Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Bürokratieabbau Agrarantrag 2024 Maisaussaat Erster Schnitt 2024

Aus dem Heft

Elefanten im Kuhstall?

Lesezeit: 9 Minuten

Holstein-Kühe werden immer größer. Auf den Schauen sind sie gefragt, in der Haltung machen sie Probleme. Haben wir die ideale Größe überschritten? top agrar diskutiert mit Milcherzeugern und Zuchtverbänden.


Das Wichtigste zu den Themen Rind + Milch mittwochs per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Große Kühe versprechen eine höhere Futteraufnahme, höhere Milchleistung und nicht zuletzt Schaupotenzial. Bullen, die größere Töchter als der Durchschnitt versprechen, sind beliebt. Das Ergebnis: Im Schnitt sind die Färsen in Deutschland heute 147 cm groß. Vor 18 Jahren waren es 143 cm. Fatal sind die extremen Ausreißer: Färsen, die bis zu 170 cm messen.


Diese „Elefanten“ wachsen aus den Liegeboxen-Maßen heraus, schneiden in der Futtereffizienz schlechter ab und die Schäden an den Fundamenten häufen sich. Damit gewinnt die Diskussion um die Größe der Holstein an Brisanz. Immer mehr Landwirte meinen: So kann es nicht weitergehen.


Zu groß für den Roboter:

Milcherzeuger und Züchter Heinrich Buxtrup aus Nottuln (Nordrhein-Westfalen) ärgert sich regelmäßig über die misslungenen Melkungen einer Färse. Die 164 cm-große Morris-Tochter füllt die Melkroboter-Box komplett aus. „Sie hat die gleiche Milchmenge wie ihre 10 cm kleinere Kollegin – eine Carmano-Färse. Doch mit ihr habe ich deutlich mehr Arbeit und vermutlich frisst sie auch mehr“, meint Buxtrup.


Im Schnitt sind seine Färsen 153 cm groß. Damit ragt die Morris-Tochter deutlich über die Herde hinaus. „Diese einzelnen Riesen sind besonders ärgerlich. Sie brauchen bei allem eine Sonderbehandlung und machen zusätzliche Arbeit“, sagt der Milcherzeuger.


Buxtrup ist sich außerdem sicher, dass sich die Körpergröße auf die Nutzungsdauer auswirkt. „Mir ist es wichtig, dass eine Kuh alt wird. Natürlich kann auch eine große Kuh alt werden. Meiner Erfahrung nach, gehen die größeren aber eher ab“, meint Buxtrup.


Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen seine Einschätzung. „Die Körpergröße wirkt sich nachweislich negativ auf die Klauengesundheit aus“, sagt Prof. Hermann Swalve von der Universität Halle-Wittenberg. Beispielsweise steige die Häufigkeit von Klauen-rehe bei größeren Tieren um 10 %. Schäden an den Fundamenten sind ein häufiger Abgangsgrund. Daher vermutet Swalve, dass sich die Größe auch negativ auf die Nutzungsdauer auswirkt.


In einer Untersuchung an Kühen aus Testherden des Zuchtverbandes RinderAllianz bestätigt sich dieser Einfluss. Kühe, die größer als 150 cm waren, gingen tendenziell 50 Tage früher ab.


Haltung und Effizienz:

Milcherzeugerin Kirsten Wosnitza aus Löwenstedt (Schleswig-Holstein) bestätigt das. „Unsere Großen sind behäbiger. Der Weg zur Weide oder zum Futtertisch fällt ihnen oft schwerer. Liegt eine große Kuh fest, kann es zum Akt werden, sie wieder fit zu bekommen. Die Kleinen sind meist schneller wieder auf den Beinen.“


Zudem benötigen die größeren Kühe mehr Platz im Stall. Wenn die Kühe aus den Liegeboxen herauswachsen, müssten die Nackenriegel hochgesetzt, die Bügel ausgetauscht oder komplett neue Ställe gebaut werden, falls ein Umbau nicht mehr möglich ist. „Es kann doch nicht das Ziel sein, die Stallungen alle 10 bis 20 Jahre an die Kuh anpassen zu müssen. Das ist nicht rentabel“, meint die Milcherzeugerin.


Auch das Thema Effizienz spielt eine Rolle. Welcher Typ von Kuh produziert nachhaltig und kosten-effizient Milch? Das lässt sich nicht eindeutig sagen.


„Größere und damit in der Regel auch schwerere Kühe benötigen einen höheren Anteil der aufgenommenen Futter-energie für die Erhaltung. Damit wird die Milchproduktion ineffizient“, ist Wilfried Brade vom Leibniz-Institut für Nutztierbiologie (FBN) in Dummers-torf überzeugt. Mittelrahmige Kühe würden im Schnitt zwar einige Kilogramm weniger Milch geben, dafür aber auch weniger Futter aufnehmen müssen. Das rechne sich.


Prof. Swalve von der Uni Halle ist anderer Meinung: „Dieser Einfluss wird überschätzt. Der Anteil für den Erhaltungsbedarf ist gering im Verhältnis zur nötigen Energie für die Leistung“, erklärt der Wissenschaftler.


Zu wenig Bullen-Auswahl:

In der Diskussion darum, wer für den Trend zu größeren Kühen verantwortlich ist und wie er sich stoppen lässt, schieben sich die Beteiligten den Schwarzen Peter gegenseitig zu.


„Milchleistung und Körpergröße korrelieren in der Vererbung. Das heißt, mit der Zucht auf höhere Leistungen haben wir automatisch größere Kühe gezüchtet“, meint Brade. Zudem lasse sich die Körpergröße auf den Zentimeter genau messen. Mit der Messgenauigkeit steige die Sicherheit und so die Erblichkeit des Merkmales.


Um die Entwicklung der wachsenden Kühe zu stoppen, gibt es laut Brade nur eine Lösung: Das Zuchtziel müsse überarbeitet und die Größe im Gesamtzuchtwert negativ gewichtet werden.


Wosnitza konkretisiert: „Wichtig wäre der Fokus auf Nutzungsdauer, Fitness oder Futtereffizienz. Doch die Entscheidungen in den Verbänden treffen Züchter und Aussteller, die haben andere Zuchtziele als wir Produzenten.“


Die Milcherzeugerin wünscht sich außerdem eine größere Auswahl an Bullen. Betriebsspezifische Situationen, wie ein hoher Weideanteil, würden spezielle Kuhtypen und dafür passende Bullen erfordern.


„Wir können kaum verhindern, immer größere Kühe zu züchten, obwohl wir das nicht wollen. Es gibt kaum Bullen, bei denen der Balken für das Merkmal Größe nach links zeigt“, sagt Wosnitza. Bei etlichen Zuchtverbänden schließe sie rund 2/3 der Bullen in den Katalogen aus, weil diese mehr als eine Standardabweichung größer machen.


Neues Zuchtziel nötig?

Das Zuchtziel der Rasse Holstein ist mit einer Größe von 145 bis 156 cm definiert. Der Deutsche Holstein-Verband (DHV) überprüft zurzeit die Gewichtung der Exterieurmerkmale im Relativzuchtwert Exterieur (RZE). „Auch die Gewichtung und Bedeutung des Merkmales Körpergröße spielt in der Diskussion eine Rolle“, sagt DHV-Geschäftsführer Dr. Egbert Feddersen. Wann und welche konkreten Änderungen kommen, lässt er offen.


Prof. Swalve bezweifelt außerdem, ob eine Anpassung der Gewichtung im RZE einen durchschlagenden Erfolg bringt. „Wenn Züchter keine kleineren Kühe wollen, hilft es nichts, die Berechnung zu ändern. Wichtiger wäre es, Züchter und Landwirte entsprechend zu beraten.“


Diesen Weg geht der Zuchtverband Rinder Union-West (RUW). Der Verband will seine Mitglieder für das Thema sensibilisieren. „Die Größe ist ein Optimum-Merkmal, kein Maximal-Merkmal. Milcherzeuger sollten die Extremisten weglassen. Das heißt, komplette Bullen zu nutzen und die angebotenen Vererber dahingehend bewerten, dass sie möglichst nicht mehr als zwei Standardabweichungen in der Körpergröße nach oben abweichen“, empfiehlt Hartwig Meinikmann, Leiter der Abteilung Zucht bei der RUW.


Noch seien die Kühe nicht zu groß. „Im RUW-Gebiet haben wir mit 149 cm bei den Färsen ein gutes Niveau erreicht. Die Entwicklung dieses Merkmales weiter voranzutreiben, macht daher wenig Sinn. Es ist wichtig, diese Diskussion jetzt zu führen“, sagt Meinikmann.


An einer mangelnden Vererber-Auswahl scheitere es nicht. Mittelrahmige Bullen, wie die RUW-Vererber Sterngold und früher Gibor, seien nur zwei Beispiele. Entscheidend sei, wie diese nachgefragt und eingesetzt werden.


„Einen Bullen mit schlechter Melkbarkeit lehnen die Landwirte ab. Ich würde mir wünschen, dass uns die Bauern Bullen, die zu große Töchter erzeugen, genauso um die Ohren hauen“, sagt Meinikmann.


Ähnlich sehen es auch die anderen Verbände. Dr. Josef Pott, Geschäftsführer der Masterrind, sagt: „Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Wir schreiben den Landwirten nicht vor, welche Bullen sie einsetzen sollen.“


Insbesondere im niedersächsischen Zuchtgebiet gebe es eine stärkere Nachfrage nach Größen-Vererbern. Im sächsischen Teil des Verbandes seien diese weniger gefragt.


In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern scheint die Nachfrage bereits spezifischer zu sein. „Große Bullen laufen bei uns kaum. Daher ist die Größe der Bullen für uns schon seit Jahren ein Auswahlkriterium bei der Selektion“, erklärt Dr. Jan Körte, verantworlich für das Zuchtprogramm der RinderAllianz.


Einzelne Züchter seien allerdings auch an größeren ­Bullen interessiert. „Kleinere Bullen machen häufig weniger milchtypische und eher robuste Töchter. Exterieur-Bullen sind in der Regel größer und deshalb bei den Schau-Beschickern gefragt“. Deshalb biete der Verband auch für diese Nachfrage Vererber an, wie zum Beispiel Tersus oder Mad Max.


Zuchtziele nicht trennen!

Milcherzeuger Buxtrup ist auch Züchter und Preisrichter. Er hält so eine Entwicklung für fatal. „Die Zuchtziele von Produktionskuh und Schaukuh dürfen nicht auseinander driften“, sagt Buxtrup.


Es müsse möglich sein, eine Kuh aus dem Laufstall in den Schauring zu führen, die zumindest auf einen Klassensieg eine reele Chance hat. Nordamerikanische Verhältnisse, wo die Schaukühe in seperaten Ställen stehen, dürften sich hier nicht entwickeln.


Damit spricht Buxtrup eine kontroverse Diskussion an: Die Rolle der Größe auf den Schauen. Weshalb hält sich der Eindruck, dass die größte Kuh der Schau gewinnt?


Als erfahrener Schaurichter räumt Buxtrup ein, dass eine größere Kuh bestimmte Vorzüge hat. „Das Euter ist automatisch höher und der Abstand zum Sprunggelenk weiter. Die Kuh wirkt tiefer und fällt generell im Ring auf“, meint Buxtrup. Gleichzeitig sei die Funktionalität einer Kuh aber an Bewegung und Fundamenten abzu­lesen. Das müsse der Preisrichter bei der Platzierung ebenso berücksichtigen.


Einige Züchter sind jedoch der Meinung, dass es eine Bevorzugung von größeren Kühen auf den Schauen nicht mehr gebe. Keine Kuh würde heute nur wegen ihrer Körpergröße eine Schau gewinnen.


Cord Hormann, Züchter und Preisrichter aus Niedersachsen, meint, dass es ein Umdenken in der Branche gibt. „Für den Schauring gilt: Die Kuh muss etwas Besonderes haben, Appeal und Ausstrahlung zeigen. Dabei ist es egal, ob sie 150 oder 160 cm groß ist“, sagt Hormann.


Weil aber hohe Exterieur-Vererber in der Regel auch positiv in der Körpergröße vererben, sei es schwierig, diese Entwicklung zu stoppen.


Schon in der Einstufung werden größere Kühe offenbar bevorzugt. „Obwohl Körpergröße und Euter unabhängig voneinander beurteilt werden, korrelieren die Merkmale“, sagt Dr. Stefan Rensing vom Rechenzentrum vit in Verden.


Größere Kühe bekommen also bessere Noten für ihr Euter. Mit der Selektion auf hohe Euternoten wird so auch auf Größe selektiert. „Bei der linearen Beschreibung lässt sich ein subjektiver Einfluss jedoch kaum ganz verhindern“, sagt Rensing.


Und so geht der Trend zu immer größeren Kühen wohl weiter. Dabei scheint sich die Branche eigentlich einig: Größere Kühe brauchen wir nicht und zu große Kühe wollen wir nicht. Wie sich der Trend stoppen lässt, bleibt jedoch abzuwarten. Anke Reimink

Die Redaktion empfiehlt

top + Das Abo, das sich rechnet: 3 Monate top agrar Digital für 9,90€

Unbegrenzter Zugang zu allen Artikeln, Preis- & Marktdaten uvm.

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.