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NDR-Recherche

Bauern würden Erntehelfer-Schutz ignorieren, Behörden nicht kontrollieren

Laut Recherchen des ARD-Magazins Panorama ignorieren viele Höfe, die Saisonarbeiter beschäftigen, die vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen. Auch Kontrollen müssen sie kaum befürchten.

Lesezeit: 6 Minuten

Trotz der Corona-Schutz-Regelungen für Erntehelfer könnte es in Deutschland zu Verstößen gegen allgemein geltende Regeln des Gesundheitsschutzes kommen. Nach Recherchen des ARD-Magazins "Panorama" (NDR) würden Erntehelfer in großen Betrieben, etwa in Rheinland-Pfalz, weiterhin in Gruppen von mehr als 40 Personen in jeweils einem Anhänger vom Hof zu den Feldern transportiert. Dabei würden die Erntehelfer oft keine Masken tragen, heißt es.

Arbeitsgruppen hätten eine Größe von bis zu 45 Personen. Sie seien außerdem weiterhin in Mehrbettzimmern mit voller Auslastung untergebracht. Nach den in großen Teilen Deutschlands geltenden allgemeinen Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Krise dürfen Gruppen eigentlich Familiengröße nicht überschreiten, so das Magazin weiter.

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Das Bundesinnenministerium (BMI) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hatten am 2. April. ein Konzept beschlossen, unter welchen Bedingungen Saisonarbeiter wieder einreisen dürfen. Darin steht, dass die Erntehelfer nach ihrer Einreise in eine 14-tägige Quarantäne müssen und in möglichst kleine Gruppen von fünf bis maximal ca. 20 Personen aufgeteilt werden. Zimmer sollen halb belegt werden.

Viele Bauern interpretierten die Regelungen aber so, dass die Arbeitsgruppenbeschränkung und die halbe Zimmerbelegung nicht für die 20.000 Erntehelfer gelten, die bereits vor dem 2. April. nach Deutschland eingereist sind, und auch nicht mehr nach Ablauf der 14-tägigen faktischen Quarantäne. So habe sich ein Regel-Chaos gebildet, das sich teilweise von Landkreis zu Landkreis unterscheidet. Das Gesundheitsamt im Rhein-Pfalz-Kreis, wo sehr viele Erntehelfer eingesetzt werden, empfiehlt den dortigen Betrieben, die Hygiene-Maßnahmen auch länger und für alle Erntehelfer umzusetzen. Rechtlich bindend sind die Vorgaben nach 14 Tagen offenbar nicht mehr.

Für wen gilt denn jetzt das Konzept?

Das Konzeptpapier von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Innenminister Horst Seehofer ist offenbar missverständlich formuliert und führt zu unterschiedlichen Auslegungen, berichtet Panorama weiter. Bei der Interpretation der Vorgaben von BMEL und BMI bestehe erhebliche Uneinigkeit in der Branche: Einzelne landwirtschaftliche Betriebe gehen in Absprache mit den zuständigen Gesundheitsämtern davon aus, dass die beschlossenen Vorgaben für alle Saisonarbeiter, also auch die früher Eingereisten, umzusetzen sind.

Andere interpretieren den Beschluss so, dass er nur für diejenigen Erntehelfer anzuwenden sei, die nach dem 2. April eingereist sind. Auch der Bauernverband und Landwirtschaftskammern interpretieren die Regeln laut Recherchen des Senders so, dass sie nur für neu einreisende Erntehelfer gelten und nur für die ersten zwei Wochen.

Jedoch gelten für alle Erntehelfer die Arbeitsschutz-Standards in der Corona-Krise, die Bundesarbeitsminister Hubertus Heil am 16. April bekanntgab. Auf Nachfrage teilte das Bundesarbeitsministerium (BMAS) mit: "Der Arbeitsschutzstandard gilt für alle Betriebe und muss der Situation angepasst angewendet werden, wobei das Schutzniveau nicht unterschritten werden darf."

Demnach sollen in der Landwirtschaft "möglichst kleine, feste Teams (z.B. 2 bis 3 Personen)" zusammenarbeiten. Darüber hinaus sind die für Saisonarbeitskräfte üblichen Mehrbettzimmer nicht gesetzeskonform, denn: "Grundsätzlich ist eine Einzelbelegung von Schlafräumen vorzusehen. Eine Mehrfachbelegung von Schlafräumen ist grundsätzlich nur für Partner bzw. enge Familienangehörige statthaft." Diese Vorgaben halten die Landwirte nicht ein. Laut BMAS seien aber Abweichungen im Einzelfall möglich, "wenn zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, die den Infektionsschutz auf gleiche Weise sicherstellen."

Durch die vielen Ausnahmen und Sonderregeln entstehen erhebliche Wettbewerbsverzerrungen, denn die Einhaltung dieser Corona-Regeln führt bei den Bauern zu beträchtlichen Mehrkosten.

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Stimmen

Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Friedrich Ostendorff, der selbst Landwirt ist, meint: "Die Vorgaben der Bundeslandwirtschaftsministerin sind nichts weiter als eine Farce. Sie gaukeln Sicherheit vor, wo es keine Sicherheiten gibt. Dieses unverantwortliche Handeln bezahlen die Erntehelfer unter Umständen mit ihrer Gesundheit."

Professor Stefan Sell, Sozialwissenschaftler an der Hochschule Koblenz, sieht in dem Konzept von BMEL und BMI lediglich einen "Versuch, durch symbolische Politik Beruhigungspillen zu verteilen, weil natürlich in der Realität auf den Höfen vieles von dem, was da auf dem Papier steht, so gar nicht organisiert werden kann."

Außerdem kritisieren Opposition und Experten, dass die Regelungen - wenn überhaupt - die deutsche Bevölkerung schützen, nicht aber die Erntehelfer. Die Menschen, die eine Quarantäne-Gemeinschaft bilden sollen, können sich in den größeren Gruppen leicht untereinander anstecken. Außerdem könnten sie weiterhin das Betriebsgelände verlassen und somit die Infektion in ihre Arbeitsgruppen hineintragen.

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Behörden kontrollieren nicht

Kritik gibt es aber auch an den Behörden. Im zuvor ausgestrahlten NDR-Magazin Panorama3 bezweifeln die Autoren, dass die Umsetzung der Vorschriften ausreichend kontrolliert wird. Eine Umfrage des Senders exemplarisch unter mehreren niedersächsischen Landkreisen habe ergeben, dass Höfe dort bisher offenbar selten kontrolliert wurden. Eine Sprecherin der Region Hannover etwa schrieb, eine Kontrolle durch die Gesundheitsämter sei vonseiten des Landes und des Bundes nicht vorgesehen. Auf Nachfrage des NDR sagte sie, die Verantwortung für die Umsetzung des Infektionsschutzes liege bei den Landwirten.

Der Sender hat bei vielen weiteren Landkreisen angefragt: Zusammengefasst teilten einige mit, sie hätten nicht kontrolliert, weil keine Anzeigen vorlägen, oder man habe über die nötigen Hygienemaßnahmen informiert, die Umsetzung vor Ort aber nicht geprüft. Andere antworteten, die Kontrolle erfolge nach Risikobewertung, eine Prüfung sei aber noch nicht nötig geworden. Häufigkeit und Form von Kontrollen seien ja auch nicht in der entsprechenden Verordnung festgelegt, argumentieren manche Kreise. Wieder andere schweigen ganz bei der Frage nach der Anzahl der kontrollierten Höfe.

Nach Erkenntnissen der niedersächsischen Grünen laufe es derzeit wohl so, dass die Betriebe ein Infektionsschutzkonzept erarbeiteten, dieses müsste dann von der Gewerbeaufsicht genehmigt werden. "Danach aber, so scheint es, ruht der See still", schreibt der Sprecher der Grünen im Landtag, Andreas Möser. Die Fachaufsicht sei hier gefordert, so Möser, es sei fahrlässig das alles den Betrieben nach Gutdünken zu überlassen.

Niedersachsens Gesundheitsministerium dagegen erklärt: "Wir verfügen hier in Niedersachsen über gut funktionierende Strukturen." Die Kontrollen würden den kommunalen Behörden obliegen, schreibt Sprecherin Justina Lethen, das könne beim Infektionsschutz das Gesundheitsamt, aber auch das Ordnungsamt sein. Beim Arbeitsschutz sei die Gewerbeaufsicht verantwortlich. Anlassbezogene und gegebenenfalls stichprobenartige Überprüfungen könnten jederzeit durchgeführt werden.

Einen interessanten TV-Bericht hat das NDR-Magazin Panorama3 am 21.4.2020 gebracht. Darin wird u.a. als Vorbild der Gemüse-Großbetrieb Rudi Behr gezeigt.

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