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Der schwere Weg zur Eigenständigkeit

Lesezeit: 8 Minuten

Hofnachfolger müssen die eigene Persönlichkeit entwickeln, wollen es gleichzeitig aber den Eltern recht machen. Wie lässt sich dieser Konflikt lösen?


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Selbstbewusst den eigenen Weg gehen, eigene Entscheidungen treffen. Aber gleichzeitig die Mutter und vor allem den Vater nicht enttäuschen. Die uneingeschränkte Gunst und Anerkennung des Vaters genießen, gleichzeitig aber die eigene Persönlichkeit entwickeln und berufliche Vorstellungen umsetzen. Erwachsen werden ist nicht leicht. Für junge Menschen auf den Höfen schon zweimal nicht.


Die Arbeit sitzt mit am Familientisch, Konflikte zwischen den Generationen werden mit zum „Arbeitsplatz“ getragen und wenn erwachsene Kinder dann eine eigene Familie gründen, wird das Gefüge häufig noch komplizierter.


Wo „Wohnen“ und „Arbeit“ Hand in Hand gehen, ist es für erwachsene Kinder schwierig, den Mittelweg zwischen Familienzugehörigkeit und Eigenständigkeit zu finden. „Bei mehreren Generationen, kommt es nicht selten zum Konflikt von Eigen- und Familieninteresse“, weiß Christine Beuer, Paar- und Familientherapeutin bei der Bäuerlichen Familienberatung in Augsburg. „Wenn wir bei Generationenkonflikten beratend tätig werden, dann spielen Eigenständigkeit und Zugehörigkeit in den meisten Fällen eine Rolle.“


Auch ein Schwiegersohn hat es schwer


Da Söhne häufiger auf dem Hof bleiben und dort eine eigene Familie gründen, kommt es hier öfter zum Konflikt. Aber auch der weibliche Hofnachwuchs kann durchaus Probleme bei der „Selbstfindung“ haben, sagt Fritz Kroder von der Landwirtschaftlichen Familienberatung in Bamberg. „Hier sieht der Konflikt etwas anders aus. Hofnachfolgerinnen buhlen nicht selten extrem um die Anerkennung ihrer Väter, was ihre Eigenständigkeit enorm beeinflussen kann“, erklärt der Familienberater. „Und Männer, die einheiraten, haben es in der Rolle als Schwiegersohn auch nicht einfacher, als eine Schwiegertochter, die auf den Hof kommt.“


Familienbande und -zwänge


Alle haben Familie. Und alle haben hin und wieder Probleme mit ihr. Die Bindung an die Eltern ist die einzige, die wir uns nicht aussuchen können. Diese Verwandtschaftsbeziehung ist existenziell und zugleich kompliziert, denn Kinder – wenn auch schon erwachsen – sind im Guten wie im Schlechten an ihre Eltern gebunden. Die Bindung zu den Eltern begleitet uns ein Leben lang. Und das kann auch schwierig sein.


Die Schweizer Philosophin und Autorin Barbara Bleisch beschreibt in ihrem Buch „Warum wir unseren Eltern nichts schulden“ das Verwandschaftsverhältnis von erwachsenen Kindern zu ihren Eltern. Sie geht der Frage nach, ob Kinder ihren Eltern etwas schulden – nur aufgrund der Tatsache, dass sie ihre Kinder sind. Und sie kommt zu dem Schluss, dass sie es nicht tun. Dass Eltern Kinder aus freiem Willen großziehen und von einem Tauschhandel keine Rede sein kann. Sie spricht Kinder davon „frei“, sich aus reinem Pflichtgefühl um die Eltern kümmern zu müssen und ein Leben nach deren Vorstellungen zu führen.


Das klingt hart, beinhaltet aber eine wichtige Botschaft: Durch das Lösen des Zwangs begegnen sich Eltern und Kinder befreiter und unbefangener. So wird es leichter, zu erkennen, worin die Verantwortung gegenüber den Eltern besteht und wie weit die eigene Freiheit reicht. „Liebe und Zuwendung wollen nicht vorgeschrieben sein, sie sollen aus freiem Herzen verschenkt werden“, erklärt Barbara Bleisch.


Raus aus den Zwängen


Familienberaterin Christine Beuer beschreibt es ähnlich: „Die Kinder müssen sich fragen, was sie wirklich müssen. Denn der Zwang kann zu einer enormen Belastung werden.“ Ein Beispiel aus ihrer Beratung macht das deutlich: Ein junger Hofnachfolger beginnt die Stallzeit am Morgen eine Stunde später, als es sein Vater immer tut. Er ist morgens nicht fit, arbeitet abends länger. Für die Eltern ist das ein Problem, schließlich „müsse sich der Sohn anpassen“ und „der Vater erwartet es so“. Aus Pflichtgefühl und auch, weil er es den Eltern recht machen möchte, beugt sich der Sohn – obwohl es nicht das ist, was er sich selbst vorstellt. Er glaubt, es so machen zu müssen, wie es seine Eltern erwarten.


Unzufriedenheit macht sich breit, die sich vom Arbeiten bis zum Zusammenleben zieht. Die Konsequenz: Der Sohn verlässt einige Jahre später den Hof. Das wollte so eigentlich niemand! Aber der Sohn sah keinen anderen Weg, seinen Bedürfnisse gerecht zu werden. Der Zwang wurde zur Belastung.


Als weiteres Beispiel nennt Christine Beuer feste gemeinsame Mittagessen. „Wenn diese zum unverrückbaren Element werden, sollten sich die Kinder fragen, ob an der Routine starr festgehalten wird“, sagt die Beraterin. „Vielleicht ist es ja auch die Mutter, die eigentlich gar keine Lust darauf hat, jeden Sonntag für alle zu kochen. Ein offenes Gespräch über die Bedürfnisse kann einen solchen Zwang lösen.“


Distanz als Ausweg


Damit die Kinder auf dem Weg zum Erwachsenwerden ihre eigene Persönlichkeit entwickeln und herausfinden können, welches Leben sie führen möchten, empfiehlt Fritz Kroder zunächst einmal Distanz. „Hofnachfolgern kann ich nur empfehlen, zunächst einmal eine gewisse Zeit von zu Hause wegzugehen. Nur so können sie ihre Eigenständigkeit finden“, erklärt er. „Ganz wichtig für den Familienfrieden ist auch die Distanz beim Wohnen. “


Eltern sollen ihre Kinder darin unterstützen, selbstständig zu werden. Der Psychologe Howard M. Halpern nimmt Eltern sogar in die Pflicht, den Kindern zu helfen, selbstständig zu werden und sie so in ihrer Individualisierung gut unterstützen.


In seinem Buch „Abschied von den Eltern – Eine Anleitung für Erwachsene, die Beziehung zu den Eltern zu normalisieren“ beschreibt er verschiedene Beziehungsschwierigkeiten zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern. Er geht auf den Zwiespalt ein, in dem sich Eltern häufig befinden, zwischen dem Wunsch, dass das Kind stark und unabhängig ist und der gleichzeitigen Angst des Kontrollverlusts, die deren Selbstständigkeit mit sich bringt.


Das Problem der Mütter


Gerade Frauen und Mütter neigen dazu, ihre Kinder – wenn auch schon erwachsen – zu ver- und umsorgen. Und deshalb schwillt der Konflikt um Eigenständigkeit und Zugehörigkeit oft dann an, wenn der Sohn eine eigene Familie gründet.


„Dann werden aus Routinen, also Abläufen, die aus Bequemlichkeit entstanden sind, Probleme“, weiß Christine Beuer. „Wenn die Mutter z.B. die Wohnung des Sohns putzt, die Wäsche mit wäscht oder den Lebensmitteleinkauf übernimmt, kann das zum Konfliktpotenzial werden.“ Und die Familienberaterin ergänzt: „Nicht alles, was bequem und praktisch ist, ist auch gut. Gut gemeint, ist nicht gleich gut gemacht! Bedürfnisse klar zu benennen, hilft, die Situation zu klären. Oder man vermeidet das Problem, indem sich die erwachsenen Kinder selbst um ihren Haushalt kümmern.“


Wurstpaket als Auslöser


Ein Landwirt aus dem Schwarzwald berichtet, wie belastend solche banalen Kleinigkeiten werden können. Seine Mutter, zu der er immer ein gutes Verhältnis hatte, veränderte sich kurz nach seiner Hochzeit. „Wir haben ein eigenes Haus auf dem Hofgelände gebaut. Das war mir immer schon wichtig. Irgendwann fing meine Mutter allerdings an, ungefragt für uns einzukaufen“, erzählt der Landwirt. „Sie hängte uns Tüten mit Fleisch oder Wurst an die Türe und brachte meine Frau damit in den Zwang, dieses auch zu verwerten.“


Seine Frau fühlte sich bevormundet und auch der Landwirt selbst wollte diese Einmischung seiner Mutter nicht. Er ging unbewusst auf Distanz zu seinen Eltern.


„Irgendwann war ich so genervt, dass ich meiner Mutter die Tüte wieder-gebracht und einige klare Worte gesprochen habe“, berichtet der Landwirt. „Meine Mutter war schockiert, denn sie wollte uns nichts Böses. Nach den klärenden Worten war das Verhältnis zu meinen Eltern wieder gut.“


Welchen Rollenhut trage ich?


Ein Hauptproblem beim gemeinsamen Arbeiten und Leben sind die unterschiedlichen Rollen, die die Generationen innehaben, sagt Fritz Kroder. „Die Mitglieder der Familie haben unterschiedliche Rollen inne, tragen quasi verschiedene Rollenhüte.“


Der erwachsene Sohn ist möglicherweise nicht nur Sohn, sondern eben gleichzeitig auch Ehemann, Vater, Betriebsleiter... „Hin und wieder sollte man sich die Frage stellen: In welcher Rolle agiere ich gerade“, sagt Christine Beuer. „Als Sohn möchte man dem Vater vielleicht gerade etwas ganz anderes mitteilen, als es der Betriebsleiter gerade tut.“


Die Beraterin rät Eltern und erwachsenen Kindern, sich gemeinsam ihre Rollen anzuschauen und folgende Fragen zu klären: Wo stehe ich als Persönlichkeit? Welche Rolle habe ich am Hof? „Dabei gilt es, genau zu unterschieden: Was ist für uns als Familie wichtig, was für die einzelnen Personen und was für den Betrieb“, erklärt die Beraterin. „So können alle, nicht nur die erwachsenen Kinder, definieren, was für sie wichtig ist.“ Wenn es gelingt, dass sich die „Kinder“ gegenüber den Eltern nicht mehr in der Kleinkindrolle fühlen, ist ein großer Schritt hin zu einem entspannteren Verhälntis getan.


anja.rose@topagrar.com

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