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Über 500 Mio. kg Milch gekündigt

Lesezeit: 11 Minuten

Deutschlands größte Molkerei, das Deutsche Milchkontor (DMK) in Zeven, steht wegen der niedrigen Milchpreise unter Druck. top agrar sprach mit den Aufsichtsräten Otto Lattwesen und Heinz Korte.


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Herr Lattwesen, schlechte Stimmung beim Deutschen Milchkontor. Im Herbst zahlten Sie zeitweise nur noch 25 Cent, zum Jahresende wurden über 500 Mio. kg Milch gekündigt. Wem geht es derzeit schlechter – der Molkerei oder ihren Mitgliedern?


Lattwesen: Eindeutig den Milch­erzeugern. Die Stimmung ist aber in der gesamten Branche schlecht. Der Absturz der Milchpreise belastet die Liquidität der Betriebe enorm, viele können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen.


Bei uns kommen Kündigungen überwiegend aus Thüringen, Nord­hessen und dem Sauerland, den Grenzregionen zur Hochwald-Molkerei in Hünfeld. Ob die Betriebe in zwei Jahren tat­sächlich wechseln, muss man abwarten. Wir müssen das verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen.


Korte: Eine zusätzliche Belastung ist für viele Betriebe die hohe Super­abgabe. Manche Überlieferer haben für drei Monate kein Milchgeld bekommen. Das verschärft die Liquiditäts­probleme enorm.


Und ein weiterer Punkt: Gegenüber dem letzten Preistief 2009 sind die Kosten der Milchproduktion deutlich gestiegen, z. B. durch höhere Produk-tionsmittelpreise, höhere Pachtpreise und einen höheren Pachtflächenanteil in den wachsenden Betrieben. Wenn die Schmerzgrenze beim Milchpreis 2009 bei 25 Cent lag, dann sind es heute je nach Betrieb 30 Cent oder mehr.


Geben aktuell mehr Betriebe die Milchproduktion auf?


Lattwesen: Das ist eindeutig so, in unserem Einzugsgebiet haben 2015 rund 800 Betriebe die Milchproduktion aufgegeben. Darunter sind nicht nur kleine, sondern auch große und moderne Betriebe. Wir haben große Sorgen, dass uns die Zukunftsbetriebe wegbrechen.


Was belastet das DMK aktuell mehr: Das Russland-Embargo, die China-Schwäche, das Quotenende – oder eigene Fehler im Unternehmen?


Lattwesen: Das Quotenende und der Anstieg der Milchmenge war für alle absehbar. Das Wegbrechen der Absatzmärkte war nicht vorhersehbar.


Das Russland-Embargo hat das DMK stark getroffen, wie alle anderen Käse-Exporteure auch. EU-weit mussten kurzfristig für 200 000 Tonnen Käse neue Märkte gesucht und gefunden werden, davon kamen 70 000 Tonnen aus Deutschland und 20 000 Tonnen vom DMK. Diese Käsemengen fließen jetzt z. B. nach Südeuropa oder liegen zum Teil noch in den Lagern. Inzwischen liegen die EU-Käseexporte wieder auf einem höheren Niveau, jedoch zu schlechteren Preisen.


Und der große Hoffnungs-Markt China?


Lattwesen: China ist ein wichtiger Markt für uns, aber nicht die wichtigste Perspektive. Der Export nach China läuft gegenwärtig besser, als es oft dargestellt wird. Wir haben 2015 den Umsatz von H-Milch in China deutlich gesteigert, auf fast 100 Mio. Euro.


Wie reagieren Ihre Betriebe auf das Quotenende und den Absturz der Milchpreise? Wie stark steigt die Milchproduktion?


Lattwesen: Auf den Anstieg der Milchproduktion nach dem Quoten­ende waren wir aufgrund der Befragungen vorbereitet. Zu unserer Überraschung war die Mengensteigerung im Frühjahr und Sommer noch recht überschaubar. Zum Jahresende stieg die Produktion dann um bis zu 5 % an. Die Betriebe produzieren mehr Milch zur Liquiditätssicherung.


Aber nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Regionen der EU, z. B. in Irland, Spanien und Belgien. In Holland steigt die Milchproduktion sogar dramatisch, weil die Bauern die Einführung einer Phosphat-Quote befürchten. Holländische Spotmilch wird in Deutschland für 15 Cent angeboten, weil z. B. FrieslandCampina die zusätzlichen Mengen gegenwärtig nicht verarbeiten kann.


Nutzen Sie dieses Sonderangebot für ein schnelles Geschäft?


Lattwesen: Andere machen das, wir tun es nicht. Wir könnten zwar Käse produzieren, aber wohin damit?


Normalerweise spielt FrieslandCampina in einer völlig anderen Liga als das DMK. Beim Milchpreis liegen die Holländer oft im oberen Drittel der Bundesliga-Tabelle, das DMK im unteren Drittel. Trotz vieler Ankündigungen hat das DMK bisher nicht aufgeholt.


Lattwesen: FrieslandCampina ist die stärkste genossenschaftlich orientierte Molkerei in Europa. Der Erfolg liegt eindeutig in der starken Export-Orientierung des Unternehmens. In Deutschland verdient FrieslandCampina wahrscheinlich auch kaum Geld. Deshalb investieren sie im Inland wenig und haben in Deutschland auch die Milchmengen drastisch zurückgefahren. Dagegen erzielen sie im Export Margen im zweistelligen Bereich – und zahlen das an die Bauern aus. Wenn wir das gleiche Milchgeld-Niveau erreichen wollen, müssen wir den gleichen Weg beschreiten.


Eine bittere Erkenntnis für die Milch-erzeuger: Die „Leuchtturm-Idee“ , über schiere Größe mehr Marktmacht zu erzielen, greift demnach noch nicht? Obwohl sie rund 25 % der deutschen Milch verarbeiten, sind Sie bei der Marktmacht gegenüber dem Handel, der Wertschöpfung und der Internationalisierung noch nicht entscheidend vorangekommen.


Lattwesen: Mit unseren Marktanteilen sind wir gegenüber dem extrem konzentrierten Lebensmittelhandel in Deutschland noch keine Marktmacht. Allenfalls bei einzelnen Produktgruppen, wie z. B. Quark, reden wir mit dem Handel auf Augenhöhe. Oft ist sogar das Gegenteil erkennbar, der Handel fördert mit seiner Einkaufspolitik den Wettbewerb unter den Molkereien.


Zumindestens bei den Verarbeitungskosten müssten sich doch Größen­effekte ergeben. Haben Sie noch zu viele Standorte und zu viel Personal? Was zeigen die Benchmark-Vergleiche mit anderen Molkereien?


Lattwesen: Wegen des Milchpreis-Debakels haben wir im Unternehmen einen Einstellungsstopp verfügt und ein striktes Kostensenkungs-Programm angeschoben. Benchmark-Vergleiche mit anderen Molkereien müssen noch detaillierter werden, dies lassen wir gerade extern ermitteln. Wir wollen unsere Kosten nicht nur mit denen anderer Molkereien vergleichen, sondern auch mit Unternehmen außerhalb der Milchwirtschaft.


In den letzten drei Jahren haben Sie rund 500 Mio. Euro investiert, zuletzt 100 Mio. in einen Trockenturm, der nicht fristgerecht fertiggestellt wurde. Wie stark belasten Investitionen das Unternehmen?


Lattwesen: Die Investitions-Entscheidungen waren unerlässlich. Alle Marktprognosen signalisieren dem Milchsektor eine positive Zukunft. Zudem haben unsere Mitglieder nach allen Befragungen eine Mengensteigerung von 7 % geplant. Darauf mussten wir mit Investitionen reagieren. Natürlich hätten wir auch abwarten können, wie z. B. FrieslandCampina, dann hätten wir heute ein ähnliches Verarbeitungsproblem wie die Kollegen in Holland.


Der neue Trockenturm in Zeven kann 600 Mio. kg Milch verarbeiten, die in der Region zusätzlich erwartet werden. Er kann drei abgeschriebene Türme in Rimbeck und Everswinkel ersetzen, die nur noch Futtermittelqualität produzieren. Der Neubau liefert eine bessere Produktqualität, bis hin zu Rohstoffen für die Baby-nahrung, und hat niedrigere Energiekosten. Ja, es gab Verzögerungen bei der Fertigstellung und deshalb unnötige Personalkosten, aber seit Mitte Dezember läuft die Produktion.


Auch beim Thema Wert­schöpfung kommt das DMK kaum voran. Sie sind stark bei Standard-Käse, aber nach wie vor schwach in der Marke sowie bei Produkten mit höherer Wertschöpfung, wie Joghurt, Desserts etc.


Lattwesen: Die Marke Milram ist zugegeben nicht stark genug. Wir erzielen damit in Teilbereichen zwar eine Wertschöpfung von über 30 Cent je kg Milch. Aber unser Werbe­etat von 8 Mio. Euro ist nichts im Vergleich mit starken Marken-Unternehmen.


Die Produktion von Joghurt haben wir mehrmals versucht, aber dabei keine kostendeckenden Preise erzielt. Es ist nicht einfach, sich gegen etablierte Marken wie Ehrmann, Zott und Müller-Milch durchzusetzen. Heute produzieren wir Joghurt nur für Großverbraucher in 5-kg-Gebinden.


Mit der Humana-Kinder­nahrung haben Sie nur noch einen Marktanteil von 2 %. In Ihrem Stammwerk Herford regiert die Firma Hipp. Und im boomenden Markt China verdienen andere das Geld.


Lattwesen: Leider gibt es Altverträge, die eine Steigerung der Produktion in Herford nicht sinnvoll erscheinen lassen. Doch die Marke Humana und die Rezepturen gehören DMK. Deshalb entsteht am Standort Strückhausen eine neue Verarbeitungslinie für Humana-Kindernahrung.


Der Absatz im Inland ist durch den Preisdruck des Handels sehr schwer geworden. Das zu drehen ist schwierig. Aber international ist Humana weiterhin eine gute Marke, z. B. in Italien und in China.


Ein wesentliches Standbein des DMK sollte die Internationalisierung werden. Nun ist Russland weggebrochen und China wird zunehmend unsicherer. Wie schnell finden Sie neue Exportmärkte? Auf wie viel verschiedenen Export-Beinen muss ein Unternehmen stehen? Und wie ist das finanziell leistbar?


Lattwesen: Rund 10 % unserer Milchprodukte gehen heute in Drittländer außerhalb der EU, das ist sicher noch steigerbar. Verkaufsbüros mit eigenen Mitarbeitern haben wir heute in Moskau, Shanghai und Dubai. Weitere Büros wären bei dieser Marktlage schwer zu verantworten.


Ein zweites Problem: Verhandlungen im Ausland sind oft sehr langwierig, andere Verzehrsgewohnheiten erfordern andere Produkte. Und auf allen Märkten sind inzwischen viele Anbieter unterwegs. Wir haben uns das leichter und einfacher vorgestellt.


In Russland ist für das DMK durch den Boykott sehr viel kaputtgegangen. Vielen anderen Firmen geht es ähnlich, der Druck für eine politische Lösung ist groß. Wir prüfen jetzt, wie wir die aufgebauten Distributionswege sichern können, damit wir liefern können, sobald das Embargo fällt.


Korte: Trotz aller genannten Schwierigkeiten müssen wir als DMK die Internationalisierung weiter vorantreiben, weil auf den Exportmärkten eine höhere Wertschöpfung erreicht wird als auf dem deutschen Markt. Dafür sind Investitionen in die Zukunft notwendig.


Damit wären wir bei dem hochaktuellen Thema „Mitgliederbeziehungen“. Bauern fordern kürzere Kündigungsfristen und die Aufhebung der Lieferverpflichtung. Sie haben vor Jahren den freien Lieferanten mit dem „Closed shop“ gedroht, falls mal zu viel Milch an den Markt kommt. Was ist von dieser Idee geblieben?


Lattwesen: Das Thema „Closed shop“ hat sich erledigt, denn das DMK erhält heute rund 95 % der Milch von Mitgliedern. Wenn wir aktuell vertraglich gebundene Zukaufsmilch abstoßen könnten, ginge es dem Unternehmen besser. Aber diesen Puffer haben wir nicht mehr. Dafür haben wir jetzt eine gesunde Eigenkapital-Ausstattung.


Das Thema Mitgliederbeziehungen kommt auf den Prüfstand. Wir haben dafür eigens einen Ausschuss gegründet. Zum jetzigen Zeitpunkt dazu nur drei Anmerkungen: Zu der kritisierten Andienungspflicht der Mitglieder gehört immer auch die Abnahmepflicht der Genossenschaft, das sollte man nicht vergessen. Die Bewertung der Milch mit dem Umrechnungsfaktor 1,03 wird kommen. Reden müssen wir auch über die kurzfristige Mengensteigerung einzelner Betriebe von z. B. 20 %. Vielleicht kommen wir bei der Menge mittelfristig zu einem Bonus-Malus-System.


Obwohl Sie gegenwärtig in der Milch schwimmen, planen Sie weiterhin die Fusion mit dem holländischen Unternehmen DOC Kaas. Ist diese Fusion bei den aktuellen Mengen- und Preisproblemen tatsächlich noch ein Thema?


Lattwesen: Die Fusion mit dem Käsespezialisten ist von langer Hand geplant und macht weiterhin Sinn. DOC Kaas hat eine günstige Werkstruktur, niedrige Kosten und ein gutes Image. Der Käseverbrauch und die Exporte steigen. Wir werden vereint noch besser und effizienter aufgestellt sein. Die Fusion verzögert sich leicht, da wir die Anmeldung beim EU-Kartellamt aus technischen Gründen zurückgenommen haben, sie wird jedoch jetzt Anfang des Jahres neu gestellt.


Die Fusion mit DOC wird kommen. Es wird aber vermutlich die letzte sein, denn Fusionen sind immer schwieriger durchsetzbar.


Gilt das auch für weitere Kooperationen, wie z. B. die Zusammen­arbeit mit Arla im Molkesektor?


Korte: Kooperationen mit anderen Molkereien werden wir auch weiterhin eingehen. So halten wir z. B. die Gründung eines Verkaufskontors zur gemeinsamen Vermarktung von Milchprodukten für eine sehr sinnvolle Lösung. Das DMK und der Raiffeisenverband haben das mehrfach vorgeschlagen, aber bisher gibt es noch keine Resonanz von anderen Unternehmen. Offenbar ist der Druck bei den Molkereien noch nicht hoch genug. Wir hoffen nun auf die Unterstützung durch die Politik.


Welche Produktgruppen würden sich für ein Verkaufskontor anbieten?


Lattwesen: Besonders die Trinkmilch, denn sie hat eine Leitfunktion. Sie wird bei den Preisgesprächen immer zuerst verhandelt und steht deshalb am stärksten unter Preisdruck. Drei bis vier Anbieter könnten sich im Rahmen des kartellrechtlich Zulässigen zusammentun, Genossenschaften und/oder Private. Die Molkereien würden zwar einen Teil ihrer Selbstständigkeit verlieren, aber die Bauern könnten davon profitieren.


Das neueste Reizthema für DMK-Bauern ist die Einführung des Nachhaltigkeits-Programms „Milkmaster“. Es gibt einen dicken Ordner, mit dem die Produktionstechnik der Betriebe überprüft werden soll. Viele Bauern fürchten neue Auflagen, zusätzliche Kontrollen – und eine versteckte Senkung oder Umverteilung des Milch­geldes. Müssen Sie das Programm ausgerechnet in einem Preistief starten?


Lattwesen: Das Milkmaster-Programm ist wichtig für unsere Zukunft – und kein Hexenwerk. Andere Molkereien wie Arla und FrieslandCampina haben solche Nachhaltigkeits-Programme längst umgesetzt. Auch QM-Milch arbeitet an einem eigenen Modul.


Unsere Kunden fragen nach mehr Nachhaltigkeit bei der Produktion und Verarbeitung der Milch. Beim Milkmaster-Programm werden die wichtigsten Management-Maßnahmen in den Betrieben dokumentiert. Die Kontrollen erfolgen bei den normalen Audits der QM-Milch. Das DMK unterstützt die Umsetzung mit einem Bonus-Programm und kalkuliert dafür derzeit ca. 20 Mio. Euro, was eine Umverteilung von 0,3 Cent Auszahlung je kg Milch bedeutet.


Korte: Zudem ist es ein Programm, das Anreize für sinnvolle Verbesserungen in den Betrieben schafft, z. B. bei der Nutzungsdauer oder der Eutergesundheit.


Im Schweine- und Geflügelsektor werden zusätzliche Anstrengungen der Landwirte beim Tierwohl mit finanziellen Anreizen belohnt. Warum geht das nicht bei der Milch? Warum fordern Sie vom Handel keine Zuschläge?


Lattwesen: Bei diesem Thema gehen die Meinungen des Lebensmittelhandels noch weit auseinander. Einige große Kunden könnten sich auch bei der Milch eine Honorierung vorstellen. Andere dagegen sträuben sich mit allen Mitteln. Es besteht also noch ein großer Gesprächsbedarf.

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