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Wie kommen wir schnell aus der Krise?

Lesezeit: 8 Minuten

Drittlandexporte und Kostenführerschaft sind für deutsches Schweinefleisch Geschichte. Nun sucht die Branche nach einem Ausweg. Fest steht: Dieser Weg wird steinig.


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Der Schweinemarkt kennt Preiskrisen und hat damit sogar einen Begriff der Wirtschaftslehre geprägt: Schweinezyklus. Doch die aktuelle Krise ist anders. Viele Marktteilnehmer sprechen sogar von einer Zeitenwende, und Ferkelerzeuger und Schweinemäster befürchten, dass die Durststrecke diesmal länger dauert – möglicherweise für etliche Betriebe zu lange. Ist die Lage wirklich so aussichtslos? Wir haben uns in der Branche umgehört und nach Wegen aus der Krise gesucht. Deutschland hat einen hohen Selbstversorgungsgrad von über 120%. Das war bisher kein Problem, weil außerhalb der EU ausreichend Schweinefleisch nachgefragt wurde. Mit einer schlagkräftigen Fleischbranche konnte Deutschland im internationalen Wettbewerb gut mithalten.


Markt in der Sackgasse


Doch seitdem die Afrikansiche Schweinepest (ASP) in Ostdeutschland wütet und sich nicht zurückdrängen lässt, schwindet die Hoffnung auf eine schnelle Erholung des Marktes mit auskömmlichen Preisen. Denn nun kann das fünfte Viertel, also Nebenprodukte wie Ohren und Pfoten, nur noch schwer vermarktet werden bzw. muss teilweise sogar entsorgt werden. Insider schätzen den finanziellen Nachteil dadurch auf mindestens 10 € pro Schwein.


Hinzu kommt, dass mit dem Ende der Werkverträge auf Deutschlands Schlachtbetrieben Flexibilität und Wettbewerbsvorteile verloren gingen. „Wir haben unsere Kostenführerschaft beim Schweinefleisch abgegeben“, ist Bernd Terhalle von der EZG Hümmling überzeugt. Die Zeche zahlt der Schweinehalter, was sich am europäischen Notierungsverlauf gut ablesen lässt. Zahlen der ISN zeigen, dass die deutsche Schweinenotierung 2020 im Vergleich zu den Niederlanden und Dänemark mindestens 10 ct/kg SG eingebüßt hat (siehe Übersicht).


Angebot muss runter


Um den Markt kurzfristig zu entlasten, exportiert die EZG Hümmling mittlerweile Lebendschweine nach Süddeutschland und Polen. „Das kann doch nicht wirklich eine dauerhafte Lösung sein“, sagt Terhalle frustriert. Er könne seinen Mitgliedern aktuell nicht sagen, wie es in den nächsten zwei bis drei Jahren weitergeht. Klar ist für ihn aber, dass das Angebot insgesamt kleiner werden muss. Für seine EZG rechnet er mit einem stark rückläufigen Geschäft. „Jeder fünfte Betrieb will 2022 aufgeben“, berichtet Terhalle. Andere Marktteilnehmer sehen das ähnlich.


Aber wie klein muss das Angebot sein, damit es den Preisen hilft? Noch vor einem guten Jahr haben deutsche Schlachtbetriebe über eine Million Schweine pro Woche schlachten und verkaufen können. Aktuell bewegen sich die Schlachtzahlen um die 830000 Schweine – noch immer zu viel für den impulslosen Schweinefleischmarkt.


„Wir müssen wohl auf 700000 Tiere pro Woche runter, damit wir wieder einen ausgewogenen Markt haben“, glaubt Willi Wittmann von der EG Südbayern. Das wären nochmals 15% weniger Schweine als aktuell. Der Vermarktungsprofi führt im Moment fast täglich Gespräche mit Landwirten, die nicht mehr weiterwissen. Die Erzeugergemeinschaft lebe von vielen Mitgliedern und den Stückzahlen, räumt er ein. In der jetzigen Lage würde er aber auch einigen Schweinehaltern sogar den Ausstieg empfehlen. „Wer in den nächsten zwei bis drei Jahren ohnehin altersbedingt aussteigen will, sollte lieber jetzt aussteigen, um den Markt zu entlasten“, erklärt Wittmann.


Hilft ein Ausstiegsprogramm?


So lange darf man nach Meinung des ostdeutschen Schweinehalters Leon van Dijck nicht warten, sonst werde zu viel Geld „kaputt gemacht“. Der Sauenhalter glaubt, dass viele Schweinehalter im nächsten halben Jahr zwar aufgeben und den Markt so entlasten. Wenn die Preise steigen, würden diese Ställe aber wieder genutzt und das Problem beginne von vorn. Um den Bestand nachhaltig zu reduzieren, brauche es ein Ausstiegsprogramm. „Aufhören ohne Schulden sollte in Deutschland möglich sein“, sagt van Dijck.


Der gebürtige Niederländer kennt solche Programme aus seiner alten Heimat. Der Vorteil sei, dass ausstiegswillige Betriebsleiter nicht durch laufende Kredite in Produktion gehalten würden und Ställe endgültig stillgelegt werden. Programmteilnehmer dürfen demnach auch nicht verpachten oder an anderer Stelle wieder neu aufbauen. „Das hat in den Niederlanden gut funktioniert“, erklärt der erfahrene Sauenhalter.


Vermutlich würde ein solches Programm auch in Deutschland gut angenommen. Die Uni Kiel hat im Spätsommer 2020 rund 450 Schweinehalter dazu befragt. Das erschreckende Ergebnis: Über 60% wären zu einem bezahlten Ausstieg bereit (vgl. 1/2021 ab Seite 38) . Staatliche Eingriffe, um den Bestand nachhaltig zu reduzieren, kann sich auch Schweinemäster Thomas Schindlbeck aus Bayern vorstellen: „Das könnte das Leiden der Branche deutlich verkürzen.“ Er ist allerdings skeptisch, dass sich das durchsetzen lässt. Wittman von der EG Südbayern berichtet, dass die Branche bereits einen entsprechenden Antrag bei der Bayerischen Staatsregierung gestellt hat. „Der wurde abgelehnt. Offenbar will man, dass der Markt das regelt“, erklärt er ernüchtert.


Kritiker sehen in nationalen Aufkaufprogrammen keine Lösung, da es den globalen Markt nicht verändere. Zudem hätten die Niederländer mit ihrem Programm vor allem die hohen Nährstoffüberschüsse reduzieren wollen. Absagen für diese Idee gibt es von der roten Seite. „Wir brauchen kein Ausstiegsprogramm, zumindest nicht in Süddeutschland“, erklärt Stefan Müller, Geschäftsführer der Müller-Gruppe. Er sieht in seiner Region keine Überversorgung und könne jedes Schlachtschwein gebrauchen.


5xD sichert deutsche Höfe


Um Schweinehaltern eine Perspektive zugeben, wird derzeit auch der Herkunftsnachweis bei Schweinen diskutiert. Die Idee ist nicht neu, und die meisten Handelsketten betonen schon jetzt, dass ihr Fleisch überwiegend von deutschen Betrieben stammt. Die Diskussion erhält durch eine Initiative des Rewe-Konzerns nun allerdings neuen Schwung. Die Kölner haben im August überraschend angekündigt, beim Frischfleisch ab Sommer 2022 zu mindestens 95% auf Schweinefleisch zu setzen, das von Tieren stammt, die in Deutschland geboren sind.


Zwei Edeka-Regionalgesellschaften in Süddeutschland legen ebenfalls Wert auf die Ferkelherkunft, bestätigen Marktteilnehmer. Wittmann sieht in dem Bekenntnis des LEH zur deutschen Geburt eine Chance für Schweinehalter. „Wenn alle Handelsketten mitmachen, könnte man die Ferkelproduktion in Deutschland sichern“, ist er überzeugt.


Unterstützung gibt es aus der Schlachtbranche, vor allem von Müller Fleisch: „Wir schlachten schon immer ausschließlich Schweine mit deutscher Geburt“, erklärt Stefan Müller. Für ihn sei es selbstverständlich, dass zu der Schweineproduktion in der Region auch immer die Ferkelerzeuger gehören. Selbst das Haus Tönnies ist nicht abgeneigt. „Fleischvermarktung, die auf deutsche Ferkel fokussiert, kann die hiesige Ferkelerzeugung sichern“, glaubt Robert Elmerhaus, Einkaufsleiter bei Tönnies. Er gibt aber zu bedenken, dass deutschlandweit viele Mäster auf Ferkelimporte angewiesen seien. Auch für diese Betriebe müsse man die Türen offen halten.


Mehr Tierwohl als Ausweg?


Klar ist, in Deutschland wird auch weiterhin Schweinefleisch gebraucht. Die Frage ist nur, wie viel und was wird gebraucht? Zumindest bei der Menge ist Mäster Schindlbeck aus Bayern zuversichtlich. „Der Absatz pro Kopf wird sich spätestens bei 30 kg einpendeln“, glaubt er. Er orientiert sich bei der Entwicklung an der Schweiz, wo über Jahre der Verbrauch stark zurückging, sich nun aber stabilisiere.


Bei Tönnies will man das Marktproblem mit dem Umbau der Tierhaltung gleich mitlösen. „Die Bestände verringern sich automatisch durch die Transformation in höhere Tierwohlstufen“, erklärt Robert Elmerhaus.


Was sich einfach anhört, ist in der Umsetzung kompliziert. Erzeugervertreter Terhalle warnt seine Mitglieder sogar, in die Haltungsform 3 oder gar 4 einzusteigen. „Ohne eine gesicherte Vermarktung mit Menge und Preis, kann ich davon nur abraten“, erklärt er. Der erfahrene Vermarkter ärgert sich über den Lebensmitteleinzelhandel (LEH), der schon bei der Haltungsform 2 bremse. „Ich sehe in den Supermärkten immer wieder Frischware mit Haltungsform 1“, berichtet er. Wenn schon der kleine ITW-Bonus ein Problem sei, wie verlässlich sollen dann Boni für Haltungsform 3 oder 4 sein?


Der Flurschaden besorgt auch Stefan Müller. Für geschlossene Wertschöpfungsketten brauche es Vertrauen und Solidarität. „Bei Müller Fleisch hat jeder Vertragsmäster seinen ITW-Bonus bekommen, obwohl wir diesen im Fleischverkauf noch nicht vollständig erhalten“, berichtet er. Dennoch glaubt er, dass über eine enge Zusammenarbeit in der Kette die heimische Schweinebranche stabilisiert werden könne. „Alle Nachhaltigkeitsprogramme im LEH setzen neben Tierwohl auf regionale Lieferanten und kurze Transportwege. Das ist unsere Chance“, ist er überzeugt.


Borchert-Plan muss kommen!


Wie viele Mäster und Ferkelerzeuger durch diese Krise kommen, hängt aber wohl entscheidend von der Politik ab. „Die Finanzierung von mehr Tierwohl muss gesichert werden“, stellt Elmerhaus von Tönnies klar und denkt vor allem an die Borchert-Empfehlungen.


Der Arbeitsauftrag ist klar. Wenn die neue Regierung nicht auf Basis des Borchert-Plans Finanzierung und Genehmigungen regelt, dürfte die Transformation der Tierhaltung in Deutschland vor allem mit einem Bestandsabbau einhergehen. Dann würde die Befürchtung von Erzeugervertreter Terhalle wahr: „Dann liegt eben Haltungsform 3 aus Spanien im deutschen Supermarkt.“ Dort könne man Außenklima auch leichter umsetzen, ergänzt er zynisch.


andreas.beckhove@topagrar.com

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