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Tierwohllabel: Staatlich, privat oder beides?

Lesezeit: 6 Minuten

Auf fast jeder SB-Verpackung klebt mittlerweile ein Label. Vor allem aus dem Handel kommt ein Vorstoß nach dem anderen. Prof. Dr. Achim Spiller von der Uni Göttingen erklärt, was gerade passiert und warum sich alle Tierhalter damit auseinandersetzen sollten.


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Das Thema Tierwohlkennzeichnung überrollt derzeit die Republik. In immer kürzeren Abständen starten neue Tierwohlprogramme. Weil die Politik nicht in die Gänge kommt, haben zuletzt die Handelsketten die Initiative übernommen (siehe Kasten). Am Steuer sitzen nun Lidl, Aldi und Co. Das sieht auch Prof. Dr. Achim Spiller so und hält die Einführung eines staatlichen Labels daher für umso wichtiger.


Bei der Vielzahl der Kennzeichnungen verlieren nicht nur Landwirte mittlerweile den Überblick. Grundsätzlich lassen sich Label in vier verschiedene Kategorien einteilen. Je nachdem, ob sie nur auf das Haltungssystem bezogen sind oder umfassend Tierwohl prüfen und ob sie freiwillig oder verpflichtend sind (siehe Übersicht 1).


Ein Beispiel für eine freiwillige Haltungskennzeichnung ist das Weidemilchlabel, das in Deutschland immer häufiger genutzt wird. Eine verpflichtende Haltungskennzeichnung ist das Eiersystem mit seinen Zahlen von 0 (Bio) bis 3 (Käfig). Im Gegensatz dazu arbeitet ein Tierwohllabel umfassender. Das Siegel des Deutschen Tierschutzbundes zieht z.B. auch Tiergesundheitsdaten zur Zertifizierung heran und ist freiwillig. In diese Kategorie gehört auch das für 2020 angekündigte staatliche Tierschutzlabel. Ein verpflichtendes Label gibt es in Deutschland bisher nicht.


Auch wenn sich Verbraucher immer noch stark an der Haltung der Tiere orientieren, gehört die Zukunft wohl der Zertifizierung mit Tierwohlindikatoren:


  • Tiergesundheitsdaten (im Betrieb, vom Schlachthof)
  • Management (z.B. Ausbildung, Fortbildung des Personals, kein Kupieren)
  • Genetik (z.B. langsam wachsende Rassen, robuste Rassen)
  • Tierverhalten (z.B. haltungsbedingte Krankheiten, Mensch-Tier-Verhältnis)


Hier steht die Entwicklung allerdings noch am Anfang. Denn bisher werden hauptsächlich Tiergesundheitsindikatoren genutzt, die der Schlachthof mit einigen Ungenauigkeiten erfasst. Denkbar sind aber auch Tierverhaltensparameter, die man zertifizieren könnte.


Handel prescht vor.

Auch der sogenannte vierstufige Haltungskompass von Lidl ist im Grunde keine „echte“ Haltungskennzeichnung. Denn hinter allen höheren Stufen stehen Zertifizierungssysteme, die mehr prüfen als die Haltung der Tiere:


  • Ware der Stufe 2 stammt von Betrieben der Initiative Tierwohl (ITW).
  • Bei der Stufe 3 greift Lidl auf das Tierschutzlabel des deutschen Tierschutzbundes zurück.
  • Und bei der Stufe 4 sind es Biotiere und 2-Sterne-Ware des Tierschutzbund-Labels.


Das Gleiche gilt übrigens auch für das Haltungszeugnis von Netto und die Haltungstransparenz von Aldi. Die Siegel auf den Verpackungen unterscheiden sich nur optisch. Erfreulich ist, dass sich alle großen Einzelhändler Deutschlands nun offenbar auf eine einheitliche Kennzeichnung verständigen wollen. Der Label-Dschungel würde dann etwas gelichtet. Dem Vernehmen nach will in diesem Zuge auch die Edeka, die sich bisher verweigerte, auf den Haltungskompass aufspringen.


Freiwillig oder verpflichtend?

Ein Dauerstreitpunkt in der Branche bleibt derweil die Frage, ob ein erfolgreiches Label verpflichtend oder freiwillig sein sollte (siehe Ausgabe 12/2018 S. 36). Aus Verbrauchersicht wäre ein verpflichtendes Label wohl besser, da dann alle Produkte klar gekennzeichnet sind. Selbst Handel und einige landwirtschaftliche Verbände fordern dies.


Doch so einfach ist es dann doch nicht. Das Problem: Laut EU-Handelsrecht darf Deutschland anderen Ländern keine Zertifizierungssysteme bzw. Label vorschreiben. Das könnte nur EU-weit wie bei Eiern erfolgen. Bis aber Brüssel eine verpflichtende Zertifizierung eingeführt hat, dürften noch viele Jahre verstreichen. Darauf möchte das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) nicht warten und favorisiert ein freiwilliges Label.


Was der Staat nicht darf, kann der Handel allerdings machen. Die großen Einzelhändler können mit ihrer Marktmacht Lieferanten bzw. Landwirte in Deutschland und im Ausland zwingen, sich zertifizieren zu lassen und Fleisch sowie Milch zu labeln. Schon jetzt sind z.B. etliche niederländische Betriebe ITW-zertifiziert und liefern Geflügelfleisch in das deutsche System. Aktuell sieht es so aus, als würde der Handel genau diesen Weg gehen.


Staatliches Label überflüssig?

Man sollte aber trotzdem nicht auf das staatliche Tierwohllabel verzichten, weil die Politik damit wichtige Aufgaben erfüllen kann:


  • Wird das staatliche Label wie erwartet mit dem Haltungskompass abgestimmt, kann die Regierung die Standards auf den verschiedenen Labelstufen beeinflussen. Das Niveau auf der Eingangsstufe darf nicht zu hoch liegen, damit viele Betriebe den Einstieg in das System schaffen.
  • Das BMEL muss aber gleichzeitig für eine glaubwürdige Umsetzung der rechtlichen Mindeststandards sorgen. Ein Beispiel: Laut EU-Gesetz ist das Kupieren der Schwänze beim Schwein nur in Ausnahmefällen erlaubt. Das Bundesministerium sollte also den Verzicht auf das Kupieren für Labelprodukte festschreiben, aber eine sinnvolle Übergangslösung zulassen.
  • Der Staat kann die Entwicklung und Umsetzung neuer Haltungssysteme („Stall der Zukunft“) fördern, die für die zweite Stufe des Labels wichtig sind.
  • Der Staat kann auch dafür sorgen, dass Sauenhalter bei der Labelgestaltung eine Stimme haben.
  • Die Regierung kann mit Werbekampagnen das Label pushen, damit es sich schnell im Markt verbreitet und an Profil gewinnt. Eingeplant sind immerhin 70 Mio. €. Das könnte Mehrpreise für Labelware möglich machen, die auch beim Landwirt landen können.
  • Ein staatliches Label genießt mehr Vertrauen als ein privatwirtschaftliches.


Das BMEL sympathisiert derzeit vor allem mit dem dänischen Label, das 2017 eingeführt wurde. Es ist dreistufig, staatlich und freiwillig. Bemerkenswert ist, dass es bereits in der Einstiegsstufe auf das Schwanzkupieren verzichtet.


Wie geht es weiter?

Wer sehen möch-te, was ein Label bewirken kann, schaut aber lieber in die Niederlande. Dort hat der niederländische Tierschutzbund im Jahr 2007 das dreistufige, privatwirtschaftlich organisierte Label „Beter Leven“ eingeführt. Es ist heute im niederländischen Lebensmittelhandel nicht mehr wegzudenken. Innerhalb von sechs Jahren hat sich der Um-satz mit Beter-Leven-Produkten von 295,3 Mio. € auf 1,5 Mrd. € in 2017 verfünffacht. Der Marktanteil liegt Mitte 2018 im Frischfleischbereich bei 80%.


Geht man durch niederländische Supermärkte sind inzwischen auch viel Wurst bzw. Verarbeitungsware mit dem Label gekennzeichnet. Diese Absatzwege sind für die Vermarktung des ganzen Tieres besonders wichtig, weil die Mehrkosten in der Erzeugung auf möglichst viele kg pro Tier verteilt werden müssen. Beim Schwein wird beispielsweise lediglich ein Drittel als Frischfleisch im LEH verkauft. Mindestens genauso wichtig ist es, die Außer-Haus-Verpflegung mit einzubinden. Das gilt insbesondere für Geflügel.


Auch hier könnte die Politik Anreize schaffen und Tierwohlfleisch in der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung fördern. Vielleicht zieht dann auch der Gastronomiebereich mit.


Klar ist aber schon jetzt. Selbst wenn die genannten Absatzkanäle mitziehen, wird die Labelware am Ende nur rund ein Drittel, bestenfalls die Hälfte der deutschen Tiere umfassen. Denn es bleibt der Export, der in den meisten Ländern nur Standardproduktion verlangt.


Kontakt:


andreas.beckhove@topagrar.com

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