicht viele Antibiotika eingesetzt werden. Zum anderen werden aber auch beträchtliche Mengen Antibiotika nicht gemeldet, stellt Dr. Christoph Brundiers, Leiter des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamtes Kreis Steinfurt, bei Überprüfungen fest.


Die „nicht meldenden“ Berufskollegen kommen aber nicht ungestraft davon: Wer trotz Anwendung nicht oder nur einen Teil der Meldung gemacht hat, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld geahndet wird.


Doch die Antibiotika-Datenbank hat auch für die Melder ihren Preis. Im Kreis Borken beispielsweise zahlen Tierhalter für die Überprüfung der Maßnahmenpläne und Vor-Ort-Kon-trollen durch Kreisveterinäre 19,50 € pro Viertelstunde plus Fahrtkosten.


Die Maßnahmenpläne für Mastrinder älter als acht Monate werden zum Großteil kostenlos überprüft, da es sich meist nur um die Behandlung eines Bullen handelt. Hinzu kommen die Kosten für die Erstellung des Plans mit dem Hoftierarzt. In Niedersachsen wurden für die Kontrollen und Überprüfungen sogar extra 25 neue Stellen geschaffen.


Und was sagen die Landwirte zur Praktikabilität der Antibiotika-Datenbank? „Beim ersten Versuch habe ich mir die Haare gerauft“, erinnert sich Ewigmann. Die Meldung der Antibiotika-Verbräuche läuft über die HIT-Datenbank, wo sie offiziell als Tierarzneimittel-Datenbank (TAM) geführt wird. „Sich dort durchzuklicken, war mühsam und zeitaufwendig.“


Ewigmann hat sich für den Service seines Tierarztes Dr. Becker entschieden. Betriebe können ihren Verbrauch nämlich auch über Tierärzte oder QS melden lassen. Dafür muss der Landwirt jedoch eine schriftliche Erklärung bei seiner Behörde abgeben, in der er versichert, dass er die Behandlungsanweisungen des Tierarztes gemäß Arzneimittelabgabebeleg einhält.


Dr. Beckers Gemeinschaftspraxis hat sich von einem Fachmann extra ein Programm schreiben lassen, das Abgabebelege und Antibiotika-Datenbank in einem Arbeitsgang managt. Den Betrag, den Ewigmann dafür an die Praxis zahlt, ist ihm seine Zeit allemal wert.


Ursula Beckmann hingegen meldet den Verbrauch selbst. Sie arbeitet gerne am PC, will verstehen, wie die betrieblichen Therapiehäufigkeiten zustande kommen. „Das geht am besten, wenn man sich selbst ein Bild davon macht“, erzählt Beckmann. Das erste Mal habe sie zwei oder drei Tage für das Melden des Antibiotika-Verbrauches gebraucht. Dabei hat sie sich die Arbeitsschritte im Programm notiert und einen Ordner dafür angelegt. Mittlerweile ist das Melden Routine geworden. Es dauert dennoch ca. eine Stunde pro Woche.


Was bringt die Datenbank?

Doch was hat die Gesetzesänderung bisher gebracht und wie geht es künftig weiter?


Die ehemalige Bundesagrarministerin Ilse Aigner prophezeite bereits bei Einführung dessen Erfolg: „Mit der AMG-Novelle kann die Menge der eingesetzten Antibiotika in der Tierhaltung innerhalb weniger Jahre deutlich reduziert werden. Das Gesetz wird seine Wirkung nicht verfehlen.“


Damit lag sie nicht falsch: Im Jahr 2014 wurden rund 15 % weniger Antibiotika von Tierärzten an Landwirte abgegeben als im Vorjahr (für alle Tierarten). Allerdings gingen die Mengen auch in den Jahren zuvor schon zurück, wenn auch nicht so stark wie 2014.


Dieser Trend zeigt sich auch in den Kennzahlen für das Jahr 2015: Daran lässt sich ablesen, dass der erfasste Antibiotika-Verbrauch sinkt (auch wenn nicht alle meldepflichtigen Mäster gemeldet haben sollen). Bei Mastkälbern bis acht Monate beispielsweise hat sich die Kennzahl 2 von 5,058 auf 2,676 fast halbiert. Doch die Sprünge werden kleiner, ist sich Ewigmann sicher. „Denn irgendwann kommt jeder an die Grenze des Möglichen.“


Fachtierarzt Dr. Becker hat für den sinkenden Antibiotika-Verbrauch eine einfache Erklärung: „Seitdem es Pflicht ist, den Verbrauch zu melden, geben unsere Kunden mehr Geld für Impfungen, bauliche Maßnahmen und Verbesserungen im Management aus.“


Das BMEL sieht darin eine engere Bindung zwischen Tierarzt und Landwirt: „Der Tierarzt wird durch die neuen Regelungen in noch stärkerem Maße zum Berater des Tierhalters.“


Kritik am Konzept:

Doch das Antibiotika-Minimierungskonzept stößt bei Tierärzten auch auf Kritik. Es führe zu einem Senken der Therapiehäufigkeiten um jeden Preis, z. B. werden Mittel mit zwei Wirkstoffen durch Präparate mit einem Wirkstoff ersetzt und dadurch auch Reserveantibiotika gebraucht. Außerdem würden Wirkstoffe mit schmalem Spektrum und langer Behandlungsdauer durch breit wirkende Antibiotika mit kürzerer Behandlungsdauer ersetzt. Das ergebe zwar rechnerisch eine geringere Therapiehäufigkeit, diene jedoch nicht dem Tierschutz.


Das BMEL erklärt zu diesem Vorwurf, dass sich für die geltenden Auswahl-Kriterien der geeigneten Mittel nichts geändert hat. Sie sind in den Antibiotika-Leitlinien der Bundestierärztekammer festgelegt. Chancen auf Verbesserungen des Gesetzes soll es erst mit dessen Evaluierung 2019 geben.


Doch schon jetzt plant das Bundesministerium im Rahmen der Antibiotikaresistenzstrategie DART 2020 die nächsten Verschärfungen. Es soll ein Umwidmungsverbot für bestimmte Antibiotika und auch eine Pflicht zur Durchführung von Antibiogrammen geben. Svenja Pein

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