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„Die nächsten Monate werden turbulent“

Lesezeit: 8 Minuten

Russland-Embargo und Milchquoten-Ende: Die Milcherzeuger in Europa kämpfen mit großen Herausforderungen. Worauf sich Milchbauern einstellen müssen, erklärt Mark Voorbergen, Milchmarkt-Experte aus den Niederlanden.


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Herr Voorbergen, letztes Jahr hat die EU umgerechnet rund 2,5 Mrd. kg Milch nach Russland exportiert, seit Anfang August sind die Grenzen dicht. Wie macht sich das bemerkbar?


Voorbergen: Der russische Einfuhrstopp kam zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt: Durch die hohen Milchpreise Ende 2013/Anfang 2014 ist das Milchangebot weltweit stark gestiegen. Die Nachfrage kam nicht mit, die Preise gerieten im Frühjahr 2014 unter Druck.


Das Embargo hat die Situation verschärft. Für die EU macht sich das vor allem auf dem Käsemarkt bemerkbar, denn ein Drittel aller Käse-Drittlands-exporte gingen zuletzt nach Russland. Hier sinken die Preise jetzt schneller als bei anderen Produkten. Aber auch Butter, das zweitwichtigste EU-Drittlandsexport-Produkt nach Russland, steht unter Druck.


Von dem Preisdruck sind alle Molkereien betroffen: Ehemalige Russland-Lieferanten direkt, die anderen Molkereien indirekt durch das höhere Angebot. Allerdings ist dieser Preisdruck noch nicht auf die Milchpreise durchgeschlagen: Sie haben noch nicht genug nachgegeben, damit die Milcherzeuger ihre Produktion drosseln.


Wie reagieren die Molkereien? Fließt die Milch jetzt in andere Verwertungen?


Voorbergen: Das geht leider nicht so schnell. Große Molkereien mit mehreren Verwertungsrichtungen verarbeiten jetzt zwar mehr Milch zu Pulver. Das sehen wir an dem geringeren Angebot an Molke, einem Nebenprodukt der Käseproduktion. Allerdings können Käse-Spezialisten gar nicht anders, als weiter zu produzieren. Deshalb steigen jetzt die Bestände. Zum einen bei den Verkäufern, die einlagern und auf neue Märkte und höhere Preise setzen. Aber auch bei den Käufern, die in der Hochpreis-Phase zum Jahreswechsel 2013/2014 nur von der Hand in den Mund gelebt haben und jetzt günstige Ware für den künftigen Bedarf ein-kaufen.


Gibt es schon neue Absatzmärkte für die Russland-Produkte?


Voorbergen: Auch das geht leider nicht so schnell. Natürlich gehen jetzt Käse-Ausfuhren auch in andere Regionen, beispielsweise in den Mittleren Osten. Und durch den niedrigeren Preis ist Butter gegenüber pflanzlichen Fetten konkurrenzfähig, das erschließt neue Absatzkanäle. Um allerdings langfristig lukrative Märkte aufzubauen, braucht es Zeit.


Aber genau das kann die Chance an der derzeitigen Situation sein: Letztes Jahr war Milch weltweit knapp, die Nachfrage groß. Für die Molkereien war es leicht, hohe Preise zu erzielen. Jetzt müssen sie um neue Märkte kämpfen. Doch mit diesem Neu-Anfang können sie gestärkt aus der jetzigen Situation hervorgehen.


An welche Märkte denken Sie dabei konkret?


Voorbergen: Die weltweit wichtigsten Milch-Importländer sind China, Mexiko, Japan, Russland, Algerien, die Philippinen, die USA und Indonesien. Für die EU sind Russland, Algerien und die USA am bedeutendsten. Russland fällt zunächst einmal weg. Algerien hat aber letztes Jahr die gleiche Menge an EU-Milchprodukten eingeführt wie Russland und die Menge in den ersten sieben Monaten dieses Jahres noch verdoppelt. Mit den USA verhandelt die EU gerade ein Freihandelsabkommen, das könnte den Absatz beflügeln.


Und es kommen künftig neue Märkte hinzu: Im Jahr 2020 dürfte Afrika aufgrund der Bevölkerungs- und Wohlstandsentwicklung der wichtigste Wachstums-Markt sein. Die Nachfrage dürfte 2024 im Vergleich zu 2014 um über 30 Mrd. kg höher ausfallen, das ist die derzeitige Milchmenge Deutschlands. Im Moment ist aber China noch das Zünglein an der Waage.


Die Chinesen sollen aber große Bestände an Milchpulver aufgebaut haben und deutlich weniger nachfragen. Sind sie zunächst einmal gesättigt?


Voorbergen: Ich kenne diese Meldung, sehe das aber anders: Bis Juli dieses Jahres hat China jeden Monat mehr Pulver importiert als im Vorjahr. Richtig ist, dass die Nachfrage im zweiten und dritten Quartal saisonal zurückgegangen ist. Ich bin aber überzeugt, dass China im vierten Quartal, also ab Oktober, mindestens wieder auf Vorjahresniveau nachfragen wird. Das ist allerdings auch nötig – sonst droht zum Jahresbeginn 2015 ein Crash.


Warum? Sind wir bereits so abhängig, dass sich der EU-Milchpreis in China entscheidet?


Voorbergen: Indirekt schon. Viele Molkereien aus Europa exportieren nach China. Zudem saugen die Chinesen enorme Milchmengen aus Neuseeland und Australien auf, die zu Jahresende und Jahresbeginn von Import-quoten und vergünstigten Einfuhrzöllen profitieren. Ozeanien ist mit einer höheren Milchproduktion in die neue Saison gestartet. Sollte Chinas Nachfrage tatsächlich schwächeln, drücken Neuseeland und Australien ihre Produkte in andere Märkte – in denen die EU-Molkereien aufgrund des Russland-Embargos auch unterwegs sind.


Der neuseeländische Molkerei-Gigant Fonterra darf theoretisch sogar 60 000 t direkt in die EU exportieren. Das würde den Preisverfall beschleunigen und wir könnten bis auf Interventionspreis-Niveau herunterfallen.


Soweit wird es meiner Meinung nach aber nicht kommen: Chinas Milchproduktion stagniert, der Milchverbrauch wächst dagegen jedes Jahr. Sie sind deshalb langfristig auf Importe angewiesen, im Jahr 2018 müssen sie beispielsweise rund 20 Mrd. kg einführen (Übersicht 1). Das gilt auch für andere asiatische Länder.


Am 31. März 2015 endet die Milchquote. Droht dann weiterer Druck auf dem Milchmarkt?


Voorbergen: Dass das Quotenende in die derzeitige Marktsituation fällt, ist äußerst unglücklich – auch wenn niemand weiß, was tatsächlich passiert. Die Milcherzeuger in der EU haben ihre Milchmenge trotz Kontingentierung in den letzten Monaten relativ schnell um etwa 5 % gesteigert. Das hätte ich vorher nicht für möglich gehalten. Klar ist, dass viele Mitgliedstaaten ihre Menge ausdehnen werden. In Summe erwarte ich einen Zuwachs von etwa 20 Mrd. kg bis 2020. Das hört sich zunächst einmal viel an, entspricht aber ziemlich genau nur der zusätzlichen Nachfrage allein aus China. Die Zuwachs-Länder liegen vor allem im Nordwesten Europas (Übersicht 2).


Woran machen Sie die Unterschiede in Europa fest?


Voorbergen: Um mehr Milch melken zu können, müssen zunächst einmal ausreichend Land und Futter zur Verfügung stehen. Zudem müssen die Milcherzeuger über das nötige Fachwissen verfügen und vergleichsweise günstig produzieren. Da haben die Produzenten im Nordwesten Europas Vorteile gegenüber anderen Regionen.


Und es kommt noch ein wichtiger Faktor hinzu: Die Molkereien müssen Zugang zum Weltmarkt haben und diesen Wert in den Milchpreis umwandeln können. Bestes Beispiel dafür ist Großbritannien: Wegen der niedrigen Milchpreise stagnierte die Milchmenge jahrelang. Seitdem der weltweit tätige Konzern Arla die größte Molkerei im Land ist, steigen die Milchpreise – und damit auch die Milchmenge.


Für Osteuropa erwarte ich zunächst ein sehr moderates Wachstum. Langfristig könnte hier aber auch eine neue Export-Region entstehen, da ausreichend Land und Futter zur Verfügung steht und die Kosten gering sind. Allerdings dauert es Jahre, Fachwissen und eine konkurrenzfähige Milchproduktion aufzubauen. Das zeigt sich jetzt schon in Polen, das in kleinen Schritten, aber kontinuierlich zulegt.


Auch andere Milch-Regionen auf der Welt wollen die Menge ausdehnen. Droht nicht ein Überangebot?


Voorbergen: Hohe Preise kurbeln die Produktion immer an. So kann es durchaus einmal sein, dass China beispielsweise die Milchmenge in einem Jahr um 10 % erhöht. Ein kontinuierliches Wachstum von 3 % über mehrere Jahre werden sie aber nicht schaffen, dafür sind sie noch zu „jung“ in der Milchproduktion. Das dürfte nur etablierten Regionen wie der EU, den USA oder Neuseeland gelingen.


Aber auch hier gibt es Limits: Die Export-Regionen stoßen zunehmend an Nachhaltigkeits-Grenzen. Bestes Beispiel sind die Niederlande: Die immer schärferen Auflagen der Molkereien und der Regierung schränken das Milch-Wachstum stark ein.


In anderen Wachstumsregionen bleibt die Mehrproduktion direkt im Land. So wird beispielsweise Indien die Milchmenge in den nächsten Jahren deutlich steigern, gleichzeitig wächst die Nachfrage bis 2024 aber auch um 30 bis 40 Mrd. kg. Es kommt somit kein zusätzlicher Tropfen Milch auf den Weltmarkt.


Ähnlich ist die Situation in latein-amerikanischen Ländern wie Brasilien und Argentinien: Bei hohen Milchpreisen können die Farmer ihre Produktionsmenge durchaus steigern. Bei schlechten Milchpreisen schlachten sie allerdings viele Kühe, um überhaupt noch Einkommen zu erzielen. So lässt sich langfristig keine wettbewerbsfähige Milchproduktion aufbauen.


Sie sehen also kein ernstes Mengenproblem?


Voorbergen: Nein! Derzeit haben wir zwar mehr Milchangebot als -nachfrage. Mittel- und langfristig wird es das Angebot aber schwer haben, der Nachfrage folgen zu können. Allerdings bleiben die Schwankungen: Der Milchpreis kann durchaus kurzfristig unter die Produktionsschwelle rutschen. Damit müssen die EU-Milcherzeuger lernen umzugehen.


Sollte die Branche daher über neue Milchpreis-Modelle nachdenken?


Voorbergen: Vielleicht schon, wie das Beispiel Fonterra zeigt: Die Genossenschaft ist schon immer stark auf dem Weltmarkt unterwegs und unterliegt den Preisschwankungen. Um ihre Mitglieder darauf vorzubereiten, nennt die Molkerei zu Beginn des Milchwirtschaftsjahres eine Prognose für den Milchpreis. Damit können die Milcherzeuger kalkulieren.


Der Vorteil: Sie können schneller reagieren und beispielsweise die Milch-menge drosseln, wenn niedrige Preise in Aussicht sind. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, das Angebot künftig besser an die Nachfrage anzupassen.

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