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Im Sessel von Kuh zu Kuh

Lesezeit: 5 Minuten

Rosi Scharpf geht im Melkstand nicht zu Fuß von Kuh zu Kuh, sondern fährt in einem Sessel. top agrar war beim Melken dabei – und war ziemlich verblüfft.


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Das Melken ist in vollem Gange. Doch der Melker sitzt seelenruhig am Ende des Melkstands in seinem Sessel. Rechts neben ihm öffnet sich ein Tor, eine Braunvieh-Kuh schlendert bis zum zweiten Melkplatz.


Statt los zu gehen, um die Kuh anzurüsten, guckt der Melker rechts neben sich. „Kuh auf Melkplatz zwei ist bereit“, steht auf dem Terminal. Er drückt auf die rote Schaltfläche.


Der Sessel macht sich auf den Weg. Er fährt den Melker bis auf den zweiten Platz vor, schwenkt herum und parkt direkt vor dem Euter. Während der Fahrt hat der Melker die Reinigungstücher aus dem Eimer genommen. Im Sitzen reinigt er jetzt die Zitzen, melkt vor und setzt das Melkzeug an.


Erstes Melktaxi in Praxis:

Die beschriebene Szene ist nicht etwa eine erfundene Zukunftsvision, sondern Alltag bei Josef und Rosi Scharpf aus Türk-heim im Unterallgäu.


Hier läuft das weltweit erste Melktaxi in Kombination mit dem Melksystem Multilactor (mehr Infos im Kasten auf Seite R 46). Das Komplettpaket heißt Galactor und stammt aus der Ideenschmiede Siliconform. Diese sitzt im gleichen Ort und betreut den Pilotbetrieb sehr intensiv.


Die Firma hat das System Galactor zwar schon auf der EuroTier 2010 vorgestellt, im Praxiseinsatz ist es aber erst seit einigen Monaten. Die Idee: Dem Melker die Arbeit so angenehm wie möglich machen.


Dazu sind links und rechts in der Melkgrube Schienen verlegt, in der Mitte der Melkergrube verläuft eine Antriebskette. Eine Plattform läuft zwischen den beiden Schienen. Darauf ist der Sessel montiert, auf dem der Melker in einer Steh-Sitz-Haltung Platz nimmt. Der Sessel kann um 90 ° nach rechts und links schwenken, damit der Melker beide Melkstandseiten erreichen kann. Hinter dem Sessel befindet sich noch ein Roboter-gesteuerter Hochdruckreiniger, rechts neben dem Sessel ist das Terminal installiert, links ein Eimer mit Euter-Reinigungstüchern.


Normalerweise sitzt Rosi Scharpf auf diesem Sessel und melkt ihre 50 Kühe. Doch bei unserem Besuch lässt es sich Erfinder Jakob Maier nicht nehmen, selbst Hand anzulegen.


Inzwischen hat das Taxi den Rückwärtsgang eingelegt und ist auf dem Weg zur nächsten Kuh. Da fällt Maier auf, dass die Kuh auf Melkplatz neun auf einen Schlauch getreten hat. Schnell drückt er auf dem Terminal auf die Fläche „Halten“, danach auf den „Melkplatz neun“. Der Sessel steuert ihn prompt dorthin, er behebt das Problem. Wo er schon einmal dort ist, kontrolliert Maier direkt die Milchflusskurve und die Melkparamater wie zum Beispiel das durchschnittliche Minutengemelk von der Kuh auf Melkplatz neun. Auch das kann er sich über das Terminal neben seinem Sessel anzeigen lassen.


Ausgeklügelte Steuerung:

Das Terminal ist das Herzstück der Anlage, hier läuft die komplette Steuerung des Galactors zusammen. Familie Scharpf hat einen 2 x 5 Auto-Tandem-Melkstand. Die Steuerung der Eingangstore vom Wartehof in den Melkstand sowie das Öffnen und Schließen der einzelnen Tore auf jedem Melkplatz läuft vollautomatisch. Wenn eine Kuh leergemolken und das Melkzeug abgenommen ist, öffnet sich automatisch das Ausgangstor an ihrem Melkplatz. Sie verlässt den Melk-stand. Daraufhin schließt das Ausgangstor am Melkplatz, gleichzeitig öffnen sich das Tor vom Wartehof in den Melkstand sowie das Eingangstor zum Melkplatz. Eine neue Kuh rückt auf den Platz nach.


Sobald die Kuh richtig steht und das Eingangstor des Melkplatzes geschlossen hat, bekommt der Melker auf dem Terminal den Hinweis, dass die Kuh auf dem Melkplatz bereit ist. Technisch möglich wäre, dass das Melktaxi den Melker direkt dorthin steuert. Allerdings verbietet die Berufsgenossenschaft diesen Automatismus. Der Melker muss deshalb mit einem Fingerdruck bestätigen, dass er losfahren möchte.


Klar wird, dass das System nur bei Auto-Tandem-Melkständen sinnvoll ist. Nur dort lassen sich die einzelnen Melkplätze neu belegen und somit genügend Auslastung schaffen. Für Gruppenmelkstände ist das System nicht geeignet.


Das Melktaxi fährt mit Schrittgeschwindigkeit, möglich wären aber bis 35 km/h. Allerdings hat die Berufsgenossenschaft auch hier ihr Veto eingelegt – verlangt dafür aber bei Schrittgeschwindigkeit keinen Schutzbügel nach vorne hinaus. Zur Sicherheit gibt es mehrere Notaus-Schalter um das Gerät herum.


„Mensch soll ans Euter!“

Nach gut 45 Minuten kommen die letzten Kühe in den Melkstand. Jakob Maier ist gerade am sechsten Melkplatz.


Dort erklärt er seine Philosophie vom Melken und warum er strikt gegen einen Ansetzroboter ist: „Ich will den Menschen am Euter haben! Mit seinen fünf Sinnen sehen, hören, tasten, riechen und schmecken ist er durch keinen Roboter oder Sensor zu ersetzen. Er erkennt Besonderheiten viel früher als jede Technik – deshalb ist nur mit Menschen ein einwandfreies Melken möglich.“


Allerdings liegt dem nimmer müden Tüftler am Herzen, dass es dem Melker bei seiner Arbeit so gut wie möglich geht. Neben dem Melker-Sessel gehört für ihn die Automatisierung von stupiden Arbeiten dazu – wie zum Beispiel die Melkstand-Reinigung.


Deshalb steigt Jakob Maier von seinem Sessel, als die letzte Kuh den Melk-stand verlässt und aktiviert die automatische Reinigung.


Roboter reinigt Melkstand.

Darauf­­­-hin erwacht der Roboter hinter dem Melker-Sessel: Der Hochdruckreiniger springt an und der Roboterarm führt zwei Hochdruckreiniger-Lanzen durch den gesamten Melkstand. Die Route ist exakt einprogrammiert: Die Elektroteile spart er aus, ansonsten gelangt er in jeden Winkel. Nach 30 Minuten ist der gesamte Melkstand blitzblank, das System fährt automatisch in Ruheposition.


Rosi Scharpf bereut ihre Entscheidung deshalb auch nicht, sich auf die völlig neue Technik einzulassen: „Die Technik funktioniert und das Melken ist wirklich sehr angenehm und schonend für den Rücken. Ich würde mir sogar zutrauen, zwei Melkplätze mehr zu bewältigen.“


Währenddessen zerbricht sich Jakob Maier schon den Kopf über neue Innovationen. So will er zum Beispiel zur EuroTier 2014 noch eine automatische Dippeinrichtung für Melkstände präsentieren – denn die fehlt bis jetzt noch. P. Liste

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