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Enthornen nur noch mit Betäubung?

Lesezeit: 7 Minuten

Die Politik will die Auflagen zum Enthornen verschärfen. Es droht eine Betäubungspflicht durch den Tierarzt.


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Die Tierschutz-Debatte ist in vollem Gang. Und sie hat jetzt auch die Rinderhaltung erreicht. Im Fokus steht dabei momentan das Enthornen der Kälber. Dabei wird sowohl diskutiert, ob überhaupt, und wenn ja, wie enthornt werden darf. Ein mögliches Szenario ist dabei die Betäubungspflicht durch den Tierarzt.


Routinemäßiges Enthornen tabu:

Zu-nächst zur aktuellen Rechtslage.


Gängige Praxis auf vielen Rinderbetrieben ist, dass routinemäßig alle Kälber enthornt werden. Vor allem das einfachere Management sowie die geringere Verletzungsgefahr für Mensch und Tier sprechen dafür. Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften schreiben sogar vor: „Kälber von Rinderrassen, von denen aufgrund ihrer Hörnerbildung und der Art der Tierhaltung eine zusätzliche Gefahr ausgeht, sind gegen Hörnerbildung zu behandeln.“ Auch der Fachausschuss Milch des Deutschen Bauernverbandes (DBV) fordert aus Sicht des Arbeits- und Tierschutzes das unbehornte Rind.


„Fakt ist aber, dass das Enthornen grundsätzlich verboten ist. Ausnahmen sind nur in begründeten Einzelfällen möglich“, erklärt Prof. Dr. Friedhelm Jaeger, Referatsleiter Tierschutz im Landwirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen, das Tierschutzgesetz. Dieses entspricht im Wesentlichen dem Europäischen Übereinkommen zum Schutz von Tieren.


Solche Ausnahmen treffen zu für:


  • Kälber unter sechs Wochen: Wenn das Enthornen für die vorgesehene Nutzung unerlässlich ist, zum Schutz des Tieres und zum Schutz anderer Tiere. In diesem Fall darf der Landwirt enthornen, muss aber die Schmerzen der Tiere mindern.
  • Kälber über sechs Wochen: Nach tierärztlicher Indikation (z. B. Hornbruch, Einwachsen des Horns). In diesem Fall darf nur der Tierarzt den Eingriff durchführen, und zwar mit Betäubung.


Diese Diskrepanz zwischen Praxis und Rechtsvorschriften besteht seit rund 20 Jahren. Bisher hat sich niemand daran gestört. Das könnte sich jetzt ändern, zumindest in einigen Bundesländern.


Denn die Umsetzung des Tierschutzrechts unterliegt den Landesregierungen. Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wollen bei dem strategischen Enthornen nun nicht länger weggucken. Andere Bundesländer dürften nach Einschätzung vieler Beteiligter in Kürze nachziehen. Denn das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) will das Tierschutzgesetz novellieren und noch im Januar 2012 einen Regierungsentwurf im Kabinett einbringen. Das Gesetz soll dann noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. Erwartet werden strengere Auflagen für das Enthornen.


Wer letztlich den Anstoß dazu gegeben hat, ist nicht ganz klar. Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gert Lindemann sagt unter anderem, dass er auf kritische Stimmen aus der Gesellschaft reagieren bzw. diesen zuvorkommen will. Prof. Dr. Jaeger (NRW) befürchtet unter anderem Sanktionen durch die EU-Kommission bei den Cross Compliance-Kontrollen.


Aber auch das Bundeslandwirtschaftsministerium hat im letzten Jahr mit der Charta Landwirtschaft die Debatte eröffnet: „Mittelfristig sollte auf alle so genannten nicht kurativen Eingriffe wie das Enthornen verzichtet werden. Hierzu müssen tier- und praxisgerechte Alternativen entwickelt werden“, sagt eine Sprecherin gegenüber top agrar. Dazu würden zum Beispiel Stallkonzepte für horntragende Tiere sowie die Zucht auf Hornlosigkeit zählen.


Kaum Alternativen:

Diese Alternativen sind aus Sicht der Praxis allerdings nur bedingt umsetzbar.


Zwar gibt es Betriebe, die mit behornten Tieren erfolgreich arbeiten. Allerdings schnellen bei Laufstallkonzepten für behornte Rinder die Baukosten durch den deutlich höheren Platzbedarf in die Höhe. Zudem würde die Unfallgefahr steigen, wenn flächendeckend auf das Enthornen verzichtet wird. „Dann ist mit einem erneuten Anstieg der Unfallzahlen, der Unfallschwere und Unfallkosten zu rechnen“, warnt Dr. Alexandra Riethmüller vom Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung.


Der eleganteste Weg, auf die Enthornung zu verzichten, ist die Zucht auf Hornlosigkeit.


Allerdings ist der genetische Pool bei den wichtigen Milchrindrassen relativ klein. Deshalb darf nach Ansicht des Geschäftsführers der Rinder-Union West, Dr. Jürgen Hartmann, nichts überstürzt werden: „Die genetische Varianz der Population sollte nicht eingeschränkt werden, denn sie ist das Handwerkszeug der Züchter. Außerdem darf die Inzucht nicht weiter gesteigert und der erreichte Zuchtfortschritt nicht gefährdet werden!“


Dr. Hartmann hält die Umzüchtung der Holsteins zu einer Hornlos-Rasse dennoch für machbar. Allerdings schätzt er den Zeithorizont auf mindestens 20 Jahre, oder länger. Und er warnt: „Gesetzesvorgaben zur vermeintlichen Beschleunigung wären absolut kontraproduktiv!“


Nur noch mit Betäubung?

Deshalb kann nicht von heute auf morgen auf das Enthornen verzichtet werden.


Das haben auch die zuständigen Minister in den Vorreiter-Bundesländern Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen erkannt. Beide betonen deshalb, dass sie im Moment das Enthornen nicht generell verbieten wollen – auch wenn sie es gesetzlich könnten. „Allerdings sollten wir sofort mit dem Einkreuzen der Hornlos-Genetik beginnen und einen Termin fixieren, ab wann das Enthornen verboten ist“, fordert Prof. Dr. Jaeger. Bis dahin will er die Hürde, „wie“ enthornt wird, anheben.


Die meisten Landwirte geben ihren Kälbern zum Enthornen ein Xylazin-haltiges Präparat zur Beruhigung, das ist die so genannte Sedation. Dadurch wird nach Meinung von Tierärzten auch eine Schmerzreduzierung erreicht (siehe top agrar 11/2011, Seite R 35).


Einigen Kritikern reicht das allerdings nicht aus. Sie verlangen eine zusätzliche Schmerzmittel-Gabe nach dem Enthornen. Damit soll der Forderung des Tierschutzgesetzes nachgekommen werden, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Schmerzen der Tiere zu mindern.


Prof. Dr. Jaeger ist auf diesen Zug bereits aufgesprungen. Sein Ministerium erarbeitet derzeit eine Liste mit Schmerzmitteln, die Landwirte den Kälbern nach dem Enthornen geben dürfen. Sobald diese Liste veröffentlicht ist (wahrscheinlich Mitte 2012), wird die Schmerzmittel-Gabe nach dem Enthornen der Kälber in Nordrhein-Westfalen Pflicht. Prof. Dr. Jaeger empfiehlt zusätzlich noch die Sedierung der Kälber, um den Eingriff für Mensch und Tier zu erleichtern. Das Enthornen würde aber komplett in den Händen der Landwirte bleiben. Als optimalen Enthornungszeitpunkt gibt er die erste und zweite Lebenswoche an.


Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Lindemann geht noch einen Schritt weiter: Er hat im Tierschutzplan Niedersachsen festgezurrt, dass Kälber ab 2013 nur noch mit Betäubung enthornt werden dürfen. Ein Konzept dazu soll in diesem Jahr erstellt werden. Weitere Details, z. B. ob es sich um eine lokale oder eine komplette Betäubung des Tieres handelt und ob Landwirte diese Betäubung durchführen dürfen oder nur Tierärzte, wollte das Ministerium gegenüber top agrar momentan nicht preisgeben.


Allerdings gab eine Sprecherin an, dass Niedersachsen seine Pläne für alle Bundesländer oder sogar EU-weit durchsetzen will. Im Klartext heißt das: Niedersachsen will den Ausstieg aus dem betäubungslosen Enthornen auch den anderen Bundesländern überstülpen.


Das könnte durchaus gelingen. Denn auch das BMELV gab gegenüber top agrar an, das Enthornen unter Betäubung als ersten wichtigen Schritt zu sehen.


Unterstützung erhält diese Forderung vom Bundesverband der Praktizierenden Tierärzte (BPT). Sie fordern sogar, den Kälbern zum Enthornen insgesamt drei Spritzen zu geben. „Wir sprechen uns beim Enthornen für die Sedation plus lokale Betäubung plus Schmerzmittel-Gabe aus“, sagt Dr. Siegfried Moder.


Das verwundert kaum. Denn bisher dürfen in Deutschland nur Tierärzte eine Betäubung durchführen. Ihnen winkt ein riesiges Geschäftsfeld, was Dr. Moder so aber nicht hören möchte: „Landwirte und Tierärzte sind gemeinsam gefordert, eine praktikable Lösung zu finden. Schließlich geht es um das Wohl des Tieres!“


Damit Landwirte die Betäubung durchführen dürfen, wäre eine Gesetzesänderung nötig. In der Schweiz hat der Gesetzgeber Landwirten mit Sachkundenachweis das bereits gestattet. Den deutschen Landwirten droht bei einer Betäubungspflicht so oder so ein deutlicher Mehraufwand und deutlich höhere Kosten.


DBV ohne Position:

Deshalb ist es jetzt höchste Zeit, dass der Berufsstand klar Position zum Enthornen bezieht.


Allerdings hat der DBV bisher noch keine bundeseinheitliche Meinung gefunden. Man arbeite derzeit an einem einheitlichen Papier zum Vorgehen beim Enthornen, so die offizielle Antwort.


Hinter vorgehaltener Hand wird aber von hitzigen Streitereien unter den Landesbauernverbänden berichtet. Ein Positionspapier des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes liegt bereits in der Schublade. Doch die Landesverbände aus Bayern und Baden-Württemberg weigern sich bisher offenbar noch vehement, diesen Weg mitzugehen. Ihnen ist die Brisanz des Themas scheinbar nicht bewusst.


Aus Sicht der Landwirte ist das völlig enttäuschend. Ihre Interessen sollten jetzt dringend in die Debatte eingebracht werden. So wäre es z. B. die denkbar schlechteste Variante, wenn das Enthornen nur noch mit einer Betäubung durch den Tierarzt erfolgen darf. Mit der Sedation plus Schmerzmittel-Gabe komplett in Bauernhand könnten die meisten Landwirte hingegen leben.P. Liste

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