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Alles im Lot ?

Lesezeit: 6 Minuten

Das Trendwort „Work-Life-Balance“ geistert durch alle Medien. Gerät auch auf den Höfen das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben zunehmend ins Wanken? Unsere Autorin Dr. Silvia Riehl beleuchtet die Situation.


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Der Trend zu immer mehr Arbeit und immer weniger Freizeit – er macht auch vor den Hoftoren nicht halt. Unsere Gespräche zeigen: Auch viele Landwirte sind im Alltag oft gestresst und fühlen sich in der alltäglichen Tretmühle gefangen. Der Betrieb und die Hofarbeit verlangen ihnen oftmals so viel Leistung ab, dass andere elementare Dinge, wie z. B. die eigene Gesundheit, soziale Kontakte und Sinnhaftigkeit, viel zu kurz kommen.


Allgemein ist das Streben nach Ausgeglichenheit gerade groß in Mode. Etliche Regalmeter an Ratgeberliteratur über Achtsamkeit, Atmen und Entspannung sowie unzählige Kursangebote zum Thema machen stutzig – und auch ein wenig skeptisch. Wie wichtig ist das Thema wirklich?


Gleichgewicht in Gefahr:

Es ist in jedem Fall mehr als nur ein Trend für überspannte Städter, betonen viele Experten. Tatsächlich beschreiben fast alle Weltreligionen und Philosophen das Leben als Wechselspiel zwischen Aktivität und Ruhe, Schlafen und Wachen, Tag und Nacht, so z. B. die Schöpfungsgeschichte oder das chinesische Prinzip von Yin und Yang. Das Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben wird heute als sogenannte Work-Life-Balance bezeichnet. Als Idealfall gilt dabei ein Leben, in dem sich Leistung, Gesundheit, Sinnhaftigkeit, Stress und soziale Kontakte die Waage halten.


Mehr noch: Der Grund, warum gerade die Ausgeglichenheit derzeit so großes Interesse weckt, ist ihre Bedrohtheit. In der modernen Gesellschaft ist ein Rhythmus von Anspannung und Entspannung oft kaum noch einzuhalten. Durch wirklichen oder vermeintlichen Leistungsdruck, durch ständig steigende eigene Ansprüche, durch die ständige Verfügbarkeit über Kommunikationsmedien und nicht zuletzt durch eine gewisse Unfähigkeit zur Entspannung gerät das Gleichgewicht in Schief-lage. Die Bedeutungsverschiebung zwischen Erwerbsarbeit und Leben, d. h. eine fehlende Work-Life-Balance, kann sich dabei ganz unterschiedlich bemerkbar machen, z. B. in körperlichen Krankheiten, Unzufriedenheit, Selbst-überforderung oder Unausgeglichenheit. Manchmal kann es sich auch bereits um die Vorstufe von Depressionen oder Burn-out handeln.


Dabei könnte auf dem Hof doch alles so schön sein! Die meisten Landwirte lieben ihre Arbeit und leben mit der Vegetationsperiode schon zwangsläufig im gleichmäßigen Rhythmus von Wachsen und Vergehen. Zudem lassen sich in nur wenigen anderen Berufen Betrieb und Familie so gut miteinander vereinbaren. Die Kinder erleben hautnah, wie die Eltern arbeiten; die Großelterngeneration auf dem Hof übernimmt oft die Kinderbetreuung. Und Landwirtsfamilien sind in ihrer Arbeitseinteilung zwar von natürlichen „Zwängen“ wie Wetter oder Melkzeiten ab-hängig, aber ansonsten weitaus unabhängiger als z. B. ein Angestellter.


Daneben sind die sozialen Kontakte vielfältig, angefangen vom Umgang mit dem Tierarzt, verschiedenen Vertretern oder dem Landhandel, über den Schwatz am Feldrand bis zur aktiven Teilnahme am dörflichen Vereinsleben.


Beste Umstände für Balance:

Schließlich erleben Landwirte die Sinnhaftigkeit ihres Tuns bei der Ernte ebenso wie bei der Feldbestellung, beim Füttern der Tiere oder bei der Vermarktung. Und nicht zuletzt setzt die nächste Generation das eigene Lebenswerk häufig fort.


Doch dieses rosige Idealbild entspricht nur noch in den seltensten Fällen der Realität – die Hektik der modernen Gesellschaft ist auf den Höfen längst angekommen. Leistung, Arbeit und Kapital nehmen immer mehr Raum ein. Zum einen zwingen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen viele Landwirte zur Spezialisierung. Daneben erfordert die Erlössituation auf den Agrarmärkten immer weiteres Wachstum, einen immer höheren Kapitaleinsatz und ist dadurch mit einem höheren wirtschaftlichen Risiko für den Landwirt verbunden.


Zum anderen werden die früher naturgegebenen Pausen im Arbeitsalltag der Bauernfamilien immer weniger. Den Plausch mit Nachbarn oder Vertretern gibt es kaum noch, weil jeder in seinem schlagkräftigen, komfortablen Trecker sitzt und „Hektar machen“ muss. Beim Besuch des Tierarztes sind viele froh, wenn überhaupt Zeit für die wichtigsten Fragen bleibt.


Für die arbeitsarme Zeit sucht so mancher nach Betriebszweigen, die zusätzliches Einkommen ermöglichen. Und sogar die Vegeta­tionsperioden werden durch den Anbau unter Folie oder ganz neue Züchtungen und Produkte beeinflusst.


Mehr Arbeit, weniger Freunde?

All diese Maßnahmen sind betriebswirtschaftlich sinnvoll und verständlich. Doch viele Landwirte machen sie nicht glücklich. Sie nehmen ihnen die Zeit und die Kraft für soziale Kontakte oder die aktive Teilnahme am Vereinsleben. Das hohe Arbeitspensum und die wirtschaftliche Unsicherheit können zudem auf die Gesundheit durchschlagen. Die Sinnhaftigkeit ihres landwirtschaftlichen Tuns stellen etliche Landwirte angesichts medialer Pauschalangriffe, zunehmender Agrarbürokratie und vielfach zwanghaftem Wachstum zudem heute stärker infrage.


Selbst die Gewissheit, für die nächste Generation zu arbeiten und das Lebenswerk in der Familie weitergeführt zu sehen, bröckelt. Immer häufiger gibt es aus den verschiedensten Gründen keinen Hofnachfolger und keine Hofübergabe. Schließlich ist durch den gesellschaftlichen Wandel der eingeheiratete Partner nicht mehr selbstverständlich bereit, im Betrieb mitzuarbeiten.


Die deutlichere Trennung von Arbeit und Privatleben wird auch in der Landwirtschaft immer öfter gefordert und auch gelebt. Gleichzeitig wird sie zunehmend schwieriger, weil das Handy aufdringlich die Privatsphäre stört und der Stall nicht nur stets sichtbar ist und zu Kontrollgängen animiert, sondern die moderne Technik sogar den Datentransfer bis ins Wohn- oder Schlafzimmer ermöglicht.


Die Großfamilie als Arbeits- und Lebenseinheit ist keine selbstverständliche Lebensform mehr. Was einst als Vorteil erschien, verkehrt sich manchmal ins Gegenteil. Die gemeinsame Familienarbeit mutiert nicht selten zum zermürbenden Kleinkrieg zwischen den Generationen. Spätestens bei der Hofübergabe bricht der Konflikt in vielen Familien offen aus.


Angesichts dieser Situation verwundert es nicht, dass immer mehr Landwirte über den Verlust des Gleichgewichts zwischen Arbeit und Freizeit stöhnen und in der täglichen Tretmühle unzufrieden werden. Das Dilemma: An den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wird sich wenig ändern. Es kommt darauf an, wie der Einzelne sich darauf einstellt.


Hektik hinterm Hoftor?

Es gibt Lösungen. Das zeigen unsere Gespräche und Reportagen: Die Landwirtsfamilien sind der Arbeitshektik und dem Alltagsstress nicht hilflos ausgeliefert. Oft reichen schon kleine Änderungen im Tagesablauf, um wieder mehr Lebensqualität zu erhalten und sich den notwendigen Ausgleich zur Arbeit zu schaffen. Das kann ein fest vereinbarter Walking-Termin mit Freundinnen, der Mittagsschlaf ohne Störungen oder ein regelmäßiger Theaterbesuch sein. Auch ein arbeitsfreier Sonntag in der Woche, der für die Familie reserviert ist (siehe Beitrag Heft 12/2013), kann Wunder in Sachen Ausgeglichenheit bewirken.


Manchmal stellt sich nach intensiver Überlegung aber auch heraus, dass nur eine große Veränderung wieder zu mehr Lebensfreude verhilft, wie z. B. die Umstellung auf den Melkroboter. Doch vor der Umstellung des Arbeitsalltags hin zu einer ausgeglicheneren Work-Life-Balance liegt die Analyse der persön-lichen Stressfaktoren und Bedürfnisse. Lesen Sie dazu das Interview auf der gegenüberliegenden Seite.

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