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„Wir brauchen ein Resistenz-Monitoring“

Lesezeit: 7 Minuten

Kann Deutschland beim Thema Antibiotika-Reduktion mit Dänemark und Holland mithalten? Und ist das bisherige Vorgehen noch zielführend? top agrar sprach mit Dr. Andreas Palzer vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte.


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Ist Deutschland bei der Antibiotika-Reduktion weniger erfolgreich als die Niederlande oder Dänemark?


Palzer: Das glaube ich nicht. In den Niederlanden und in Dänemark hat die Diskussion um den Antibiotika-Einsatz in der Nutztierhaltung nur früher begonnen. Deshalb waren uns beide Länder bei der Antibiotika-Verminderung lange Zeit voraus. Mittlerweile diskutieren wir in allen drei Ländern jedoch auf Augenhöhe.


Deutschland muss sich mit seinen Erfolgen bei der Antibiotika-Verminderung nicht länger verstecken – insbesondere nicht, wenn man die unterschiedlichen Strukturen berücksichtigt. Denn Dänemark und Holland sind Sauen-Hochburgen, die Ferkel exportieren. Wir dagegen führen Ferkel ein, die dann häufig erst bei uns behandelt werden. Hinzu kommt, dass wir unsere Erfolge oftmals nicht so geschickt kommunizieren wie unsere dänischen und niederländischen Kollegen.


Können wir etwas von Dänemark und von den Niederlanden lernen?


Palzer: Von unseren niederländischen Kollegen können wir lernen, dass es wichtig und zielführender ist, das Problem ganzheitlich anzugehen. Landwirte, Berater, Tierärzte, Humanmediziner und Politiker müssen alle an einem Strang ziehen und gemeinsam ein Konzept erarbeiten, wie man den Antibiotika-Verbrauch reduziert. Denn alle, die am Konzept aktiv mitgearbeitet haben, setzen es vermutlich hinterher auch konsequent um.


Und die Erfahrungen der dänischen Kollegen zeigen uns, dass Antibiotika-Verbrauch und Dispensierrecht wenig miteinander zu tun haben. Die Abschaffung des Dispensierrechts in Dänemark im Jahr 1995 hatte kaum Auswirkungen auf den Antibiotika-Verbrauch in der Schweinehaltung.


Auch Auswertungen der ESVAC (European Surveillance of Veterinary Antimicrobial Consumption), die den Antibiotika-Verbrauch EU-weit vergleicht, lassen keinen Zusammenhang zwischen dem Dispensierrecht und dem Antibiotika-Einsatz erkennen.


Jedes Land arbeitet mit anderen Maßeinheiten. Brauchen wir nicht dringend einen EU-einheitlichen Vergleichswert?


Palzer: Dänemark gibt den Antibio-tika-Verbrauch in der durchschnittlichen Tagesdosis ADD (Average Daily Dose) an, die Niederländer in Form der Tier-Tag-Dosis DDD. Und Deutschland arbeitet sogar mit zwei Werten, dem Therapieindex von QS und der staatlich ermittelten Therapiehäufigkeit.


Wenn wir uns auf EU-Ebene miteinander vergleichen, dann sollte das nach Möglichkeit auch mit einem über alle Länder einheitlichen Messwert erfolgen. Denn sonst vergleichen wir Äpfel mit Birnen. Ich habe allerdings wenig Hoffnung, dass es in den nächsten Jahren dazu kommen wird. Denn der Stand der Antibiotika-Erfassung ist in der EU zu unterschiedlich. Viele fangen jetzt erst an, den Antibiotika-Verbrauch zu dokumentieren.


Führt das einseitige Schielen auf den Verbrauch nicht dazu, dass die Tiere tendenziell kürzer behandelt werden?


Palzer: Die Gefahr besteht. Wenn es darum geht, die Therapiehäufigkeit niedrig zu halten, wird der eine oder andere sicherlich versuchen, die antibiotische Therapie früher abzubrechen. Und das wäre kontraproduktiv, denn eine zu kurze Behandlungsdauer kann die Selektion auf resistente Keime sogar forcieren. Ich glaube aber nicht, dass das im großen Stil erfolgt. Es bleibt vermutlich eher auf Einzelfälle beschränkt.


Haben sich seit Einführung des Antibiotika-Monitorings die Leistungen und die Gesundheit der Schweine verschlechtert?


Palzer: Es gibt dazu bei uns keine offiziellen Auswertungen. Dänische Veröffentlichungen berichten, dass sich seit Einführung des „Gelbe Karten“-Systems die Zahl der Lungenbefunde im Schlachthof bei einigen Betrieben erhöht hat.


Mein subjektiver Eindruck ist tatsächlich, dass sich der Gesundheitszustand in einigen Betrieben verschlechtert hat. Das liegt zum Teil daran, dass einige Mäster ihre Schweine seltener antibiotisch behandeln. Leicht erhöhte Verluste werden billigend in Kauf genommen.


Zudem rutschen bei Einzeltierbehandlungen, die inzwischen ja ausdrücklich erwünscht sind, auch immer mal wieder unerkannt kranke Tiere durch, die man früher bei Gruppenbehandlungen automatisch mitbehandelt hat.


Die Schweinemast wird schwieriger. Je weniger Antibiotika eingesetzt werden sollen, desto mehr Sorgfalt muss der Tierhalter bei Fütterung, Betriebshygiene, Lüftung und Tierkontrolle walten lassen. Er muss mehr Zeit und Geld aufwenden, um auf den Einsatz von Antibiotika verzichten zu können.


Das Problem ist jedoch: Der Wunsch der Gesellschaft, in der Nutztierhaltung weniger Antibiotika einzusetzen, wird bis jetzt einzig und allein von den Landwirten finanziert. Das ist auf Dauer nicht akzeptabel!


Ist es sinnvoll, Antibiotika mit besonderer Bedeutung für den Menschen, sogenannte Reserveantibiotika, bei Nutztieren ganz zu verbieten?


Palzer: Nein, das ist nicht sinnvoll, denn in einigen Bereichen wie der Durchfallbehandlung von Jungtieren sind diese Stoffgruppen auch für Nutztiere unverzichtbar. Richtig ist jedoch, dass sie künftig behutsamer und seltener eingesetzt werden sollten. Deshalb ist es wichtig, die Hürden für die Anwendung dieser Antibiotika anzuheben. Der Entwurf zur Verordnung über tierärztliche Hausapotheken (TÄHAV) enthält bereits entsprechende Regelungen, z.B. soll vor dem Einsatz generell eine Erregerbestimmung und ein Resistenztest durchgeführt werden müssen.


Wichtig ist zudem, dass wir Landwirte und Tierärzte dafür sensibilisieren, diese Wirkstoffgruppen künftig behutsamer einzusetzen. Das QS-System beschreitet diesen Weg bereits, indem es einen separaten Index für diese Reserveantibiotika eingeführt hat.


Ziel ist doch, das Auftreten von Resis-tenzen zu reduzieren. Brauchen wir daher nicht eher ein Resistenz- anstelle eines Antibiotika-Monitorings?


Palzer: Das ist der entscheidende Punkt. Es war richtig und gut, den Antibiotika-Verbrauch aufzuzeichnen und Vielverbraucher ausfindig zu machen. Letztlich müssen wir jedoch das Resistenzgeschehen überwachen und nicht den Antibiotika-Verbrauch. Denn das Auftreten von Resistenzen und deren Ausbreitung ist sehr komplex. Es gibt z.B. bestimmte multiresistente Keime, die über den Reiseverkehr zu uns kommen und nicht über den zu häufigen Einsatz von Antibiotika.


Dass das Hilfsmittel Antibiotika-Monitoring dazu allein nicht ausreicht, zeigt das aktuelle MRSA-Geschehen in Dänemark. Mithilfe des „Gelbe Karten“-Systems ist es zwar gelungen, den Antibiotika-Verbrauch drastisch zurückzufahren. Die MRSA-Problematik nimmt jedoch nicht ab sondern zu.


Ich bin deshalb davon überzeugt, dass man langfristig immer das monitoren muss, was man bearbeiten will. Entscheidend ist, dass ein solches Resistenz-Monitoring alle Bereiche umfassen muss, von der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung über Haustiere bis hin zur Humanmedizin.


Was halten Sie davon, antibiotikafreie Schweine zu erzeugen?


Palzer: Gar nichts. Wenn Tiere krank sind, müssen sie behandelt werden. Und wenn man anschließend die Wartezeit korrekt einhält, ist das Fleisch der behandelten Schweine nicht schlechter und nicht ungesünder als das Fleisch von Schweinen, die nie antibiotisch behandelt wurden. Hier wird aus Marketinggründen das Fleisch normal aufgezogener Schweine ohne Not verunglimpft.


Aus Tierschutzsicht halte ich das Vorgehen sogar für bedenklich. Denn wenn viel Geld auf dem Spiel steht, wird mancher Schweinehalter die antibiotische Behandlung so lange wie möglich hinausschieben und sogar höhere Verluste in Kauf nehmen, wenn es sich rechnet.


Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Hebel, um den Antibiotika-Verbrauch nachhaltig zu senken?


Palzer: Drei Dinge: Kommunizieren, sensibilisieren und nach alternativen Wegen suchen. Zunächst einmal müssen alle Beteiligten miteinander kommunizieren. Landwirt, Tierarzt und Berater müssen sich offen austauschen. Gemeinsam müssen sie sich dann sensibilisieren, was sie da machen und warum sie das machen. Und wenn das geschehen ist, kann man gemeinsam nach alternativen Wegen suchen. Großes Potenzial bieten hier Fütterungsmaßnahmen, der Ferkelbezug oder die Betriebshygiene. Hier hat sich jedoch in den letzten Jahren bereits viel getan. Die Schritte zum Erfolg werden leider inzwischen immer kleiner und mühsamer.


Das Interview führte top agrar-Redakteur Henning Lehnert

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