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Strom nach Plan: Gute Erfahrungen aus der Praxis

Lesezeit: 7 Minuten

Die RS Bioenergie Huntetal (Niedersachsen) produziert für die EWE Biogasstrom nach einem optimierten Fahrplan. Das bringt nicht nur mehr Erlöse, sondern auch einen ruhigeren Betrieb.


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Im BHKW-Raum herrscht absolute Ruhe. Noch vor drei Jahren hätte das bei Landwirt Rainer Bolling aus Sandkrug (Niedersachsen) hektische Betriebsamkeit ausgelöst. Denn ein Biogas-BHKW verdient im Stand kein Geld – so war es damals. Seit dem Jahr 2018 nimmt der Betreiber der Biogasanlage „RS Bioenergie Huntetal“ aus Sandkrug (Niedersachsen) aber an der Fahrplanoptimierung „Optiflex Pro“ der EWE teil. Der Energieversorger steuert seitdem die beiden BHKW mit ca. 500 und 900 kW automatisch je nach Strompreis. Dabei kann es passieren, dass die Motoren in Zeiten mit viel Wind- und Solarstromeinspeisung planmäßig ruhen.


lager mit viel Speicher


Auslöser für den Einstieg in den flexi-blen Betrieb war bei Bolling der Bau des 8300 m3 großen Gärrestlagers mit Abdeckung. Damit hatte er bei der im Jahr 2007 mit 500 kW in Betrieb genommenen Anlage auf einmal sehr viel mehr Gasspeichervolumen. Darum lag es nahe, die Flexibilisierungsprämie in Anspruch zu nehmen und die Anlage zu modernisieren. „Ich habe die Anlage dann noch um ein BHKW mit 900 kW und einen Warmwasserspeicher mit 280 m3 erweitert“, erklärt er. Auf diese Weise hatte er die Anlage nahezu doppelt überbaut. Mit dem Wärmepufferspeicher hat er zudem die Strom- und Wärmeproduktion entkoppelt. Das war nötig, um das ans Nahwärmenetz angeschlossene benachbarte Gewerbegebiet auch weiterhin mit Wärme versorgen zu können – unabhängig davon, ob die BHKW in Betrieb sind oder nicht.


Zur Direktvermarktung hatte sich Bolling von Anfang an für die EWE aus dem benachbarten Oldenburg entschieden. Anders als Mitbewerber sieht die EWE nicht allein die Regelenergie als bevorzugten Markt. In den ersten Jahren nach 2012 konnten Anlagenbetreiber zwar mit dem Anbieten von Regelleistung gutes Geld verdienen. „Aber es gab auf einigen Anlagen auch Enttäuschungen, weil zu häufige Starts und Stopps Motoren stark beansprucht haben und es zu Schäden wie defekte Turbolader kommen konnte“, erklärt Henning Behrens, Leiter Vertrieb Energiewirte bei EWE.


Day-ahead-Handel im Fokus


Der Energieversorger verkauft den Strom an den deutschen Strombörsen. Bevorzugter Absatzweg ist der Day-ahead-Markt, bei dem der Strom für die Lieferung am nächsten Tag angeboten wird. Hierfür müssen die Gebote der Auktionen für den kommenden Tag bis jeweils 12 Uhr mittags abgegeben werden. Noch kurzfristiger ist der Intradayhandel, bei dem sich Stromlieferanten an der Börse am gleichen Tag mit fehlenden Mengen eindecken oder Übermengen anbieten. „Der Gewinn, den wir für die Anlagenbetreiber erzielen, entsteht im Wesentlichen durch den gezielten Einsatz der BHKW in Hochpreiszeiten“, erklärt Behrens. Die Preisfindung an der Börse orientiert sich an Angebot und Nachfrage, wodurch sich für jede Stunde unterschiedliche Preise ergeben „Hierbei punkten Biogasanlagen besonders, weil sie wetterunabhängig Strom anbieten oder die Produktion zeitlich verlagern können“, sagt Behrens.


Software erstellt Fahrplan


Wie funktioniert das jetzt im Falle vom Betrieb Bolling? Die Anlage hat mit einer Bemessungsleistung von etwa 500 kW knapp 1,4 MW installiert. Um die maximale Strommenge im Jahr (Höchstbemessungsleistung) zu produzieren, muss die Anlage nicht 8500 Stunden im Jahr produzieren, sondern nur etwa die Hälfte der Jahresstunden. „Entsprechend können wir die Stunden der nächsten Tage heraussuchen, an denen der Strompreis höher ist“, sagt Behrens.


Der Gasspeicher auf der Anlage Bolling kann die Produktion von 7 bis 8 Stunden aufnehmen, solange könnten die BHKW also außer Betrieb sein. Je nach Strompreisprognose erstellt die EWE-eigene Software einen Fahrplan für die beiden BHKW und fährt diesen automatisch ab. Die Software optimiert den Fahrplan ständig neu. „Das können wir anhand der App gut nachvollziehen“, sagt Bolling.


Nach diesem Fahrplan steuert die Fernwirkanlage die BHKW an und startet bzw. stoppt diese automatisch. Damit das möglich ist, hält Bolling die Motoren über einen elektrischen Heizstab sowie über Warmwasser aus dem Pufferspeicher ständig warm.


Schwankende Fahrplantreue


Aus Sicht des Direktvermarkters sind die Mehrerlöse höher, wenn es weniger Einschränkungen im Betrieb gibt. Dieses sind z.B. vom Anlagenbetreiber vorgegebene Laufzeiten oder auch Begrenzungen im Gas- und Wärmespeicher.


Ziel ist es, dass die Gasspeicher bis Freitag möglichst geleert sind. Dann können sie sich am Wochenende wieder füllen. Denn am Samstag und Sonntag laufen die BHKW wegen der meist niedrigen Strompreise nur sehr kurz. „Aber die wenigsten Anlagen sind so konzipiert, dass wir für sie den maximalen Gewinn an der Börse einfahren können“, schränkt Behrens ein. In den Fahrplan fließen auch Faktoren ein wie der aktuelle Füllstand von Gasspeicher oder das Temperaturniveau im Wärmepufferspeicher. Zudem macht der Betreiber bestimmte Vorgaben. Seine Erfahrung mit rund 1200 BHKW in der Direktvermarktung:


  • Häufig geben die Gasspeicher nicht das her, was Anlagenhersteller, Planer oder Betreiber versprechen. Bei mangelhafter Messtechnik oder ungünstiger Verbindung zwischen Behältern kann noch Gas im Speicher sein, das die BHKW nicht nutzen können.
  • Die Gasspeicher können sich bei Sonneneinstrahlung stark ausdehnen, da das erwärmte Gas mehr Volumen hat. In der Folge ist ein Speicher schneller voll als geplant.
  • Auch kann es wegen großer Schwankungen in der Fütterung bzw. der Gasproduktion sein, dass der Gasspeicher ungeplant voll ist. „Bevor die Notfackel anspringt, starten wir die Motoren, um das Gas zu verwerten. Auch dabei können wir nicht auf den aktuellen Strompreis reagieren“, sagt er.
  • Es gibt auch Einschränkungen bei der Wärmelieferung. „Wenn der Betreiber ein Wärmenetz versorgen will, müssen die BHKW morgens in Betrieb sein – unabhängig vom Strompreis“, nennt Behrens ein weiteres Beispiel.


Die Automatik kann diese Faktoren berücksichtigen und behält trotzdem den Strommarkt im Auge. So kann es sich kurzfristig ergeben, dass auf dem Intraday- oder dem Regelenergiemarkt interessante Preise möglich sind. „In dem Fall lässt die Automatik die BHKW auch über den im Fahrplan vorgegeben Zeitraum weiterlaufen“, erklärt Behrens. Dafür ist in der Regel kein neuer Start nötig, die Laufzeit wird einfach verlängert. „Wir versuchen, die Anzahl zusätzlicher Start-/Stopps zu begrenzen, um den Motor zu schonen“, begründet er das.


Ein Fünftel mehr Erlöse


Im Schnitt kommen die Betriebe, die einen automatisch erzeugten, erlösoptimierten Fahrplan nutzen, auf über 20% höhere Erlöse gegenüber einer manuellen Anlagensteuerung durch den Betreiber. Laut Behrens Erfahrung führt die oft gepriesene vier- bis fünffache Überbauung nicht zwangsläufig zum betriebswirtschaftlichen Optimum. „Die Anlagen laufen ja nur an wenigen Stunden am Tag. Ich muss dann aber auch genau die teuren Stunden treffen, damit es sich lohnt. Das ist wegen der kurzfristigen Abweichungen von den Prognosen nicht immer möglich“, weiß er.


Der Betrieb Bolling hat im Schnitt des Jahres 2020 etwa 0,7 ct/kWh mehr erlöst – knapp 30000 € im Jahr. Die Auswertung der EWE zeigt, dass die Fahrplantreue bei etwa 87% lag. „Je genauer die Anlage den Fahrplan erfüllt, desto höher sind die Mehrerlöse“, meint Behrens dazu.


Bolling kann die Abweichung erklären: „Im ersten Quartal 2020 gab es viel Wind und Sonnenschein. Entsprechend viel Strom war im Netz.“ Aus diesem Grund wurden viele Anlagen in Norddeutschland im Rahmen des Einspeisemanagements abgeschaltet – auch die BHKW von Bolling ruhten im ersten Quartal an mehreren Stunden pro Woche. Dieses Einspeisemanagement führt der Übertragungsnetzbetreiber durch, um das Stromnetz vor Störungen zu schützen. „Darauf haben wir oder der Betreiber keinen Einfluss. So kann es schnell zu Fahrplanabweichungen kommen“, bestätigt Behrens.


Positives Fazit


Für Rainer Bolling hat sich der automatisierte Fahrplanbetrieb bewährt. „Ich kann anhand der Stromcockpit-App auf meinem Smartphone den Fahrplan nachvollziehen und bin so über den Zustand der Anlage immer auf dem Laufenden“, sagt der Betreiber. Er gibt allerdings zu, dass er am Anfang skeptisch war. „Du siehst nur, wie die BHKW die Speicher leer saugen und hoffst, dass die Automatik sie rechtzeitig stoppt“, blickt er schmunzelnd zurück.


Heute ist er von der Technik absolut überzeugt, sie hat sich seiner Meinung nach sehr bewährt. Zusätzlicher Pluspunkt: Die App zeigt ihm ständig die Einsatzplanung der BHKW. Entsprechend kann er die Gasproduktion im Fermenter darauf anpassen, z.B. mit schnell vergärbaren Rohstoffen wie mit CCM oder mit Getreideschrot. „Das war früher nicht möglich, da war die Produktion eher ein Blindflug“, sagt er heute.


hinrich.neumann@topagrar.com

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