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Rosenheimer Landwerk: Hofanlage trifft Stadtwerk

Lesezeit: 7 Minuten

Die Stadtwerke Rosenheim haben sich als idealer Vermarktungspartner für kleine, hofangepasste Biogasanlagen unter 100 kW erwiesen – ein Modell auch für andere Regionen?


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Stromvermarktung an der Börse? Dafür sind Ihre Anlagen viel zu klein!“ Aussagen wie diese mussten sich Christian Bürger und Christian Rinser aus dem Landkreis Rosenheim (Bayern) immer wieder anhören. Die beiden gehören zu den Initiatoren der Rosenheimer Biogasgruppe, die ab dem Jahr 2006 mit dem Bau von kleinen, hofangepassten Biogasanlagen begonnen hatten. „Wir haben die Biogasproduktion immer als Abrundung zur Lebensmittelerzeugung gesehen“, sagt Bürger, der zusammen mit zwei anderen Landwirten selbst eine Biogasanlage betreibt.


Das „Rosenheimer Modell“ hatte seinerzeit bundesweit für Aufsehen gesorgt: Die Bauern haben die Anlagen unter Anleitung einer Architektin überwiegend selbst gebaut und sich dabei gegenseitig unterstützt. Auf diese Weise sind im Landkreis bis heute 112 Kleinanlagen mit 40 bis 200 kW Leistung entstanden.


Die Anlagen erwiesen sich laut Bürger, der als Agrardirektor bei der „Meine Volksbank Raiffeisenbank“ tätig ist, als eine wertvolle Einkommensstütze für die in der Region typische Milchviehhaltung. „Bei den katastrophalen Milchpreisen im Jahr 2008/2009 haben sie für mehr als 30% des Betriebseinkommens gesorgt und viele Landwirte über Wasser gehalten, die ansonsten aufgehört hätten“, lautet seine Erfahrung. Günstige Wärme für Haus und Hof sowie zusätzlicher Lagerraum für die Gülle waren weitere Vorteile der Biogasproduktion.


Flexibler Betrieb als option


Wie viele andere Betreiber im Bundesgebiet, beschäftigten sich auch die Rosenheimer mit der Flexibilisierung, die mit Einführung der Flexibilitätsprämie immer wichtiger wurde. „Wir haben bei der Planung schon lange vor der Flexibilisierung auf große Behälter Wert gelegt. Anlagen mit bis zu 100 kW haben bei uns 500 m3 Gasspeichervolumen und mehr, das kommt uns heute zugute“, sagt Rinser.


Eine Anlage mit 100 kW erzeugt bzw. verbraucht überschlägig 50 m3 Biogas pro Stunde. 500 m3 reichen also als Puffer theoretisch für 10 Stunden Betrieb bzw. Stillstand aus. Da auch ergänzte Nachgärer in der Regel gasdicht abgedeckt sind, um auf 150 Tage Verweilzeit zu kommen (eine Vorgabe im Baurecht sowie im EEG), hatten die Anlagen von sich aus ausreichend Speicher für einen flexiblen Betrieb. Ergänzt werden mussten meistens nur noch weitere BHKW.


Absagen von vermarktern


Doch die großen, bundesweit tätigen Direktvermarkter waren zunächst auf die großen Anlagen mit 500 kW elektrischer Leistung und mehr aus. Die Rosenheimer erhielten daher überall Absagen. „Dann wendeten wir uns im Jahr 2015 an unseren regionalen Energieversorger, die Stadtwerke Rosenheim, und rannten dort offene Türen ein“, blickt Bürger zurück.


„In der Tat fanden wir die Anfrage der Biogas-Bauern sehr interessant. Die ganze Technik war uns völlig fremd, aber wir haben für uns und für die Betreiber viele Chancen gesehen“, ergänzt Gilbert Vogler, Abteilungsleiter des Rosenheimer Landwerks bei den Stadtwerken.


In mehreren, vom Landwerk organisierten Workshops und Besichtigungsterminen lernten sich beide Partner näher kennen:


  • Die Landwirte haben erfahren, welche Anforderungen es bei der Stromvermarktung gibt und wo welche Mengen gefragt sind.
  • Der Energieversorger erfuhr, wie eine Biogasanlage gefahren wird, welche Auswirkungen die Fütterung auf die Gasproduktion hat und welche arbeitswirtschaftlichen Herausforderungen Landwirte im Jahresverlauf haben.


Bis heute entschieden sich über 150 Landwirte mit mehr als 60 MW Anlagenleistung für die Stadtwerke Rosenheim als Vermarkter. 80% der Anlagen liegen im Umkreis von 50 km rund um Rosenheim. „Die Regionalität, die Größe des Unternehmens und seine Ausrichtung sind genau das, was wir gesucht haben“, sagt Milchviehhalter Hans Bürger-Schuster aus Vogtereut, der eine Biogasanlage mit 200 kW installierter Leistung besitzt. Er war vorher bei einem überregionalen Stromdirektvermarkter aus Nordrhein-Westfalen unter Vertrag. „Da kommen Informationen nur per Mail oder es gibt Gebietsversammlungen an weit entfernten Orten, bei denen man mit 200 kW Leistung krasser Außenseiter ist“, lautet seine Erfahrung. Jetzt fühlt er sich wie die anderen Betreiber auch gleichberechtigt. „Der Ansprechpartner vor Ort und der unkomplizierte Informationsaustausch sind mir heute wichtiger als der Mehrerlös über die Stromvermarktung“, sagt Bürger-Schuster.


Anlagen im Fahrplanbetrieb


Auch Josef Grießer aus Schechen vermarktet seinen Strom über die Stadtwerke. „Wir haben die Anlage nicht allein wegen der Mehrerlöse umgerüstet, sondern, um für die Zukunft gerüstet zu sein“, erklärt er.


Die Anlage aus dem Jahr 2007 hatte ursprünglich 100 kW. Sie ist jetzt mithilfe eines zusätzlichen BHKW dreifach überbaut, die installierte Leistung beträgt 300 kW. Das Gasspeichervolumen lag von Anfang an bei 900 m3. „Damit kann ich für 23 Stunden Gas speichern, ohne dass die Motoren laufen“, sagt er.


Da das ältere BHKW Schwierigkeiten beim Starten hat, ist es weiter 24 Stunden im Dauerbetrieb. Die anfallende Wärme nutzt Grießer zum Heizen von mehreren Wohnhäusern sowie für die Heutrocknung. Das Flex-BHKW dagegen betreibt er im sogenannten Fahrplanbetrieb: Er produziert damit gezielt morgens für eine Stunde und abends für zwei Stunden Strom. Dabei greifen die Stadtwerke automatisch auf die Anlage zu und Grießer kann sich auf die Landwirtschaft konzentrieren. Basis dafür ist eine vom Landwerk selbst entwickelte Steuerungstechnik.


Trotzdem ist der Betreiber in ständigem Kontakt mit dem Vermarkter. Sollte es Probleme mit der Gasproduktion geben, meldet er das sofort an Voglers Team. „Wir haben aber auch gelernt, wie wir kurzfristig mit der Fütterung eingreifen können, um die Gasproduktion an den Bedarf anzupassen“, sagt er. Die Grundration besteht überwiegend aus Gülle und Gras. Sollte kurzfristig mehr Gas produziert werden, gibt er feuchten Körnermais dazu.


Spezielle Stromvermarktung


Inzwischen gibt es 40 weitere Anlagen bei den Stadtwerken, die sehr flexibel Strom produzieren können. „Wir vermarkten den Strom je nach Flexibilität der Anlagen am Day-Ahead- oder Intradaymarkt“, sagt Vogler. Day-Ahead bedeutet die Vermarktung des Stroms für den nächsten Tag, Intraday ist der kurzfristige Handel am gleichen Tag.


Anfangs waren die Stadtwerke auch im Regelenergiemarkt tätig. Bei diesem geht es darum, Leistung anzubieten oder abzuschalten, um die Frequenz im Stromnetz stabil zu erhalten. Doch während die Regelleistung in Deutschland konstant bleibt, gibt es immer mehr Anbieter. Die Folge war ein starker Preisverfall. „Daher haben wir uns komplett aus diesem Markt zurückgezogen“, erklärt Vogler.


In welchem Markt der Strom angeboten wird, hängt von vielen Faktoren ab wie z.B. von der Vorgabe der Betreiber, dass die Motoren nur einmal am Tag an- und abgeschaltet werden sollen. Oder von der Größe des Gasspeichers sowie von Vorgaben zur Wärmenutzung. Die Stadtwerke fungieren dabei als Schnittstelle zwischen den Anlagenbetreibern und Händlern an der Strombörse in Leipzig.


Inzwischen haben die Stadtwerke die Vermarktung ausgeweitet. Unter dem Namen „Rosenheimer Landwerk“ bündelt der Energieversorger den Strom von Windkraft-, Photovoltaik-, Wasserkraft- und auch von größeren Biogasanlagen außerhalb der Region.


Das bietet auch den Biogasanlagenbetreibern Chancen, die bei dieser Art „virtuellem Kraftwerk“ Teil der Energieversorgung sind – ein Punkt, der bei zunehmender Zahl von Photovoltaik- und Windenergieanlagen immer wichtiger wird.


Viele Vorteile


Doch es gibt noch weitere Vorteile für die Anlagenbetreiber:


  • Zusammen mit den Stadtwerken können sie Lösungen für den Betrieb nach Auslaufen der EEG-Vergütung entwickeln. Denn die Teilnahme an der Ausschreibung, um eine zehnjährige Verlängerung zu erreichen, schließen die Betreiber überwiegend aus: Das Risiko, keinen Zuschlag zu erhalten, ist ihnen zu hoch.
  • Die Stadtwerke informieren sie regelmäßig über neue Rahmenbedingungen, angefangen von der kürzlich abgeschlossenen EEG-Novelle bis hin zu neuen technischen Vorgaben durch die Mittelspannungsrichtlinie und anderen Anforderungen am Strommarkt.
  • Die Gruppe fungiert wie eine Erzeugergemeinschaft und hilft sich gegenseitig bei Problemen. So hat sie z.B. einen gemeinsamen Biogasberater, der selbst auch eine Anlage betreibt.


Nach fünf Jahren gemeinsamer Stromvermarktung ziehen die Landwirte ein positives Fazit. Landwirt Rinser bringt es auf den Punkt: „Wir fühlen uns bei den Stadtwerken gut aufgehoben und als gleichwertiger Partner völlig unabhängig von der Anlagengröße. Damit sind wir für die Zukunft gerüstet und können uns trotzdem weiterhin auf Tierhaltung und Ackerbau fokussieren.“


hinrich.neumann@topagrar.com

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