Welche Bedeutung das Tränkeanrecht für das Tierwohl von Kälbern hat, zeigen Ergebnisse einer spannenden Studie.
Die Kälberaufzucht ist für das Jungtier nicht stressfrei, weil die Bindung zum Muttertier fehlt.
Um trotzdem weiteren Stress für Kälber zu vermeiden, gestalten Landwirte die Aufzucht möglichst optimal – Klima, Milch und Hygiene stehen im Fokus. Wie wichtig dabei das Tränkeanrecht ist, zeigten Wissenschaftlerinnen der Hochschule Neubrandenburg.
Drei Tränkemengen
Die Untersuchungen fanden in drei Milchviehbetrieben statt. Diese boten den Kälbern in den ersten zwei Wochen in der Einzelhaltung Mischkolostrum ad libitum an. In der Gruppenhaltung auf Stroh erhielten die Kälber Milch-austauscher (MAT) mit 50% Magermilchanteil über die Abrufstationen der Tränkeautomaten. Die Kälber erhielten maximale Tränkeanrechte von acht, zehn oder zwölf Litern MAT pro Tag. Ein Betrieb reduzierte das Anrecht ab der fünften Lebenswoche (LW), die anderen ab der achten LW. Beifuttermittel waren Heu sowie Aufzuchtfutter, Anwelksilage und eine Totale-Mischration (TMR) oder Trocken-TMR und TMR.
Videokameras zeichneten das Verhalten der Kälber in der Gruppenhaltung täglich über 24 Stunden auf. Die Auswertung erfolgte in zwei Abschnitten, von der dritten bis zur siebten LW und von der achten bis zur zehnten LW.
Um das Tierwohl der Kälber bewerten zu können, verglichen die Wissenschaftlerinnen das Verhalten mit anderen Untersuchungsergebnissen aus der muttergebundenen Aufzucht - beispielsweise der Mutterkuhhaltung.
Gesunde Kälber haben in der muttergebundenen Aufzucht einen festen Tagesrhythmus. Sie liegen täglich 13 bis 18 Stunden, in denen sie schlafen, ruhen oder wiederkäuen. Wenn ein Kalb nicht ruht, frisst es Beifutter, zeigt Sozial-, Erkundungs- oder Spielverhalten und nimmt Milch oder Wasser auf.
Besuche ohne Tränkeanrecht – sogenannte Blindbesuche – finden in der Mutterkuhhaltung systembedingt nicht statt. Auch ein gegenseitiges Besaugen der Kälber gibt es dort in der Regel nicht. Beide Verhaltensweisen weichen damit vom Normalverhalten ab.
Milchmenge prägt Verhalten
Je nach Tränkevariante traten in den Untersuchungen Abweichungen vom Normalverhalten auf.
Bei den Blindbesuchen zeigten sich die gravierendsten Verhaltensunterschiede. Kälber mit 12 l Milchanrecht suchten zwischen der dritten und siebten LW nur durchschnittlich 2,7-mal täglich ohne Tränkeanrecht die Station auf. Kälber mit 8 oder 10 l Anrecht unternahmen hingegen im Schnitt 11,7 bzw. 7,2 Blindbesuche pro Tag. Ab der achten LW stieg wegen des Abtränkens auch bei den 12 l-Kälbern die Zahl der Blindbesuche an. Diese waren jedoch kürzer und weniger häufig.
Auffällig sind zudem die häufigeren wiederholten Blindbesuche bei den 8- und den 10 l-Tieren. Hatten diese kein Anrecht, folgten auf einen vergeblichen Besuch im Mittel 12,1 bzw. 7,6 weitere erfolglose Versuche nacheinander.
Gegenseitiges Besaugen trat bei Kälbern mit hohem Tränkeanrecht bis zum Abtränken nur kurzzeitig und vereinzelt auf (Übers. 1). In der 8 l-Gruppe hingegen zeigten alle Kälber wenigstens einmal pro Tag dieses Verhalten.
Direkt vor und nach dem Besaugen folgten häufig Ruhen, Blindbesuche oder Beifutteraufnahme. Die Milchaufnahme stand nur zu etwa 50% der Aktivitäten mit dem Besaugen im zeitlichen Zusammenhang.
Der Anteil aktiver Zeit für sonstige Aktivitäten (Erkunden, Sozialkontakte, Kot-/Harnabsatz, Spielen, Wasseraufnahme) ist bei niedrigen Milchanrechten geringer. Bei Mengen von 8 bzw. 10 l nutzten die Kälber bis zum Ende der siebten LW im Mittel nur 74% bzw. 60% der täglichen aktiven Zeit dafür, mit 12 l Milch 93% (Übers. 2). Ab der achten LW ging auch bei 12 l-Kälbern der Anteil zugunsten der Beifutteraufnahme zurück, lag aber über dem Mittel der anderen Gruppen.
Das Ruheverhalten unterscheidet sich zwischen den Verfahren nicht. Nach einer Eingewöhnungszeit von zwei Wochen ruhten Kälber bis zum Ende der siebten LW täglich bis zu 16 Stunden.
Die Hauptfresszeiten unterscheiden sich ebenso wenig. Auch junge Kälber haben einen festen Tagesrhythmus und fressen hauptsächlich zwischen 6.00 bis 10.00 Uhr, 14.00 bis 16.00 Uhr und 20.00 bis 22.00 Uhr.
Kälber genügend tränken
Die Untersuchungen zeigen, dass mit einer Tränkemenge von 12 l pro Tier und Tag das Tierwohl am höchsten ist, denn das Verhalten dieser Kälber ist dem in der Mutterkuhhaltung am nächsten.
Aufgrund dieser Beobachtungen und früherer Untersuchungen (siehe top agrar 5/2018, R16) empfehlen die Expertinnen, bis zum Ende der zweiten LW 10 l Milch täglich zu tränken. Danach benötigen Kälber pro Tag 12 l Milch bis zum 49. Lebenstag. Anschließend beginnt das Abtränken bis mindestens zum 70. Lebenstag.
Um das Wohlbefinden der Kälber zu kontrollieren, können Rinderhalter auf ein ausgeprägtes Sozial- und Spielverhalten der Jungtiere achten. Das sollte zusammen mit dem Fressen, Wiederkäuen und Wassertrinken 85% der aktiven Zeit einnehmen. Blindbesuche sind nach einer Eingewöhnungszeit maximal ein- bis zweimal am Tag über circa eine Minute tolerierbar. Gegenseitiges Besaugen darf nur sporadisch bei einzelnen Kälbern auftreten.
julia.hufelschulte@topagrar.com
Unsere Autoren
Prof. Dr. Anke Schuldt, Dr. Regina Dinse, Hochschule Neubrandenburg
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Welche Bedeutung das Tränkeanrecht für das Tierwohl von Kälbern hat, zeigen Ergebnisse einer spannenden Studie.
Die Kälberaufzucht ist für das Jungtier nicht stressfrei, weil die Bindung zum Muttertier fehlt.
Um trotzdem weiteren Stress für Kälber zu vermeiden, gestalten Landwirte die Aufzucht möglichst optimal – Klima, Milch und Hygiene stehen im Fokus. Wie wichtig dabei das Tränkeanrecht ist, zeigten Wissenschaftlerinnen der Hochschule Neubrandenburg.
Drei Tränkemengen
Die Untersuchungen fanden in drei Milchviehbetrieben statt. Diese boten den Kälbern in den ersten zwei Wochen in der Einzelhaltung Mischkolostrum ad libitum an. In der Gruppenhaltung auf Stroh erhielten die Kälber Milch-austauscher (MAT) mit 50% Magermilchanteil über die Abrufstationen der Tränkeautomaten. Die Kälber erhielten maximale Tränkeanrechte von acht, zehn oder zwölf Litern MAT pro Tag. Ein Betrieb reduzierte das Anrecht ab der fünften Lebenswoche (LW), die anderen ab der achten LW. Beifuttermittel waren Heu sowie Aufzuchtfutter, Anwelksilage und eine Totale-Mischration (TMR) oder Trocken-TMR und TMR.
Videokameras zeichneten das Verhalten der Kälber in der Gruppenhaltung täglich über 24 Stunden auf. Die Auswertung erfolgte in zwei Abschnitten, von der dritten bis zur siebten LW und von der achten bis zur zehnten LW.
Um das Tierwohl der Kälber bewerten zu können, verglichen die Wissenschaftlerinnen das Verhalten mit anderen Untersuchungsergebnissen aus der muttergebundenen Aufzucht - beispielsweise der Mutterkuhhaltung.
Gesunde Kälber haben in der muttergebundenen Aufzucht einen festen Tagesrhythmus. Sie liegen täglich 13 bis 18 Stunden, in denen sie schlafen, ruhen oder wiederkäuen. Wenn ein Kalb nicht ruht, frisst es Beifutter, zeigt Sozial-, Erkundungs- oder Spielverhalten und nimmt Milch oder Wasser auf.
Besuche ohne Tränkeanrecht – sogenannte Blindbesuche – finden in der Mutterkuhhaltung systembedingt nicht statt. Auch ein gegenseitiges Besaugen der Kälber gibt es dort in der Regel nicht. Beide Verhaltensweisen weichen damit vom Normalverhalten ab.
Milchmenge prägt Verhalten
Je nach Tränkevariante traten in den Untersuchungen Abweichungen vom Normalverhalten auf.
Bei den Blindbesuchen zeigten sich die gravierendsten Verhaltensunterschiede. Kälber mit 12 l Milchanrecht suchten zwischen der dritten und siebten LW nur durchschnittlich 2,7-mal täglich ohne Tränkeanrecht die Station auf. Kälber mit 8 oder 10 l Anrecht unternahmen hingegen im Schnitt 11,7 bzw. 7,2 Blindbesuche pro Tag. Ab der achten LW stieg wegen des Abtränkens auch bei den 12 l-Kälbern die Zahl der Blindbesuche an. Diese waren jedoch kürzer und weniger häufig.
Auffällig sind zudem die häufigeren wiederholten Blindbesuche bei den 8- und den 10 l-Tieren. Hatten diese kein Anrecht, folgten auf einen vergeblichen Besuch im Mittel 12,1 bzw. 7,6 weitere erfolglose Versuche nacheinander.
Gegenseitiges Besaugen trat bei Kälbern mit hohem Tränkeanrecht bis zum Abtränken nur kurzzeitig und vereinzelt auf (Übers. 1). In der 8 l-Gruppe hingegen zeigten alle Kälber wenigstens einmal pro Tag dieses Verhalten.
Direkt vor und nach dem Besaugen folgten häufig Ruhen, Blindbesuche oder Beifutteraufnahme. Die Milchaufnahme stand nur zu etwa 50% der Aktivitäten mit dem Besaugen im zeitlichen Zusammenhang.
Der Anteil aktiver Zeit für sonstige Aktivitäten (Erkunden, Sozialkontakte, Kot-/Harnabsatz, Spielen, Wasseraufnahme) ist bei niedrigen Milchanrechten geringer. Bei Mengen von 8 bzw. 10 l nutzten die Kälber bis zum Ende der siebten LW im Mittel nur 74% bzw. 60% der täglichen aktiven Zeit dafür, mit 12 l Milch 93% (Übers. 2). Ab der achten LW ging auch bei 12 l-Kälbern der Anteil zugunsten der Beifutteraufnahme zurück, lag aber über dem Mittel der anderen Gruppen.
Das Ruheverhalten unterscheidet sich zwischen den Verfahren nicht. Nach einer Eingewöhnungszeit von zwei Wochen ruhten Kälber bis zum Ende der siebten LW täglich bis zu 16 Stunden.
Die Hauptfresszeiten unterscheiden sich ebenso wenig. Auch junge Kälber haben einen festen Tagesrhythmus und fressen hauptsächlich zwischen 6.00 bis 10.00 Uhr, 14.00 bis 16.00 Uhr und 20.00 bis 22.00 Uhr.
Kälber genügend tränken
Die Untersuchungen zeigen, dass mit einer Tränkemenge von 12 l pro Tier und Tag das Tierwohl am höchsten ist, denn das Verhalten dieser Kälber ist dem in der Mutterkuhhaltung am nächsten.
Aufgrund dieser Beobachtungen und früherer Untersuchungen (siehe top agrar 5/2018, R16) empfehlen die Expertinnen, bis zum Ende der zweiten LW 10 l Milch täglich zu tränken. Danach benötigen Kälber pro Tag 12 l Milch bis zum 49. Lebenstag. Anschließend beginnt das Abtränken bis mindestens zum 70. Lebenstag.
Um das Wohlbefinden der Kälber zu kontrollieren, können Rinderhalter auf ein ausgeprägtes Sozial- und Spielverhalten der Jungtiere achten. Das sollte zusammen mit dem Fressen, Wiederkäuen und Wassertrinken 85% der aktiven Zeit einnehmen. Blindbesuche sind nach einer Eingewöhnungszeit maximal ein- bis zweimal am Tag über circa eine Minute tolerierbar. Gegenseitiges Besaugen darf nur sporadisch bei einzelnen Kälbern auftreten.
julia.hufelschulte@topagrar.com
Unsere Autoren
Prof. Dr. Anke Schuldt, Dr. Regina Dinse, Hochschule Neubrandenburg