Mit der Zuchtwertschätzung im April sind einige genomische Top-Vererber stark ab-gestürzt. Woran liegt das?
Rensing: Wir haben bei der Schätzung der genomischen Zuchtwerte mehrere Verfahren geändert. Den größten Einfluss auf die Rangfolge der Bullen hat eine Änderung des Rechen-modells. Genomische Jungvererber wurden zunehmend überschätzt, vor allem in der Spitze. Das haben wir korrigiert.
Warum wurden die Bullen überschätzt?
Rensing: Die genomischen Zuchtwerte von Jungbullen schätzen wir anhand der Lernstichprobe aus geprüften Vererbern. Weil das Generationsintervall immer kürzer wird, vergrößert sich der Abstand zwischen den Jungbullen und der Lernstichprobe. Je größer dieser Abstand, desto geringer die Sicherheit der Schätzungen.
Inzwischen sind es meist zwei Generationen, d.h. der Kandidat und sein Vater haben noch keine Töchterleistungen. Jetzt sind die ersten Bullen, die bei der Selektion zur zweiten Generation zählten, töchtergeprüft. So konnten wir nachvollziehen, wie sich der Effekt auswirkt. Das haben wir in unsere Rechenmodelle übernommen.
Wie wirken sich die Änderungen der Berechnungen aus?
Rensing: Die Infos aus der Lernstichprobe verwenden wir jetzt vorsichtiger, um genomische Zuchtwerte von Tieren der zweiten Generation zu schätzen. Das heißt, Kandidaten der zweiten Generation erhalten Abschläge. Langfristig sind die genomischen Schätzungen damit erwartungstreuer. Wenn diese Vererber später geprüfte Werte erhalten, kommt es zu geringeren Schwankungen.
Die vorsichtigere Schätzung reduziert die Streuung der Zuchtwerte. Das wirkt sich auf extreme Werte am stärksten aus, betrifft also vor allem Vererber am oberen Ende der Listen. Im Schnitt fielen die Gesamtzuchtwerte hier um fünf bis sechs Punkte. In Einzelfällen kam es zu -15 bis +5 Punkten.
Sind zukünftig weitere Anpassungen notwendig?
Rensing: Die Schätzung von genomischen Zucht-werten werden wir ständig nachjustieren müssen. Wir können noch nicht alle Effekte vorhersagen.
Beispielsweise schätzen wir bereits Kandidaten der dritten Generation, von denen also selbst die Großväter keine Töchterleistungen haben. Wie verlässlich diese Werte sind, lässt sich noch nicht überprüfen. Bei der Bewertung dieser Vererber mit extrem schnellen Pedigrees sollten die Organisationen daher vorsichtig sein und mit der endgültigen Selektion gegebenenfalls warten, zumindest bis die Großväter geprüfte Zuchtwerte bekommen.